Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W150 2214348-1/40E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX .2001, StA.: Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2019, Zl. XXXX /BMI-BFA_NOE_AST_02, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 28.05.2020 und am 21.07.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig, reiste spätestens am 27.08.2014 schleppergestützt unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal in das Bundesgebiet ein.
2. Am selben Tag stellte er einen ersten Antrag auf internationalen Schutz und gab, von Organwaltern der LPD NÖ, PI TRAISKIRCHEN, unter Beiziehung seines Vertreters und eines Dolmetschers dabei u.a. an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein, den im Spruch genannten Namen zu führen und zu dem im Spruch genannten Datum geboren zu sein. Weiters, dass er uneingeschränkt gesund, ledig, kinderlos, schiitischer Moslem sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre, und in seinem Heimatland vier Jahre die Grundschule besucht habe, Dari als Muttersprache spreche und auch Farsi in Wort und Schrift gut könne.
Er selbst sei zwar afghanischer Staatsbürger, jedoch in Pakistan geboren und aufgewachsen. In seinem Herkunftsland wäre er persönlich auch noch nie gewesen. Dementsprechend laute seine letzte Wohnadresse auf XXXX , PAKISTAN. Seine Familie, bestehend aus beiden Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder wären vermutlich auch nicht mehr in Pakistan aufhältig, sondern mittlerweile höchstwahrscheinlich im Iran.
Die finanzielle Situation der Familie sei insgesamt mittelmäßig gewesen, wobei ein in Australien lebender XXXX auf diesem Gebiet aktiv Unterstützung leisten würde.
Seine Ausreise ins Bundesgebiet habe insgesamt ein Jahr gedauert und den Genannten über den Iran, die Türkei, Griechenland diverse unbekannte Länder sowie vermutlich Ungarn geführt. In keinem dieser Staaten hätte er aber je einen Asylantrag stellen wollen, da „ich nach Österreich wollte (Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Fluchtauslösend wäre ein bereits auf vor seine Geburt zurückgehender Liegenschaftsstreit seiner Familie mit nicht näher definierten „Feinden“ seines Großvaters gewesen. Diese hätten nunmehr selbigen in Pakistan aufgespürt und mit einer Axt erschlagen. Aus Angst vor weiteren Übergriffen habe sein Vater die Ausreise des Beschwerdeführers nach Europa sowie die der restlichen Familie in den Iran organisiert. Im Falle seiner Rückführung in sein Heimatland befürchte er seine Ermordung.
3. Am 02.06.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen, bestätigte der BF zunächst abermals seinen uneingeschränkten Gesundheitszustand. Die Befragung vor der Sicherheitsbehörde wäre absolut korrekt durchgeführt worden und habe er bislang stets die Wahrheit gesagt.
In Österreich verfüge er über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte. Seine Tagesfreizeit verbringe er mit dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse und dem Besuch einer Schule. Darüber hinaus spiele er vereinsmäßig Tischtennis und gehe gern spazieren.
In Pakistan aufgewachsen, hätte der Asylwerber dort insgesamt drei Jahre lang die Schule besucht, aber ansonsten keinerlei Ausbildung absolviert oder je gearbeitet.
Seine Familie lebe seit nunmehr einem Jahr im Iran, in Afghanistan könne er demgegenüber auf keinerlei Angehörige zurückgreifen. Ein XXXX mütterlicherseits lebe zudem in Australien. Zwischenzeitlich sei der Kontakt zu seinen nächsten Verwandten aber abgebrochen.
Der als Hilfsarbeiter am Bau tätige Vater wäre der Alleinverdiener und habe auch seine Schleppung ins Bundesgebiet finanziert. Woher dieser das hierfür nötige Geld gehabt hätte, sei dem Antragsteller nicht bekannt. Ob auch seine Familie nach Österreich kommen wolle, könne der Beschwerdeführer ebenfalls nicht mit Sicherheit beantworten.
Persönliche Fluchtgründe in Bezug auf sein Heimatland Afghanistan habe er keine, aber würde er dort auch niemanden kennen. Von seinen Eltern wäre ihm lediglich mitgeteilt worden, wonach die Familie in Grundstücksstreitigkeiten verwickelt sei und sich deshalb Feinde geschaffen hätte.
Fluchtauslösend für seine Ausreise aus Pakistan wäre die Ermordung seines Großvaters gewesen, wobei hinsichtlich der Identität der Täter bloß Vermutungen angestellt werden würden. „Wir wissen es nicht genau, wir glauben die Feinde, die wir schon in Afghanistan hatten (Seite 115 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Er selbst sei nie von Drohungen oder Anfeindungen betroffen gewesen. Auch hätte er die Feinde noch nie gesehen. Sein Vater wäre aber davon überzeugt, dass der Antragsteller dennoch in Lebensgefahr schweben müsse. Deshalb habe ihn dieser auch nach Österreich geschickt. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan sei aufgrund der Existenz der „Feinde“ jedenfalls mit dem Schlimmsten zu rechnen.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2015, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Demgegenüber wurde dem Asylwerber der Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde dem Antragsteller gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.08.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, wonach der Beschwerdeführer keinerlei individuelle Fluchtgründe ins Treffen geführt habe. Sämtliche ins Treffen geführten Vorfälle hätten sich in Pakistan ereignet und wären daher hinsichtlich des eigentlichen Herkunftslands Afghanistan ohne Belang. In Bezug auf das Heimatland sei keinerlei individuell gegen die Person des Antragstellers gerichtete asylrelevante Verfolgung feststellbar.
In Bezug auf Spruchpunkt II. verwies die Erstinstanz auf die vor dem Hintergrund einer unsicheren Gesamtlage sich besonders negativ auswirkende fehlende Existenz sozialer oder familiärer Netzwerke des Genannten. Angesichts dieser Konstellation stelle sich der Zugang zu Wohnraum und Nahrung nicht als hinreichend gesichert dar, weshalb im Falle einer Rückführung in das Herkunftsland eine Verletzung des Asylwerbers seiner von Art. 3 EMRK umfassten Rechte nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne.
Diese Entscheidung erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.
5. Mit Bescheid vom 02.09.2016, Zl. XXXX , verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Genannten seine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.08.2018.
6. Am 30.12.2016 übermittelte das Landesgericht Wiener Neustadt an die belangte Behörde eine Verständigung hinsichtlich einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung vom 22.11.2016, Zl. 48 Hv 18/16h, des BF.
Demnach wurde über diesen gemäß §§ 15 iVm 127 (versuchter Diebstahl) sowie 107 Abs. 1 (gefährliche Drohung), 229 Abs. 1 (Urkundenunterdrückung), 223 Abs. 2 und 224 (Fälschung besonders geschützter Urkunden) StGB in Kombination mit §§ 27 Abs. 1 Z 1 achter und neunter Fall, Abs. 3 wie auch Abs.4 Z 2 (unerlaubter Umgang mit Suchtgift) SMG eine bedingte Freiheitsstrafe im Ausmaß von 10 Monaten auf eine Probezeit von drei Jahren verhängt.
