Entscheidungsdatum
10.11.2020Norm
ASVG §59Spruch
I410 2234543-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Eva LECHNER, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, vertreten durch Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Lingenhöle Rechtsanwälte GmbH, Marktstraße 4, 6850 Dornbirn, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX vom 25.06.2020, GZ: XXXX, zu Recht erkannt
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid vom 25.06.2020 gab die belangte Behörde dem Antrag der in Liquidation befindlichen Beschwerdeführerin, die aus einer aufgrund einer für die Jahre 2011 bis 2015 erfolgten Prüfung lohnabhängiger Abgaben stammenden Nachverrechnung von Verzugszinsen in Höhe von 28.062,23 Euro gemäß § 59 Abs. 2 ASVG nachzusehen, nicht statt. Begründend führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Wesentlichen aus, dass der Verzicht nach § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG voraussetze, dass gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse einträte, die ansonsten nicht gegeben ist. Zudem müsse der angestrebte Verzugszinsenverzicht zu einer wesentlichen wirtschaftlichen Sanierung des Unternehmens beitragen können. Vorliegend sei eine solche Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse jedoch bereits seit mehreren Jahren gegeben, was durch den Umstand der – in den Bilanzen zum Stichtag 31.12.2017 und 31.12.2018 jeweils ausgewiesenen – nachhaltigen Überschuldung der bf Gesellschaft auch dadurch unterstrichen werde, dass diese bereits im Jahr 2016 aufgelöst wurde. Die Nachsicht der Verzugszinsen könnte somit weder zu einer wesentlichen Sanierung des Unternehmens beitragen noch führte diese zu einer wirtschaftlichen Gefährdung des Unternehmens.
Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie den angefochtenen Bescheid in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit, insbesondere wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, bekämpft. Begründend wird in der Beschwerde ausgeführt, dass entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Voraussetzungen für die Gewährung einer Nachsicht der Verzugszinsen vorlägen. Vorliegend stehe fest, dass aufgrund der Rückstehungserklärungen des Hauptgesellschafters und dessen Zuschüssen eine wirtschaftliche Gefährdung des Unternehmens beseitigt wurde, wodurch dieser eine ordnungsgemäße Liquidation sicherstellte. Ausschließlich durch die Vorschreibung der Verzugszinsen müsste die Gesellschaft einen Kredit aufnehmen, den sie nicht bedienen könnte, der daher wiederum durch den Geschäftsführer und Liquidator zu besichern oder gar selbst aufzunehmen wäre, womit auch dessen wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre. Die wirtschaftliche Gefährdung der Beschwerdeführerin komme daher ausschließlich und gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen zustande.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die XXXX GmbH wurde im Zeitraum vom 01.01.2011 bis 31.12.2015 einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) unterzogen. Im Zuge dieser Prüfung wurde am 14.02.2018 der Betrag von 160.844,57 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen und der Betrag von 22.686,89 Euro an Verzugszinsen nachverrechnet. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden zwischenzeitlich beglichen; die letzte Ratenzahlung erfolgte am 17.03.2020. Offen sind hingegen die Verzugszinsen aus der GPLA in Höhe von 22.686,89 Euro und die laufenden Verzugszinsen in Höhe von 5.375,34 Euro, die bis zur vollständigen Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge angefallen sind. Insgesamt sind daher 28.062,23 Euro an Verzugszinsen offen.
Die XXXX GmbH stellte ihre Tätigkeit in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 ein, weil das Unternehmen aufgrund der Konkurrenzsituation nicht mehr gewinnbringend geführt werden konnte. Mit Generalversammlungsbeschluss vom 14.12.2016 wurde die Gesellschaft aufgelöst und befindet sich seither im Stadium der Liquidation.
