RS Vfgh 2020/11/25 WIV90/2020 ua

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Index

L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art6 Abs3
B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art141 Abs1 liti
B-VG Art141 Abs1 litj
EMRK Art6 Abs1
Wr GemeindewahlO 1996 §20, §22, §30, §34, §36
WählerevidenzG 2018 §1, §2,
MeldeG 1991 §18
AVG §7, §17
EGVG ArtI Abs3 Z4
VfGG §7 Abs1, §67 Abs2

Leitsatz

Abweisung der Anfechtung der Entscheidung des Verwaltungsgericht Wien gegen die vom Beschwerdeführer beantragte Streichung einer Person aus dem Wählerverzeichnis für eine Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl in Wien wegen melderechtlicher Auskunftssperre; Möglichkeit der rechtmäßigen Eintragung in das Wählerverzeichnis für Personen mit Hauptwohnsitz in Wien trotz melderechtlicher Auskunftssperre; keine parteipolitische Befangenheit der - mit Vertretern der Wahlparteien zu besetzenden - Mitglieder der Wahlbehörde; Zulässigkeit der Beschränkung der Akteneinsicht auf Grund der Kürze der Entscheidungsfrist

Rechtssatz

Keine Stattgabe der Anfechtung der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Wien (VGW - LVwG) vom 23.08.2020 betreffend den Antrag auf Streichung einer bestimmten Person aus dem Wählerverzeichnis sowie der Abweisung des Antrags auf Akteneinsicht mit Entscheidung vom 15.09.2020.

Zurückweisung des Antrags, die "Wiener Bezirks- und Gemeinderatswahl 2020" aufzuheben: Da die Anfechtung jedoch vom Anfechtungswerber nicht als Zustellungsbevollmächtigter einer Wählergruppe, sondern zweifelsfrei als Privatperson eingebracht wurde und der Anfechtungswerber auch nicht behauptet, dass ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren aberkannt wurde, fehlt die Anfechtungslegitimation nach §67 Abs2 VfGG. Unzuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über die Anträge, der VfGH möge die vom Berichtigungsantrag betroffene Person aus der Wählerevidenz streichen, ihr das aktive und passive Wahlrecht bei der "Wiener Bezirks- und Gemeinderatswahl 2020" aberkennen sowie die Verschiebung dieser Wahl veranlassen mangels Rechtsgrundlage.

Keine unrechtmäßige Eintragung einer Person in das Wählerverzeichnis:

Die vom Berichtigungsantrag betroffene Person hat nach den Akten, die dem VfGH vorliegen und die auch einen Auszug aus dem Melderegister enthalten, eindeutig ihren Hauptwohnsitz in Wien. Aus dem Akt sind auch umfangreiche Ermittlungen des VGW ersichtlich, welche die bereits durch den Hauptwohnsitz indizierte Annahme belegen, dass die betroffene Person ihren Lebensmittelpunkt in Wien hat. Bei dieser Sachlage erweist sich die Abweisung des Streichungsbegehrens des Anfechtungswerbers als rechtmäßig.

Die Annahme des Anfechtungswerbers, dass die vom Berichtigungsantrag betroffene Person keinen Hauptwohnsitz in Österreich habe, beruht auf der für diese Person bestehenden Auskunftssperre. Nach §18 Abs1 und Abs5 MeldeG hat die Auskunft im Fall einer Auskunftssperre dahingehend zu lauten, dass über die gesuchte Person "keine Daten für eine Meldeauskunft" vorliegen. Der Anfechtungswerber bringt vor, dass diese Regelung verfassungswidrig sei, weil damit gesetzlich eine irreführende "Falschauskunft" angeordnet werde. Auf diesen Einwand ist schon deshalb nicht näher einzugehen, weil es denkunmöglich ist, dass die Regelungen zur Meldeauskunft nach dem MeldeG im vorliegenden Verfahren über einen Antrag zur Berichtigung des Wählerverzeichnisses zur Anwendung kommen.

Der Anfechtungswerber wendet in diesem Zusammenhang auch ein, dass eine Person, für die eine Meldesperre nach dem MeldeG besteht, zu ihrem Schutz nicht in das öffentlich einsehbare Wählerverzeichnis aufgenommen werden dürfe. Dem ist zu entgegnen, dass für eine solche Ausnahme von der öffentlichen Einsicht keine gesetzliche Grundlage besteht. Darin kann der VfGH auch keine unsachliche Rechtslage erblicken, weil das Aufscheinen einer Person in der öffentlich einsehbaren Wählerevidenz nicht mit einer gezielten Suchanfrage hinsichtlich dieser Person im Rahmen einer Meldeauskunft vergleichbar ist.

