TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 W127 2164126-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W127 2164126-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. FISCHER-SZILAGYI über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und dessen Obmann Dr. Lennart Binder LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.11.2015 und der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 07.04.2017 begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung dahingehend, er habe in Afghanistan in einer amerikanischen „Sicherheitszentrale“ bzw. einem „US-Trainingscenter“ gearbeitet und sei deshalb von Nachbarn beschimpft und von Taliban bedroht worden.

2. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

In der Begründung wertete das Bundesamt das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als unglaubhaft und verneinte auch bei Wahrunterstellung eine asylrelevante Verfolgung. Dem Beschwerdeführer stehe weiters offen, sich in einem anderen Stadtteil von Mazar-e Sharif oder in Kabul niederzulassen.

3. Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der gesamte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften – insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens – bekämpft.

4. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 12.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 02.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer und sein Bruder wurden im Beisein ihres Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari insbesondere zu ihren Fluchtgründen und zu ihrer Situation in Österreich befragt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde den Parteien nach Erörterung der Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

6. Mit Schreiben vom 06.07.2020 wurden dem Beschwerdeführer zur aktuellen Lage in Afghanistan – insbesondere auch im Hinblick auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie – weitere Länderberichte zur Kenntnis gebracht und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt. Unter einem wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, allfällige Änderungen in persönlicher Hinsicht, die seit der Verhandlung am 02.10.2019 eingetreten sind, anzugeben.

7. Mit Schreiben vom 20.07.2020 und 24.07.2020 brachte der Beschwerdeführer unter anderem Bestätigungen betreffend seinen Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sowie seine Aufnahme in das Katechumenat der katholischen Kirche zur Vorlage.

8. Am 26.08.2020 wurde die mündliche Verhandlung fortgesetzt und der Beschwerdeführer im Beisein seiner Vertreterin zu Änderungen seiner privaten Situation in Österreich befragt. Der Beschwerdeführer sowie eine vom Beschwerdeführer stellig gemachte Zeugin machten zu dem nunmehr vorgebrachten Glaubenswechsel des Beschwerdeführers zum Christentum nähere Angaben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die vorliegenden Verwaltungsakten und in die Gerichtsakten betreffend den Beschwerdeführer und dessen Bruder, durch Befragung des Beschwerdeführers und seines Bruders in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, aktualisiert mit 29.06.2020; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; EASO, Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019; EASO Country of Origin Information Report Afghanistan: Networks, Jänner 2018; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekannte sich jedenfalls bis Oktober 2019 zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 03.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Stadt Mazar-e Sharif, Provinz Balkh, geboren, und hat dort zwölf Jahre lang die Schule besucht und diese erfolgreich abgeschlossen. Anschließend hat er sechs Semester Politikwissenschaften studiert und von 20.02.2012 bis 15.12.2014 als Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle (security screener) eines U.S. Trainingscenters in Mazar-e Sharif gearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan ungefähr Mitte Mai 2015 gemeinsam mit seinem Bruder XXXX verlassen, die beiden reisten aber getrennt nach Österreich und der Bruder des Beschwerdeführers stellte bereits am 25.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer verfügt weiterhin über Verwandte in seiner Heimatregion.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, arbeitsfähig, ledig und hat keine Kinder. Er hat in Österreich außer seinem Bruder, mit dem er nicht im selben Haushalt lebt und zu dem auch kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis besteht, keine nahen Familienangehörigen oder sonstige enge Bindungen. Der Beschwerdeführer ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er hat in Österreich einen Werte- und Orientierungskurs sowie zahlreiche weitere Kurse und Workshops besucht und die Prüfung ÖSD Zertifikat B1 bestanden. Der Beschwerdeführer hat oftmals gemeinnützige sowie ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet und verbringt seine Freizeit auch in einem Sportverein und einer Theatergruppe. Insbesondere im Rahmen dieser Freizeitaktivitäten hat der Beschwerdeführer auch österreichische Bekannte bzw. Freunde. Er ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung durch Taliban aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Mitarbeiter einer Sicherheitskontrolle für ein U.S. Trainingscenter in Mazar-e Sharif ausgesetzt. Der Beschwerdeführer wurde wegen dieser Tätigkeit auch nicht von sonstigen Personen in seiner Nachbarschaft in einem erheblichen Ausmaß diskriminiert oder bedroht.

