Entscheidungsdatum
23.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W255 2132396-2/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2018, Zl. 1052855009-180824121, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 17.09.2020, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag fand die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.
1.2. Am 25.04.2015 wurde der BF durch einen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) beauftragten Sachverständigen zwecks Feststellung seiner Minder- bzw. Volljährigkeit untersucht. Laut Gutachten dieses Sachverständigen laute das fiktive Geburtsdatum des BF XXXX .
1.3. Mit Schreiben vom 18.06.2016 nahm der BF zu seinem Fluchtgrund sowie zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen Stellung. Darin führte er unter anderem aus, dass er an chronischer Hepatitis B leide und in Österreich behandelt werde. Der BF legte diesbezüglich einen Befund vom 25.11.2015 („Infektionsdiagnostik: Hepatitis B Virus DNA / PCR qn.“), einen Befund vom 09.12.2015 (Diagnose: „Chron. Hep. B“, Ergebnis: „Unauffällige Sonographie des Oberbauchs und beider Nieren“), einen Arztbrief vom 08.02.2016 (Diagnose: „vermutlich chronische He. B HBE-Ag negativ, HBE-AK pos Fibro Scan am 08.02.2016: 7,4 Kpa (13%, Erfolgsrate 90%)- F2) sowie einen Arztbrief vom 29.02.2016 (Diagnose: „chronische Hep. B HBE-Ag negativ, HBE-AK pos, Delta AK negativ, Viruslast <20 IU/ml St. p. Hepatitis A“) vor.
1.4. Am 28.06.2016 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF ua an, dass er Gelbsucht habe und in Behandlung stehe. Er würde dreimal täglich Tabletten einnehmen und es würden ihm Injektionen verabreicht werden. Der BF sei Paschtune und Sunnite. Er verfüge über keine Schulbildung. Der BF habe zuletzt vor zwanzig Tagen mit seiner Familie Kontakt gehabt. Die Lage sei schlecht. Er habe mehrere Onkel, die in seiner Herkunftsprovinz XXXX leben würden. Der Vater des BF habe eine Werkstatt, ein Haus und ein Grundstück im Ausmaß von drei oder vier Jirib. Davon finanziere sich die Familie den Lebensunterhalt. Der BF habe in Afghanistan drei Monate gearbeitet. Er habe Obst eingepackt und weitergeschickt. Der BF legte unter anderem einen Befundbericht vom 11.11.2015, einen Befund vom 18.11.2015, einen Befund vom 08.02.2016, einen Befund vom 12.02.2016 und einen Arztbrief vom 04.03.2016 (Diagnose: „Vd a beginnender bakt Infekt“) vor.
1.5. Mit Schreiben vom 02.07.2016 nahm der BF neuerlich zu seinem Fluchtgrund und der mangelnden Fluchtalternative Kabul Stellung.
1.6. Mit Bescheid des BFA vom 29.07.2016, Zl. 1052855009-150231565, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt IV.).
1.7. Gegen den unter Punkt 1.6. genannten Bescheides des BFA erhob der BF fristgerecht Beschwerde.
1.8. Am 29.09.2016 führte das Bundeverwaltungsgericht im Beisein des BF, einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto sowie des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF ua an, dass er in der Provinz XXXX aufgewachsen sei. Er habe sein gesamtes Leben dort verbracht. Seine Familie habe Afghanistan so wie der BF verlassen, habe kurze Zeit in Pakistan gelebt und sei wieder nach Afghanistan zurückgekehrt. Der BF wisse nicht, wo sich seine Familie derzeit aufhalte. Er habe keinen Kontakt zu seiner Familie. Er habe keine Telefonnummer, unter der er sie erreichen könne. Der BF habe abgesehen von seinen Eltern und Geschwistern weitere Verwandte in Afghanistan, jedoch keinen Kontakt zu diesen. Der BF sei derzeit in einer Pension für Asylwerber untergebracht. Aufgrund seines Aufenthaltsstatus dürfe er derzeit keiner Arbeit nachgehen. Er habe weder eine Schul- noch eine Berufsausbildung gemacht. Der BF besuche einen Deutschkurs, wenngleich er diesen aufgrund gesundheitlicher Probleme einige Zeit nicht besuchen habe können. Der BF habe Hepatitis B. Er habe in Österreich keine Verwandten und sei nicht Mitglied in einem Verein. Er lerne über Youtube Deutsch. Die letzten drei Monate sei er schwer krank gewesen und habe sehr viel Zeit in Spitälern verbracht.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde vor Schluss der Verhandlung zurückgezogen.
