TE Vfgh Erkenntnis 2020/11/25 WIV90/2020 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
beobachten
merken

Index

L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art6 Abs3
B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art141 Abs1 liti
B-VG Art141 Abs1 litj
EMRK Art6 Abs1
Wr GemeindewahlO 1996 §20, §22, §30, §34, §36
WählerevidenzG 2018 §1, §2,
MeldeG 1991 §18
AVG §7, §17
EGVG ArtI Abs3 Z4
VfGG §7 Abs1, §67 Abs2

Leitsatz

Abweisung der Anfechtung der Entscheidung des Verwaltungsgericht Wien gegen die vom Beschwerdeführer beantragte Streichung einer Person aus dem Wählerverzeichnis für eine Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl in Wien wegen melderechtlicher Auskunftssperre; Möglichkeit der rechtmäßigen Eintragung in das Wählerverzeichnis für Personen mit Hauptwohnsitz in Wien trotz melderechtlicher Auskunftssperre; keine parteipolitische Befangenheit der - mit Vertretern der Wahlparteien zu besetzenden - Mitglieder der Wahlbehörde; Zulässigkeit der Beschränkung der Akteneinsicht auf Grund der Kürze der Entscheidungsfrist

Spruch

I. Den Anfechtungen wird, soweit sie sich gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. August 2020 und den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. September 2020 richten, nicht stattgegeben.

II. Im Übrigen werden die Anfechtungen zurückgewiesen.

III. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Anfechtungen und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zahlen WIV90/2020 und WIV91/2020 zwei jeweils auf Art141 Abs1 lita und i iVm litj B-VG gestützte Anfechtungen anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Am 13. August 2020 stellte der Anfechtungswerber gemäß §30 Abs1 Wiener Gemeindewahlordnung 1996 (im Folgenden: Wr. GWO 1996) bei der Bezirkswahlbehörde für den 10. Wiener Gemeindebezirk den Antrag, eine bestimmte Person aus dem Wählerverzeichnis zu streichen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Meldeauskunft zu dieser Person keinen Hauptwohnsitz in Österreich erkennen lasse.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkswahlbehörde für den 10. Wiener Gemeindebezirk vom 19. August 2020 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgewiesen, dass für die Person, deren Streichung begehrt wurde, lediglich eine Auskunftssperre gemäß §18 Abs2 Meldegesetz 1991 (im Folgenden: MeldeG) bestehe und die Aufnahme in das Wählerverzeichnis rechtmäßig gewesen sei.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Anfechtungswerber am 20. August 2020 Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien. Am 22. August 2020 stellte er einen Antrag auf Akteneinsicht. Die Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23. August 2020 als unbegründet abgewiesen. Am 3. September 2020 wurde dem Anfechtungswerber beim Verwaltungsgericht Wien Akteneinsicht gewährt, wobei bestimmte Akteninhalte von der Einsicht ausgenommen wurden. Am 9. September 2020 stellte der Anfechtungswerber einen Antrag auf Akteneinsicht hinsichtlich der zuvor von der Einsicht ausgenommenen Akteninhalte an das Verwaltungsgericht Wien. Diesen Antrag wies das Verwaltungsgericht Wien mit Beschluss vom 15. September 2020 ab.

2. Mit seinen jeweils auf Art141 Abs1 lita und i iVm litj B-VG gestützten Anfechtungen begehrt der Anfechtungswerber unter anderem die Aufhebung des Erkenntnisses und des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes Wien sowie jeweils Kostenersatz. Begründend führt er dabei im Wesentlichen Folgendes aus:

Die zu streichende Person habe nach der dem Anfechtungswerber vorliegenden Meldeauskunft keinen Hauptwohnsitz in Wien und sei daher nicht wahlberechtigt. Sofern diese Meldeauskunft lediglich auf einer Meldesperre gemäß §18 MeldeG beruhe, sei diese Regelung verfassungswidrig, weil sie eine falsche Auskunft anordne, nämlich dass überhaupt keine Meldung vorliege. Ebenso sei es verfassungswidrig, wenn eine Person, für die eine Meldesperre bestehe, dennoch mit ihrer Adresse in die Wählerevidenz aufzunehmen sei. Die Bezirkswahlbehörde, die über den Antrag auf Streichung aus der Wählerevidenz entschieden habe, sei parteipolitisch besetzt und daher befangen. Schließlich sei dem Anfechtungswerber trotz rechtzeitigen Antrages die Akteneinsicht erst nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien gewährt worden. Dabei seien außerdem die Meldeauskunft zu der von der begehrten Streichung betroffenen Person sowie das Sitzungsprotokoll zur Entscheidung der Bezirkswahlbehörde über den Streichungsantrag von der Akteneinsicht ausgenommen worden. Damit sei es dem Anfechtungswerber nicht möglich gewesen, die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung über seinen Antrag sowie die rechtmäßige Zusammensetzung der Bezirkswahlbehörde nachzuvollziehen.