Dem Beschwerdeführer droht auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. aufgrund seiner (bisherigen) Religionszugehörigkeit weder Gewalt noch Diskriminierung von erheblicher Intensität.

Der Beschwerdeführer ist am 10.07.2020 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten und praktiziert seinen bisherigen Glauben derzeit nicht. Er beschäftigt sich seit dem 17.05.2020 intensiver mit dem christlichen Glauben und wurde am 22.07.2020 in das Katechumenat der katholischen Kirche aufgenommen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bereits zum Christentum konvertiert ist oder den islamischen Glauben aus innerer Überzeugung ablehnt bzw. offen kritisiert. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in eine afghanische Großstadt keine physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung aufgrund eines ihm unterstellten Glaubensabfalls bzw. einer ihm unterstellten Konversion zum Christentum.

Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9 % Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30 % der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten: In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Etwa 99,7 % der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, der Großteil davon sind Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10 bis 19 % der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie beispielsweise Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt. Eine Person wird allerdings in Afghanistan nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt, da es auch viele Muslime gibt, die nicht regelmäßig die Moschee besuchen. Auch für strenggläubige Muslime kann es darüber hinaus legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben.

Für als „verwestlicht“ wahrgenommene Männer besteht in Afghanistan generell nur ein geringes Verfolgungsrisiko – insbesondere im urbanen Bereich.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiteten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gegen ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung vorgehen.

Bei der Beurteilung, ob Angehörige der Sicherheitskräfte im konkreten Fall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, sind die individuellen Umstände zu berücksichtigen, wie etwa Arbeitsort und Exponierung, Herkunftsregion und Präsenz von Aufständischen, Zeitspanne seit dem Verlassen der Sicherheitskräfte und persönliche Feindschaften.

Die nordafghanische Provinz Balkh ist von hoher strategischer Bedeutung und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e Khumri und ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut, es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Nach Schätzungen leben nahezu 1,5 Millionen Menschen in der Provinz Balkh, davon etwa 470.000 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, die von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Die Provinz Kabul liegt in Zentralafghanistan östlich von Parwan und Wardak und hat laut Schätzungen etwa 5 Millionen Einwohner. Außerhalb der Hauptstadt sind von den aufständischen Gruppierungen in Afghanistan vor allem die Taliban aktiv, Berichten zufolge stehen aber keine Distrikte unter der Kontrolle von Aufständischen. Die Hauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul-Stadt ist über den Flughafen gut zu erreichen. Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Die Lage in der Hauptstadt ist noch als hinreichend sicher und stabil zu bezeichnen, wenngleich es immer wieder zu Anschlägen mit zahlreichen Opfern kommt. Diese Anschläge ereignen sich allerdings oft im Nahbereich von staatlichen bzw. ausländischen Einrichtungen oder NGOs. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, dennoch führten Aufständische sowohl im gesamten Jahr 2018 als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen. Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden. Dabei kam es auch zu zivilen Opfern. Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch.

Herat ist eine wirtschaftlich relativ gut entwickelte Provinz im Westen des Landes und ist über einen internationalen Flughafen in der Provinzhauptstadt gut erreichbar. Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer mehrheitlich paschtunischen Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert und besonders der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt, die als „sehr sicher“ gilt, und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Auch in Herat-Stadt ist ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität zu verzeichnen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48 % gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Nahrungsmittel, grundlegende Gesundheitsversorgung und Zugang zu Trinkwasser sind in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif grundsätzlich verfügbar. Die humanitäre Situation in Afghanistan hat sich durch eine schwere Dürre – insbesondere die Regionen im Norden und Westen des Landes – weiter verschärft, die Preise für Weizen und Brot blieben dennoch vergleichsweise stabil. Durch eine verstärkte Landflucht wurde zusätzlich auch die Wohnraumbeschaffung und Arbeitssuche erschwert.

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an. Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens. Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt. IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt. In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind Unterkünfte grundsätzlich verfügbar, aufgrund der hohen Mietkosten für (reguläre) Wohnungen und Häuser – insbesondere in der Stadt Kabul – lebt ein großer Teil der Bevölkerung aber in informellen Siedlungen bzw. gibt es auch die Möglichkeit, nur ein Zimmer zu mieten oder in Teehäusern (chai khana) zu übernachten.

Zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan:

Berichten zufolge haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet.

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Die Regierung Afghanistans gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert.

Die Vorgaben der Regierung werden oft nicht befolgt und die Durchsetzung erfolgt nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet.