1.9. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.2016, GZ W124 2132396-1/4E, wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.10.2017 erteilt (Spruchpunkt II.).
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der BF weder über eine Berufs-, noch über eine Schulausbildung verfüge und lediglich für zwei Wochen unqualifizierte Arbeit verrichtet habe, indem er verschiedene Obstsorten aus Afghanistan in Kisten verpackt habe. Der aktuelle Aufenthaltsort seiner Eltern und Geschwister sei dem BF nicht bekannt. Onkel des BF würden in der Provinz XXXX leben, aber der BF habe keinen Kontakt zu diesen. Daher sei davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine Unterstützung von seinen Verwandten erhalten würde. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF sei als prekär einzustufen. Durch eine Rückführung nach Afghanistan würde der BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
Diesem Erkenntnis wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Dezember 2015 zugrunde gelegt.
1.10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.10.2016, GZ W124 2132396-1/6E, wurde das Verfahren betreffend Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.
1.11. Am 02.10.2017 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
1.12. Mit Bescheid des BFA vom 12.10.2017, Zl. 1052855009-150231565, wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.10.2019 erteilt.
1.13. Am 22.03.2018 reiste der BF nach Pakistan und kehrte am 02.06.2018 nach Österreich zurück.
1.14. Mit Mitteilung vom 30.08.2018 wurde der BF darüber informiert, dass gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet wurde.
1.15. Am 08.10.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er zwar krank gewesen sei, nun aber gesund sei, keine Medikamente nehme und auf die Baustelle arbeiten gehe. Vier Onkel mütterlicherseits, ein Onkel väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits würden in der Stadt XXXX leben. Auch die Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder des BF würden in der Stadt XXXX leben. Der BF habe zuletzt vor zwei Wochen mit seinen Eltern telefoniert. Es gehe seiner Familie gut. Der BF wolle nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er dort nicht leben könne. Der BF sei in Österreich zur Deutschprüfung auf A1 Niveau angetreten, habe diese aber nicht bestanden, da er krank gewesen sei. Er habe in Österreich keine Verwandten und sei nicht Mitglied in einem Verein.
1.16. Mit Bescheid des BFA vom 08.10.2018, Zl. 1052855009-180824121, wurde der dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.2016, GZ W124 2132396-1/4E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 12.10.2017, Zl. 1052855009-150231565, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA aus, dass die Voraussetzungen die dazu geführt hätten, dass dem BF in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei arbeitsfähig. Er leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Im Unterschied zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten habe der BF nun familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Es stehe dem BF offen, seinen Lebensunterhalt in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zu bestreiten. Dort würde er Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.
1.17. Gegen den unter Punkt 1.16. genannten Bescheid des BFA richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass sich seine Lage nicht verbessert habe. Er sei nach Pakistan gereist, um seine Hepatitis B Erkrankung zu heilen. Dort habe er die dort ansässigen „Mullahs“ getroffen, um einem traditionellen Heilungsverfahren nachzugehen. Nach der Durchführung sei er nach Österreich zurückgekehrt. Laut BF und Blutbild habe dann bei einer erneuten Kontrolle keine Erkrankung mehr festgestellt werden können. Der BF gehe in Österreich einer geregelten Arbeit nach, habe einen aufrechten Mietvertrag und sei in seinem Umfeld integriert.