Gemäß der im Firmenbuch abrufbaren Bilanz zum Stichtag 31.12.2018 weist die Gesellschaft in Liqu. einen Bilanzverlust von 2.927.154,27 Euro bei einem negativen Eigenkapital von 1.627.154,27 Euro aus, wobei eine Überschuldung im Sinn des Insolvenzrechts deshalb nicht besteht, weil die Gesellschafterdarlehen in Höhe von 1.630.000,- Euro gemäß einer schriftlichen Vereinbarung nachrangig sind (siehe den offenzulegenden Anhang zur Bilanz 31.12.2018). Seither hat der ehemalige Gesellschafter und Liquidator XXXX zwecks Bedienung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft und Sicherstellung einer ordentlichen Liquidation ohne Insolvenz weitere Zuschüsse in Höhe von 71.930,- Euro geleistet.
Zum Bilanzstichtag 31.12.2019 liegt noch keine Bilanz der XXXX GmbH in Liqu. vor.
2. Beweiswürdigung:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und dem am 10.11.2020 erstellten Auszug aus dem Firmenbuch zu FN XXXX sowie der im Akt befindlichen Aufstellung der XXXX GmbH in Liqu. über Kapitalnachschüsse in den Jahren 2019 und 2020.
Die Höhe der aushaftenden Verzugszinsen ist unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger oder des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz oder des Bundesministers für Gesundheit in Verwaltungssachen und wegen Verletzung ihrer (seiner) Entscheidungspflicht in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Nach Abs. 2 erster Satz leg. cit. entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Vorauszuschicken ist, dass die Verpflichtung, Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG zu entrichten, die gesetzliche Folge des Verzuges bei der Einzahlung der rückständigen und fälligen Beiträge ist. Das Institut der Verzugszinsen stellt somit ein wirtschaftliches Äquivalent für den Zinsverlust dar, den der Beitragsgläubiger durch die verspätete Zahlung fälliger Beiträge erleidet. Darüber hinaus gleichen die Verzugszinsen jenen Vorteil aus, den der später Zahlende aus dem Umstand zieht, dass ihm die Geldsumme länger zur Verfügung gestanden ist. Die Verzugszinsenregelung erfüllt in dieser Hinsicht auch eine Steuerungsfunktion, indem sie verhindern soll, dass der Unternehmer durch Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge günstigen Kredit erlangen (so Derntl, in Sonntag [Hg], ASVG11 [2020], § 59 ASVG Rz. 17 mH auf die Rsp des VfGH). Es geht also im Hinblick auf den Normzweck des § 59 ASVG um den Schutz sowohl der Versichertengemeinschaft als auch der rechtstreuen Dienstgeber (zutreffend Resch, in Mosler/Müller/Pfeil, der SV-Komm, § 59 ASVG Rz. 12, Stand 01.03.2016, rdb.at).
3.3. Nach dem hier relevanten § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG kann der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn durch ihre Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären.
Der Verzicht steht im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers (Resch, aaO Rz. 29). Nach dem – einschränkend zu interpretierenden (Resch, aaO Rz. 30) – Tatbestand des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG ist für den Verzicht die wirtschaftliche Situation des konkreten Beitragsschuldners ausschlaggebend. Dabei setzt der Verzicht nach der stRsp des Verwaltungsgerichtshofs voraus, dass gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse eintreten würde, dh, dass eine solche Gefährdung nicht schon durch andere Umstände (wie zB die Einhebung der SV-Beiträge selbst) eingetreten ist. Eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen ist somit nicht schon bei bloß (anderweitig verursachter) angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig, wenn ein Unternehmen Verluste schreibt. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof etwa dem Verhältnis zwischen dem Betrag der Verzugszinsen und dem Betrag der gesamten Verbindlichkeiten sowie dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob der angestrebte Verzugszinsenverzicht zu einer wesentlichen Sanierung des Unternehmens beitragen kann (zB VwGH 05.11.2003, 99/08/0004 mwN; dazu Resch, aaO Rz. 33; Derntl, in Sonntag [Hg], ASVG11 [2020], § 59 ASVG Rz. 23f).