Als mildernd wurden hierbei der bis zum damaligen Zeitpunkt ordentliche Lebenswandel, das teilweise Geständnis sowie der teilweise Versuch, erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die zweifache Qualifikation beim Suchtmitteldelikt gewertet (vgl. Seiten 369 bis 375 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).
7. In weiterer Folge am 17.09.2018 vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, räumte der Beschwerdeführer ein, seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus den Leistungen der öffentlichen Hand zu bestreiten. Zwischenzeitlich habe er aber Deutsch gelernt und plane er demnächst die Hauptschule erfolgreich abschließen zu können. Danach würden sich seiner Einschätzung nach seine Berufsaussichten deutlich verbessern. Über Verwandte im Bundesgebiet verfüge der Genannte nicht und sei dieser auch nicht vereinsmäßig aktiv. Freunde hätte er dennoch gefunden, zumal er auch regelmäßig Tischtennis spielen würde. Kontakt zu seinen Angehörigen bestehe aktuell nicht, zumal der BF sein Mobiltelefon zwischenzeitlich verloren habe. Gearbeitet hätte der Beschwerdeführer vor seiner illegalen Einreise nach Österreich nicht, aber dafür ein Jahr lang einen Englischkurs besucht.
Seine strafrechtlichen Verurteilungen im Inland würden aus diversen Ladendiebstählen sowie dem Verkauf von Drogen herrühren. Letzteres habe er aber nur mit dem Ziel gemacht, seiner kranken Mutter im Iran Geld für eine Heilbehandlung schicken zu können.
Konfrontiert mit dem Umstand, wonach sich jene Umstände, aufgrund derer ihm seinerzeitig subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, zwischenzeitlich weggefallen wären, zeigte sich der Genannte dennoch beunruhigt ob seines in Afghanistan vorherrschenden Mangels an verwandtschaftlichen Bezugspersonen sowie Ortskenntnissen. „Ich habe auch nichts gelernt, was soll ich dort machen, ich habe Angst vor meiner Zukunft (Seite 434 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
8. Mit Bescheid vom 27.09.2018, Zl. XXXX /BMI-BFA_NOE_AST_02, wurde die bereits bestehende befristete Aufenthaltsberechtigung des BF abermals bis zum 17.08.2020 verlängert.
9. Neuerlich am 17.12.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen, bestätigte der Beschwerdeführer zunächst seinen uneingeschränkt bestehenden Gesundheitszustand. Ledig und nach wie vor ausschließlich von Leistungen diverser Gebietskörperschaften finanziell abhängig, hätte er zwischenzeitlich bei diversen Freunden genächtigt und sei währenddessen als abgängig gemeldet gewesen.
Seine letzte Hauptschulabschlussprüfung stehe unmittelbar bevor du werde er sich danach auch eine Beschäftigung suchen. Am liebsten würde der Genannte eine Ausbildung zum Installateur absolvieren wollen, jedoch habe er bislang noch keinerlei konkrete Erkundigungen in diese Richtung eingeholt.
Obwohl bereits seit August 2014 in Österreich aufhältig, hätte der BF anstatt sich um eine Arbeit umzusehen, es vorgezogen Deutsch zu lernen und Mitglied in einem Tischtennisverein zu werden. Seine im Bundesgebiet bestehenden sozialen Kontakte würden sich auf seine Betreuerinnen sowie diverse Schulfreunde beschränken. Familiäre Bindungen würden dagegen in Österreich keine bestehen.
Geldleistungen von Verwandten habe der Beschwerdeführer während seiner Zeit im Inland nicht erhalten und hätte er selbst seinerseits auch keines versendet.
Seine Zeit verbringe er zumeist mit Spaziergängen und Kinobesuchen; ab Erreichen der unmittelbar bevorstehenden Volljährigkeit wolle sich der Genannte zunächst eine Arbeit und daran anschließend eine Wohnung suchen sowie den Führerschein machen.
Zu seiner im Ausland verbliebenen Familie bestehe schon seit eineinhalb Jahren keinerlei Kontakt mehr, zumal „mein Handy kaputt geworden ist, ich habe auch keine Nummer gehabt (Seite 672 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Zwar stammten seine Eltern ursprünglich aus XXXX in Afghanistan, er selbst sei jedoch noch nie in seinem Leben dort gewesen.
Seit seiner zuletzt thematisierten strafrechtlichen Verurteilung in Österreich, hätte er keine strafrechtlich relevanten Taten gesetzt.
Konfrontiert mit einer kurz zuvor erhaltenen Verurteilung wegen Ladendiebstahls gemäß § 127 StGB und der daraus resultierenden Verlängerung der zuvor ausgesprochenen Probezeit auf fünf Jahre, zeigte sich der BF nur wenig auskunftsfreudig, mit der Begründung, sich aufgrund übermäßiger Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt an nichts mehr erinnern zu können.
Auch hinsichtlich der laufenden Ermittlungen wegen Vandalismus und Sachbeschädigung im Sinne des § 125 StGB wisse er keine näheren Details in Bezug auf den aktuellen Stand, aber wären er und seine Begleiter völlig zu Unrecht angezeigt worden.
Nach Afghanistan wolle der Genannte jedenfalls nicht, da er dort noch nie gewesen sei und es generell unsicher in seinem Heimatland wäre. Das habe er zumindest gehört – auch in Bezug auf XXXX .
10. Mit Bescheid vom 02.01.2019, Zl. XXXX /BMI-BFA_NOE_AST_02, wurden dem Asylwerber der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2015, Zl. XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Bescheid vom 17.08.2015, Zl. XXXX ,) erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 leg. cit. entzogen (Spruchpunkt II.), kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. erteilt (Spruchpunkt III.), sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 idgF erlassen (Spruchpunkt (IV.). Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPFG festgestellt, dass die Abschiebung des Genannten gemäß § 46 leg. cit. nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI).
Begründend führte die Erstinstanz in diesem Kontext aus, demzufolge die ursprünglich zum Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung vorliegende Minderjährigkeit innerhalb der folgenden zwei Monate enden würde und der BF durch sein Agieren sowie sein Auftreten äußerst erwachsen und selbstständig wirke. Ein argumentativ stichhaltiger Grund, diesen nunmehr anders zu behandeln, als einen unwesentlich älteren Achtzehnjährigen, der ebenfalls ohne familiäre Bindungen in Afghanistan nicht mehr als außergewöhnlich vulnerabel eingestuft werde, sei in diesem Kontext nicht ersichtlich. So würden sich sowohl die Sicherheitslage als auch die Lebensgrundlage für sämtliche Bewohner dieses Landes nicht substantiell unterscheiden; weshalb die Auswirkungen für den Beschwerdeführer allenfalls stärker spürbar sein könnten als für die sonstige Bevölkerung sei im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen und habe er selbst auch nicht schlüssig darzulegen vermocht.