Gemeinsam mit seiner Beschwerde legte der BF die folgenden Unterlagen vor:
? Dienstzettel;
? Anmeldung des BF bei der Krankenkasse mit 09.07.2018;
? Lohnbestätigung;
? Mitarbeiter-Handbuch;
? ZMR-Auszug;
? Mietvertrag vom 09.09.2018;
? Unterstützungsschreiben zweier Privatpersonen vom 08.11.2018;
? Unterstützungsschreiben zweier Privatpersonen vom 09.11.2018;
? Bestätigung über die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs am 06.07.2017;
? Prüfungsergebnis betreffend das Nichtbestehen der Deutschprüfung auf A1 Niveau vom 24.01.2018;
? Bestätigung über die Teilnahme an „Deutschlerntreffen“ im Zeitraum 19.02.2016 bis 09.06.2016;
? Befund vom 13.12.2017;
? Befundbericht vom 11.11.2015;
? Arztbrief vom 08.02.2016;
? Befund vom 12.02.2016;
? Arztbrief vom 29.02.2016;
? Arztbrief vom 04.03.2016;
? Arztbrief und Aufenthaltsbestätigung vom 22.09.2016;
? Befund vom 13.12.2017;
? Terminbestätigungen für 05.01.2018 und 26.02.2018.
1.18. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 23.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W262 zugewiesen.
1.19. Mit Schreiben vom 03.01.2019 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht die vom BF unterschriebene Integrationserklärung, ein Schreiben des AMS zum Thema „ XXXX “ und eine Empfehlung des XXXX , sich ehestmöglich bei einem Startpaket Deutsch & Integration Kursinstitut zu melden.
1.20. Am 29.08.2019 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
1.19. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.05.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W262 des Bundesverwaltungsgerichts abgenommen und der Gerichtsabteilung W255 zugewiesen.
1.20. Mit Schreiben vom 24.06.2020 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht zwei Unterstützungsschreiben zweier Privatpersonen vom 15.04.2020, ein Schreiben des Arbeitgebers des BF vom 30.08.2019 und ein Foto des BF.
1.21. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.07.2020 wurden dem BF aktuelle Länderinformationen betreffend Afghanistan übermittelt.
1.22. Mit Schreiben vom 31.08.2020 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht ein Zwischenzeugnis seines Arbeitgebers und ein ärztliches Attest vom 24.08.2020.
1.23. Am 17.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto durch. Dabei gab der BF an, dass er dreimal im Bauchbereich am Dünndarm operiert worden sei. Momentan nehme er Schmerzmittel wegen dieser Operation. Diese Operationen seien im Oktober 2019 durchgeführt worden. Der BF sei 2018 nach Pakistan gereist, da er lange ein gesundheitliches Problem gehabt habe und ihm in Österreich niemand helfen habe könne. Er habe alles versucht, um in Pakistan herauszufinden, welche gesundheitlichen Probleme er habe. Dies beziehe sich auf seine Probleme mit seinem Dünndarm. Es sei ihm gesagt worden, dass er Nierenprobleme oder andere Probleme habe. Er habe sich in Österreich sprachlich (in Deutsch) nicht verständigen können, daher habe er sich in Pakistan untersuchen lassen wollen. Außerdem sei seine Mutter damals verstorben und er sei in Pakistan zumindest näher zu ihr gewesen. Der BF habe mit seinem Onkel väterlicherseits und seinen Eltern telefonisch Kontakt gehabt. Sein Vater, seine Brüder und seine Schwestern würden in XXXX leben. Der jüngste Bruder des BF würde arbeiten und die Familie versorgen. Sein Vater arbeite nicht mehr als Schweißer. Der Onkel väterlicherseits des BF habe viele Söhne, die im Bazar arbeiten und Geld verdienen würden. Die vier Onkel mütterlicherseits des BF würden auch in XXXX leben.