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden.

Am 18.07.2020 kündigte die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.

Verschiedenen COVID-19-Modellen zufolge wurde der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 bis 31 Prozent gestiegen sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und (bisherigen) religiösen Zugehörigkeit, Schulbildung und Berufstätigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden und mit den vorgelegten Unterlagen in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zum Alter, Familienstand, zur Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen plausible Angaben.

Hinsichtlich der in Afghanistan lebenden Verwandten des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer behauptet hat, dass seine Kernfamilie im Iran lebe und er lediglich eine Tante in Mazar-e Sharif habe, zu der er allerdings keinen Kontakt habe. Hiezu ist einerseits festzuhalten, dass kein plausibler Anhaltspunkt hervorgekommen ist, warum es dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich sein sollte, den Kontakt wiederaufzunehmen und darüber hinaus unter Berücksichtigung der Gegebenheiten in Afghanistan sowie des Umstandes, dass die Familie des Beschwerdeführers aus Mazar-e Sharif stammt und dort jedenfalls bis zu der vorgebrachten Ausreise im Jahr 2016 gelebt hat, davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer über weitere – allenfalls entfernte – Verwandte in Afghanistan verfügt (vgl. EASO Country of Origin Information Report Afghanistan: Networks, Jänner 2018).

Hinsichtlich des Aufenthaltes und der Antragstellung des Bruders des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich die Feststellungen auf den Inhalt seines Verwaltungs- bzw. Gerichtsaktes. Die Feststellungen zum Nicht-Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes bzw. Abhängigkeitsverhältnisses beruhen auf Abfragen des Zentralen Melderegisters und wurde vom Beschwerdeführer und seinem Bruder auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und den damit in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers.

Hinsichtlich der Feststellungen zu dem aktuellen Privat- und Familienleben sowie insbesondere der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise und Empfehlungsschreiben den Feststellungen zugrunde gelegt. Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung geht aus einem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS) hervor. Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund von widersprüchlichen Angaben als unglaubhaft. Auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, die Widersprüche und Ungereimtheiten in seinem Vorbringen schlüssig zu erklären.

Während der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 05.11.2015 angegeben hat, er habe aufgrund seiner Arbeit für Amerikaner „immer wieder Drohbriefe bekommen“, brachte er in der Folge vor dem Bundesamt und auch vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, lediglich einen Drohbrief erhalten zu haben. Wenngleich die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. zu Widersprüchen zur Erstbefragung VwGH 24.02.2015, Ra 2014/19/0171 mwN), ist dieser deutliche Widerspruch auch nicht mit der besonderen Situation bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärbar.

Auch der Bruder des Beschwerdeführers erstattete im Übrigen in seiner Erstbefragung am 27.09.2015 von den Angaben des Beschwerdeführers abweichendes Vorbringen und führte zu seinem Fluchtgrund unter anderem aus, sie hätten „von der Regierungspartei einen Drohbrief erhalten“.

Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung auch nicht plausibel erklären, warum Taliban den Beschwerdeführer, nachdem dieser von 20.02.2012 bis 15.12.2014 als Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle eines U.S. Trainingscenters in Mazar-e Sharif gearbeitet hat, erst am 11.05.2015 (21.02.1394) – sohin fünf Monate nach Beendigung der ihm angeblich seitens der Taliban vorgeworfenen Tätigkeit – erstmals bedrohen würden. Dies umso mehr vor dem Hintergrund der Feststellungen zur vergleichsweise guten Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif und der Aussage des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt, er habe (in Afghanistan) persönlich keinen Taliban gesehen.

