Entscheidungsdatum
12.08.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G306 2007250-4/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria alias Togo, vertreten durch dir ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zahl: XXXX , und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2019 bis XXXX .2019, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Schubhaftbescheides wird stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt.
II. Der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft wird stattgegeben, und die Anhaltung von XXXX .2019, 12:06 Uhr, bis zum XXXX .2019, 12:55 Uhr, für rechtswidrig erklärt.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark vom XXXX .2019, vom Beschwerdeführer (BF) persönlich am selben Tag übernommen, wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet.
Der BF befand sich aufgrund dieses Bescheides in der Zeit von XXXX .2019, 11:30 – XXXX .2019, 12:55 Uhr im XXXX in Schubhaft.
Mit dem am 17.09.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingebrachten und datierten Schriftsatz erhob der BF, durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter (RV), Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Schubhaftbescheid und die Anhaltung von XXXX .2019 bis XXXX .2019 in Schubhaft.
In der Beschwerde wurde beantragt, das BVwG möge eine mündliche Verhandlung durchführen; die Schubhaftnahme und Anhalt in Schubhaft von XXXX .2019 bis XXXX .2019 für rechtswidrig erklären sowie der belangten Behörde aufzutragen, die Verfahrenskosten zu ersetzen.
Auf Grund der entsprechenden Verfügung des BVwG zur Aktenvorlage wurden vom BFA, RD Steiermark, am 18.09.2019 der Bezug habende Verwaltungsakt, ohne Abgabe einer Stellungnahme, zur gegenständlichen Schubhaftbeschwerde dem BVwG elektronisch übermittelt.
Mit Mail vom 17.12.2019 brachte die RV eine Konkretisierung ihres Antrags auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG ein und legte den Verfahrensleitenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 05.12.2019 in Vorlage. Der BF brachte zur vorangegangenen Schubhaftbeschwerde und ho ergangenes Erkenntnis vom 09.07.2019 mündlich verkündet und am 10.10.2019 schriftlich ausgefertigt, Zahl G306 2007250-3/10E, eine außerordentliche Revision ein.
Mit Beschluss des BVwG vom 07.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die außerordentliche Revision zur Zahl Ra 2019/21/0367, ausgesetzt.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.04.2020, wurde der außerordentlichen Revision stattgegeben und das Erkenntnis zur vorangegangenen Schubhaftbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Mit Beschluss des BVwG vom 25.06.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren fortgesetzt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Der Beschwerdeführer (BF) führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und behauptet, Staatsangehöriger von Togo zu sein. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.
Der BF verfügt über keine Dokumente und über keine Berechtigung zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet und zum Aufenthalt in diesem. Der BF reiste bereits im Jahr 2012 erstmalig illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.02.2012 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund der Zuständigkeit Spaniens „Dublin Fall“ wurde der Antrag am 27.03.2012 (rechtskräftig) zurückgewiesen und der BF am XXXX .2012 nach Spanien rücküberstellt. Der BF reiste jedoch im Februar 2013 wieder illegal in das Bundesgebiet ein. Er wurde am XXXX .2013 im Zuge einer polizeilichen Kontrolle im Bundesgebiet aufgegriffen und festgenommen. Über den BF wurde die Schubhaft verhängt. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde vom damals zuständigen UVS Wien am 09.04.2013 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die weitere Anhaltung in Schubhaft notwendig sei. Der BF wurde am XXXX .2013 aufgrund seines „Hungerstreikes“ aus der Schubhaft entlassen. Infolge tauchte der BF wieder unter. Am XXXX .2013 konnte der BF wieder im Zuge einer polizeilichen Kontrolle angetroffen und festgenommen werden. In einer Einvernahme beim BFA am XXXX .2014 brachte er unter anderem vor, dass er nach seiner Entlassung 2013 nach Italien gereist sei. Anfang 2014 sei er dann mit dem Zug nach Österreich zurückgekommen, um hier Arbeit zu suchen bzw. finanzielle Unterstützung zu erhalten. Er habe Italien verlassen, weil er dort nicht viel Hilfe erhalten habe. Der BF habe keine Unterhaltsmittel und lebe von der Unterstützung durch eine karitative Organisation.