Die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Genannten, XXXX , habe sich zwischenzeitlich stetig verbessert wie auch die Gesundheitsversorgung. Davon unabhängig stünden dem BF aber auch noch diverse innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung, etwa in den Städten MAZAR-E-SHARIF oder HERAT, wie auch aus den aktuellen, der Entscheidung zugrundegelegten, Länderberichten unabhängiger Quellen zweifelsfrei hervorgehe.
Da es sich bei der Person des Genannten um einen jungen gesunden und uneingeschränkt arbeitsfähigen Mann handle, könne dieser auch in vollem Umfang am lokalen Erwerbsleben teilnehmen und stehe daher eine existenzbedrohliche Notlage im Falle seiner Überführung in sein Heimatland nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Dies nicht zuletzt angesichts der zwischenzeitlich erworbenen Schulbildung und der bereits zuvor bestehenden Kenntnisse der Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Zudem stehe es dem Beschwerdeführer frei Rückkehrhilfe und Reintegrationsunterstützung in Anspruch zu nehmen.
11. Gegen diese Entscheidung erhob der rechtsfreundlich vertretene Antragsteller fristgerecht Beschwerde.
12. Anlässlich der vom Bundesverwaltungsgericht anberaumten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 28.05.2020, wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des Genannten und Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts.
Zunächst bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisherigen Angaben, korrigierte aber hinsichtlich seiner Muttersprache, dass diese Hazaragi sei, er aber auch Dari spreche. Ethnisch der Gruppe der HAZARA zugehörig, sei er nach wie vor ledig und kinderlos, spreche DARI und fühle sich generell keiner Religion sonderlich nahestehend. Seine Eltern und fünf Geschwister würden gegenwärtig im Iran leben. Ausbildungsmäßig könne er eine positiv absolvierte B1-Prüfung, eine Erste-Hilfe-Kurs sowie einen Hauptschulabschluss für sich verbuchen. Gegenwärtig wäre der Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter am Bau tätig, wolle aber in Hinkunft eine Installateurausbildung beginnen. Zur Führerscheinprüfung sei er nicht zugelassen und für die Dauer eines Jahres worden, da er, bereits im Alter von 18 Jahren, betrunken, mit „L-Tafel“, ohne Lenkerberechtigung aufgehalten worden wäre. Es sei eine „Dummheit“ gewesen.
Früher hätte er auch andere „Dummheiten“ begangen („Ja, das war 2016. Ich hatte mit Drogen zu tun, Diebstahl hatte ich auch.“), dies aber nur, da er mit falschen Freunden unterwegs gewesen wäre, mit denen er gemeinsam in XXXX gewohnt habe. Er hätte Spaß mit ihnen gehabt und wäre mit diesen ein Jahr beisammen gewesen. Sie seien aber „anders“ als er gewesen, denn sie hätten viele Sachen gemacht, die er nicht gewollt habe, z.B. „Diebstahl und sowas“ hätten sie „gemacht“, weiters getrunken, jeden Tag hätten sie getrunken und mit ihm gemeinsam Marihuana konsumiert.
Schon länger, glaublich zwei Jahre, hätte er keinen Kontakt mehr zu diesen „schlechten Freunden“. Seitdem habe er keine Freunde. Seitdem habe er aber keine „Dummheiten“ mehr gemacht, auch keine Drogen konsumiert und nur manchmal getrunken.
Auf Vorhalt, wonach aus dem Strafregisterauszug auch Verurteilungen aus dem Jahre 2018 vermerkt seien, räumte der BF ein, auch noch nach 2016 straffällig geworden zu sein, unter anderem Diebstähle und gefährliche Drohung, bezüglich letzterer sei aber das Verfahren eingestellt worden. Befragt nach Details diverser Straftaten, zeigte sich der Beschwerdeführer allerdings wenig auskunftsfreudig, jeweils mit der lapidaren Begründung, sich generell nicht mehr an die Straftaten erinnern zu können. Auch in Bezug auf die erst vor kurzem, konkret im Jänner 2020, erfolgte Anhaltung durch die Polizei und die darauffolgende Eskalation könne er keinerlei Angaben mehr machen. Lediglich das Resultat seines Verhaltens in Form einer Geldstrafe in Höhe von 5.000,00.— EUR wäre ihm noch präsent. Da der BF offensichtlich nicht willens oder in der Lage war, sich an seine im Bundesgebiet begangenen Straftaten zu erinnern, insbesondere nicht, ob und in welchem Jahr er jemanden gefährlich bedroht habe, wobei dieses Verfahren nicht eingestellt worden sei, vertagte der erkennende Richter zwecks Beischaffung aller bezughabenden Stafakten.
13. Bereits im Vorfeld der mündlichen Einvernahme erstattete der Genannte über seinen rechtsfreundlichen Vertreter eine schriftliche Stellungnahme datiert vom 20.05.2020, in welcher er insbesondere auf die aktuelle Situation in Afghanistan verwies. So sei ihm weder in seiner Heimatprovinz XXXX noch in einem anderen Landeteil ein Aufenthalt zumutbar, zumal dieser auch noch nie in seinem Herkunftsland gewesen wäre und dort auch nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen würde. Auch der Umstand, wonach sich der BF nicht als religiös begreife, würde dessen Aufenthalt im Heimatland zusätzlich erschweren können. Im Falle seiner Überstellung bestehe zudem die Gefahr einer Retraumatisierung. Aktuell sei das afghanische Gesundheitssystem zusätzlich durch COVID 19 belastet. Schließlich erweise sich der Genannte mittlerweile als gut in die österreichische Gesellschaft integriert, wovon auch zwei dem Schriftsatz beigelegte Unterstützungsschreiben sowie ein Dienstvertrag zeugen würden.
14. In weiterer Folge fand am 21.07.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine neuerliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt.
In deren Verlauf gab die Zeugin XXXX im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant folgendes an:
„RI: Wie lange kennen Sie den BF schon?
Z: Anfang Dezember wären es 2 Jahre.
RI: Haben Sie ihn über diese Betreuungseinrichtung kennengelernt?
Z: Ja.
RI: Sie haben ihn betreut seit?
Z: Dezember 2018 bis Februar 2019.
RI: Wie haben Sie den BF so erlebt für diesen Zeitraum?
Z: Als sehr intelligenten jungen Mann, das ist mir als erstes bei ihm aufgefallen. Ich fand seinen Umgang mir als Frau sehr angenehm. Ich arbeite schon seit einiger Zeit mit Flüchtlingen. Er ist herausgestochen, weswegen ich mich entschieden habe, den Kontakt weiter fortzusetzen nach Beendigung der Betreuung. Ich habe ihn als sehr sozial erlebt, er kümmert sich um seine Freunde. Er ist oft depressiv, was er gut versteckt. Der Unterschied zwischen anderen Jugendlichen ist, dass er sich nicht fallen lässt. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn kennengelernt habe, habe ich natürlich seine ganzen Akten und die Sozialberichte gelesen, die nicht sehr positiv rüberkommen. Was aber nichts mit den Menschen zu tun hatte, der vor mir gestanden ist.
RI: Wann endete denn dieses dienstliche Verhältnis?
Z: Im Februar 2019.