Zu dem – lediglich als Kopie – vorgelegten Drohbrief ist festzuhalten, dass aufgrund der dargelegten Ungereimtheiten erhebliche Zweifel an der Echtheit des Schreibens bestehen, das auch bei Vorlage im Original aufgrund unterschiedlicher Gestaltung von Drohbriefen der Taliban sowie in Ermangelung von Sicherheitsmerkmalen kaum überprüfbar wäre (vgl. EASO Country of Origin Information report Afghanistan: Insurgent strategies – intimidation and targeted violence against Afghans, Dezember 2012, Pkt. 1.1.1; vgl. auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.06.2016 zum Thema Drohbriefe, S. 83 ff des angefochtenen Bescheides). Auch das im Verfahren des Bruders des Beschwerdeführers vorgelegte Schreiben „Zeugen Brief“, in dem jemand, der sich als Rechtsanwalt namens Amanullah bezeichnet, – ohne nähere Ausführungen – bezeugt, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder Morddrohungen von Taliban erhalten hätten, ist nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu stärken, zumal der Beschwerdeführer (jedenfalls vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht) angegeben hat, ausschließlich mittels des genannten Drohbriefs bedroht worden zu sein, den der Vater des Beschwerdeführers am Weg zu seiner Arbeit vor der Haustür gefunden habe. Da nicht vorgebracht wurde, dass bei Ablieferung bzw. Auffindung des Drohbriefes andere Personen anwesend gewesen seien, ist nicht davon auszugehen, dass der genannte Rechtsanwalt eigene Wahrnehmungen gemacht haben könnte, um gegen den Beschwerdeführer gerichtete „Morddrohungen von Talibanen“ bezeugen zu können. Wie bereits vom Bundesamt ausgeführt wurde, ist im Ergebnis daher von einem Gefälligkeitsschreiben auszugehen.

Der Beschwerdeführer könnte darüber hinaus einer Bedrohung durch Taliban in seiner Heimatregion in der Stadt Mazar-e Sharif auch durch eine Neuansiedlung in Kabul oder Herat entgehen, da jedenfalls keine Hinweise hervorgekommen sind, dass in ganz Afghanistan nach dem Beschwerdeführer gesucht wird.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppen- und (bisherigen) Religionszugehörigkeit, seiner rechtswidrigen Ausreise, seiner Asylantragstellung sowie aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch kein Vorbringen zu bereits erfolgten oder konkret drohenden Diskriminierungen oder Übergriffen erstattet. Konkrete Anhaltpunkte für eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers sind auch sonst nicht hervorgekommen.

Zu der ins Treffen geführten Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung am 26.08.2020 selbst angegeben hat, sich bis zur Taufe seines Bruders am 17.05.2020 „[n]icht so viel“ mit dem christlichen Glauben beschäftigt zu haben. Erst aufgrund der Taufe des Bruders sei er zum Entschluss gekommen, dass er Christ werden wolle. Vor dem Hintergrund des erst dreieinhalb Monate zurückliegenden Beginns der Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten, des erst vor eineinhalb Monaten begonnen Katechumenats und der noch recht oberflächlichen Kenntnisse des Beschwerdeführers (auf die Frage seines Vertreters nach dem Beschwerdeführer bekannten Gebet, gab dieser etwa an, er habe sich „frisch damit beschäftigt“, aber das „Vater unser“ könne er schon), ist auch unter Berücksichtigung der Angaben der befragten Zeugin, die den Beschwerdeführer erst seit etwa Mitte Juni 2020 kennt, derzeit noch nicht davon auszugehen, dass er einen von innerer Überzeugung getragenen Glaubenswechsel zum Christentum bereits vollzogen hat.

Wie aus den vorgelegten Bestätigungen einer Bezirkshauptmannschaft sowie eines katholischen Pfarrers hervorgeht, ist der Beschwerdeführer am 10.07.2020 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten und wurde am 22.07.2020 in das Katechumenat der katholischen Kirche aufgenommen. Aufgrund der beginnenden Hinwendung zum Christentum ist daher davon auszugehen, dass er seinen bisherigen Glauben derzeit nicht praktiziert, ein Glaubensabfall und insbesondere eine nach außen getragene Ablehnung islamischer Lehren ist jedoch nicht zu erkennen. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, sich bereits in Afghanistan kritisch mit dem Islam auseinandergesetzt zu haben, sondern hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung angegeben, erst nach der Hinwendung seines Bruders zum Christentum (ab dem Jahr 2019) erkannt zu haben, dass er auf dem „falschen Weg“ sei. Hiezu ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer eine – allenfalls beginnende – Abwendung vom Islam in der Verhandlung am 02.10.2019 nicht angegeben hat. In Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers in dieser Verhandlung zu seiner Meinung über andere Religionen („Ich hatte schon immer Respekt vor allen Religionen, diesen Respekt habe ich auch jetzt, und werde ihn auch in der Zukunft haben.“) ist daher in der Gesamtbetrachtung nicht von einer bereits vollzogenen Abwendung vom Islam und insbesondere auch im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht von einem solchen Verhalten auszugehen, dass eine Ablehnung des Islams oder eine kritische Haltung gegenüber islamischen Glaubensinhalten bzw. Traditionen für andere Personen im Umfeld des Beschwerdeführers erkennbar wäre.