Mit Bescheid des Bundesamtes, Regionaldirektion Wien, vom 10.04.2014 (dem BF zugestellt am 10.04.2014), IFA XXXX , wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berück-sichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 idgF nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 6 FPG idgF erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Spanien zulässig sei (Spruchpunkt I.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß 18 Abs. 2 Z 1 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einrei-severbot erlassen (Spruchpunkt III.). Laut Rechtsberatung sei dagegen eine Beschwerde erhoben worden. Weder das BFA noch das erkennende Gericht konnte in Erfahrung bringen, ob dies tatsächlich passiert ist. Auf alle Fälle gibt es keinen Bezug habenden Akt beim BVwG.
Der BF stellte am 11.01.2018 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz über welchen zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Schubhaftbescheides noch nicht entschieden war. Grund dafür ist einerseits, dass sich der BF in Strafhaft befunden hat und andererseits, dass ein Sprachgutachten in Auftrag gegeben wurde.
Der BF weist im Bundesgebiet folgende Daten im Zentralen Melderegister auf:
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde Wien (GKZ 90001)
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet 09.08.2019 - Hauptwohnsitz
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet XXXX .2019 - XXXX .2019 Hauptwohnsitz
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber PAZ XXXX
Gemeldet XXXX .2019 - XXXX .2019 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2019 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet XXXX .2018 - XXXX .2019 Hauptwohnsitz
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber JA XXXX
Gemeldet XXXX .2014 - XXXX .2015 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2014 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber PAZ XXXX
Gemeldet XXXX .2014 - XXXX .2014 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2014 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber PAZ
Gemeldet XXXX .2014 - XXXX .2014 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2014 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber PAZ
Gemeldet XXXX .2013 - XXXX .2013 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2013 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber PAZ
Gemeldet XXXX .2012 - XXXX .2012 Hauptwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2012 –
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber Justizanstalt XXXX
Gemeldet XXXX .2018 - XXXX .2019 Nebenwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2018 –
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber JA XXXX
Gemeldet XXXX .2018 - XXXX .2018 Nebenwohnsitz
Auskunftssperre XXXX .2018 -
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet 25.02.2015 - 12.10.2016 Obdachlos
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet 14.06.2013 - 28.01.2014 Obdachlos
Straße XXXX
Postleitzhal XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet 26.07.2012 - 27.03.2013 Obdachlos
Straße XXXX
Postleitzahl XXXX
Ortsgemeinde XXXX
Unterkunftgeber XXXX
Gemeldet 22.03.2012 - 07.05.2012 Obdachlos
Der BF weist im Bundesgebiet folgende strafrechtliche Verurteilungen auf:
01) LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX .2014 RK XXXX .2014
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX .2014
Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 7 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum XXXX .2015
zu LG F.STRAFS. XXXX RK XXXX .2014
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am XXXX .2015
LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX .2015
zu LG F.STRAFS. XXXX RK XXXX .2014
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum XXXX .2015
LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX .2018
02) LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX .2018 RK XXXX .2018
§ 28a (1) 5. Fall SMG
Datum der (letzten) Tat XXXX .2018
Freiheitsstrafe 20 Monate
zu LG F.STRAFS. XXXX RK XXXX .2018
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX .2019, bedingt, Probezeit 3 Jahre
LG XXXX vom XXXX .2019
Der BF wurde am XXXX .2019 aus der Strafhaft bedingt entlassen.
Der BF wurde aufgrund eines Festnahmeauftrages am XXXX .2019 festgenommen und über ihn die Schubhaft verhängt.
Der BF wurde in Folge am XXXX .2019 aus der Schubhaft entlassen. Er wurde stationär am LKH XXXX aufgenommen. Als der BF am XXXX .2019 wieder aus dem LKH entlassen wurde, wurde der gegenständliche Schubhaftbescheid erlassen und der BF neuerlich in Schubhaft genommen.