RI: Hat er Ihnen gegenüber über seine Zeit in Afghanistan gesprochen?
Z: Nein, weil er nie in Afghanistan war. Er hat über seine Zeit in Pakistan gesprochen.
RI: Was hat er Ihnen erzählt?
Z: Er hat viel über seine Familie gesprochen, über Gewalterfahrungen in seiner Familie und Dinge, die ihn sehr stören, besonders an seinen Vater, wie er gewalttätig ist, seine Töchter behandelt wie Eigentümer. Er sagte, er würde sowas nie machen, er würde seine Kinder nie schlagen. Er hat darüber gesprochen, dass das System in Pakistan ganz anders ist und es einfach seine Zeit braucht, um sich an das System zu gewöhnen. Man spricht anders, man verhält sich anders, der Umgang ist anders. Wenn man in ein anderes Land kommt, gibt es Verständigungsschwierigkeiten.
RI: Glauben Sie, dass er große Verständigungsschwierigkeiten in Österreich hat?
Z: Große würde ich nicht sagen, manchmal schon. Er hat es jetzt gelernt, er hat es verstanden, wie unser System ist, was er darf und was nicht. Er hat mir erzählt, ein Betreuer, mit dem er eine Diskussion hatte, hat sich die Ärmel hochgekrempelt und für ihn hat das bedeutet, dass er ihn schlagen will, das war für ihn ein eindeutiges Zeichen. Er hat eine Zeit gebraucht, um zu lernen, dass es in Österreich anders ist und dass ihn ein Betreuer nicht schlagen würde.
RI: War dieses Ereignis besonders prägnant für ihn oder ist das nur eine kleine Nebensache gewesen?
Z: Besonders prägnant nicht.
RI: Gab es einen Polizeieinsatz?
Z: Nein, in dem Fall nicht.
RI: Und in welchem Fall schon?
Z: Als ich ihn betreut habe in St. Gabriel, gab es seinetwegen nie einen Polizeieinsatz.
RI: Sie haben gesagt, dass er sich sehr für seine Freunde einsetzt. Habe ich das richtig verstanden?
Z: Ja.
RI: Wer sind denn so seine Freunde?
Z: Hauptsächlich Burschen, die er aus der WG kennt von früher und für die ist er ein halber Sozialarbeiter und für die versucht er weiterzuhelfen mit Anträgen, Formularen, Jobsuche. Es sind die alten Freunde, die er von früher hat. Er hat aber einige neue auch kennengelernt.
RI: Wenn Sie meinen, die alten Freunde, die er von früher hat. Von welcher Zeit sprechen Sie?
Z: Unterschiedlich. Ich weiß nicht, wie lange. Er hat manche Kontakte abgebrochen.
RI: Hat er noch Kontakte von der ersten Unterkunft?
Z: Meinen Sie in Traiskirchen?
RI: Ja.
Z: Das weiß ich jetzt nicht 100%ig.
RI: Der BF hat uns das letzte Mal erzählt, dass er früher schlechte Freunde gehabt hat, die ihn sozusagen negativ beeinflusst haben. Hat er noch solche „schlechte“ Freunde?
Z: Ich glaube, ich kenne fast alle. Ich würde sagen, nein. Sie sind meistens depressiv, aber nicht kriminell.
RI: Kennt er noch einen Ali Hosseini?
Z: Nein, also zumindest habe ich nie von ihm gehört.
RI: Können Sie mir ein Paar Namen von diesen Freunden aufzählen?
Z: Morteza Ansari, Mohammad, ich weiß nicht, wie sein Nachname ist, er wohnt inzwischen in Tirol. Ich weiß von den meisten Freunden die Nachnamen nicht. Dann gibt es Zakhi, das ist die Kurzform des Namens. Parvis Kasimi, mich natürlich. Er versteht sich mit meinen Freunden auch gut.
RI: Wie ist es denn bezüglich des Konsums mit diversen Substanzen, die die Laune verändern?
Z: Legal oder illegal?
RI: Fangen Sie einmal mit den Legalen an.
Z: Er ist Raucher, starker Raucher. Inzwischen ist es Gott sei Dank schon einige Monate her, aber manchmal trinkt er, aber nicht regelmäßig, aber manchmal schon. Darf ich das ausführen, seinen Alkoholkonsum, etwas näher?
RI: Ja, bitte.
Z: Er benutzt Alkohol, um sich zu betäuben um seinen Schmerz nicht mehr zu spüren. Er versteckt sich gerne vor anderen, er macht Witze, er ist lustig, obwohl er sich nicht so fühlt. Wenn er seinen bekannten Freunden gegenüber artikuliert, dass es ihm schlecht geht, dann glauben sie ihm nicht. Mit seiner Verzweiflung ist er dann manchmal sehr alleine und lässt sich hinreißen, Alkohol zu trinken. Es gab den Vorfall im Jänner, seine letzte Straffälligkeit, die im Zusammenhang mit Alkohol gestanden ist. Da gibt es eine Hintergrundgeschichte, über die er nicht sprechen will, weil es ihm peinlich ist. Es gab an dem Tag Streit mit seiner Familie, sie haben telefoniert. Sein Vater hat ihm gesagt, dass er, selbst wenn er wollte, nicht mehr zurückkommen kann, weil die Familie dann ihre Integrität verlieren würde. Seine Mutter hat ihm erzählt, dass seine Schwester von ihrem Vater an einen verurteilten Vergewaltiger verlobt wurde. Mit diesen Informationen hat er sich dann eine Flasche Vodka gegönnt und alles Weitere steht in den Akten. Ihm ist bewusst, was das für ein Blödsinn war. Er hat sich seinen Führerschein damit verbaut und Menschen in Gefahr gebracht, das weiß er auch. Seitdem ist etwas in dieser Art nicht mehr vorgekommen. Ich habe ihn nie wieder trinken gesehen.
RI: Wie kam er denn zu diesem Auto?
Z: Wir haben gerade „L“ Tafel gemacht, es war nicht mein Auto. XXXX und ich haben uns das geteilt, er ist mit beiden Autos gefahren. In dem Fall war es das Auto von Frau XXXX .
RI: Ich hoffe, Sie passen auf Ihre Fahrzeugschlüssel gut auf.
Z: Das ist nicht nötig, ich vertraue ihm.
RI: Bei der Frau XXXX hat es irgendwie nicht funktioniert.
Z: Dazu muss ich aber sagen, er hat nicht die Schlüssel gestohlen und deswegen habe ich keinen Grund auf den Schlüssel aufzupassen, weil er sie nicht unerlaubt nehmen würde. Er ist gebeten worden Brot kaufen zu fahren und Frau XXXX hat nicht bemerkt, dass er betrunken ist und er hat es nicht gesagt.
RI: Sie haben gesagt, dass das sich bei ihm entwickelt hat, das Verständnis, wie man sich in einer Gesellschaft zu benehmen hat, man sich einzufügen hat. Seit wann glauben Sie denn, dass er es „begriffen“ hat, wie man das hier richtig handhabt?