Da der Beschwerdeführer sohin einen auf innerer Überzeugung beruhenden Glaubenswechsel bzw. Glaubensabfall nicht nachvollziehbar darzulegen vermochte, ist unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen insbesondere bei einer Rückkehr in eine afghanische Großstadt auch im Falle des (weitgehenden) Unterbleibens religiöser Betätigung nicht von drohenden Übergriffen auszugehen, zumal auch keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen sind, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan ein Glaubenswechsel bzw. Glaubensabfall unterstellt würde. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, seiner Familie oder seinem sozialen Umfeld in Afghanistan von seinem Interesse für das Christentum berichtet zu haben und auch im Zusammenhang mit der christlichen Taufe seines Bruders hätte der Beschwerdeführer jedenfalls die Möglichkeit, einen ihm unterstellten Glaubensabfall innerhalb von drei Tagen zu widerrufen bzw. einer dahingehenden Unterstellung zu widersprechen.

Konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers sind auch sonst nicht hervorgekommen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (etwa durch Einschau in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.07.2020 und den Bericht des Auswärtiges Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 16.07.2020) versichert hat.

Die Parteien sind den im Rahmen der mündlichen Verhandlung bzw. mit Schreiben vom 06.07.2020 ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht entgegengetreten und haben lediglich auf das Vorbringen in der Rechtsmittelschrift hingewiesen.

Auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des UNHCR in den Richtlinien vom 30.08.2018 betreffend eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul („UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.“) ist im Ergebnis nicht davon auszugehen, dass Rückkehrern bei einer Neuansiedlung in der Stadt Kabul jedenfalls ernsthafter Schaden droht. Wenngleich den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“; vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103-0106, und 22.09.2017, Ra 2017/18/0166, jeweils mit weiteren Nachweisen), folgt das erkennende Gericht diesbezüglich der etwas differenzierteren Beurteilung in der von EASO im Juni 2019 publizierten Neuauflage der Guidance Notes, laut denen eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif aufgrund der allgemeinen Lage grundsätzlich weiterhin in Betracht kommt („It can be concluded that the general security situation in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif does not preclude the consideration of the three cities as IPA“). Sowohl hinsichtlich einer möglichen ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von Artikel 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) als auch hinsichtlich der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wird in dem Bericht ausdrücklich auf das Vorliegen besonderer persönlicher Umstände abgestellt. Die in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vorherrschenden allgemeinen Bedingungen stehen der Zumutbarkeit einer innerstaatliche Fluchtalternative grundsätzlich nicht entgegen („Based on available COI, it is concluded that the general circumstances prevailing in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif, assessed in relation to the factors above, do not preclude the reasonableness to settle in the cities.“).

Die Beurteilung des EASO ist mit dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und auch mit den Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien betreffend einen UNAMA-Bericht vom Juli 2018 in Einklang zu bringen, in dem 993 zivile Opfer (321 Tote und 672 Verletzte) in der Provinz Kabul in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 genannt werden (eine Steigerung von 5 % im Vergleich zum Vorjahr), zumal diese Zahlen im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung der Provinz Kabul von rund 4,6 Millionen Einwohnern zu betrachten sind, wobei von einer erhöhten Gefährdung für Staatsbedienstete und Ausländer auszugehen ist. Hinsichtlich der Würdigung des EASO-Leitfadens ist ferner darauf hinzuweisen, dass in Artikel 8 Abs. 2 der Statusrichtlinie hinsichtlich der für die Prüfung der Situation im Herkunftsstaat des Antragstellers einzuholenden Informationen aus relevanten Quellen gleichermaßen auf Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) wie auch des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) verwiesen wird. Den Berichten mit Herkunftsländerinformationen (Country of Origin Information – COI) des EASO, die nach den Grundsätzen der Neutralität und Objektivität erstellt werden und darüber hinaus qualitätssichernden Verfahren unterliegen (vgl. EASO, Methodik für das Erstellen von COI-Berichten des EASO, Juli 2012; vgl. auch Artikel 4 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 vom 19.05.2010), wird daher seitens des erkennenden Gerichts ein ebenso hoher Beweiswert wie den Richtlinien des UNHCR beigemessen. Auch UNHCR hat in den Richtlinien vom 30.08.2018 den – in den Kernaussagen mit dem Folgebericht vergleichbaren – EASO-Bericht vom Juni 2018 herangezogen; soweit UNHCR darauf hingewiesen hat, dass EASO zu der Einschätzung gekommen sei, dass „in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrscht“, ist festzuhalten, dass EASO in unmittelbarem Zusammenhang mit der von UNHCR zitierten Aussage zur Sicherheitslage in Kabul näher ausführt, dass eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15 lit. c der Statusrichtlinie bestehen kann, wenn der Antragsteller aufgrund seiner persönlichen Umstände konkret betroffen ist. Im Übrigen ist festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative um eine rechtliche Beurteilung handelt und darüber hinaus auch in den UNHCR-Richtlinien nicht davon ausgegangen wird, dass eine interne Schutzalternative in Kabul keinesfalls bestehe, sondern dass diese „grundsätzlich“ nicht verfügbar sei.