Es liege drei oder mehr Jahre zurück, dass der BF das letzte Mal wegen Hepatitis B behandelt worden sei. Der BF könne wenig in Deutsch lesen und schreiben. Er habe eine Prüfung gehabt und nicht bestanden. Er habe acht Stunden lang den Werte- und Orientierungskurs besucht. Vor drei oder vier Jahren habe er einen Deutschkurs besucht, aber er habe nichts verstanden und nichts aufnehmen können. Er sei umsonst dort gesessen. Er habe sich nicht bemüht, einen Alphabetisierungskurs zu besuchen. Der BF lerne über YouTube Deutsch. Es sei ihm wichtiger zu arbeiten, als Deutsch zu lernen. Der BF arbeite in Österreich. Er verdiene ca. zwischen EUR 1.800,- und 2.000,- netto monatlich. Er habe sich ca. EUR 10.000 oder 15.000 ansparen können. Der BF habe auf der Baustelle, bei McDonalds und in einer Bäckerei gearbeitet. In der Bäckerei arbeite der BF ua am Band. Der BF habe keine Verwandten in Österreich. Er habe Freunde, mit denen er, soweit dies möglich sei, in deutscher Sprache kommuniziere. Der BF miete eine Wohnung und zahle EUR 400,- Miete monatlich. Er sei Mitglied eines Cricket Teams und spiele dort ein- bis zweimal wöchentlich. Dabei habe er keine körperlichen Beschwerden. Der BF wolle nicht nach Afghanistan zurückkehren.
In der Verhandlung legte der BF Lohn- und Gehaltszettel und eine Aufenthaltsbestätigung des Krankenhauses XXXX betreffend den Zeitraum 18.10.2019 bis 28.11.2019 vor.
2. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 04.03.2015, dem gegenständlich erhobenen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, der Erstbefragung und der Einvernahmen des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, insbesondere der Einvernahme des BF vom 08.10.2018, der Bescheide des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 17.09.2020, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
2.1. Zur Person des BF:
2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er wurde im XXXX , Afghanistan, geboren und ist dort und teils im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , aufgewachsen.
2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Paschto.
2.1.3. Der BF verfügt über keine Schul- oder Berufsausbildung in Afghanistan. Der BF führte in Afghanistan nur drei Monate Hilfstätigkeiten (Verpacken von Obst in Kisten) aus.
2.1.4. Der Vater, zwei Brüder (ca. 14 und 18 Jahre alt) und zwei Schwestern des BF leben im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX . Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit diesen Familienangehörigen. Diesen Familienangehörigen geht es gut. Der Lebensunterhalt des Vaters und der Geschwister des BF wird durch den 18jährigen Bruder des BF finanziert. Die Familie verfügt über ein Haus und ein Grundstück im Ausmaß von drei oder vier Jirib. Die Mutter des BF ist 2018 eines natürlichen Todes verstorben.
2.1.5. Der Onkel väterlicherseits des BF lebt mit seinen Söhnen in der Stadt XXXX . Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinem Onkel. Die Söhne des Onkels väterlicherseits des BF arbeiten im Bazar von XXXX und haben ein regelmäßiges Einkommen.
Die Familie des BF (Vater, Bruder, Onkel väterlicherseits und Cousins) ist in der Lage, den BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen.
2.1.6. Vier Onkel mütterlicherseits des BF und zwei Tanten mütterlicherseits des BF leben im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX .
2.1.7. Beim BF wurde im Jahr 2015 eine chronische Hepatitis B Erkrankung diagnostiziert. Der BF steht diesbezüglich nicht in Behandlung und wurde diesbezüglich das letzte Mal vor mehr als drei Jahren behandelt.
2.1.8. Der BF litt seit seiner Einreise in Österreich an Bauchbeschwerden in Zusammenhang mit seinem Dünndarm. Der BF war vom 18.10.2019 bis 28.11.2019 wegen einer „Crohn-Krankheit des Dünndarmes mit Stenose“ im Krankenhaus Dornbirn in stationärer Behandlung. Seither steht der BF nicht mehr in Behandlung.
