Entscheidungsdatum
06.07.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2229587-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch Olaf GROBORZ, Rechtsanwalt in München, gegen den Bescheid der Präsidentin des Landesgerichts XXXX vom XXXX .01.2020, XXXX , betreffend die Rückzahlung einer Geldstrafe (Grundverfahren XXXX des Landesgerichts XXXX ):
A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheids an die Präsidentin des Landesgerichts XXXX zurückverwiesen wird.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin (BF) wurde mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , in der Fassung des Urteils des XXXX vom XXXX , zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen á EUR 40 (im Uneinbringlichkeitsfall 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt, wobei ein Strafteil von 80 Tagessätzen (im Uneinbringlichkeitsfall 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil ist seit XXXX .11.2009 rechtskräftig. Am XXXX .10.2017 wurde der zunächst bedingt nachgesehene Strafteil endgültig nachgesehen.
Die BF zahlte den unbedingten Teil der Geldstrafe (EUR 3.200) erst, als sie am XXXX .02.2019 von Polizeibeamten XXXX angetroffen und mit der Anordnung des Landesgerichts XXXX zur Vorführung zum Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe konfrontiert wurde.
Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 13.06.2019 brachte die BF vor, dass die Vollstreckbarkeit der Geldstrafe gemäß § 59 StGB verjährt sei. Sie bat um Stellungnahme und – falls die Vollstreckungsverjährung tatsächlich eingetreten sei – um Rückzahlung des gezahlten Betrags. Der Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX .06.2019, mit dem der Rückzahlungsantrag abgewiesen wurde, wurde mit dem Beschluss des XXXX vom XXXX , wegen sachlicher Unzuständigkeit behoben, weil über den Antrag auf Rückzahlung der bereits entrichteten Geldstrafe von der Vorschreibungsbehörde im Justizverwaltungsweg zu entscheiden sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Präsidentin des Landesgerichts XXXX als Vorschreibungsbehörde gemäß § 6 GEG den Rückzahlungsantrag ab. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass keine Vollstreckungsverjährung eingetreten sei. In die gemäß § 59 Abs 3 StGB anzuwendende fünfjährige Verjährungsfrist seien gemäß § 60 Abs 2 Z 4 StGB Zeiten, in denen sich der Verurteilte im Ausland aufgehalten habe, nicht einzurechnen. Die BF habe am XXXX .02.2019 erstmals nach der Rechtskraft des Urteils ihren Hauptwohnsitz in Österreich angemeldet; dadurch sei der Beginn der Verjährungsfrist gehemmt worden.
Die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ist nicht aktenkundig; insbesondere wurde der BF offenbar keine Gelegenheit gegeben, die Annahme der Präsidentin des Landesgerichts XXXX , die BF habe sich zwischen XXXX .11.2009 und XXXX .02.2019 im Ausland aufgehalten, zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der BF, mit der sie die Rückzahlung von der Geldstrafe von EUR 3.200 anstrebt. Sie sei durchgehend in XXXX gemeldet und dort jederzeit postalisch erreichbar gewesen. Seit 2012 habe sich dort ihr Hauptwohnsitz befunden. Ihr Ehemann habe seinen Hauptwohnsitz seit 2011 in XXXX . Da sie sich nicht (durchgehend) im Ausland aufgehalten habe, sei die Verjährungsfrist des § 59 Abs 3 StGB zur Zeit der Zahlung der Geldstrafe bereits abgelaufen gewesen, sodass die Geldstrafe an sie zurückzuzahlen sei.
Die Präsidentin des Landesgerichts XXXX legte die Beschwerde und die Akten des Justizverwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.
Feststellungen:
Laut dem Zentralen Melderegister war die BF von XXXX .06.2001 bis XXXX .11.2006 an der Adresse XXXX mit Nebenwohnsitz gemeldet, von XXXX .11.2006 bis XXXX .08.2009 mit Hauptwohnsitz und von XXXX .08.2009 bis XXXX .02.2019 mit Nebenwohnsitz gemeldet. Seither ist sie an dieser Anschrift wieder mit Hauptwohnsitz gemeldet. Weitere Meldungen in Österreich bestanden nicht. Ihr wurde in Österreich nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Die Verurteilung im Verfahren XXXX des Landesgerichts XXXX ist ihre einzige strafgerichtliche Verurteilung in Österreich.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und aus dem Gerichtsakt des BVwG, insbesondere aus den durchgeführten Abfragen im Zentralen Melderegister, Strafregister und Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister.
Die Wohnsitzmeldungen der BF sind im Zentralen Melderegister ersichtlich. Die in der Beschwerde behauptete Hauptwohnsitzmeldung ab 2012 lässt sich daraus nicht nachvollziehen. Die Erteilung einer Anmeldebescheinigung wird von der BF nicht behauptet und lässt sich auch dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister nicht entnehmen. Im Strafregister sind nur die seit XXXX .11.2009 rechtskräftige Verurteilung zu einer teilbedingten Geldstrafe durch das Landesgericht XXXX und die endgültige Strafnachsicht 2017 dokumentiert, aber keine weitere Verurteilung.