3. Die Bezirkswahlbehörde für den 10. Wiener Gemeindebezirk und das Verwaltungsgericht Wien haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt. Das Verwaltungsgericht Wien hat darüber hinaus eine "Gegenschrift" erstattet, in der es den Behauptungen der Anfechtungsschrift entgegentritt.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes über die Gemeindewahlordnung der Stadt Wien (Wiener Gemeindewahlordnung 1996 – GWO 1996), LGBl 16/1996 idF LGBl 39/2020, lauten auszugsweise wie folgt:

"II. HAUPTSTÜCK

Wahlrecht, Erfassung der Wahlberechtigten

1. Abschnitt

Wahlrecht, Stichtag

§16. (1) Wahlberechtigt sind alle Männer und Frauen, die am Wahltag (§3 Abs2) das 16. Lebensjahr vollendet haben und am Stichtag (§3 Abs4)

1. die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen,

2. vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und

3. im Gemeindegebiet von Wien ihren Hauptwohnsitz haben.

(2) Wahlberechtigt zu den Bezirksvertretungswahlen sind auch Unionsbürger, die abgesehen von der österreichischen Staatsbürgerschaft die Bedingungen des Abs1 erfüllen.

§17. (1) An der Wahl nehmen nur Wahlberechtigte teil, deren Namen im abgeschlossenen Wählerverzeichnis enthalten sind.

(2) Jeder Wahlberechtigte hat für die jeweilige Wahl nur eine Stimme; er darf in den Wählerverzeichnissen nur einmal eingetragen sein.

[…]

3. Abschnitt

Erfassung der Wahlberechtigten

§20. Die Wahlberechtigten sind vom Magistrat in das Wählerverzeichnis einzutragen. Das Wählerverzeichnis ist entweder in Papierform unter Verwendung des Musters in Anlage 1 zu erstellen bzw hat in elektronischer Form dem Aufbau der Ausdrucke dieses Musters zu entsprechen. Die Eintragung in das Wählerverzeichnis erfolgt auf Grund der Eintragungen in den von der Gemeinde nach bundesgesetzlichen Vorschriften zu führenden ständigen Evidenzen der Wahlberechtigten unter Beachtung des §16. Wahlberechtigte gemäß §16 Abs2 sind im Wählerverzeichnis besonders zu kennzeichnen.

§21. Das Wählerverzeichnis ist vom Magistrat nach Bezirken, innerhalb dieser nach Wahlsprengeln und innerhalb dieser nach Straßen- und Hausnummern und innerhalb der Häuser nach dem Namensalphabet der Wahlberechtigten anzulegen. Innerhalb von Heimen und sonstigen Anstalten kann statt dessen eine alphabetische Reihung der Wahlberechtigten vorgenommen werden.

§22. Jeder Wahlberechtigte ist in das Wählerverzeichnis des Wahlsprengels einzutragen, in dem er am Stichtag seinen Hauptwohnsitz hat. Obdachlose Wahlberechtigte sind in das Wählerverzeichnis des Bezirkes einzutragen, in dem sie am Stichtag eine Kontaktadresse im Sinne des §19a Abs1 Meldegesetz 1991, BGBl Nr 9/1992, in der Fassung BGBl I Nr 104/2018 haben.

§23. Wahlberechtigte, die zum Präsenz- oder Ausbildungsdienst einberufen oder zum Zivildienst zugewiesen worden sind, bleiben, außer im Falle einer Verlegung ihres Hauptwohnsitzes während der Leistung dieser Dienste, im Sprengel ihres bisherigen Hauptwohnsitzes eingetragen.

4. Abschnitt

Berichtigungs- und Beschwerdeverfahren

§24. Vom 21. bis zum 30. Tag nach dem Stichtag hat der Magistrat das Wählerverzeichnis in einem allgemein zugänglichen Amtsraum zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. In jedem Gemeindebezirk ist mindestens eine Auflegungsstelle einzurichten.

§25. Die Auflegung des Wählerverzeichnisses ist ortsüblich kundzumachen. Die Kundmachung hat auch die Einsichtsfrist, die für die Einsichtnahme bestimmten Tagesstunden, die Bezeichnung der Amtsräume, in denen das Wählerverzeichnis aufliegt und Berichtigungsanträge eingebracht werden können, sowie die Bestimmungen der §§27, 30 und 31 zu enthalten. Bei der Festsetzung der für die Einsichtnahme bestimmten Tagesstunden ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Einsichtnahme auch außerhalb der normalen Arbeitszeit ermöglicht wird. An Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen kann die Ermöglichung der Einsichtnahme unterbleiben.

§26. Innerhalb der Einsichtsfrist kann jedermann in das Wählerverzeichnis Einsicht nehmen.