2.1.9. Der BF ist körperlich belastbar, arbeitsfähig und wäre auch im Fall der Rückkehr nach Afghanistan weiterhin arbeitsfähig. Die Arbeitsfähigkeit des BF ist nicht von der Verfügbarkeit einer Behandlung abhängig.
2.1.10. Der BF hielt sich von 22.03.2018 bis 02.06.2018 in Pakistan auf, um seiner Familie örtlich näher zu sein und sich aufgrund seiner Bauchbeschwerden untersuchen zu lassen.
2.2. Zur Integration des BF in Österreich:
2.2.1. Der BF hat in Österreich bisher einmal eine Deutschprüfung auf A1 absolviert und nicht bestanden. Er hat von 19.0.2016 bis 09.06.2016 einen Deutschkurs besucht, dem Kursinhalt aber nicht folgen und sich keine Deutschkenntnisse aneignen können. Er hat am 06.07.2017 einen eintägigen Werte- und Orientierungskurs besucht. Der BF kann sich nur äußerst bschränkt in deutscher Sprache verständigen. Er kann einfache Fragen (z.B. nach dem Namen, seiner Herkunft etc), die langsam und klar formuliert werden, verständlich beantworten. Eine darüberhinausgehende Kommunikation mit ihm in deutscher Sprache ist nicht möglich. Dem BF wurde vom XXXX mit Schreiben vom 10.12.2018 empfohlen, sich ehestmöglich bei einem Startpaket Deutsch & Integration Kursinstitut zu melden und eine (Deutschsprach)Integrationsmaßnahme in Anspruch zu nehmen. Dieser Empfehlung ist der BF nicht gefolgt.
2.2.2. Der BF war seit seiner Einreise in Österreich im März 2015 zu folgenden Zeiten erwerbstätig:
? 06.06.2018 – 19.06.2018 als Arbeiter für die XXXX
? 09.07.2018 – 05.12.2018 als Arbeiter für die XXXX
? 01.04.2019 – 04.12.2019 als Arbeiter für die XXXX
? 06.01.2020 bis laufend als Arbeiter für die XXXX
Der BF wurde bei den oben genannten Tätigkeiten, die sich zusammengezählt auf ca. zwei Jahre erstrecken, als Arbeiter auf Baustellen sowie als Mitarbeiter bei XXXX und als Produktionshelfer eingesetzt.
Bei der XXXX wird der BF als Produktionshelfer eingesetzt. Zu seinen Hauptaufgaben zählen:
? Für Sauberkeit und Ordnung in seinem Bereich zu sorgen
? Arbeiten am Band (Zopfen – Absetzen – bestreuen von Produkten)
? Verpacken von einwandfreien Backwaren
? Unterstützung des Schichtleiters und Teigmachers
? Übergreifende Arbeiten in anderen Abteilungen wenn nötig.
Der BF hat die ihm übertragenen Aufgaben bisher zur vollsten Zufriedenheit der XXXX erfüllt. Er verfügt über einen unbefristeten Dienstvertrag und verdient derzeit zwischen EUR 1.800,- und EUR 2.000,- netto monatlich. Der BF hat sich mit seinem Einkommen ein Guthaben von EUR 10.000,- bis EUR 15.000,- angespart.
2.2.3. Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keinen engen Freundeskreis und keine engen, sozialen Kontakte, die ihn nachhaltig an Österreich binden würden. Zwei Nachbarn des BF beschreiben diesen als angenehmen Nachbarn. Der Vermieter beschreibt den BF als ordentlich und verlässlich. Er hat sich seit seiner Ankunft in Österreich noch nie ehrenamtlich engagiert. Er ist Mitglied in einem Cricket Team und spielt ein- bis zweimal wöchentlich Cricket.
2.2.4. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
2.3. Zum Verfahrensgang:
2.3.1. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 04.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2.3.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.2016, GZ W124 2132396-1/4E, wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.10.2017 erteilt (Spruchpunkt II.).
