TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/21 G304 2231063-3

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Entscheidungsdatum

21.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G304 2231063-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin LEHNER im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, zu Recht erkannt

A)       Es wird gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Festnahmeauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Steiermark, vom 11.05.2020 wurde gemäß § 34 Abs. 3 Z1 BFA-VG die Festnahme des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) angeordnet.

2. Mit Mandatsbescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark, vom 12.05.2020, wurde über den BF gemäß § 76 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3. Mit Schriftsatz vom 18.05.2020 brachte die bevollmächtigte Rechtsvertretung ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe des BF eine Schubhaftbeschwerde ein. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben und aussprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte, aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen und der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des BF gemäß der Aufwandersatzverordnung auferlegen.

4. Auf Grund der entsprechenden Verfügung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Aktenvorlage vom 18.05.2020 wurde vom BFA, RD Steiermark, am 19.05.2020 der Bezug habende Verwaltungsakt übermittelt. Im Zuge der Aktenvorlage wurde vom BFA eine begründete Stellungnahme zur vorliegenden Beschwerde erstattet und beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen würden und den BF zum Ersatz der Kosten, nämlich Ersatz für den Vorlageaufwand der belangten Behörde in Höhe von EUR 57,40, und des Schriftsatzaufwandes der belangten Behörde in Höhe von EUR 368,80, sowie gegebenenfalls Ersatz des Verhandlungsaufwandes in Höhe von EUR 461,00, zu verpflichten.

5. Am 25.05.2020 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF, eine Zeugin, die bevollmächtigte Rechtsvertretung des BF, ein Vertreter der belangten Behörde sowie ein Dolmetscher für die Sprache DARI, teilnahmen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und die Rechtmittelbelehrung erteilt. Mit diesem Erkenntnis wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, ausgesprochen, dass der BF dem Bund Aufwendungen in Höhe von 887,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat und der Antrag des BF auf Ersatz der Aufwendungen abgewiesen.

6. Mit undatiertem Schriftsatz brachte die bevollmächtigte Rechtsvertretung MigrantInnenverein St. Marx, Dr. Lennart BINDER, LL.M, des BF eine Schubhaftbeschwerde ein. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben, die Inschubhaftnahme, die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig erklären, allenfalls gelindere Mittel anzuwenden und der belangten Behörde, die Verfahrenskosten in Höhe von EUR 737,20 auferlegen.

7. Auf Grund der entsprechenden Verfügung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Aktenvorlage vom 02.06.2020 wurde vom BFA, RD Steiermark, am 03.06.2020 der Bezug habende Verwaltungsakt übermittelt. Im Zuge der Aktenvorlage wurde vom BFA eine begründete Stellungnahme zur vorliegenden Beschwerde erstattet und beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen würden und den BF zum Ersatz der Kosten, nämlich Ersatz für den Vorlageaufwand der belangten Behörde in Höhe von EUR 57,40, und des Schriftsatzaufwandes der belangten Behörde in Höhe von EUR 368,80, sowie gegebenenfalls Ersatz des Verhandlungsaufwandes in Höhe von EUR 461,00 zu verpflichten.

8. Mit Entscheidung vom 8.6.2020 wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid des BFA vom 12.05.2020 sowie gegen die Anhaltung in Schubhaft vom 12.05.2020 bis 25.05.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerde hinsichtlich der Festnahme am 11.05.2020 sowie hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft von 26.05.2020 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG am 8.6.2020 als unbegründet abgewiesen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen.

3. Die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage zur amtswegigen Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft erfolgte am 15.09.2020.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er verfügt über kein gültiges Reisedokument.

Er verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU.

Der BF stellte am 16.10.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der in zweiter Instanz rechtskräftig am 24.07.2019 negativ entschieden wurde.

Am 26.02.2020 wurde der BF im Zuge des Dublin-Rücknahmeabkommens von Frankreich rücküberstellt und stellte seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, GZ. W168 2167944-2/3E, vom 20.05.2020, rechtskräftig negativ entschieden.

Gegen den BF liegt auch eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt einem zweijährigen Einreiseverbot vor.

Der BF hat in Österreich keine familiären und beruflichen entscheidungsmaßgeblichen sozialen Bindungen. Der BF ist bislang in Österreich keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen und verfügt über keinen aufrechten Wohnsitz. Der BF ist Mitglied beim Sportverein SSV HIB Liebenau und pflegt eine Bekanntschaft zu einer Österreicherin.

Am 11.05.2020 wurde der BF von Beamten der Bundespolizei auf Grund eines Festnahmeauftrages des BFA nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen.

Er befindet sich seit 12.05.2020, 12:13 Uhr, in Schubhaft, die derzeit im AHZ Vordernberg vollzogen wird. Diese wurde zur Sicherung der Abschiebung mit dem oben angeführten Bescheid angeordnet.