[…]

§30. (1) Gegen das Wählerverzeichnis kann jede Person mit Hauptwohnsitz in Österreich unter Angabe ihres Namens und der Wohnadresse innerhalb der Einsichtsfrist wegen Aufnahme vermeintlich Nichtwahlberechtigter oder wegen Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter schriftlich oder mündlich bei der zur Entgegennahme von Berichtigungsanträgen bezeichneten Stelle (§25) einen Berichtigungsantrag stellen.

(2) Die Berichtigungsanträge müssen bei der Stelle, bei der sie einzureichen sind, noch vor Ablauf der Frist einlangen.

(3) Der Berichtigungsantrag ist, falls er schriftlich eingebracht wird, für jeden Berichtigungsfall gesondert zu überreichen. Hat der Berichtigungsantrag die Aufnahme eines vermeintlich Wahlberechtigten zum Gegenstand, so sind auch die zur Begründung des Berichtigungsantrages notwendigen Belege, anzuschließen. Wird im Berichtigungsantrag die Streichung eines vermeintlich Nichtwahlberechtigten begehrt, so ist der Grund hierfür anzugeben. Alle Berichtigungsanträge, auch mangelhaft belegte, sind von den hierzu berufenen Stellen entgegenzunehmen und weiterzuleiten.

[…]

§33. (1) Der Magistrat hat die Personen, gegen deren Aufnahme in das Wählerverzeichnis ein Berichtigungsantrag erhoben wurde, hiervon unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Gründe innerhalb von 24 Stunden nach Einlangen des Berichtigungsantrages zu verständigen. Den Betroffenen steht es frei, binnen vier Tagen nach Zustellung der Verständigung schriftlich oder mündlich Einwendungen bei der zur Entscheidung über den Berichtigungsantrag zuständigen Bezirkswahlbehörde einzubringen.

(2) Die Namen der Antragsteller unterliegen dem Amtsgeheimnis. Den Strafgerichten sind sie auf Verlangen bekanntzugeben.

§34. Über die Berichtigungsanträge erkennt die Bezirkswahlbehörde jenes Gemeindebezirkes, auf den sich die beantragte Änderung des Wählerverzeichnisses bezieht, spätestens am sechsten Tag nach Ende der Einsichtsfrist. Die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde haben sich bei Befangenheit im Sinne des §7 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 ihres Amtes zu enthalten und im Falle sonstiger Beschlussunfähigkeit (§14 Abs1) ihre Vertretung zu veranlassen.

§35. (1) Die Entscheidung ist vom Magistrat dem Antragsteller sowie dem durch die Entscheidung Betroffenen unverzüglich schriftlich mitzuteilen.

(2) Erfordert die Entscheidung eine Richtigstellung des Wählerverzeichnisses, so ist sie vom Magistrat nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung unter Angabe der Entscheidungsdaten durchzuführen. Handelt es sich hierbei um die Aufnahme eines vorher im Wählerverzeichnis nicht enthaltenen Wählers, so ist sein Name am Schluss des Wählerverzeichnisses mit der nächsten fortlaufenden Zahl anzuführen und an jener Stelle des Verzeichnisses, an der er ursprünglich einzutragen gewesen wäre, auf die fortlaufende Zahl der neuen Eintragung hinzuweisen.

§36. (1) Gegen die Entscheidung der Bezirkswahlbehörde kann der Antragsteller sowie der durch die Entscheidung Betroffene binnen zwei Tagen nach der Zustellung der Entscheidung schriftlich eine Beschwerde bei der zuständigen Bezirkswahlbehörde einbringen. Diese hat den Beschwerdegegner von der eingebrachten Beschwerde unverzüglich und nachweislich mit dem Beifügen zu verständigen, dass es ihm freisteht, binnen zwei Tagen nach Zustellung der Verständigung in die Beschwerde Einsicht und zu den vorgebrachten Beschwerdegründen Stellung zu nehmen.

(2) Über die Beschwerde entscheidet binnen vier Tagen nach ihrem Einlangen das Verwaltungsgericht Wien endgültig. Die Bestimmungen der §§30 Abs2 und 3, 31, 32 und 35 Abs2 finden sinngemäß Anwendung.

(3) Die Entscheidung ist vom Verwaltungsgericht Wien dem Beschwerdeführer, dem Beschwerdegegner und dem Magistrat unverzüglich mitzuteilen.

§37. (1) Nach Abschluss des Berichtigungs- und Beschwerdeverfahrens hat der Magistrat das Wählerverzeichnis abzuschließen.

(2) Das abgeschlossene Wählerverzeichnis ist der Wahl zugrunde zu legen.