Beitragsschuldnerin ist vorliegend die XXXX GmbH in Liqu. Die Gesellschaft hat ihre Geschäftstätigkeit im zweiten Halbjahr 2016 eingestellt und wurde mit 14.12.2016 aufgelöst. Die im Zuge einer GPLA nachverrechneten Beiträge, aus denen die beschwerdegegenständlichen Verzugszinsen resultieren, beziehen sich auf die Geschäftsjahre 2011 bis 2015.
3.4. Vorliegend stellt sich nun die – soweit ersichtlich in der Judikatur des Verwaltungsgerichthofs bislang nicht geklärte – Frage, ob die Nachsichtsregelung des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG uneingeschränkt auch auf eine in Liquidation befindliche Beitragsschuldnerin anwendbar ist, die keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfaltet.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist dies mit Blick auf den Normzweck des § 59 ASVG, die restriktiven Voraussetzungen für eine Beitragsnachsicht aufgrund der Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse und den Zweck eines Liquidationsverahrens im Ergebnis zu verneinen:
So dient die Abwicklung bzw. Liquidation der Gesellschaft gemäß § 91 GmbHG nicht nur der Beendigung der laufenden Geschäfte und der Verwertung des Gesellschaftsvermögens, sondern auch der Befriedigung und Sicherstellung der Gläubiger. Würde man nun – wie nach der in der Beschwerde vertretenen Ansicht im Ergebnis der Fall – aus dem Umstand, dass sich die Beitragsschuldnerin in Liquidation befindet und mangels Geschäftstätigkeit für die Bedeckung offener Verbindlichkeiten nicht mehr kreditfähig ist, auf eine die Nachsicht von Verzugszinsen bedingende Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse schließen, dann würde dies in Liquidation befindliche Beitragsschuldner gegenüber sonstigen Beitragsschuldnern im Hinblick auf den Normzweck des § 59 Abs. 1 und 2 ASVG unsachlich privilegieren. Denn dieser Normzweck ist – wie dargelegt – darauf gerichtet, im Interesse der Gleichbehandlung aller Beitragsschuldner einen aus der verspäteten Zahlung von Beiträgen beim säumigen Beitragsschuldner entstandenen wirtschaftlichen Vorteil, dem ein entsprechender Nachteil beim Beitragsgläubiger (und damit der Versichertengemeinschaft) korrespondiert, auszugleichen, und davon nur dann zu dispensieren, wenn die Einhebung der Verzugszinsen in voller Höhe im konkreten Fall die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens gefährdet und sich insbesondere als Hindernis für eine wesentliche wirtschaftliche Sanierung des Unternehmens des Beitragsschuldner erweist (siehe dazu die oben in Punkt 3.3. zusammenfassend wiedergegebene stRsp des VwGH).
Bei einer in Liquidation befindlichen Gesellschaft ist nun aber eine wirtschaftliche Sanierung – aufgrund Auflösung und mangels Geschäftstätigkeit – von vornherein nicht denkbar. Zudem scheint es im Hinblick auf den gesetzlich festgelegten Zweck der Liquidation einer Gesellschaft, der gerade auch in der Befriedigung der Gläubiger liegt (siehe § 91 Abs. 2 GmbHG), – entgegen des diesbezüglichen Verständnisses der Beschwerdeführerin – nicht angemessen, die Verhinderung der durch die Einhebung der Verzugszinsen potentiell drohenden Insolvenz der Gesellschaft in Liquidation als einen im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gesetzmäßigen Zweck einer Verzugszinsennachsicht iSd § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG anzusehen. MaW: Es scheint nicht angemessen, die Einhebung von Verzugszinsen als Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse einer Gesellschaft in Liquidation zu betrachten, wenn dadurch gerade ein wesentliches Ziel des Liquidationsverfahrens, nämlich die Befriedigung der Gläubiger verwirklicht werden soll (ob die aushaftenden Verzugszinsen im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft in Liquidation tatsächlich einbringlich gemacht werden können, ist eine davon zu unterscheidende Frage). Vielmehr ist in einer solchen Konstellation das in der Verzugszinsenregelung des § 59 ASVG insgesamt zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse der Beitragsgerechtigkeit und des vollständigen Ausgleichs der durch eine verspätete Beitragszahlung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile beim Beitragsgläubiger im Rahmen der – wie ebenfalls dargelegt – gebotenen restriktiven Auslegung dieses Nachsichtstatbestands höher zu gewichten.