Auch hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif stützen sich die getroffenen Feststellungen neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation insbesondere auf den EASO-Leitfaden vom Juni 2019, dem etwa bezüglich der Stadt Herat Folgendes zu entnehmen ist (vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif): „In the provincial capital of Herat City, indiscriminate violence is taking place at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD.“

Wie bereits oben ausgeführt, geht EASO hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif – insbesondere für „single able-bodied men“ – ebenfalls von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

Die Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan stützen sich ebenfalls insbesondere auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, mit dem auch der ACCORD-Länderbericht „Afghanistan: Covid-19“ vom 05.06.2020 und die Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08.06.2020 in Einklang zu bringen sind. Ergänzend beobachtet das Bundesverwaltungsgericht – insbesondere hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan – auch in die diesbezügliche Medienberichterstattung (vgl. etwa TOLOnews, https://tolonews.com), aus der sich ebenfalls keine andere Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ableiten lässt.

Zur Frage der Erreichbarkeit der Städte Herat und Mazar-e Sharif auf dem Luftweg ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass die afghanische Zivilluftfahrtbehörde bekannt gegeben hat, dass die Inlandsflüge nach einer dreimonatigen Pause wiederaufgenommen wurden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, 27.07.2020).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

Wie oben ausgeführt ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete, aktuelle Bedrohung konnte nicht festgestellt werden.

Auch hinsichtlich der ins Treffen geführten Nachfluchtgründe – eine „Verwestlichung“ des Beschwerdeführers sowie ein Glaubensabfall – ist unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer diesbezüglich drohenden Verfolgung auszugehen:

Den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten sind keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen, dass „verwestlichten“ Rückkehrern alleine aufgrund dieses Umstandes Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität droht (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019). Auch in den aktuellen UNHCR-Richtlinien wird darauf hingewiesen, dass je nach den Umständen des Einzelfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann (vgl. hiezu auch Gutachten Dr. Rasuly vom 15.02.2017, W119 2142462-1, sowie die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 01.06.2017, [a-10159], Pkt. 5). Dies gilt umso mehr bei einer Rückkehr in eine afghanische Großstadt.

Im Zusammenhang mit der vorgebrachten Befürchtung des Beschwerdeführers, aufgrund einer – allenfalls unterstellten – Konversion bzw. Apostasie Verfolgung ausgesetzt zu sein, ist auch an dieser Stelle festzuhalten, dass der Beschwerdeführer jedenfalls bis Oktober 2019 bekennender Muslim war, eine auf innerer Überzeugung basierende Ablehnung des islamischen Glaubens, die sich in einer nach außen getragenen Haltung gegenüber islamischen Glaubensinhalten oder Traditionen manifestiert, auch aktuell nicht festgestellt werden konnte und er bei einer Rückkehr allenfalls wieder nach den grundlegenden Sitten und Regeln seiner (bisherigen) Religionsgemeinschaft leben kann, zumal bei besonderen Anlässen sogar Moscheebesuche eher traditionellen als religiösen Charakter haben können (vgl. auch ACOORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von zum Christentum konvertierten Personen insbesondere in Kabul und Masar-e-Scharif [a-10681-1] vom 07.08.2018). Regelmäßige Moscheebesuche sind zufolge der Länderfeststellungen im urbanen Bereich nicht erforderlich, da oft auch viele gläubige Muslime nicht regelmäßig in der Moschee beten.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass sich auch im Hinblick auf die Konversion des Bruders des Beschwerdeführers zum Christentum keine konkreten Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan ergeben, wenngleich es in Afghanistan beim Glaubenswechsel einer Person zum Christentum grundsätzlich auch zu Sanktionen gegenüber den muslimischen Familienangehörigen kommen kann (vgl. ACCORD- Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von muslimischen Familienangehörigen von vom Islam abgefallen Personen (Apostaten), christlichen Konvertiten und Personen, die sich kritisch gegenüber dem Islam äußerten [a-10384], 09.11.2017). Eine dahingehende Gefährdung des Beschwerdeführers wurde gegenständlich nicht vorgebracht und ist in Anbetracht des in Österreich – und damit nicht im familiären bzw. sozialen Umfeld in Afghanistan – erfolgten Glaubenswechsels des Bruders insbesondere bei einer Ansiedlung in einer afghanischen Großstadt auch nicht zu erwarten. Darüber hinaus ist bei einer künftigen Teilnahme des Beschwerdeführers an religiösen/traditionellen Veranstaltungen nicht von davon auszugehen, dass ihm eine Abwendung vom Islam unterstellt würde.