(3) Den Wahlberechtigten ist bis spätestens am dreizehnten Tag vor dem Wahltag eine Wahlinformation im ortsüblichen Umfang zuzustellen, der zumindest der Familien- oder Nachname und Vorname des Wahlberechtigten, sein Geburtsjahr und seine Anschrift, der Wahlort (Wahlsprengel), die fortlaufende Zahl aufgrund seiner Eintragung in das Wählerverzeichnis, der Wahltag, die Wahlzeit und das Wahllokal zu entnehmen sein muss."

2. §18 Bundesgesetz über das polizeiliche Meldewesen (Meldegesetz 1991 – MeldeG), BGBl 9/1992 idF BGBl I 104/2019, lautet auszugsweise wie folgt:

"Meldeauskunft

§18. (1) Die Meldebehörde hat auf Verlangen gegen Nachweis der Identität im Umfang des §16 Abs1 aus dem Zentralen Melderegister Auskunft zu erteilen, ob und zutreffendenfalls wo innerhalb des Bundesgebietes ein eindeutig bestimmbarer Mensch angemeldet ist oder war. Scheint für den gesuchten Menschen kein angemeldeter oder zuletzt gemeldeter Hauptwohnsitz auf oder besteht in Bezug auf ihn eine Auskunftssperre, so hat die Auskunft der Meldebehörde zu lauten: 'Es liegen über den/die Gesuchte(n) keine Daten für eine Meldeauskunft vor.' Können die Angaben dessen, der das Verlangen gestellt hat, nicht nur einem Gemeldeten zugeordnet werden, hat die Auskunft der Meldebehörde zu lauten: 'Auf Grund der Angaben zur Identität ist der Gesuchte nicht eindeutig bestimmbar; es kann keine Auskunft erteilt werden.' Für die Zuständigkeit zur Erteilung einer Auskunft ist der Wohnsitz (Sitz) oder Aufenthalt (§3 Z3 AVG) dessen maßgeblich, der das Verlangen stellt.

[(1a)–(1b) …]

(2) Jeder gemeldete Mensch kann bei der Meldebehörde beantragen, daß Meldeauskünfte über ihn nicht erteilt werden (Auskunftssperre). Dem Antrag ist stattzugeben, soweit ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft gemacht wird. Ist ein solches Interesse offenkundig, so kann die Auskunftssperre auch von Amts wegen verfügt oder verlängert werden. Die Auskunftssperre kann für die Dauer von höchstens fünf Jahren verfügt oder verlängert werden; sie gilt während dieser Zeit auch im Falle der Abmeldung.

[(2a)–(4) …]

(5) Soweit hinsichtlich eines Menschen eine Auskunftssperre besteht, hat die Auskunft der Meldebehörde zu lauten: 'Es liegen über den/die Gesuchte(n) keine Daten für eine Meldeauskunft vor'. Eine Auskunft gemäß Abs1 ist in diesen Fällen zu erteilen, wenn der Antragsteller nachweist, daß er eine rechtliche Verpflichtung des Betroffenen geltend machen kann. In einem solchen Fall hat die Meldebehörde vor Erteilung der Auskunft den Meldepflichtigen zu verständigen und ihm Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

[…]"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat in den in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren erwogen:

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art141 Abs1 liti B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen, gemäß litj dieser Bestimmung zudem über die Anfechtung von selbständig anfechtbaren Bescheiden und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden sowie – sofern bundes- oder landesgesetzlich vorgesehen – der Verwaltungsgerichte unter anderem in diesen Fällen. Vom zitierten Begriff der "Wählerevidenzen" sind auch Wählerverzeichnisse (Wählerlisten) umfasst (vgl VfSlg 19.944/2015, 20.104/2016). Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die (gemäß Art130 Abs5 iVm Art141 Abs1 litj B-VG) in den Fällen der lita bis c und g bis i des Art141 Abs1 B-VG ergehen, sind keiner Beschwerde auf Grund des Art144 B-VG, sondern allein der Anfechtung auf Grund des Art141 B-VG zugänglich (vgl wiederum VfSlg 19.944/2015, 20.104/2016 sowie VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua).

1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung hervorgehoben hat, ist die Anfechtungslegitimation – bei Fehlen entsprechender bundesgesetzlicher Regelungen – unmittelbar aus Art141 B-VG selbst abzuleiten, da eine sinngemäße Anwendung von §67 Abs2 VfGG etwa auf Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) nicht in Betracht kommt (vgl VfSlg 20.104/2016 mwN). Gemäß Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG kann eine Anfechtung gemäß liti bzw litj dieser Bestimmung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden. Demnach ist für die Beurteilung der Frage nach der Anfechtungslegitimation auf die einfachgesetzliche Ausgestaltung des zugrunde liegenden Verfahrens Bedacht zu nehmen.

Als Antragsteller iSd §30 Abs1 Wr. GWO 1996 kommt dem Anfechtungswerber nach §36 Abs1 leg cit auch die Beschwerdelegitimation und damit die Parteistellung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu. Im Hinblick darauf, dass eine Anfechtung gemäß Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens zu gründen ist und keine andere Beschränkung der Anfechtungslegitimation vorgesehen ist (vgl etwa Art144 Abs1 B-VG), ist die Anfechtungslegitimation des Anfechtungswerbers hinsichtlich des abweisenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien gegeben (vgl VfSlg 20.104/2016; VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua).

