TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 G301 2220841-1

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Veröffentlicht am 08.07.2020
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Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G301 2220841-1/9E

Schriftliche Ausfertigung des am 03.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Rumänien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 27.05.2019, Zl. XXXX, betreffend Aufenthaltsverbot, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.06.2020 zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 29.05.2019, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf (5) Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

Mit dem am 26.06.2019 beim BFA, Regionaldirektion Wien, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 04.07.2019 vom BFA vorgelegt.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 03.06.2020 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein eines bevollmächtigten Rechtsvertreters teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen (Teilnahmeverzicht). Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

Mit dem am 04.06.2020 eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz beantragte das BFA, Regionaldirektion Wien, die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Rumänien.

Der BF lebt seit Februar 2015 in Österreich und hat hier den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen begründet.

Der BF verfügt seit 31.03.2016 über eine Anmeldebescheinigung zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthalts in Österreich.

Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

01) LG F. STRAFS. XXXX vom XXXX RK XXXX

§ 224a StGB

§§ 223 (2), 224 StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX.2016

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG F. STRAFS. XXXX XXXX RK XXXX

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F. STRAFS. XXXX XXXX vom XXXX

02) LG F. STRAFS. XXXX XXXX vom XXXX RK XXXX

§ 28a (1) 5. Fall, (3), 1. Fall SMG § 15 StGB

§ 27 (1) Z 1 1. 2. Fall (2) SMG

§ 27 (1) Z 1 1. 2. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat XXXX.2018

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG F. STRAFS. XXXX XXXX RK XXXX

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am XXXX

LG F. STRAFS. XXXX XXXX vom XXXX

Festgestellt wird, dass der BF die mit den oben genannten Urteilen festgestellten strafbaren Handlungen begangen und das in den Urteilen und im angefochtenen Bescheid jeweils näher umschriebene strafbare Verhalten gesetzt hat.

Der BF wurde mit dem zuletzt angeführten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen (LGS) XXXX vom XXXX wegen des Vergehens des Suchtgifthandels und mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt. Gleichzeitig wurde dem BF die Weisung erteilt, nach Verbüßung des unbedingten Haftteils sich einer ambulanten Drogenentzugstherapie zu unterziehen und dies dem Gericht binnen eines Monats nach Haftentlassung und in weiterer Folge alle drei Monate vorzulegen.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF in XXXX im Gesamtzeitraum von März 2017 bis XXXX.2018 vorschriftswidrig Suchtgift, wobei er jedoch an Suchtmittel gewöhnt war und die strafbaren Handlungen vorwiegend deswegen beging, um sich selbst Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, nämlich Metamphetamin mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 15,48 % in mehreren Angriffen in einer insgesamt die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge einer Vielzahl an Abnehmern durch gewinnbringenden Verkauf überlassen hat und in einem Fall zu überlassen versucht hat sowie vorschriftswidrig 12,6 Gramm sowie 1,5 Gramm Cannabiskraut am XXXX.2018 erworben und besessen hat, indem er es in seiner Wohnung aufbewahrte und im Zeitraum von Mai 2016 bis XXXX.2018 wiederholt ausschließlich zum persönlichen Gebrauch vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen hat.

Vom Strafgericht wurde bei der Strafbemessung das reumütige und umfassende Geständnis als mildernd, hingegen die zwei Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und die mehrfachen Tatangriffe als erschwerend gewertet.

Der BF wurde zuletzt am XXXX.2018 festgenommen und befand sich bis zu seiner Entlassung am XXXX in Haft (zunächst Untersuchungshaft, sodann Strafhaft), die zuletzt in der Justizanstalt XXXX vollzogen wurde.

Der BF wurde mit dem oben angeführten Urteil des LGS XXXX vom XXXX wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden und des Vergehens des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach dem Strafgesetzbuch (StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Mit Urteil des LGS XXXX vom XXXX wurde die gewährte bedingte Strafnachsicht zwar nicht widerrufen, allerdings die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF seine derzeitige Lebensgefährtin dazu bestimmte, am XXXX.2016 einen total gefälschten bulgarischen Personalausweis, lautend auf XXXX, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der Identität von XXXX, beim Meldeamt vorzulegen, um für den BF einen Wohnsitz anzumelden, indem er sie aufforderte, die Meldung mit dem gefälschten Personalausweis durchzuführen. Weiters hat der BF im Zeitraum von Oktober 2015 bis XXXX.2016 einen total gefälschten bulgarischen Führerschein, lautend auf XXXX, mit dem Vorsatz, dass er im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich seiner Identität gebraucht werde, besessen.

