Entscheidungsdatum
22.09.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §37Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen den Zurückweisungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 08.09.2020, Zl. MA67/..., mit welchem der „Einspruch“ vom 19.08.2020 gegen die Strafverfügung vom 04.05.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde,
zu Recht:
I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid vom 8.9.2020 behoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Mit der Lenkererhebung vom 27.1.2020 wurde der Masseverwalter der C. GmbH, Hr. Dr. D. E., aufgefordert binnen zwei Wochen der Behörde bekannt zu geben, wer das Kfz mit dem Kennzeichen W-... am 10.12.2019 um 09:12 Uhr in Wien, F.-gasse abgestellt hat.
Aufgrund der Namhaftmachung des nunmehrigen Beschwerdeführers durch Hr. Dr. E. mit 30.1.2020 wurden Lenkererhebungen vom 4.2.2020 und vom 25.2.2020 an Hr. A. B. als namhaft gemachten Auskunftspflichtigen geschickt.
Mit Strafverfügung vom 4.5.2020 zur GZ: MA67/... wurde gegen Hr. B. eine Geldstrafe iHv 128,- Euro wegen des Verstoßes gemäß § 103 Abs. 2 KFG iVm § 134 KFG verhängt.
Mit E-Mail vom 20.5.2020 erhob Hr. B. rechtzeitig Einspruch gegen die Strafverfügung vom 4.5.2020.
Mit dem behördlichen Schreiben vom 10.6.2020 wurde eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme an Hr. B. gesendet.
Mit Schreiben vom 1.7.2020 gab Hr. B. eine Stellungnahme hierzu ab und verwies dabei auf den Schriftsatz in einem Strafverfahren zur GZ: ....
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 12.8.2020 zur GZ: MA67/..., zugestellt am 17.8.2020, wurde gegen Hr. B. wegen des Verstoßes des § 103 Abs. 2 KFG eine Geldstrafe iHv 128,- Euro gemäß § 134 KFG verhängt, da er am 14.3.2020 in Wien, G.-gasse als Auskunftspflichtiger des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W-... dem ordnungsgemäß zugestellten behördlichen Verlangen vom 25.2.2020 binnen zwei Wochen ab Zustellung der Behörde bekannt zu geben, wer dieses Fahrzeug am 10.12.2019 um 09:12 Uhr in Wien, F.-gasse gelenkt bzw. vor diesem Zeitpunkt abgestellt hat, nicht entsprochen hat.
Mit E-Mail vom 19.8.2020 übermittelte der nunmehrige Beschwerdeführer ein Schreiben datiert mit 18.8.2020 an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, mit folgendem Inhalt:
„Einspruch
Betreff: GZ: MA67/...
Ich erhebe Einspruch gegen diese
Strafverfügung Datum 14.03.2020.
Herr H. I. als Fuhrparkleiter für Firma C.
verantwortlich zuständig war,
verantwortlich.
Seine Adresse: J.-gasse, Wien
Handy: ...
Unterschrift
18.08.2020 A. B.
(eh) G.F.“
Laut Aktenvermerk der belangten Behörde vom 8.9.2020 sei das E-Mail vom 19.8.2020, welches als „Einspruch“ tituliert sei und inhaltlich nicht auf das zuletzt erlassene Straferkenntnis, sondern auf die „Strafverfügung“ Bezug nehme, nicht als Beschwerde zu werten.
Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 8.9.2020 zur GZ: MA67/..., zugestellt am 11.9.2020, wies die Behörde den „Einspruch“ vom 19.8.2020 gegen die Strafverfügung vom 4.5.2020 gemäß § 24 VStG iVm § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Begründend führte die Behörde aus, dass sich der Einspruch vom 19.8.2020 sowohl deklarativ als auch inhaltlich eindeutig gegen die Strafverfügung zur GZ: MA67/... richte. Zu eben dieser Strafverfügung sei bereits ein Einspruch vom 20.5.2020 eingebracht worden und das Verfahren mit Straferkenntnis vom 12.8.2020 abgeschlossen worden.
Mit E-Mail vom 14.9.2020 brachte Hr. B. rechtzeitig Beschwerde gegen den Bescheid vom 8.9.2020 ein und legte eine Zeugenliste bei.
Die belangte Behörde erließ keine Beschwerdevorentscheidung und legte den Verfahrensakt samt Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien vor (ha. eingelangt am 16.9.2020). Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde verzichtet und für den Fall einer Durchführung wurde auf die Teilnahme daran verzichtet.
II. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zum Verfahrensgang, insbesondere dem Schreiben datiert mit 18.8.2020 (E-Mail vom 19.8.2020), und zum Beschwerdevorbringen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verfahrensakt und stellen sich als unstrittig dar.
III. Rechtsvorschriften
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF., lauten auszugsweise wie folgt:
„Inhalt der Beschwerde
§ 9. (1) Die Beschwerde hat zu enthalten:
1. die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides oder der angefochtenen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,
2. die Bezeichnung der belangten Behörde,
3. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
4. das Begehren und
5. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist. (…)
2. Abschnitt
Vorverfahren
Anzuwendendes Recht
§ 11. Soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.
Schriftsätze
§ 12. Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schriftsätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG.
3. Abschnitt
Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
Anzuwendendes Recht
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.“
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991 (WV) idgF., lauten auszugsweise wie folgt:
„3. Abschnitt: Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten
Anbringen
§ 13. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.
(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.
(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht. (…)“
IV. Rechtliche Beurteilung
Zunächst wird festgehalten, dass das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu entscheiden hat (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Es besteht aber keine Befugnis oder Pflicht der Behörde, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteivorbringens die Erstattung der nicht erstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl. VwGH 7.5.2020, Ra 2018/16/0042).
Für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens ist sein wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, maßgeblich und kommt es nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes, wobei Parteierklärungen im Zweifel so auszulegen sind, dass die diese abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird (VwGH 15.6.2004, 2003/18/0321).
Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen, diesen also zu einer Präzisierung aufzufordern bzw. zum Inhalt einzuvernehmen (vgl. VwGH 20.2.1998, 96/15/0127; VwGH 26.2.1991, 90/04/0277; VwGH 30.4.1999, 95/21/0931). Der Behörde ist es nicht gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (vgl. VwGH 30.5.2007, 2005/06/0375; VwGH 29.6.2011, 2010/12/0213).
Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer innerhalb der offenen Beschwerdefrist - nach Erlassung des Straferkenntnisses vom 12.8.2020 – den „Einspruch“ vom 18.8.2020 mit E-Mail vom 19.8.2020 bei der belangten Behörde eingebracht. Darin wird die Geschäftszahl des Straferkenntnisses mit GZ: MA67/... richtig angegeben und Bezug auf die Tatzeit vom 14.3.2020 genommen. Die falsche Bezeichnung des eingebrachten Rechtsmittels als „Einspruch“ steht einer meritorischen Entscheidung durch die Rechtsmittelinstanz nicht im Wege. Aus dem Rechtsmittel muss zu entnehmen sein, aus welchen – wenn auch nicht stichhältigen – Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird und welchen Erfolg der Einschreiter anstreben will bzw. womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. VwGH 9.1.1987, 86/18/0212).
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien ergibt sich aus dem Schreiben datiert mit 18.8.2020 offenkundig, dass sich der Beschwerdeführer damit gegen das unmittelbar zuvor am 17.8.2020 erlassene Straferkenntnis richten wollte, ungeachtet des Umstands, dass er fälschlicherweise von „Strafverfügung“ bzw. „Einspruch“ spricht, zumal es nach der oben zitierten Rechtsprechung nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den Inhalt des Anbringens ankommt. Er macht darin geltend, dass nicht ihn, sondern Hr. H. I. (Fuhrparkleiter) die Auskunftspflicht getroffen habe. Im Zweifel ist eine Parteierklärung auch so auszulegen, dass die diese abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird. Bei einem undeutlichen Inhalt des Anbringens hätte die Behörde den Beschwerdeführer auch zu einer Präzisierung auffordern bzw. zum Inhalt einvernehmen müssen, sodass die Zurückweisung durch die belangte Behörde insgesamt zu Unrecht erfolgte und der Bescheid zu beheben ist.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht die Behörde zuständig ist, die entsprechenden Verbesserungsaufträge zu erteilen (vgl. § 11 VwGVG iVm § 9 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG) und im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde zurückzuweisen, wenn die Mängel nicht behoben werden (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 [2019] Rz 738).
Der Entfall einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gründet sich auf § 44 Abs. 2 VwGVG, da im gegenständlichen Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Strafverfügung; Einspruch; Zurückweisung; Anbringen; objektiver ErklärungswertEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.062.11527.2020Zuletzt aktualisiert am
18.12.2020