In Verbindung mit dem Vorbringen zu einer „Verwestlichung“ des Beschwerdeführers ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass auch Thomas Ruttig in einem Expertengespräch im Mai 2016 (ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 01.06.2017, S. 23 f) davon ausgegangen ist, dass Rückkehrer aus dem Westen genauer „unter die Lupe genommen“ werden und dies zu Verdachtsmomenten führen könne, die Auslöser für Anschuldigungen aber wahrscheinlich doch etwas konkreter seien (etwa bestimmte Aussagen oder religiöse Handlungen). Auch in der Gesamtbetrachtung ist daher nicht davon auszugehen, dass dem aus dem „Westen“ zurückkehrenden Beschwerdeführer, der seinen islamischen Glauben aktuell nicht ausübt und sich in Österreich für den christlichen Glauben interessiert hat, in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht.

Da sich sohin weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.

Darüber hinaus ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 auch dann abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (vgl. die unten stehen Ausführungen zu § 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Selbst wenn man dem Vorbingen des Beschwerdeführers betreffend eine Bedrohung durch Taliban im Jahr 2015 aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle eines U.S. Trainingscenters in Mazar-e Sharif folgt, ist unter Berücksichtigung der Länderberichte und der Umstände des vorliegenden Falles nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer fast fünf Jahre nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsland in anderen Teilen Afghanistans – insbesondere in Großstädten wie Kabul oder Herat – gesucht bzw. gefunden würde, zumal keine Hinweise hervorgekommen sind, dass Taliban in ganz Afghanistan nach dem Beschwerdeführer suchen. Aufgrund der eher untergeordneten Tätigkeit des Beschwerdeführers für ein U.S. Trainingscenter ist vor dem Hintergrund der amtsbekannten Gegebenheiten in Afghanistan (Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister; vgl. auch EASO COI Report Afghanistan: Networks (Arbeitsübersetzung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl), Stand Jänner 2018) nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mehr als fünf Jahre nach Beendigung seiner Tätigkeit in einer anderen afghanischen Großstadt gesucht bzw. gefunden würde (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 28: „When assessing the safety of IPA in case of persecution or serious harm by the Taliban, particular consideration should be given to the individual circumstances of the applicant, the capacity of the Taliban to track and target individuals in the cities, the way the applicant is perceived by the Taliban and whether or not a personal enmity is at stake, etc. For individuals who fear persecution or serious harm by other armed groups, the reach of the particular group and their ability to track and target individuals in the cities should be assessed; in most cases IPA could be available. The operational presence of ISKP in Kabul and Herat should be taken into account in the individual assessment.“; vgl. auch EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan: Insurgent strategies, intimidation and targeted violence against Afghans, Dezember 2012, S. 65: „If a person working for the IMF quits his activity and can flee and resettle in a safer area, he can normally escape intimidation or targeting by insurgents, unless there are specific individual circumstances which would preclude this possibility.“).

Auch hinsichtlich eines dem Beschwerdeführer allfällig unterstellten Glaubensabfalls ist davon auszugehen, dass er bei einer Neuansiedlung in Herat oder Kabul – abseits seines bisherigen familiären bzw. sozialen Umfelds, das von einer Konversion seines Bruders Kenntnis haben könnte – nicht Gefahr liefe, der Apostasie bzw. Konversion verdächtigt zu werden.

Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

Gemäß Artikel 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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