Keine "parteipolitische Befangenheit" von Mitgliedern der Bezirkswahlbehörde und des VGW:

Soweit der Anfechtungswerber eine "parteipolitische Befangenheit" der Bezirkswahlbehörde auf Grund ihrer Zusammensetzung geltend macht, genügt es auf die stRsp des VfGH hinzuweisen, nach der gegen eine Besetzung der Wahlbehörden mit Vertretern der Wahlparteien nach dem Verhältnis des Stimmenanteils bei der letzten Wahl keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Auf Grund der dementsprechend in §12 Wr GWO 1996 angeordneten Besetzung der Wahlbehörden mit Vertretern von Wahlparteien kann in der Parteizugehörigkeit auch kein Befangenheitsgrund für Mitglieder der Bezirkswahlbehörde nach §34 Wr GWO 1996 iVm §7 AVG bestehen. Entgegen der Ansicht des Anfechtungswerbers sind Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerverzeichnisse und die Streichung von Personen aus Wählerverzeichnissen auch nicht von Art6 EMRK umfasst. Für eine Befangenheit des VGW gibt es mangels substantiierten Vorbringens des Anfechtungswerbers keine Hinweise.

Keine Verletzung im Recht auf Akteneinsicht:

Dem Anfechtungswerber wurde vor Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entgegen seinem Antrag keine Akteneinsicht gewährt, weil der am 22.08.2020 eingelangte Antrag auf Akteneinsicht dem zuständigen Richter von der Geschäftsstelle erst einen Tag nach der am 23.08.2020 erfolgten Entscheidung über die Beschwerde zur Kenntnis gebracht wurde. Der zuletzt genannte Umstand kann zwar keine Rechtfertigung darstellen, weil der Antrag jedenfalls noch vor der Entscheidung des VGW eingebracht wurde. Aus den folgenden Gründen kann jedoch in der unterbliebenen Akteneinsicht keine Rechtswidrigkeit erkannt werden: Nach §36 Abs2 Wr GWO 1996 hat das VGW über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Bezirkswahlbehörde binnen vier Tagen nach dem Einlangen der Beschwerde zu entscheiden. Auf Grund dieser kurzen Frist und der damit zum Ausdruck kommenden Dringlichkeit einer Entscheidung werden in einem solchen Verfahren geringe Anforderungen an das Ermittlungsverfahren gestellt. Vor diesem Hintergrund kommt eine Akteneinsicht im laufenden, binnen vier Tagen abzuschließenden Beschwerdeverfahren nur insoweit in Betracht, als sie unbedingt erforderlich ist. Der Antragsteller hat daher darzulegen, aus welchen besonderen Gründen dies der Fall ist. Dies gilt umso mehr, wenn der Antrag auf Akteneinsicht nicht bereits mit der Beschwerde, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt während des bereits laufenden Verfahrens gestellt wird. Da der Anfechtungswerber in seinem Antrag auf Akteneinsicht vom 22.08.2020 keine solchen Gründe dargelegt hat, kann schon aus diesem Grund keine Rechtswidrigkeit darin erkannt werden, dass ihm vor dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens keine Möglichkeit zur Akteneinsicht eingeräumt wurde.

Im Übrigen hat der Anfechtungswerber auch in der vorliegenden Anfechtung nicht überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen eine Akteneinsicht bereits im laufenden Beschwerdeverfahren erforderlich gewesen wäre. Dem Vorbringen, die betroffene Person habe der Veröffentlichung ihrer Adresse im Wählerverzeichnis nicht zugestimmt, fehlt bereits deshalb jede Relevanz, weil eine solche Zustimmung nach der maßgeblichen Rechtslage nicht erforderlich ist. Die für die Begründung der Streichung einer Person aus dem Wählerverzeichnis notwendigen Belege nach §30 Abs3 und §36 Abs2 Wr GWO 1996 sind bereits im Berichtigungsantrag bzw in der Beschwerde vorzubringen sind. Schon daraus ist ersichtlich, dass in diesem Verfahren eine Akteneinsicht zum bloßen Zweck, die eigenen "Belege" auf der Grundlage der Ermittlungsschritte des Verwaltungsgerichtes zu ergänzen, nicht in Betracht kommt. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes steht vielmehr die Anfechtung nach Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG zur Verfügung, zu deren Zweck auch nach dem Abschluss des Verfahrens vor dem VGW das Recht auf Akteneinsicht bei diesem zusteht.

Dem VGW ist nicht entgegenzutreten, wenn es den Antrag des Anfechtungswerbers auf vollumfängliche Akteneinsicht abweist. Hinsichtlich des Ausschlusses einer Einsicht in jene Aktenbestandteile, aus denen die Wohnadressen der vom Berichtigungsantrag betroffenen Person und ihrer Familienmitglieder ersichtlich sind, bestehen schon im Hinblick auf die verhängte Meldesperre nach §18 Abs2 MeldeG keine Bedenken. Hinsichtlich der übrigen ausgeschlossenen Aktenbestandteile hat das VGW eine unbedenkliche Abwägung der Interessen des Anfechtungswerbers gegen die Geheimhaltungsinteressen Dritter und das Interesse an der Geheimhaltung der Niederschrift über die Sitzung der Bezirkswahlbehörde vorgenommen.

Entscheidungstexte

  • WIV90/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 25.11.2020 WIV90/2020 ua

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlanfechtung administrative, Wählerevidenz, Akteneinsicht, Wahlbehörden, VfGH / Zuständigkeit, Gemeinderat, Wahlen, Wohnsitz, Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:WIV90.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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