TE Bvwg Beschluss 2020/11/9 W171 2227007-10

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W171 2227007-10/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter im am 11.09.2020 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Algerien, beschlossen:

A) Das Verfahren wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger Algeriens, stellte am 09.11.2016 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.01.2018 zweitinstanzlich abgewiesen.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (auch: BFA) vom 23.08.2019 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Direkt nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 19.09.2019 wurde der BF in Schubhaft genommen.

1.3. Am 20.09.2019 stellte der BF aus dem Stande der Schubhaft einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Aktenvermerk vom 20.09.2019 hielt das Bundesamt die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht, da Gründe zu der Annahme bestünden, der zweite Antrag auf internationalen Schutz sei zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 07.10.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; dies erklärte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 10.10.2019 für rechtmäßig. Über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz liegt bislang keine Entscheidung des BFA vor.

1.4. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, 12.02.2020, 11.03.2020, 08.04.2020, 06.05.2020, 02.06.2020, 30.06.2020, 27.07.2020 und 24.08.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig gewesen ist.

1.5. Am 11.09.2020 legte das Bundesamt den gegenständlichen Akt neuerlich gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetzes zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor.

1.6. Am 14.09.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Bericht der LPD ein, wonach der BF am 13.09.2020 mit sechs weiteren Personen aus einem PAZ geflüchtet sei. Die daraufhin durch eine PI eingeleitete Sofortfahndung verlief negativ.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen:

Der dargestellte Verfahrensgang wird als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt.

Insbesondere wird festgestellt, dass der BF sich von 19.09.2019 bis 13.09.2020 in Schubhaft befand, am letztgenannten Tag flüchtete und damit die Schubhaft nicht über den 13.09.2020 hinweg andauerte.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt des BFA sowie den hg. Akt des Bundesverwaltungsgerichts. Insbesondere wurden dabei die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.01.2018 und 24.08.2020 herangezogen. Weiters wurde in das zentrale Fremden- und das Melderegister, die Anhaltedatei, die Grundversorgungsauskunft sowie das Strafregister Einsicht genommen.

Die Feststellungen zur Flucht des BF aus dem PAZ ergibt sich aus dem Bericht der LPD vom 13.09.2020, welcher im Akt einliegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gema?ß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschla?gigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG, FPG) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzusta?ndigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg. cit). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetztes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gema?ß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren u?ber Beschwerden gema?ß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im U?brigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngema?ß anzuwenden, die die Beho?rde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt ha?tte.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

[…]

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.(…)“

Gema?ß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zuru?ckzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gema?ß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fa?llen ist. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich aber auch, dass eine bloß formlose Beendigung (etwa durch Einstellung mittels Aktenvermerkes) eines nach dem VwGVG vom Verwaltungsgericht gefu?hrten Verfahrens nicht in Betracht kommt. Handelt es sich doch bei der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts, ein bei ihm anha?ngiges Verfahren nicht weiterzufu?hren, um eine Entscheidung iSd § 31 Abs. 1 VwGVG (vgl. zur Bejahung der Notwendigkeit der Fa?llung eines Beschlusses u?ber die Verfahrenseinstellung auch Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG Anm 5 und § 31 VwGVG Anm 5, sowie Schmid in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, § 28 VwGVG Anm K 3 und § 31 VwGVG Anm K 2) [ vgl. VwGH vom 29.04.2015, Zl. Fr 2014/20/0047].

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht. Neben dem Fall der Zurückziehung der Beschwerde oder "des Untergangs" des Beschwerdeführers kann analog zu § 33 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idF BGBl. I Nr. 33/2013, eine Einstellung des Verfahrens auch bei materieller Klaglosstellung des Beschwerdeführers wegen Wegfall des Rechtsschutzinteresses in Betracht kommen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], § 28 VwGVG, Anm. 5).

Hierzu führte der VwGH in Ro 2017/10/0032, 27.02.2019 aus:

§ 33 Abs. 1 VwGG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem VwGH versteht. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig, fällt die Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens (vgl. B 30. Jänner 2013, 2011/03/0228; B 23. Oktober 2013, 2013/03/0111; B 9. September 2015, Ro 2015/03/0028). Diese Überlegungen über das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung für eine zulässige Beschwerdeerhebung können auch auf das Verfahren vor dem VwG übertragen werden (vgl. E 28. Jänner 2016, Ra 2015/11/0027).“

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die zur Verfahrenseinstellung führende Gegenstandslosigkeit der Beschwerde auch dann eintreten, wenn auf andere Weise als durch Abänderung des angefochtenen Bescheides im Sinne des Beschwerdeführers durch Änderung maßgebender Umstände das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers an der Entscheidung im Nachhinein wegfällt (vgl. zB VwGH 17.12.2007, 2005/12/0153, mwN).

Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist immer dann zu verneinen, wenn es für die Rechtsstellung des Einzelnen keinen Unterschied macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles keinen objektiven Nutzen hat (Vgl. VwGH Ro 2016/21/0008 v. 30.06.2016).

Rechtlich folgt daraus:

Mit Vorlage durch das BFA am 11.09.2020 galt die Beschwerde für den BF als eingebracht, sodass ein Verfahren vor dem BVwG anhängig und eine förmliche Entscheidung zu treffen war.

Letztmalig wurde mit 24.08.2020 durch das BVwG die Überprüfung des Vorliegens der maßgeblichen Voraussetzungen sowie der Verhältnismäßigkeit der andauernden Anhaltung vorgenommen. Neuerlich wäre eine solche Überprüfung vier Wochen später, also bis 21.09.2020 durchzuführen gewesen. Bereits am 13.09.2020 flüchtete der BF jedoch aus dem PAZ. Seit diesem Zeitpunkt – welcher noch innerhalb der vierwöchigen Überprüfungsfrist lag – bestand somit keine weitere Anhaltung und damit auch kein Rechtsschutzinteresse des BF an einer inhaltlichen Entscheidung. Ausgehend von der oben dargestellten Judikatur des VwGH war damit das Verfahren mittels Beschluss einzustellen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fortsetzung der Schubhaft Rechtsschutzinteresse Verfahrenseinstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2227007.10.00

Im RIS seit

18.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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