Der haftfähige BF ist nicht ausreisewillig.

Seitens des BFA wurde am 16.09.2019 die Ausstellung eines Ersatzreisedokuments bei der zuständigen Vertretungsbehörde beantragt.

Trotz der bestehenden Einschränkungen, welche aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie bestehen, ist es nach wie vor sehr wahrscheinlich, dass ein Heimreisezertifikat innerhalb der gesetzlich möglichen Dauer der Schubhaft ausgestellt und eine Abschiebung des BF nach Afghanistan durchgeführt werden kann.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA, der Schubhaftbeschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die Staatsangehörigkeit beruht auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, welche mit der vorliegenden Beschwerde nicht bestritten wurden.

Dass der BF über kein gültiges Reisedokument verfügt, konnte aufgrund des unbestrittenen Akteninhalts und des HRZ-Verfahrens festgestellt werden. Dies bestätigte der BF mit seiner Aussage im Rahmen des Verfahrens G303 2231063-2 in der mündlichen Verhandlung am 25.05.2020.

Die Feststellung, dass der BF über kein Aufenthaltsrecht verfügt sowie zu den Anträgen auf internationalen Schutz, zur Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, ergibt sich ebenso aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Aus der Anhaltedatei ergibt sich, dass sich der BF seit 12.05.2020 in Schubhaft befindet und diese im Anhaltezentrum Vordernberg vollzogen wird.

Anhaltspunkte für familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet bzw. eine maßgebliche berufliche Integration konnten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Dass der BF Mitglied beim Sportverein SSV HIB Liebenau ist und eine Bekanntschaft zu einer Österreicherin pflegt konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 25.05.2020 festgestellt werden.

Es sind keine Hinweise auf signifikante Erkrankungen und Einschränkungen der Haftfähigkeit des BF aktenkundig.

Die Tatsache, dass der BF ausreiseunwillig ist, ergibt sich daraus, dass der BF bislang von sich aus keine nachweislichen Schritte setzte um seiner bestehenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen und auch im Rahmen des Verfahrens G303 2231063-2 in der mündlichen Verhandlung am 25.05.2020 angab, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu wollen und diesbezügliche Gerichtsentscheidungen nicht anerkennen werde.

Die Feststellung, dass seitens des BFA am 16.09.2019 die Ausstellung eines Heimreisezertifikats beantragt wurde, konnte anhand der Angaben des Behördenvertreters bei der mündlichen Verhandlung am 25.05.2020 getroffen werden.

Da die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durchwegs vorübergehend bzw. befristet angeordnet wurden, ist dessen ungeachtet davon auszugehen, dass zeitnah, nach Ausstellung eines Heimreisezertifikates eine Abschiebung des BF nach Afghanistan durchgeführt werden kann. Insbesondere gibt es laut den glaubwürdigen Angaben des Behördenvertreters in der mündlichen Verhandlung im Rahmen des Verfahrens G303 2231063-2 am 25.05.2020 bei der Ausstellung von Ersatzreisedokumenten durch die zuständige ausländische Vertretungsbehörde keine Probleme.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gesetzliche Grundlagen:

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Zuständigkeit:

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

„§ 22a. (...)

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(...).“

Mit letzter Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 26.09.2019 gilt die gegenständliche Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen BF eingebracht. Das BVwG hat nunmehr festzustellen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:

3.2.1. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), lautet:

„§ 76. (...).

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1.       (...),

2.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

(...).

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

(...)

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

(...)

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), lautet:

„§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. (...);

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) (...).

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. (...),

3. (...), oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(…).

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(...).“

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das BVwG hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

An den Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft hat sich seit der letzten Entscheidung des BVwG darüber am 08.06.2020 nichts Entscheidungswesentliches geändert. Der BF ist ein nicht aufenthaltsberechtigter Fremder, gegen den eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung und ein Aufenthaltsverbot besteht. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig abgewiesen. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (vgl. VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

In Zusammenschau mit der fehlenden sozialen Verankerung und der mangelnden Rückkehrbereitschaft liegt nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 und 9 FPG vor. Der Zweck der Schubhaft kann auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden, zumal der BF mittellos ist, keine Unterkunftsmöglichkeit vorhanden ist und eine erhebliche Gefahr des Untertauchens besteht.

Die nach § 80 FPG zulässige Dauer der seit 12.05.2020, durchgehenden Schubhaft des BF, für den in absehbarer Zeit ein Heimreisezertifikat von der marokkanischen Botschaft erwartet werden kann, wurde nicht überschritten.

Die fortgesetzte Anhaltung des BF in Schubhaft ist daher jedenfalls gerechtfertigt.

3.4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Fest steht, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde, ging doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar hervor, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte. Zudem wurde in dieser Rechtssache am 25.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

3.5. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2231063.3.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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