1.3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien, mit dem der Antrag des Anfechtungswerbers auf Akteneinsicht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens abgewiesen wurde, erging nach dem Abschluss dieses Beschwerdeverfahrens. Er steht insofern in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Berichtigungsverfahren und stellt somit eine selbständig anfechtbare Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien iSd Art141 Abs1 litj iVm liti B-VG dar. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen ist der Anfechtungswerber auch zur Anfechtung dieser Entscheidung legitimiert, da mit ihr über seinen Antrag nachteilig abgesprochen wurde.

1.4. Eine auf Art141 B-VG gestützte Anfechtung ist rechtzeitig, wenn sie innerhalb der in §67 Abs4 iVm §68 Abs1 VfGG festgelegten (vierwöchigen) Anfechtungsfrist eingebracht wird (vgl VfSlg 19.944/2015, 20.104/2016). Die am 17. September bzw 9. Oktober 2020 eingebrachten Anfechtungen der Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes Wien, die dem Anfechtungswerber am 23. August bzw 15. September 2020 zugestellt wurden, erweisen sich somit als rechtzeitig.

1.5. Da keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, sind die Anfechtungen, soweit sie sich gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. August und 15. September 2020 richten, zulässig.

1.6. Der Anfechtungswerber stellt darüber hinaus den Antrag, die "Wiener Bezirks- und Gemeinderatswahl 2020" aufzuheben. Da die Anfechtung jedoch vom Anfechtungswerber nicht als Zustellungsbevollmächtigter einer Wählergruppe, sondern zweifelsfrei als Privatperson eingebracht wurde (vgl VfSlg 9944/1984; VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua) und der Anfechtungswerber auch nicht behauptet, dass ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren aberkannt wurde, fehlt die Anfechtungslegitimation nach §67 Abs2 VfGG. Die Anfechtung ist daher insoweit zurückzuweisen.

1.7. Soweit der Anfechtungswerber begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge die von seinem Berichtigungsantrag betroffene Person aus der Wählerevidenz streichen, ihr das aktive und passive Wahlrecht bei der "Wiener Bezirks- und Gemeinderatswahl 2020" aberkennen sowie die Verschiebung dieser Wahl auf einen Zeitpunkt nach der Entscheidung über die vorliegende Anfechtung veranlassen, ist festzuhalten, dass keine Rechtsgrundlage für derartige Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes besteht. Diese Anträge sind daher wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

2. In der Sache:

2.1. Eine Anfechtung gemäß Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG kann auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden. Der Verfassungsgerichtshof hat einer Anfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens erwiesen wurde und auf das Verfahrensergebnis von Einfluss war.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat ein Wahlverfahren nur in den Grenzen der von der anfechtungswerbenden Partei in der Anfechtungsschrift behaupteten Rechtswidrigkeiten nachzuprüfen. Es ist ihm hingegen verwehrt, die Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens darüber hinaus von Amts wegen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen (vgl VfSlg 17.589/2005, 19.245/2010, 19.981/2015, 20.104/2016, 20.273/2018).

2.3. Der Anfechtungswerber macht zunächst die unrechtmäßige Eintragung der betroffenen Person in die Wählerevidenz mit der Begründung geltend, dass diese keinen Hauptwohnsitz in Österreich habe.

2.3.1. Gemäß §17 Abs1 Wr. GWO 1996 nehmen an der Wahl zum Gemeinderat und zu den Bezirksvertretungen nur Wahlberechtigte teil, deren Namen im abgeschlossenen Wählerverzeichnis enthalten sind. Gemäß §20 leg cit sind die Wahlberechtigten vom Magistrat in Wählerverzeichnisse einzutragen. Die Eintragung erfolgt auf Grund der Eintragungen in den von der Gemeinde nach bundesgesetzlichen Vorschriften zu führenden ständigen Evidenzen der Wahlberechtigten. Gemäß §22 leg cit ist jeder Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis des Wahlsprengels einzutragen, in dem er am Stichtag seinen Hauptwohnsitz hat. Bei der Eintragung ist §16 leg cit zu beachten (§20 leg cit). Demnach sind alle Männer und Frauen wahlberechtigt, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben und am Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und im Gemeindegebiet von Wien ihren Hauptwohnsitz haben.