Der BF wurde am XXXX .2019 wieder aus der Schubhaft entlassen, da dieser neuerlich stationär im LKH XXXX aufgenommen wurde.
Der BF verfügt in Österreich weder über familiäre, berufliche noch über soziale Anknüpfungspunkte. Der BF verfügt über keine ausreichenden Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Der BF stellte im Bundesgebiet zuletzt am 11.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.
Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im gegenständlichen Verfahren.
Die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestritten gebliebenen Akteinhalt.
Der BF hat bislang keinerlei Bereitschaft gezeigt, sich an eine gegebene Rechtsordnung zu halten. Ganz im Gegenteil, hält sich doch der BF seit vielen Jahren, zumindest seit dem Jahr 2011 in diversen europäischen Staaten, durch vorhergehenden illegalen Einreise auf. Der BF zeigte sich in den letzten Jahren über sehr mobil und setzte sich, ohne die erforderlichen Dokumente dafür zu haben, über Staatsgrenzen hinweg. Er reist quer durch Europa und hielt sich zumindest in den Staaten Schweiz, Italien, Spanien, Deutschland und Österreich auf. Der BF ist selbst Suchtgiftkonsument und wurde im Bundesgebiet bereits zweimal nach dem Suchtmittelgesetz strafrechtlich rechtskräftig verurteilt. Der BF befand sich auch schon mehrmals im Bundesgebiet in Schubhaft wobei er sich zweimal aufgrund seines „Hungerstreiks“ freipresste. Er akzeptiert keinerlei behördliche wie gerichtliche Entscheidungen, sondern vermeint, hier in Österreich verbleiben zu können.
Auf Grund des bisherigen Gesamtverhaltens hat sich der BF insgesamt als nicht vertrauenswürdig erwiesen.
Rechtliche Beurteilung:
Gegenständlich ist das BVwG verhalten – zumal dem Gesetz keine Verpflichtung zu einer zweiten „Entscheidung in der Sache“ zu entnehmen ist, die Überprüfung des bekämpften Bescheides auf eine reine Kontrolltätigkeit zu beschränken (siehe § 22a Abs. 1a BFA-VG). Eine Sanierung eines - rechtswidrigen – Schubhaftbescheides käme einer Konvalidierung gleich und ist daher nicht zulässig.
§ 76 Abs. 2 Ziffer 1 FPG: Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
…..
Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3).
Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77 leg. cit.) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.
§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
Da die Verhängung von Schubhaft nach ständiger Rechtsprechung des VwGH nur "ultima ratio" sein kann, ist die Behörde für den Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden angehalten, ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026 mit Verweis auf E vom 25.04.2014, 2013/21/0209).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn besondere Umstände vorliegen, die im jeweiligen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. VwGH 05.07.2011,
Zl. 2008/21/0080 mwN). Dabei bedarf es in dem frühen Verfahrensstadium (etwa vor Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung, können dann unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (vgl. VwGH 23.09.2010, Zl. 2007/21/0432 mwN).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Die belangte Behörde hat den vorliegenden Schubhaftbescheid auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gestützt:
„dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,“
Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend aufgezeigt hat, hat sich der BF im bisherigen Verfahren nicht an die Rechtsvorschriften gehalten und war auch nur begrenzt kooperativ. Der BF hat durch seine vielzähligen Reisen durch Europa gezeigt, dass er sehr mobil ist und sich ohne weiteres auch illegal über Staatsgrenzen hinwegsetzt. Des Weiteren hat der BF auch im laufenden Asylverfahren den Behörden dadurch entzogen, dass er das Grundversorgungsquartier verlassen hat und unangemeldet untertauchte. Der BF besitzt keinerlei Dokumente. Der BF hält sich illegal im Bundesgebiet auf und hat keinerlei finanzielle Mittel. Der BF hat im Bundesgebiet keine familiären sowie soziale Bindungen.
