TE OGH 2020/12/7 12Os109/20a

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Veröffentlicht am 07.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen Martin M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Martin M***** und Robert-André V***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 7. Juli 2020, GZ 11 Hv 45/20a-93, sowie über die Beschwerden der genannten Angeklagten gegen zugleich gefasste Beschlüsse auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Fall OGH-Geo 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen über die Einziehung und die Konfiskation aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Martin M***** und Robert-André V***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuld- und Freisprüche Mitangeklagter sowie einen ebensolchen Freispruch des Angeklagten Robert-André V***** enthält, wurden Martin M***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (E./I./) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (E./II./) und – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – Robert-André V***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und 4 StGB (C./I./), des Verbrechens der Verleumdung nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (C./II./) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB (E./II./) schuldig erkannt.

Danach haben in B***** und an anderen Orten

C./ Robert-André V***** in einverständlichem Zusammenwirken mit der Mitangeklagten Samantha S***** nachts zum 18. April 2019 Jasmin Z***** dazu zu bestimmen versucht,

I./ vor der Polizeiinspektion B***** als Zeugin im Ermittlungsverfahren gegen Robert-André V***** wegen des Verdachts der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der StPO falsch auszusagen, indem sie sie aufforderten, gegenüber der Polizei zu behaupten, Rupert Vo***** hätte sie in der Nacht vom 17. auf 18. April 2019 zu vergewaltigen versucht;

II./ Rupert Vo***** durch die unter Punkt C./I./ beschriebenen falschen Angaben einer von Amts wegen zu verfolgenden mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich „des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB“, falsch zu verdächtigen und dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung auszusetzen, obwohl sie wussten (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigung falsch war;

E./ Martin M***** und Robert-André V***** in einverständlichem Zusammenwirken am 15. Februar 2020

I./ Alexander L***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich rund 50 Gramm Marihuana, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abgenötigt, indem sie sich in die Wohnung des Alexander L***** begaben und ihn unter Vorhalt einer Gasdruckpistole zur Herausgabe des Marihuanas und von Wertgegenständen aufforderten, wobei Martin M***** ihm mit dem Griff der Pistole auf den Hinterkopf schlug und sie in weiterer Folge die Wohnung des Opfers durchsuchten und das Marihuana an sich nahmen;

II./ im Anschluss und während der zu E./I./ beschriebenen Tathandlung versucht, Alexander L*****, Selina F***** und Daniel U***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei zu nötigen, indem sie ihnen mehrmals sinngemäß androhten, sie würden sie umbringen, sollten sie die Polizei verständigen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden, die der Angeklagte Robert-André V***** auf Z 5, 9 lit a sowie 10 und der Angeklagte Martin M***** auf Z 5 und 9 lit a, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, stützen. Sie schlagen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Martin M*****:

Die zum Schuldspruch E./II./ erhobene Mängelrüge (Z 5) übersieht, dass das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) für seine Tatsachenfeststellungen nicht nur „zwingende“, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse heranziehen darf (vgl RIS-Justiz RS0098471).

Dass das Schöffengericht – der Auffassung des Beschwerdeführers zuwider – die Angaben der Zeugen Alexander L*****, Selina F***** und Daniel U***** zum Bedeutungsinhalt und zur Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerungen im Zusammenhalt mit dem sichtbaren Hantieren mit einer Schusswaffe (US 16 f; 23 bis 26) als belastende Verfahrensergebnisse bewertete, ist somit unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Ob der Zeuge L***** in der Nötigungssituation „von Furcht und Unruhe begleitet“ war, betrifft keinen für den Schuldspruch oder die Subsumtion entscheidenden Umstand (vgl RIS-Justiz RS0106268).

Demgemäß bleibt auch die in diesem Zusammenhang weitergehende Feststellungen zum Geschehensablauf vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) ohne methodengerechte Argumentation.

Gleiches gilt für die Behauptung der angeblichen Verletzung des Zweifelsgrundsatzes (vgl RIS-Justiz RS0099756).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Robert-André V*****:

Der gegen die Schuldsprüche C./I./ und C./II./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde ist voranzustellen, dass sich die Abgrenzung zwischen versuchter und vollendeter Tat auf die Frage des Vorliegens des Milderungsumstands des § 34 Abs 1 Z 13 StGB beschränkt, womit darauf bezogene Feststellungen Strafzumessungstatsachen betreffen und solcherart dem Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO zugehören. Demgemäß werden mit darauf bezogenen Einwänden (anders als bei behauptetem Rücktritt vom Versuch) keine entscheidenden Tatsachen iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO angesprochen (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0122137 [insb T7]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645).

Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) eine Auseinandersetzung mit jenen Teilen der Aussage der Zeugin Z***** vermisst, wonach diese bereits aufgrund der Aufforderung der Angeklagten Samantha S***** entschlossen gewesen sei, die angebliche Vergewaltigung zu erfinden und der Angeklagte V***** insoweit keine Rolle gespielt habe (ON 82 S 13), macht sie den Bezug zu entscheidenden Tatsachen nicht klar. Denn die Beschwerde lässt (im Übrigen zu Recht) die Urteilsannahme, wonach der Angeklagte V***** der genannten Zeugin in weiterer Folge eine gleichsinnige Aufforderung erteilte (US 21), unbekämpft. Davon ausgehend liegt aber strafbares Verhalten des Angeklagten V***** jedenfalls vor. Abgesehen davon wäre selbst dann, wenn die Zeugin Z***** schon aufgrund des ersten Bestimmungsversuchs durch die Angeklagte Samantha S***** zur Tat bereits fest entschlossen gewesen sein sollte („omnimodo facturus“) von einem gemäß § 15 Abs 2 StGB strafbaren Bestimmungsversuch des Angeklagten V***** auszugehen (vgl RIS-Justiz RS0109797).

Soweit die Beschwerde aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO die verfehlte Annahme vollendeter Taten behauptet, genügt der Verweis auf die eingangs getätigten Ausführungen.

Unter dem Aspekt einer Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) dringt der Rechtsmittelwerber ebenfalls nicht durch, sind doch die Tatrichter ohnedies unzweifelhaft von bloß versuchter Bestimmungstäterschaft ausgegangen (vgl US 4, 14 f).

Bleibt anzumerken, dass das verfehlte Unterbleiben der Zitierung des § 15 StGB im Urteilsspruch (vgl US 5) unter Nichtigkeitsaspekten nicht schadet (vgl 15 Os 27/20i; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 46).

Aus welchem Grund der Widerruf der falschen Verdächtigung durch Jasmin Z***** nach entsprechender Rechtsbelehrung durch die einschreitende Polizeibeamtin (US 15) – als (bestenfalls möglicher) Akt tätiger Reue (§ 297 Abs 2 StGB; vgl RIS-Justiz RS0096870; Tipold SbgK § 297 Rz 61 ff) in Bezug auf die Beseitigung einer bereits eingetretenen Gefahr behördlicher Verfolgung – die Strafbarkeit (nicht nur des unmittelbaren Täters, sondern auch) des Bestimmungstäters beseitigen können soll, erklärt die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht.

Die gegen den Schuldspruch E./II./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) nimmt mit ihrer Behauptung, die dem Angeklagten zur Last gelegten Nötigungshandlungen seien als mit dem Raubgeschehen verbundene Einheit zu betrachten, welche kraft Scheinkonkurrenz (typische Begleittat) hinter den Raub zurückzutreten hätten, prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit des im Urteil festgestellten Sachverhalts (vgl RIS-Justiz RS0099810 [T31]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.208). Denn danach zielte die vor Verlassen der Wohnung des Raubopfers (ua) gegen Selina F***** und Daniel U***** gerichtete Todesdrohung auch darauf ab, die – nicht anwesende – Vanessa J***** „aus dem Spiel zu lassen“ (US 16 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – jedoch davon, dass dem Konfiskations- und dem Einziehungserkenntnis eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) anhaftet:

Das Erstgericht sprach – ohne diese Strafe (vgl RIS-Justiz RS0129178) einem konkreten Angeklagten zuzuordnen (vgl 11 Os 35/18h) – „gemäß § 19a StGB“ die Konfiskation der „sichergestellten Waffen“ sowie weiters „gemäß § 34 SMG iVm § 26 StGB“ die Einziehung der „sichergestellten Suchtgifte“ aus (US 8). Solcherart wird der jeweilige Gegenstand dieser Aussprüche nicht ausreichend determiniert (vgl RIS-Justiz RS0121298 [T9]; Fuchs/Tipold in WK² StGB § 19a Rz 50). In Bezug auf die „sichergestellten Waffen“ fehlen überdies entsprechende Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen im relevanten Zeitpunkt (statt vieler 13 Os 49/15b).

Da sich die Berufungen der Angeklagten nicht gegen diese Erkenntnisse richten (§ 294 Abs 2 StPO), kann das Oberlandesgericht darüber nicht entscheiden (RIS-Justiz RS0119220 [T9, T10]). Die Aussprüche über die Einziehung und die Konfiskation waren daher aufzuheben und im Umfang der Aufhebung dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 285e StPO).

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden waren die Akten jedoch vorerst dem Oberlandesgericht Graz zuzuleiten (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a StPO.

Textnummer

E130089

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00109.20A.1207.000

Im RIS seit

18.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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