Das Bundesverwaltungsgericht begründete die Zuerkennung des subsidiären Schutzes damit,
dass der BF weder über eine Berufs-, noch über eine Schulausbildung verfüge und lediglich für zwei Wochen unqualifizierte Arbeit verrichtet habe, indem er verschiedene Obstsorten aus Afghanistan in Kisten verpackt habe. Der aktuelle Aufenthaltsort seiner Eltern und Geschwister sei dem BF nicht bekannt. Onkel des BF würden in der Provinz XXXX leben, aber der BF habe keinen Kontakt zu diesen. Daher sei davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine Unterstützung von seinen Verwandten erhalten würde. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF sei als prekär einzustufen. Durch eine Rückführung nach Afghanistan würde der BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
Diesem Erkenntnis wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Dezember 2015 zugrunde gelegt.
2.3.3. Am 02.10.2017 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
2.3.4. Mit Bescheid des BFA vom 12.10.2017, Zl. 1052855009-150231565, wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.10.2019 erteilt.
2.3.5. Mit Mitteilung vom 30.08.2018 wurde der BF darüber informiert, dass gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet wurde.
2.3.6. Mit Bescheid des BFA vom 08.10.2018, Zl. 1052855009-180824121, wurde der dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.2016, GZ W124 2132396-1/4E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 12.10.2017, Zl. 1052855009-150231565, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass die Voraussetzungen die dazu geführt hätten, dass dem BF in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei arbeitsfähig. Er leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Im Unterschied zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten habe der BF nun familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Es stehe dem BF offen, seinen Lebensunterhalt in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zu bestreiten. Dort würde er Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.
2.4. Zur Situation des BF in Afghanistan:
2.4.1. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.
2.4.2. Der BF wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan und Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.
2.4.3. Der BF ist jung, ledig, hat keine Kinder und ist arbeitsfähig. Der BF verfügt über zweijährige Berufserfahrung als Produktionshelfer, als Arbeiter auf Baustellen und in der Gastronomie in Österreich. Der BF wurde in der Provinz XXXX in einer afghanischen Familie geboren und wurde durch eine afghanische Familie in einem afghanischen Umfeld erzogen. Der BF wuchs sohin in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Der Vater, zwei Brüder und zwei Schwestern des BF leben nach wie vor in seiner Heimatprovinz. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit diesen Familienangehörigen. Diesen Familienangehörigen geht es gut. Der Lebensunterhalt des Vaters und der Geschwister des BF wird durch den 18jährigen Bruder des BF finanziert. Der Onkel väterlicherseits des BF lebt mit seinen Söhnen in der Stadt XXXX . Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinem Onkel. Die Söhne des Onkels väterlicherseits des BF arbeiten im Bazar von XXXX und haben ein regelmäßiges Einkommen. Die Familie des BF ist in der Lage, den BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen. Vier Onkel mütterlicherseits des BF und zwei Tanten mütterlicherseits des BF leben im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX .
Der BF verfügt über Ersparnisse in Höhe von EUR 10.000,- bis EUR 15.000,-. Der BF spricht Paschto. Angesichts seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Berufserfahrung, seiner Ersparnisse und seiner familiären Unterstützung könnte er sich in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in der Stadt Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF könnte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auch durch seine Familie (Vater, Bruder, Onkel und Cousins, die erwerbstätig sind) unterstützt werden. In einer Gesamtbetrachtung ist Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.
Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
2.4.4. Im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
2.4.5. Im Falle des BF ist es in einer Gesamtschau zu einer nachhaltigen, maßgeblichen Verbesserung der subjektiven bzw. persönlichen Situation des BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan gekommen.
2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
2.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 21.07.2020:
1. COVID-19:
1.1. Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan
Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).
In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).
Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
1.2. Stand 29.06.2020 – Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
1.3. COVID- Krise, Stand 18.05.2020
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19