Angesichts dessen erweist sich die bescheidmäßige Ablehnung der beantragten Verzugszinsennachsicht nach Auffassung des erkennenden Gerichts schon aus diesen Gründen nicht als rechtswidrig.
3.5. Im Übrigen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits zutreffend auf die schon spätestens seit dem Jahr 2016, in dem die Geschäftstätigkeit eingestellt wurde, bestehende, anderweitig verursachte und durch die im Jahr 2018 nachverrechneten Beiträge noch verschlechterte prekäre wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin hingewiesen, sodass auch vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich ist, dass nunmehr konkret (erst) durch die Einhebung der Verzusgzinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beitragsschuldnerin eintritt. Zudem erweist sich die Höhe der aushaftenden Verzugszinsen im Vergleich zu den Gesamtverbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin als so untergeordnet, dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerade durch die Entrichtung der Verzugszinsen nicht angenommen werden kann.
Im gegebenen Zusammenhang kann es nämlich – entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde – nicht darauf ankommen, ob ein Gesellschafter (wie etwa im Zusammenhang mit der Entrichtung der nachverrechneten Beiträge) erneut in der Lage bzw. bereit ist, die betreffenden Verbindlichkeiten durch weitere verlorene Zuschüsse abzudecken oder nicht. Vielmehr ist hier allein die wirtschaftliche Situation der Beitragsschuldnerin als solcher, konkret also XXXX GmbH in Liqu. zu betrachten. Deren wirtschaftliche Situation ist aber in ihrer Gesamtheit schon seit Jahren prekär, sodass eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft gerade nicht (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eintritt. Vielmehr konnte auch bislang, wie der Beschwerdeführer selbst ausführt, eine Insolvenz der Gesellschaft nur durch weitere Kapitalzuschüsse von Gesellschafterseite abgewendet werden.
3.6. Ob und inwieweit im Fall der tatsächlichen Nichteinbringlichkeit der aushaftenden Verzugszinsen eine Geschäftsführerhaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Betracht kommt, ist im gegenständlichen Verfahren nicht zu klären. Insoweit sind für dieses aber auch die persönlichen Vermögensverhältnisse des ehemaligen Geschäftsführers und nunmehrigen Liquidators unbeachtlich.
3.7. Im Ergebnis ist daher der Ablehnung des Antrags, die Verzugszinsen in Höhe von 28.062,23 Euro gemäß § 59 Abs. 2 ASVG nachzusehen, im angefochtenen Bescheid, nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht entgegenzutreten.
4. Zum Absehen von der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt ist und in der Beschwerde nicht bestritten wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 02.09.2004, 68.087/01 [Hofbauer/Österreich], wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jegliche Anhörung [im Originaltext „any hearing at all“] erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „technische“ Fragen betrifft und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat, vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 29.04.2015, Zl. Ro 20015/08/0005.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung folgender Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Zur Frage, ob die Nachsichtsregelung des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG auch auf eine in Liquidation befindliche Beitragsschuldnerin anwendbar ist, obwohl diese keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfaltet, und ob eine solche in Abwicklung befindliche Gesellschaft durch die Einhebung von Verzugszinsen überhaupt im Sinn dieser Bestimmung in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gefährdet sein kann, liegt keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Da diese Frage ganz grundsätzlich die Bestimmung der Reichweite dieser Norm betrifft, war die Revision zuzulassen.
Schlagworte
Beitragsnachverrechnung Nachsichtantrag Revision zulässig Verzugszinsen wirtschaftliche LeistungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I410.2234543.1.00Im RIS seit
21.12.2020Zuletzt aktualisiert am
21.12.2020