§20 Wr. GWO 1996 knüpft an die Eintragungen in die ständige Wählerevidenz an, die nach §1 Abs1 Wählerevidenzgesetz 2018 in jeder Gemeinde zu führen ist. Gemäß §2 Abs1 Wählerevidenzgesetz 2018 sind in die Wählerevidenz auf Grund der im Melderegister enthaltenen Angaben alle Männer und Frauen einzutragen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vor dem 1. Jänner des Jahres der Eintragung das 14. Lebensjahr vollendet haben, vom Wahlrecht zum Nationalrat nicht ausgeschlossen sind und in der Gemeinde ihren Hauptwohnsitz haben.

Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 18.551/2008 ausgeführt hat, liegt der mit dem Wählerevidenzgesetz verfolgte Zweck darin, bei der Führung der Wählerevidenz im Prinzip alle Wahlberechtigten zu erfassen und dabei allenfalls auftretende Zweifelsfragen der Wahlberechtigung ohne den Zeitdruck einer bevorstehenden Wahl rechtlich einwandfrei lösen zu können. Daher ist bei der Anlegung des jeweiligen Wählerverzeichnisses auf diese möglichst umfassende Wählerevidenz zurückzugreifen; im Übrigen soll der Kreis der Wahlberechtigten im Wählerverzeichnis nur mehr aktualisiert werden (vgl VfSlg 20.104/2016 zum Bundespräsidentenwahlgesetz).

2.3.2. Der Begriff des Hauptwohnsitzes ist in der Rechtsordnung an mehreren Stellen definiert. Gemäß Art6 Abs3 B-VG ist er dort begründet, wo sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat (vgl ebenso §1 Abs7 MeldeG). Durch die Anknüpfung des §20 Wr. GWO 1996 an die Wählerevidenzen, denen wiederum gemäß §2 Abs1 Wählerevidenzgesetz 2018 die nach dem MeldeG zu erstellenden Melderegister zugrunde liegen, wird deutlich, dass bezüglich der Bestimmung des Hauptwohnsitzes auf die melderechtlichen Bestimmungen Bedacht zu nehmen ist (vgl dazu auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Hauptwohnsitzgesetz, BGBl 505/1994, 1334 BlgNR 18. GP, 14). Das MeldeG enthält in diesem Sinn spezifische Regelungen zur Feststellung des Hauptwohnsitzes einer Person (vgl dazu etwa §15 leg cit zur Berichtigung des Melderegisters, §15a leg cit zur Abgabe einer Wohnsitzerklärung sowie §17 leg cit zum Reklamationsverfahren; vgl zu all dem bereits VfSlg 20.104/2016).

2.3.3. Die vom Berichtigungsantrag des Anfechtungswerbers betroffene Person hat nach den Akten, die dem Verfassungsgerichtshof vorliegen und die auch einen Auszug aus dem Melderegister enthalten, eindeutig ihren Hauptwohnsitz in Wien. Aus dem Akt sind auch umfangreiche Ermittlungen des Verwaltungsgerichtes Wien ersichtlich, welche die bereits durch den Hauptwohnsitz indizierte Annahme belegen, dass die betroffene Person ihren Lebensmittelpunkt in Wien hat. Bei dieser Sachlage und der zuvor dargelegten Rechtslage erweist sich die Abweisung des Streichungsbegehrens des Anfechtungswerbers als rechtmäßig.

2.4. Die Annahme des Anfechtungswerbers, dass die vom Berichtigungsantrag betroffene Person keinen Hauptwohnsitz in Österreich habe, beruht auf der für diese Person bestehenden Auskunftssperre. Nach §18 Abs1 und 5 MeldeG hat die Auskunft im Fall einer Auskunftssperre dahingehend zu lauten, dass über die gesuchte Person "keine Daten für eine Meldeauskunft" vorliegen. Der Anfechtungswerber bringt vor, dass diese Regelung verfassungswidrig sei, weil damit gesetzlich eine irreführende "Falschauskunft" angeordnet werde. Auf diesen Einwand ist schon deshalb nicht näher einzugehen, weil es denkunmöglich ist, dass die Regelungen zur Meldeauskunft nach dem MeldeG im vorliegenden Verfahren über einen Antrag zur Berichtigung des Wählerverzeichnisses zur Anwendung kommen.

Der Anfechtungswerber wendet in diesem Zusammenhang auch ein, dass eine Person, für die eine Meldesperre nach dem MeldeG besteht, zu ihrem Schutz nicht in das öffentlich einsehbare Wählerverzeichnis aufgenommen werden dürfe. Dem ist zu entgegnen, dass für eine solche Ausnahme von der öffentlichen Einsicht keine gesetzliche Grundlage besteht. Darin kann der Verfassungsgerichtshof auch keine unsachliche Rechtslage erblicken, weil das Aufscheinen einer Person in der öffentlich einsehbaren Wählerevidenz nicht mit einer gezielten Suchanfrage hinsichtlich dieser Person im Rahmen einer Meldeauskunft vergleichbar ist (vgl zum Anknüpfen der Wählerevidenz an die Daten aus dem Melderegister auch VfSlg 18.551/2008).