Da keine widersprüchlichen Beweisergebnisse vorliegen, erübrigt sich eine eingehendere Beweiswürdigung.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über die hier vorliegende Bescheidbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann reformatorisch zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG in der Sache zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, kann das Gericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen (§ 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG). Diese ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Gericht ausgegangen ist.
Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltugnsverfahrensrecht10 Rz 830 und 842). Solche qualifizierten Ermittlungsmängel liegen hier vor.
Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen:
Gemäß § 6c Abs 1 iVm § 1 Z 3 GEG sind unter anderem von ordentlichen Gerichten in Strafsachen verhängte Geldstrafen zurückzuzahlen, soweit sich in der Folge ergibt, dass überhaupt nichts oder ein geringerer Betrag geschuldet wurde und der Rückzahlung keine rechtskräftige Entscheidung entgegensteht (Z 1) oder soweit die Zahlungspflicht aufgrund einer nachfolgenden Entscheidung erloschen ist (Z 2). Die Rückzahlung ist gemäß § 6c Abs 2 GEG von Amts wegen oder auf Antrag der Partei, die die Beträge entrichtet hat, zu verfügen; insoweit sich jedoch der Rückzahlungsanspruch als nicht berechtigt erweist, ist er von der Vorschreibungsbehörde mit Bescheid abzuweisen.
Gemäß § 59 Abs 2 StGB erlischt die Vollsteckbarkeit der unbedingten Geldstrafe, zu der die BF verurteilt wurde, durch Verjährung. Die Frist für die Verjährung beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, in der auf die Strafe erkannt wurde, und beträgt hier nach § 59 Abs 3 letzter Fall StGB fünf Jahre. Gemäß § 60 Abs 2 Z 4 StGB werden Zeiten, in denen sich der oder die Verurteilte im Ausland aufgehalten hat, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet.
Eine amtliche (polizeiliche) Meldung im Inland bildet keinen Beweis für das Bestehen eines (bestimmten) Wohnsitzes oder Aufenthalts einer Person an einem bestimmten Ort, stellt jedoch ein nicht unbedeutendes Indiz für die Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Wohnsitzes oder Aufenthalts dar (VwGH 20.12.2019, Ra 2017/22/0221). Andererseits führt auch eine Abmeldung bei der Meldebehörde - ungeachtet ihres Indizcharakters - nicht jedenfalls dazu, dass ein bestehender Wohnsitz erlischt.
Die Vorschreibungsbehörde hat zur Frage, ob und wann sich die BF nach der Rechtskraft des Strafurteils im Ausland aufgehalten hat, keine Ermittlungen durchgeführt. Sie hat die Verlängerung der Frist für die Vollstreckungsverjährung lediglich auf das Fehlen einer Hauptwohnsitzmeldung im Inland gestützt und dieser somit fälschlich eine über den bloßen Indizcharakter hinausgehende Bedeutung beigemessen (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0010 und 30.08.2018, Ra 2018/21/0129). Im fortgesetzten Verfahren werden dazu geeignete Ermittlungen durchzuführen und der BF insbesondere das Parteiengehör zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme einzuräumen sein. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt es für die entscheidungswesentliche Frage, inwieweit die Frist für die Vollstreckungsverjährung verlängert wurde, weder auf die amtliche Meldung der BF noch auf ihre postalische Erreichbarkeit an, sondern darauf, zu welchen Zeiten sie sich zwischen 25.11.2009 und 26.02.2019 nicht im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten hat. Das Fehlen einer Hauptwohnsitzmeldung und einer Anmeldebescheinigung, die EWR-Bürger wie die BF an sich bei einem drei Monate übersteigenden Aufenthalt im Bundesgebiet benötigen (siehe §§ 51 und 53 NAG), sprechen jedenfalls nach dem ersten Anschein dagegen, dass sie sich im fraglichen Zeitraum durchgehend im Inland aufgehalten hat.
Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG liegen nicht vor, weil es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung führt, wenn es die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt, zumal zu einem wesentlichen Sachverhaltselement noch keine tauglichen Ermittlungsergebnisse vorliegen. Die noch fehlenden Ermittlungen zum (Inlands-)Aufenthalt der BF im relevanten Zeitraum erreichen einen Umfang, der trotz der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungskompetenz des BVwG eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt, zumal dazu überhaupt keine Ermittlungen durchgeführt wurden. Der angefochtene Bescheid ist daher in Stattgebung der Beschwerde gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids nach Verfahrensergänzung an die Präsidentin des Landesgerichts XXXX zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 08.11.2018, Ra 2018/22/0232).
Schlagworte
Auslandsaufenthalt Ermittlungspflicht Fristenhemmung Geldstrafe Hauptwohnsitz Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Meldeadresse Parteiengehör Rückzahlungsantrag strafgerichtliche Verurteilung Verjährung Verjährungsfrist WohnsitzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2229587.1.00Im RIS seit
18.12.2020Zuletzt aktualisiert am
18.12.2020