Die belangte Behörde hat dem BF aufgrund seines bisherigen Verhaltens zur Recht eine vorliegende Fluchtgefahr unterstellt.
Die belangte Behörde hat es jedoch vollkommen unterlassen, in Bezug auf das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 67 FPG, eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose zu erstellen.
In Bezug auf Gefährdungsprognosen ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei deren Erstellung das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dessen Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne Weiteres die erforderliche Gefährdungsprognose begründen können (sieh zB. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305, Rn. 10).
Vor diesem Hintergrund muss dem Vorbringen in der Beschwerde beigetreten werden, wenn diese anführt, dass das BFA die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, was den Anforderungen einer Gefährdungsannahme im Sinne des § 67 FPG betrifft, unberücksichtigt gelassen hat. Die belangte Behörde begnügt sich in ihrem bekämpften Bescheid mit einer hineinkopierten Strafregisterauskunft. Auf Art und Schwere der den Strafurteilen zugrundeliegenden Taten wurden vom BFA im Schubhaftbescheid – in keiner Weise -eingegangen, was die Annahme des Vorliegens einer Gefährdung im Sinne des § 67 FPG für das BVwG nicht überprüfbar macht.
Die Verhängung einer Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ist auch daran geknüpft, ob die Verhängung verhältnismäßig ist. Im Rahmen dieser Prüfung ist auch die Frage der Dauer des noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens zu berücksichtigen (siehe zB VwGH 17.04.2020, Ro 2020/21/0004, Rn. 10 und 11). Der BF stellte am 11.01.2018 einen weiteren Asylantrag über welchen zum Zeitpunkt der gegenständlichen Erlassung des Schubhaftbescheides noch nicht entschieden war. Die belangte Behörde hat sich in ihrem bekämpften Bescheid damit überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern führt zur rechtlichen Position des BF in Österreich an, dass er am 11.01.2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, über welchen noch nicht entschieden sei. Der Grund dafür liege einerseits daran, dass sich der BF zwischenzeitlich in Strafhaft befunden habe und andererseits, dass ein Sprachgutachten noch nicht abgeschlossen sei. Diese Ausführungen sagen jedoch nichts darüber aus, bis wann das anhängige Asylverfahren endet und die Maßnahmen zur Außerlandesbringung stattfinden können. Dies ist jedoch Voraussetzung um die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft prüfen zu können.
Der angefochtene Schubhaftbescheid war daher, schon aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Rechtlage, für rechtswidrig zu erklären und zu beheben. Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides war auch die darauf fußende Inschubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft für den oben angeführten Zeitraum rechtswidrig.
Gegenständlich handelt es sich um einen „wesentlichen“ Begründungsmangel und wurde auch berücksichtigt, dass es sich um einen Mandatsbescheid handelt. Jedoch bedürfen auch derartige Bescheide – nach herrschender Ansicht – einer Begründung (vgl. Hegstschläger/Leeb, AVG § 57 Rz 11).
Zum Ausspruch über den Ersatz der Aufwendungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.):
Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe sinngemäß, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
Der mit „Kosten“ betitelte § 35 VwGVG lautet:
„§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.
(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:
1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,
2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie
3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.
(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.
(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.“
Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:
„1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro
2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro
3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro
4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro
5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro
6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro
7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro.“
Da die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt wurden, ist die beschwerdeführende Partei gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei.
Es war daher spruchgemäß der beschwerdeführenden Partei als obsiegende Partei der Schriftsatzaufwand in der Gesamthöhe von 736,20 Euro zuzusprechen.
Die belangte Behörde stellte keinen Kostenantrag und war daher darüber auch nicht abzusprechen.
Zu Spruchpunkt B. (Unzulässigkeit der Revision):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.
Schlagworte
Anhaltung Interessenabwägung Pandemie Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2007250.4.02Im RIS seit
17.12.2020Zuletzt aktualisiert am
17.12.2020