2.5. Soweit der Anfechtungswerber eine "parteipolitische Befangenheit" der Bezirkswahlbehörde auf Grund ihrer Zusammensetzung geltend macht, genügt es auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der gegen eine Besetzung der Wahlbehörden mit Vertretern der Wahlparteien nach dem Verhältnis des Stimmenanteils bei der letzten Wahl keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl zB VfSlg 17.589/2005, 18.729/2009, 20.242/2018, 20.259/2018). Auf Grund der dementsprechend in §12 Wr. GWO 1996 angeordneten Besetzung der Wahlbehörden mit Vertretern von Wahlparteien kann in der Parteizugehörigkeit auch kein Befangenheitsgrund für Mitglieder der Bezirkswahlbehörde nach §34 Wr. GWO 1996 iVm §7 AVG bestehen. Entgegen der Ansicht des Anfechtungswerbers sind Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerverzeichnisse und die Streichung von Personen aus Wählerverzeichnissen auch nicht von Art6 EMRK umfasst (vgl VfSlg 20.104/2016). Für eine Befangenheit des Verwaltungsgerichtes Wien gibt es mangels substantiierten Vorbringens des Anfechtungswerbers keine Hinweise. Soweit der Anfechtungswerber die Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung und der Beschlussfassung der Bezirkswahlbehörde in Zweifel zieht, ist festzuhalten, dass die Entscheidung der Bezirkswahlbehörde nach den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten diesbezüglich den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat.

2.6. Der Anfechtungswerber macht schließlich auch eine Verletzung in seinem Recht auf Akteneinsicht geltend, weil ihm einerseits im laufenden Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien keine Akteneinsicht gewährt worden sei. Andererseits seien von der nach dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens gewährten Einsicht Aktenteile unrechtmäßigerweise ausgenommen worden, weshalb auch die Abweisung seines daraufhin erfolgten Antrages auf vollumfängliche Akteneinsicht rechtswidrig sei.

2.6.1. Sofern er sich dabei auf §17 AVG beruft, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass die Bestimmungen des AVG nach ArtI Abs3 Z4 EGVG in Wahlangelegenheiten keine Anwendung finden (vgl zB VfSlg 13.420/1993, 19.733/2013, 20.104/2016; VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua) und weder die Wr. GWO 1996 noch das VwGVG für das Berichtigungsverfahren zum Wählerverzeichnis ein entsprechendes Recht auf Akteneinsicht vorsehen.

Auch aus den in den Verwaltungsverfahrensgesetzen zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vgl VfSlg 19.733/2013) kann im vorliegenden Fall kein unbedingtes Recht auf Akteneinsicht abgeleitet werden. Dem Anfechtungswerber werden zwar durch §§30 und 36 Wr. GWO 1996 ein subjektives Recht auf eine Entscheidung über seinen Berichtigungsantrag und damit die Parteistellung in diesem Verfahren eingeräumt. Abgesehen davon nimmt er jedoch in einem solchen Verfahren keine eigenen rechtlichen Interessen wahr; insbesondere kann er, sofern über seinen Berichtigungsantrag inhaltlich entschieden wird, durch eine solche Entscheidung in keinem subjektiven Recht verletzt sein. Das Berichtigungsverfahren dient vielmehr der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit des wahlbehördlichen Handelns (vgl VfGH 12.6.2020, WIV77/2020 ua).

2.6.2. Dem Anfechtungswerber wurde vor Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entgegen seinem Antrag keine Akteneinsicht gewährt, weil der am 22. August 2020 eingelangte Antrag auf Akteneinsicht dem zuständigen Richter des Verwaltungsgerichtes Wien von der Geschäftsstelle erst einen Tag nach der am 23. August 2020 erfolgten Entscheidung über die Beschwerde zur Kenntnis gebracht wurde. Der zuletzt genannte Umstand kann zwar keine Rechtfertigung darstellen, weil der Antrag jedenfalls noch vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien eingebracht wurde. Aus den folgenden Gründen kann jedoch in der unterbliebenen Akteneinsicht keine Rechtswidrigkeit erkannt werden: Nach §36 Abs2 Wr. GWO 1996 hat das Verwaltungsgericht Wien über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Bezirkswahlbehörde binnen vier Tagen nach dem Einlangen der Beschwerde zu entscheiden. Auf Grund dieser kurzen Frist und der damit zum Ausdruck kommenden Dringlichkeit einer Entscheidung werden in einem solchen Verfahren geringe Anforderungen an das Ermittlungsverfahren gestellt (vgl VfGH 28.2.2019, WIV6/2018 mwN). Vor diesem Hintergrund kommt eine Akteneinsicht im laufenden, binnen vier Tagen abzuschließenden Beschwerdeverfahren nur insoweit in Betracht, als sie unbedingt erforderlich ist. Der Antragsteller hat daher darzulegen, aus welchen besonderen Gründen dies der Fall ist. Dies gilt umso mehr, wenn der Antrag auf Akteneinsicht – wie im vorliegenden Fall – nicht bereits mit der Beschwerde, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt während des bereits laufenden Verfahrens gestellt wird. Da der Anfechtungswerber in seinem Antrag auf Akteneinsicht vom 22. August 2020 keine solchen Gründe dargelegt hat, kann schon aus diesem Grund keine Rechtswidrigkeit darin erkannt werden, dass ihm vor dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens keine Möglichkeit zur Akteneinsicht eingeräumt wurde.