Bei der Strafbemessung wurden das Geständnis und der Umstand, dass zwar Vorstrafen vorhanden, diese jedoch nicht einschlägig sind als mildernd, hingegen kein Umstand als erschwerend gewertet.

Der BF lebt mit seiner Lebensgefährtin, einer rumänischen Staatsangehörigen, in XXXX im gemeinsamen Haushalt. Sie kommen beide mit ihrem Einkommen für die Miete auf. Des Weiteren leben ein Onkel und eine Cousine des BF in XXXX. Der BF verfügt zudem in Österreich auch über weitreichende private Bindungen.

Die Eltern sowie die Schwester des BF leben in Rumänien. Der BF war zuletzt im Zeitraum von Dezember 2014 bis Februar 2015 in Rumänien.

Der BF befand sich von XXXX.2018 bis XXXX.2020 in ambulanter Behandlung beim Verein „XXXX“ und hat seine Suchtgifttherapie erfolgreich abgeschlossen.

Mit Beschluss des LGS XXXX vom XXXX.2020 wurde die mit Beschluss des LGS XXXX zu XXXX vom XXXX erteilte Weisung, dass sich der BF einer Suchtgifttherapie zu unterziehen und den Nachweis alle drei Monate unaufgefordert zu erbringen habe, gemäß § 51 Abs. 4 StGB aufgehoben.

Der BF ist seit XXXX.2019 (Abschluss des Arbeitsvertrages) zunächst geringfügig und seit XXXX.2020 im Ausmaß von 25 Wochenstunden als Lebensmittel-Kurierfahrer beschäftigt und sozialversicherungsrechtlich angemeldet. Der BF hat zudem eine realistische Aussicht auf eine Vollzeitbeschäftigung ab Juli 2020 im Ausmaß von 40 Wochenstunden. Der BF sichert mit seinem Einkommen seinen Lebensunterhalt in Österreich.

Der BF verfügt über Deutschkenntnisse, die zumindest dem A2-Sprachniveau des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

2. Beweiswürdigung:

Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die Feststellung zum Aufenthalt des BF in Österreich seit Februar 2015 beruht auf den eigenen, glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung und auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR).

Die Feststellung zum Vorliegen einer Anmeldebescheinigung zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthalts des BF in Österreich beruht auf den Eintragungen im Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR).

Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen und zu den Lebensumständen des BF beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung, die auch in keinem Widerspruch zu dem sich bereits aus dem Akteninhalt ergebenden und im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhalt standen.

Die Feststellung zum erfolgreichen Suchtgifttherapie-Abschluss, beruht auf dem am 25.05.2020 vorgelegten positiven Therapieabschlussbericht des Vereins „XXXX“ vom XXXX.2020.

Die Feststellung zur Aufhebung der mit Beschluss des LGS XXXX zu XXXX vom XXXX erteilten Weisung zur Unterziehung einer Suchtgifttherapie beruht auf dem am 25.05.2020 vorgelegten Beschluss des LGS XXXX vom XXXX.2020.

Die Feststellungen zur Beschäftigung und zum Beschäftigungsausmaß des BF in Österreich beruhen auf den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung und entsprechen den im Rahmen des Schriftsatzes vom 25.05.2020 vorgelegten Urkunden (Arbeitsvertrag vom XXXX.2019 und Änderungsmeldung des Sozialversicherungsträgers ab XXXX.2020).

Die Feststellung zu den Deutschsprachkenntnissen des BF zumindest auf A2-Sprachniveau beruht auf dem im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Zertifikat über die Ablegung einer mit gut bestandenen Prüfung (ÖSD Zertifikat A2) am 09.01.2018 und der eigenen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Aufenthaltsverbot:

Gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 67 Abs. 3 FPG kann ein Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

Gemäß § 67 Abs. 4 FPG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

Wenn der Fremde nach dem Maßstab der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl. § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, ist es geboten, auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 FPG den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG heranzuziehen. Demnach darf eine Ausweisung nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ verfügt werden. Dieser Gefährdungsmaßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen des FPG über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG (siehe VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Die belangte Behörde hat das gegenständliche auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG gestützt und im Wesentlichen zusammengefasst damit begründet, dass der Aufenthalt des BF auf Grund seines Verhaltens und seiner Verurteilungen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Aufgrund des Konsums von Suchtmittel sowie dem Umstand, dass der BF keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehe und über kein Vermögen verfüge und der im Allgemeinen mit der Suchtgiftkriminalität verbundenen großen Wiederholungsgefahr könne nur eine negative Zukunftsprognose erstellt werden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle keinen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF dar.

Der BF ist Staatsangehöriger von Rumänien und somit als Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Vorauszuschicken ist, dass sich der BF nicht in einem zehn Jahre übersteigenden Zeitraum im Bundesgebiet aufgehalten hat, weshalb der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG (d.h. nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) nicht als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung kommt.

Bei der Stellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 67 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, Zl. 2012/18/0230).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilungen des BF, insbesondere wegen der strafbaren Handlungen nach dem SMG – in allgemein gehaltener Form – zwar zutreffend auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und ihre negativen Folgen für die Gesellschaft hingewiesen, allerdings auf Grundlage des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes in weiterer Folge nicht hinreichend dargelegt, aus welchen konkreten Umständen des vorliegenden Falles sich insgesamt eine negative Gefährdungsprognose ergeben würde, dass der weitere Aufenthalt des BF in Österreich eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Die belangte Behörde hat den Umstand, dass der BF durchwegs wegen Vergehen und nicht wegen Verbrechen nach dem SMG verurteilt wurde, die vom Strafgericht unter Berücksichtigung des möglichen Strafrahmens niedrig angesetzte Höhe der Freiheitsstrafe, die zum überwiegenden Teil (8 von 12 Monaten) bedingt auf eine dreijährige Probezeit ausgesprochen wurde, und auch die vom Strafgericht berücksichtigten Milderungsgründe nicht hinreichend berücksichtigt. Die vorzunehmende Gefährdungsprognose unter Abwägung von general- und spezialpräventiven Erfordernissen sowie die Art und Schwere der begangenen strafbaren Handlungen lassen für sich allein genommen – ohne angemessene Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens und der persönlichen Verhältnisse des BF – aber nicht den Schluss zu, dass vom BF jedenfalls auch weiterhin eine solche Gefahr ausgehen könnte. Überdies wäre nunmehr aufgrund des über fünf Jahre andauernden Aufenthalts in Österreich zu prüfen, ob der BF bereits das Recht auf Daueraufenthalt erworben hätte und daher der erhöhte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 iVm. § 66 FPG heranzuziehen wäre.

Überdies war maßgeblich zu berücksichtigen, dass der BF mittlerweile die ihm gerichtlich auferlegte Suchtgift-Entzugstherapie erfolgreich beendet hat, weshalb auch die entsprechende strafgerichtliche Weisung mit Beschluss des LGS XXXX vom XXXX.2020 vorzeitig aufgehoben wurde. Außerdem ist der BF durch seine Beschäftigung als Lebensmittel-Kurierfahrer in der Lage, mit seinem Einkommen seinen Lebensunterhalt in Österreich zu sichern.

Entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid dargelegten Ansicht, konnte somit nach Abwägung aller Umstände nicht erkannt werden, dass auf Grund des persönlichen Verhaltens des BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche und eine ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr vorliegen würde, bzw. dass nach Abwägung aller Interessen, insbesondere der starken Intensität des Privat- und Familienlebens aufgrund des bereits über fünf Jahre andauernden und stets rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde, weshalb sich das erlassene Aufenthaltsverbot letztlich als rechtswidrig erwiesen hat.

Da die gegenständliche Beschwerde somit begründet ist, war gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben (Spruchpunkt A.).

3.2. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G301.2220841.1.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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