Z: Als ich ihn vor zwei Jahren kennengelernt habe, hatte ich den Eindruck, dass er das System bereits verstanden hat. Er sagt z.B. oft: Menschlichkeit hat er in Österreich gelernt. So etwas gibt es nicht, wo er herkommt. Das findet er gut und richtig. Die Grundlagen, die zumindest ich richtig finde, hatte er. Es waren nur Kleinigkeiten, wie „Warum darf ich nicht schwarzfahren, warum darf ich nicht parken, wenn ein Schild steht, dass ich das nicht darf“ usw., solche Kleinigkeiten.
RI: Schwarzfahren ist aber keine Kleinigkeit.
Z: Fahrscheine gibt es nicht in Pakistan. Außerdem ist die finanzielle Situation in Flüchtlingseinrichtungen sehr schlecht. Sie können sich oft keine Fahrscheine leisten.
RI: Hat er sonst noch mit Ihnen gesprochen über die „Fehler“, die er in der Vergangenheit begangen hat?
Z: Ja.
RI: Was haben Sie da für einen Eindruck von ihm gewonnen?
Z: Vielleicht so als Beispiel. Er besucht mich manchmal in der Arbeit und ich arbeite immer noch mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die teilweise auch auf Abwegen unterwegs sind und er spricht mit ihnen und erklärt ihnen, wie es richtig geht. Dass die nicht Marihuana verkaufen sollen, niemanden schlagen sollen, dass sie in die Schule gehen sollen.
RI: Wollen Sie mir sonst noch etwas über den BF erzählen?
Z: Vielleicht nur etwas, was ich an ihm sehr angenehm fand, ist die Abneigung dem Islam gegenüber. Er ist nicht Moslem.
RI: Wissen das seine Freunde?
Z: Die Freunde schon, die Familie nein.
RV: Haben Sie mit dem BF auch öfter über seine psychischen Probleme gesprochen?
Z: Ja, immer wieder. Er kann das sehr schwer in Worte fassen. Er sagt meistens so etwas, wie „kaputt“. Er sagt, ihm ist halt die Kraft ausgegangen, die Motivation. Er hat keine Lust auf gar nichts, er ist sehr müde. Die letzte Therapie, die er gemacht hat, hat ein bisschen Erleichterung erschafft. Aber eher im Umgang auf Aggressionen, als was die Depression anbelangt. Deswegen versucht die Frau XXXX gerade auch einen neuen Therapeuten für ihn zu finden. Die Dinge, die er mir teilweise erzählt, die er erlebt hat auf der Flucht und in seiner Familie, ich weiß nicht, wie es mir gehen würde. So etwas wegzustecken und trotzdem noch zu funktionieren.
RV: Haben Sie da in dem Zeitraum, indem sie ihn kennengelernt haben, eine Veränderung bemerkt und woran würden Sie die festmachen?
Z: Er ist wesentlich weniger aggressiv. Er war auch zu Beginn nicht aggressiv, in dem Sinne, aber hatte manchmal so einen Blick, der provozieren konnte. Den hat er jetzt nicht mehr.
RI: Seit wann nicht mehr?
Z: Gut ein Jahr.
RV: Weil Sie erwähnt haben, dass Sie jetzt eine persönliche Beziehung zu ihm haben. Wie stellt sich diese dar? Was machen Sie?
Z: Er ist wie ein Familienmitglied für mich, wie ein kleiner Bruder. L Tafel hat sich leider ja erledigt, aber wir gehen manchmal Zelten, spazieren, wir kochen. Manchmal nehme ich ihn mit zu meinem Pferd, mit Tieren kann er sehr gut.
RI: Was haben Sie für ein Pferd?
Z: Eine Traberstute.
RI: Wie alt?
Z: 26 Jahre alt.
RI: Reiten Sie sie noch?
Z: Ja, geht noch, wie der Blitz.
RI: Reitet der BF auch?
Z: Ja, das hat er in Pakistan gelernt. Er hat sich um sie raufgeschmissen und es hat funktioniert. Es ist bei ihr nicht selbstverständlich, sie mag eigentlich keine Männer. Wenn es irgendwas zum Arbeiten gibt, ist er da. Wenn jemand umzieht, Hilfe braucht, wird er zuerst gefragt.
RV: Gibt es sonst noch irgendwas Persönliches zu der Beziehung mit dem BF?
Z: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht mehr da ist.“
Der BF, vom erkennenden Richter neuerlich mit den „Dummheiten“ konfrontiert, gab im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant folgendes an:
„RI: Wir sind das letzte Mal stehengeblieben bei den Dingen, die Sie als „Dummheit“ bezeichnet haben. Können Sie sich mittlerweile an alle Ihre Verurteilungen erinnern?
BF: Ja.
RI: Herr XXXX , warum haben Sie das heuer mit dem Auto gemacht?
BF: Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr, sehr traurig. Ein Freund von mir und ich haben reichlich getrunken. Mit diesem Auto bin ich zum Hofer gefahren, um einzukaufen. Bei der Rückfahrt waren zwei Leute mit Zivilbekleidungen. Die haben mir dann gesagt, dass ich nicht so falsch verhalten dürfte. Dann hat man mich nach meinem Führerschein gefragt. Ich habe gesagt, dass ich keinen Führerschein hätte zwar, aber ich fahre mit der L Tafel. Dann hat man mich mitgenommen und zur Polizei gebracht. Den Schlüssel vom Auto hat man mir weggenommen. Dann hat man mich zu einer anderen Polizeistation gebracht. Ich muss sagen, ich war mehr als betrunken, ich war zu betrunken. Ich fragte nach dem Schlüssel des Autos, natürlich hat man das abgelehnt. Ich erinnere mich nicht sehr im Detail an diesen Moment, aber ich glaube, wir haben alle eine kleine Diskussion gehabt und deshalb hat man mich für eine Nacht dort gehalten. Als ich nüchtern war, habe ich gemerkt, dass ich übertrieben habe, dass ich die Leute bedroht hätte. Es tut mir leid, ich war zu betrunken. Mag sein, dass ich zu viel zu diesem Zeitpunkt gesprochen habe, aber… und deshalb kann ich mich an das Detail nicht so gut erinnern. Ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe, aber ich kann mich dafür nur vom Herzen entschuldigen.
RI: Bei mir brauchen Sie sich dafür nicht zu entschuldigen. Haben Sie sich bei den Polizeibeamten persönlich entschuldigt?
BF: Ja, ich habe einen Brief bekommen, um zum Gericht zu gehen. Als ich dort war, habe ich die zwei Leute gesehen. Ich habe mich ehrlich und offen bei beiden entschuldigt.
RI: Meinen Sie damit, die zwei Polizeibeamten, die die Verkehrskontrolle durchgeführt haben?
BF: Nein, die zwei waren nicht dabei. Die Diskussion war bei der zweiten Polizeistation und die Leute von der Polizeistation sind gekommen, aus der zweiten Polizeistation, wo ich hingebracht worden bin.
RI: Trinken Sie öfter Alkohol?
BF: Ich hatte zu viel getrunken. Nach diesem Ereignis habe ich damit aufgehört. Es ging mir wirklich schlecht. Es geht mir jetzt auch ehrlich gesagt nicht gut, aber ich habe damit aufgehört. Ich halte mich auch daran, dass ich nie mehr so viel trinke, dass ich als „Betrunkener“ bezeichnet werden würde.
RI: Ich muss Ihnen vorhalten, das waren damals 0,86 Promille. Das ist nicht eine Menge, wo man vollgetrunken ist und man sich nachher an nichts erinnern kann. Was sagen Sie dazu?
BF: Ich kann nichts dafür, ehrlich gesagt, mein Kopf ist so gebaut, dass, wenn ich trinke, ich verstehe nichts und besonders erinnere ich mich an nichts.
RI: Aber bis zum Hofer haben Sie es schon geschafft und dort eingekauft.
BF: Das stimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich Ihnen auch jedes kleine Detail erzählt, aber als man mich zu der zweiten Polizeistation mitgenommen hat, besonders von dieser Diskussion, von der ich vorhin gesprochen habe, ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht.
RI: Von dieser Diskussion oder nach dieser Diskussion?
BF: Ich erinnere mich sogar nicht an das, was wir drei zueinander gesagt haben. Es war eine Diskussion, nachher hat man mir Handschellen an die Hand gelegt. Ich muss sagen, sie haben mich zwar nicht geschlagen, aber sie haben mich schon zum Boden gestoßen und ich lag. Aber ich sage Ihnen ehrlich. Es ist nicht nur wegen diesem Vorfall, ich sage offen und ehrlich. Immer, als ich früher getrunken habe, habe ich nichts verstanden, als man zu mir sprach, erinnere ich mich an nichts.
RI: Sie erinnern sich also daran, dass Sie Handfesseln bekommen haben?
BF: Ja. Sie haben die absichtlich gehabt, dass ich mich setze oder besser gesagt, dass ich liegen bleibe und dann war das alles.
RI: Warum können Sie sich an die Handlungen der Polizei erinnern, aber nicht daran, was Sie gemacht haben?
BF: Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nur bis zu diesem Zeitpunkt, dass ich das Auto zum Hofer fuhr. Aber nachher, was geschah, ich sage ehrlich noch einmal, ich habe mich nicht daran erinnert. Aber, sobald ich das Protokoll gelesen habe, ein Teil davon habe ich Ihnen erzählt, was ich noch weiß. Wenn ich das nicht gelesen hätte, vielleicht hätte ich Ihnen auch weniger erzählen können.
RI: Sie können sich also nicht daran erinnern, dass Sie zum Alkomat Test aufgefordert wurden und dass damit, dass alle anwesenden Exekutivbeamte „Hurenkinder sind und ihre Mütter alle in den Arsch ficken sollen“?
BF: Ich erinnere mich nicht daran. Wenn ich ein bisschen heute Ihnen mehr darüber erzählen konnte, den Großteil davon habe ich vom Protokoll bekommen. Ich kann mich noch einmal dafür entschuldigen.
RI: Wie gesagt, bei mir brauchen Sie sich nicht dafür entschuldigen. Außerdem, man entschuldigt sich nicht, sondern man geht zu demjenigen, den man beleidigt hat und bittet ihn, sich zu entschuldigen.
BF (auf Deutsch): Habe ich schon, bei Gericht.
RI: Sie wurden insgesamt 5 Mal abgemahnt und zweimal wurde Ihnen die Festnahme angedroht.
BF: Was soll ich dazu sagen. Ich weiß, dass es sehr dumm von mir gewesen ist. Ich schäme mich dafür. Ich bin nicht darauf stolz, aber es ist halt passiert, es tut mir leid.
RI: An die Verkehrskontrolle können Sie sich aber noch erinnern, ist das richtig?
BF: Ja, ich erinnere mich.
RI: Warum haben Sie bei dieser Verkehrskontrolle nicht sofort den Anweisungen der beiden Polizeibeamten Folge geleistet?
BF: Ich habe die Leute, ehrlich gesagt, für zivile Leute gehalten. Als sie gesagt haben, habe ich es bejaht. Ich sagte, okay, ich fahre von hier weiter. Aber, als sie mich nach meinem Führerschein gefragt haben, dann habe ich geantwortet. Natürlich waren sie nicht vor mir da, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich dort nicht parken dürfte.
RI: Sie haben begonnen für den Führerschein zu lernen mit Ihren Betreuerinnen. Haben Sie da auch gelernt, was eine Parkverbotstafel, eine Halteverbotstafel ist?
BF: Ich habe zwar gelernt, aber ich muss sagen, an diesem Tag waren auf diesem Parkplatz so viele Autos und so viele Leute, dass ich nicht schnell daran gedacht habe. Ich habe einen Parkplatz vor dem Hofer gefunden und ich dachte, ich werde sowieso höchstens 2 Minuten bleiben und dann werde ich sowieso gehen.
RI: Das war kein Wunder, dass da ein Parkplatz frei war. Dort war ein Halteverbot, ausgenommen für Dienstfahrzeuge für die Bundespolizeidirektion.
BF (auf Deutsch): Ja, das weiß ich, aber ich habe gar nicht geschaut. Einfach, ich habe nicht gelernt.
RI: Und Sie sind noch mit einem Rad an Gehsteig gestanden.
BF: Ja, das stimmt.
RI: Dann ist es kein Wunder, dass Sie von der Polizeistreife kontrolliert werden.
BF: Ich habe es versucht, wirklich versucht, richtig zu parken, aber der Platz war zu eng.
RI: Sie haben aber dem Beamten nicht gesagt, dass Sie den Führerschein nicht haben, sondern Sie haben gesagt, dass Sie den Führerschein und Zulassungsschein zuhause vergessen haben.
BF: Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich meine Lehrlingsbestätigung für den Führerschein gehalten, ehrlich gesagt. Dann habe ich gelernt, erst, wenn ich einen Führerschein habe, darf ich sagen, dass ich einen Führerschein habe.
RI: Wenn Sie das so rückblickend betrachten, haben Sie irgendwie das Gefühl, dass es vielleicht einfacher gewesen wäre, gleich das zu tun, was die Polizisten sagen?
BF: Ja, Sie haben recht. Ich lebe immer auch nicht so, aber es ist passiert, ich weiß es nicht. Ich kann mich nur wiederholen und sagen, das ist sehr dumm von mir gewesen.
RI: Irgendwie schaffen Sie es, Situationen zu eskalieren. Können Sie sich noch erinnern an den Vorfall beim Westbahnhof im Supermarkt mit den Red Bull-Dosen?
BF (auf Deutsch): Herr Richter, da war ich mit einem Freund von mir, ja. Wir haben getrunken, wir haben nach Leitungswasser gesucht aber wir haben nicht gefunden. Wir hatten kein Geld. Im Supermarkt habe ich dann Red Bull gestohlen und sie haben erwischt. Mein Freund war auch dabei, aber er hat sich gewehrt und dann ist die Polizei gekommen. Gegen Polizei hat er sich auch gewehrt. Ich habe eh gesagt, Ruhe und so.
RI: Das ist nicht ganz richtig, wie Sie das erzählen. Sie sind nicht erwischt worden beim Diebstahl. Können Sie sich daran nicht mehr erinnern?
BF: Man hat uns zur Polizeistation mitgenommen, man hat auf meinen Freund auch eingeschlagen. Das bedeutet, dass umsonst die auf einen nicht einschlagen. Es muss was gewesen sein.
RI: Ja, das war auch so, Herr XXXX . Dem Strafakt zufolge hatten Sie drei Dosen Red Bull gestohlen, das Geschäft verlassen, unbehelligt, und sind einige Zeit später wieder in das Geschäft zurückgekehrt. War das eine Art Mutprobe?
BF: Nein. Ich weiß nicht, ich erinnere mich nicht daran. Soweit ich mich daran erinnere, dass man so auch meinen Freund mitgenommen hat.
RI: Das ist in weiterer Folge dann auch passiert.
BF: Ich weiß.“
Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF aus wie folgt:
„RI: Warum sind Sie nach Österreich geflüchtet?
BF: Es war so, dass mein Großvater in Pakistan getötet wurde. Ich weiß den Grund nicht. Mein Vater hat mich durch einen guten Bekannten von ihm in den Iran geschickt. Einige Zeit bin ich auch im Iran gewesen. Dann hat mich diese Person einer anderen vorgestellt und durch die Hilfe dieser zweiten Person bin ich immer weitergegangen und weitergefahren. Unterwegs hat diese Person alles organisiert und hin und wieder auch mit einem Schlepper telefonisch gesprochen. Ich weiß die Details nicht. Dann in der Türkei und dann weiter. Ich bin auch drei Monate in der Türkei gewesen. Damit meine ich, in einem Gefängnis in der Türkei bin ich gewesen. Bei unserem ersten Versuch von der Türkei nach Griechenland zu landen, sind wir von der Meeresküstenwache erwischt worden. Man hat uns wieder in die Türkei zurückgeschickt. Dann hat einer von den Jungs dieses Schlauchboot mit einem Messer oder mit etwas Spitzem gerissen oder ein Loch drinnen gemacht. Er war so der Meinung und meinte, wenn wir das Schlauchboot kaputt machen, wären die griechischen Seewachenkräfte uns mit in Griechenland nehmen müssen. Aber leider, als er das Schlauchboot kaputt gemacht hat, wurde uns nicht von den Griechen geholfen.
RI: Herr XXXX , das ist schön, dass Sie mir alle Details erzählen, aber ich habe Sie gefragt, warum Sie nach Österreich geflüchtet sind und nicht, wie Sie geflüchtet sind.
BF: Ich muss so sagen, dass mein Vater von Pakistan mich hingeschickt hat. Ich bin auch in Pakistan aufgewachsen, ich bin nicht in Afghanistan aufgewachsen. Nachdem man meinen Großvater getötet hat, das war der Grund aber ich kenne nicht die Details. Die Familie hat mir auch nicht darüber erzählt, warum man mich nach Europa oder wohin schickt.“
Zu seiner Lebens-, Familiensituation, seiner Integration und seinen Rückkehrbefürchtungen führte der BF aus wie folgt:
„RI: Haben Sie Kinder?
BF: Nein.
RI: Sind Sie verheiratet, leben Sie in einer Lebensgemeinschaft?
BF: Nein, ich bin ledig.
RI: Haben Sie Familienmitglieder in Österreich?
BF: Nein.
RI: Wir haben das letzte Mal erörtert, welche Ausbildungen Sie haben. Sie haben mir erzählt, dass Sie den Hauptschulabschluss gemacht haben, gerne als Installateur eine Ausbildung machen wollen. Ist das immer noch so?
BF: Ja, das wollte ich und das will ich auch, aber bis jetzt habe ich keine Lehrstelle leider gefunden, ich habe mich beworben, aber ich bin bis jetzt nicht erfolgreich gewesen.
RI: Wie verbringen Sie denn jetzt üblicherweise in Österreich den Tag?
BF: Normalerweise um 6 Uhr wache ich immer auf, ich mache ein kleines Frühstück. Um 7 Uhr muss ich bei der Arbeit sein und die Arbeit dauert bis 17 oder 18 Uhr. Ich komme zurück und esse etwas. Manchmal schaue ich mir auch einen guten Film an. Nachher gehe ich schlafen.
RI: Wo arbeiten Sie denn jetzt?
BF: Nestroyplatz, Rotensterngasse im 2. Bezirk.
RI: Was arbeiten Sie dort, in welchem Geschäft?
BF: Ich bin in der Baubranche tätig als Hilfsarbeiter. Wir machen zuerst alle Dächer kaputt, dann bauen wir sie neu auf. Das ist meine Arbeit.
RI: Sind Sie bei irgendwelchen Vereinen aktiv?
BF: Ich war früher, aber jetzt erlaubt es mir die Zeit nicht mehr. Ich habe keine Zeit dafür. Ich werde nach der Arbeit so müde, dass es keine Zeit für eine Mitgliedschaft bleibt. Normalerweise spiele ich in der Freizeit Fußball, aber wegen der Corona-Krise, spiele ich zurzeit auch kein Fußball.
RI: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?
BF: Ich habe davor Angst, getötet zu werden.
RI: Warum sollte man Sie töten?
BF: Ich war nicht in Afghanistan, ich habe immer davon gehört und wurde benachrichtigt, dass man dort getötet wird. Ich habe einige Tätowierungen auch auf meinem Körper. Normalerweise sehen es die Moslems nicht gerne oder anders gesagt, die Moslems dürfen keine Tätowierungen haben. So gesehen, wenn man mich aus irgendeinem Grund erwischen würde, kann es auch sein, dass es bis zum Tod führt.
RI: Ich sehe jetzt aber keine Tätowierungen.
BF zeigt seine linke Hand und eine kleine Tätowierung neben seinem Auge.
BF: Außerdem kann ich auch nicht den Koran lesen, wenn man dort etwas über islamische Gebote oder Verbote fragen würde, könnte ich das nicht beantworten und das wäre für mich eine Gefahr. Ich kenne mich nicht einmal aus, wie man das Gebet verliest.
RI: Wie alt waren Sie, als Sie zu uns geflüchtet sind?
BF: 13 Jahre.
RI: Und Sie haben in der Familie nicht gelernt die islamischen Gebräuche zu pflegen?
BF: Ich durfte bis zu diesem Zeitpunkt frei sein, weil, ich weiß nicht einmal, ob die Jungs nicht erst ab 15, 16 das Gebet verrichten. Ich war unter diesem Alter. Ich habe zwar ein bisschen den Koran gelernt, aber ich habe noch nicht gelernt gehabt, wie man das Gebet verrichtet usw.
RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?
BF: Es gibt noch einen Grund. Ich spreche die afghanische Sprache mit einem Farsi-Akzent. Ich könnte quasi als fremd dort bezeichnet werden.
RI: Vorhalt: Sie haben aber bei der Befragung vor dem BFA angegeben, dass Sie Dari sprechen.
BF: Also ich bin es so gewohnt, dass ich jetzt eine Mischung von drei Sprachen spreche: Dari, Farsi und Deutsch. Ja, bei mir ist es leider so. Obwohl ich mich versuche zu kontrollieren, trotzdem, wenn ich Dari und Farsi spreche, kommen ein oder zwei deutsche Wörter rein.
RI: Ich habe vorläufig keine weiteren Fragen an Sie.
RV: In Österreich, praktizieren Sie hier noch den islamischen Glauben?
BF: Nein.
RV: Wären Sie bereit in Afghanistan, wenn Sie dort wären, den Regeln des Islams zu folgen und zu beten?
BF: Dort auch nicht.“
Der rechtsfreundliche Vertreter stellte auch Fragen an den BF, dies gestaltete sich wie folgt:
„RV: Sie waren früher in Therapie wegen Ihrer psychischen Beschwerden. Möchten Sie diese Therapie fortsetzen?
BF: Ja, 100%ig sicher, aber wie gesagt, wegen der Corona Krise zurzeit ist es nicht möglich.
RV: Leiden Sie sehr unter diesen psychischen Schwierigkeiten?
BF: Ja, ich kann es auch nicht so genau beschreiben, aber ich kann es so beschreiben, dass ich oftmals Angst habe. Ich denke manchmal ohne Grund nach und einmal kann ich mich nicht kontrollieren, um nicht nachzudenken. Sogar in der Arbeit manchmal von einer zur anderen Sekunde bin ich weg.
RV: Und Sie möchten in Zukunft daran arbeiten, dass es besser wird?
BF: Ja, natürlich, ich will das. Es ist für mich natürlich besser, dass ich mich fröhlich fühle, ich mache es nicht absichtlich. Es hat fast ein Jahr gedauert, diese Therapie. Aber wie gesagt, wegen der Corona-Krise ist das nicht möglich. Ich muss etwas sagen, etwas hat mir diese Therapie gebracht, aber ich bin nicht so weit, dass ich damit aufhöre.
RV: Wenn Sie die zwei verschiedenen Systeme hier in Österreich und in Afghanistan, wie Sie gehört haben, vergleichen. Was sind die Unterschiede für Sie und was finden Sie an den Unterschieden besser?
BF: Für den Unterschied als erstes muss ich ein Beispiel geben, dass man in Afghanistan den Koran lernen muss, ob man will oder nicht. Man muss in die Moschee gehen, ob man will oder nicht. Du hast dort nicht diese Freiheit, deine Meinung zu äußern, wenn du anders denkst. Aber ich fühle mich hier frei, z.B., ich kann einen Beruf selber auswählen, wie ich das möchte und wie ich das gerne tun würde. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: meine Frau kann ich mir hier selber auswählen und nicht mein Vater. Ich würde, ehrlich gesagt, nicht gerne hingehen und meine zukünftigen Kinder zwangsweise in die Moschee schicken. Wenn es nach mir ginge, das würde ich selber nie tun. Ich stelle mir in meinem Kopf so vor, dass sich meine zukünftige, Kinder selbst auswählen können, was sie lernen wollen und was sie in Zukunft werden wollen. Ehrlich gesagt, ich bin nicht dafür, dass man seine Kinder zwangsweise in die Moschee schickt und zwangsweise den Koran lernen müssen. So viel kann ich über die Unterschiede sprechen.
RV: Gibt es irgendwelche familiären oder sozialen Kontakte, die Sie in Afghanistan haben?
BF: Nein, ich habe niemanden. So gesehen konnte es auch sein, dass ich vor Hunger dort sterben würde. Ich kenne keinen, ehrlich gesagt, niemanden.
RV: Wie stellen Sie sich denn Ihre Zukunft hier in Österreich vor in 5 Jahren?
BF: Ja, auf jeden Fall würde ich meine Lehre, die ich vorgehabt habe, zu Ende bringen und meinen Führerschein auf jeden Fall machen. Nachher werde ich sicher auch heiraten. Was dann nach der Heirat dir das Leben bringt, ich bin dafür offen.“
Der RV verwies noch auf die schlechte Lage in Afghanistan, die sich nicht verbessert habe seit Zuerkennung des subsidiären Schutzes. Des weiteren habe sich auch nicht die persönliche Lage des BF nicht maßgeblich verbessert. Aktuell ist die Situation in Afghanistan zusätzlich prekär aufgrund der Auswirkungen des Corona Virus, die Afghanistan besonders hart betreffen. Zusammengefasst ist es keine Besserung der Sicherheitslage sowie der persönlichen Verhältnisse des BF seit Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. letztmaliger Veränderung zu erkennen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht fest:
Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, der öffentlichen mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.05.2020 sowie am 21.07.2020, der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in Afghanistan, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:
1.1. Der Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Auch zur Person des Beschwerdeführers wird der zu Punkt I. angeführte Sachverhalt zur Feststellung erhoben.
2.1.1. Der BF befindet sich seit fünf Jahren in Österreich und verfügt im Bundesgebiet über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte.
2.1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.08.2015, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Demgegenüber wurde dem Asylwerber der Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde dem Antragsteller gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.08.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, wonach der Beschwerdeführer keinerlei individuelle Fluchtgründe ins Treffen geführt habe.
In Bezug auf Spruchpunkt II. verwies die Erstinstanz auf die vor dem Hintergrund einer unsicheren Gesamtlage sich besonders negativ auswirkende fehlende Existenz sozialer oder familiärer Netzwerke des Genannten. Angesichts dieser Konstellation stelle sich der Zugang zu Wohnraum und Nahrung nicht als hinreichend gesichert dar, weshalb im Falle einer Rückführung in das Herkunftsland eine Verletzung des damals erst vierzehnjährigen Asylwerbers seiner von Art. 3 EMRK umfassten Rechte nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne.
2.1.3. Der volljährige Genannte ist jung, arbeitsfähig und leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und benötigt keine exklusiv im Bundesgebiet verfügbare medizinische Behandlung. Er hat zu seiner Familie in Afghanistan seit kurz nach seiner illegalen Einreise ins Bundesgebiet 2014 keinen Kontakt mehr, es besteht keine finanzielle gegenseitige Unterstützung.
2.1.4. Der Beschwerdeführer spricht sowohl DARI, HAZARAGI als auch Deutsch und erweist sich als mehrfach vorbestraft. Den weit überwiegenden Teil seines Aufenthalts in Österreich finanzierte er aus Leistungen der öffentlichen Hand.
2.1.5. Der BF liefe nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht konkret Gefahr, der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden. Eine Einreise nach Afghanistan kann ohne Gefährdung seiner Person erfolgen.
2.2. Zur Lage in Afghanistan wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte in der aktualisierten neuesten Fassung (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020) Folgendes festgestellt:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und GHAZNI (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018). Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz KABUL abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million KABULis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als „politisch motiviert" und „illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in KABUL sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz KABUL ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über KABUL, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Talib