Im Übrigen hat der Anfechtungswerber auch in der vorliegenden Anfechtung nicht überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen eine Akteneinsicht bereits im laufenden Beschwerdeverfahren erforderlich gewesen wäre. Er führt einerseits aus, dass er nach erfolgter Akteneinsicht vorbringen hätte können, dass die vom Berichtigungsantrag betroffene Person der Veröffentlichung ihrer Adresse im Wählerverzeichnis nicht zugestimmt habe. Diesem Vorbringen fehlt bereits deshalb jede Relevanz, weil eine solche Zustimmung nach der maßgeblichen Rechtslage nicht erforderlich ist (siehe Punkt 2.4.). Andererseits bringt der Anfechtungswerber vor, dass ihm eine Gesamtbetrachtung hinsichtlich des Vorliegens eines Hauptwohnsitzes der vom Berichtigungsantrag betroffenen Person nicht möglich gewesen sei und er nach erfolgter Akteneinsicht allenfalls Gegenargumente vorbringen hätte können. Dem ist zu erwidern, dass die für die Begründung der Streichung einer Person aus dem Wählerverzeichnis notwendigen Belege nach §30 Abs3 und §36 Abs2 Wr. GWO 1996 bereits im Berichtigungsantrag bzw in der Beschwerde vorzubringen sind. Schon daraus ist ersichtlich, dass in diesem Verfahren eine Akteneinsicht zum bloßen Zweck, die eigenen "Belege" auf der Grundlage der Ermittlungsschritte des Verwaltungsgerichtes zu ergänzen, nicht in Betracht kommt. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes steht vielmehr die Anfechtung nach Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG zur Verfügung, zu deren Zweck auch nach dem Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien das Recht auf Akteneinsicht bei diesem zusteht.

2.6.3. Letztlich wurde dem Anfechtungswerber vom Verwaltungsgericht Wien nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens am 3. September 2020 dennoch Akteneinsicht gewährt, wobei bestimmte Aktenteile davon ausgenommen wurden.

Dem Verwaltungsgericht Wien ist nicht entgegenzutreten, wenn es den Antrag des Anfechtungswerbers auf vollumfängliche Akteneinsicht abweist. Hinsichtlich des Ausschlusses einer Einsicht in jene Aktenbestandteile, aus denen die Wohnadressen der vom Berichtigungsantrag betroffenen Person und ihrer Familienmitglieder ersichtlich sind, bestehen schon im Hinblick auf die verhängte Meldesperre nach §18 Abs2 MeldeG keine Bedenken. Hinsichtlich der übrigen ausgeschlossenen Aktenbestandteile hat das Verwaltungsgericht eine unbedenkliche Abwägung der Interessen des Anfechtungswerbers gegen die Geheimhaltungsinteressen Dritter (nach Art8 EMRK und §1 DSG) und das Interesse an der Geheimhaltung der Niederschrift über die Sitzung der Bezirkswahlbehörde vorgenommen (vgl zu behördlichen Beratungsprotokollen etwa VfSlg 17.671/2005, 18.332/2007, 19.773/2013; ferner VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021).

IV. Ergebnis

1. Den Anfechtungen ist daher, soweit sie sich gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. August 2020 und den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. September 2020 richten, nicht stattzugeben.

2. Im Übrigen sind die Anfechtungen zurückzuweisen.

3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur in §71a Abs5 VfGG vorgesehen ist (vgl §27 erster Satz VfGG), dessen Anwendung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt (VfSlg 15.357/1998, 15.942/2000, 16.147/2001, 16.311/2001, 17.329/2004).

4. Über den Einwand der Befangenheit einzelner Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ist nicht abzusprechen (vgl zur Unzulässigkeit eines Antrages auf Ablehnung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9462/1982, 11.699/1988, 15.176/1998, 16.258/2001, 19.893/2014, 20.139/2017, 20.242/2017). Im Übrigen sind die von Amts wegen wahrzunehmenden Voraussetzungen einer Ausschließung iSd §12 VfGG nicht gegeben (vgl VfSlg 19.893/2014).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlanfechtung administrative, Wählerevidenz, Akteneinsicht, Wahlbehörden, VfGH / Zuständigkeit, Gemeinderat, Wahlen, Wohnsitz, Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:WIV90.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten