TE Vwgh Erkenntnis 1997/8/19 97/16/0206

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Veröffentlicht am 19.08.1997
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verfassungsgerichtshof;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §45;
AlVG 1977 §70 Abs1;
ASVG §110 Abs1 Z2 lita;
ASVG §355 Z1;
ASVG §355 Z3;
ASVG §355;
B-VG Art130 Abs1 lita;
B-VG Art140;
B-VG Art144;
B-VG Art7 Abs1;
VerfGG 1953 §88;
VwGG §48 Abs1 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/16/0210

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerden der Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. April 1997, Zlen. RV 0175-09/08/97 und RV 0001-09/08/97, je betreffend Anträge auf Rückzahlung von Stempelgebühren, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 25.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus dem Inhalt der (wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen) Beschwerden ergibt sich im Einklang mit den vorgelegten Ausfertigungen der angefochtenen Bescheide, der gemäß § 35 Abs. 2 VwGG eingeholten Stellungnahme der belangten Behörde und den vorgelegten Verwaltungsakten der folgende Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin hatte als Parteienvertreterin beim Verfassungsgerichtshof für 117 und weitere 16 Beschwerdeführer Bescheidbeschwerden gemäß Art. 144 B-VG erhoben, und zwar betreffend die Feststellung der Arbeitslosenversicherungspflicht für 117 bzw. 16 Beschwerdeführer und die Rückerstattung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen für 117 Beschwerdeführer.

Diese Beschwerden, die beim Verfassungsgerichtshof zu den Zlen. B 2218/96, B 2219/96 und B 2220/96, protokolliert wurden, waren je 2-fach eingebracht und mit 117 x 2 x S 120,-- bzw. 16 x 2 S 120,-- bzw. 117 x 2 x S 120,-- Bundestempel versehen gewesen. Jeder Beschwerde war der damit angefochtene Bescheid einfach als Beilage angeschlossen und mit S 60,-- bzw. S 30,-- bzw. S 60,-- gestempelt. Insgesamt waren S 60.150,-- an Stempelgebühren entrichtet worden.

Aufgrund eines Verbesserungsauftrages des Verfassungsgerichtshofes überreichte die Beschwerdeführerin in weiterer Folge die angeforderten weiteren Beschwerdeausfertigungen und stempelte diese insgesamt mit S 45.960,--.

Unmittelbar danach stellte die Beschwerdeführerin gestützt auf § 70 AlVG 1977 Rückerstattungsanträge betreffend die Beträge von S 60.150,-- und S 45.960,--, die vom Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien mit Bescheiden vom 22. Oktober 1996 und 4. November 1996 abgewiesen wurde.

Dagegen berief die Beschwerdeführerin. Die belangte Behörde wies die Berufungen als unbegründet ab und vertrat die Rechtsauffassung, Gebührenfreiheit gemäß § 70 AlVG 1977 gelte nur für das Verfahren nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, nicht aber für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Dazu hob die belangte Behörde noch ausdrücklich hervor, in den Beschwerden sei jeweils die Anregung enthalten gewesen, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art. 140 B-VG eine Gesetzesprüfung betreffend § 1 Abs. 1 lit. a AlVG einleiten und diese Bestimmung als verfassungswidrig aufheben.

Dagegen richten sich die beiden vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerden je wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Rückerstattung der Stempelgebühren verletzt und begründet dies unter anderem damit, daß im vorliegenden Fall der Gebührenbefreiungstatbestand gemäß § 110 ASVG zur Anwendung zu kommen habe. Die erhobenen Bescheidbeschwerden hätten nämlich Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht und über die Rückerstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zum Gegenstand gehabt. Solche Streitigkeiten seien gemäß § 45 AlVG in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden. Für dieses Verfahren gelte aber die Bestimmung des § 110 ASVG, die auch in den Verfahren vor den Gerichtshofen des öffentlichen Rechtes anzuwenden sei.

Dazu wurde die belangte Behörde unter Hinweis auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (nämlich z.B. die hg. Erkenntisse vom 17. Oktober 1996, Zl. 96/08/0037, und vom 19. Februar 1991, Zlen. 90/08/0097, 90/08/0058 und 90/08/0050), wonach die sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG auch für das Bescheidbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt, gemäß § 35 Abs. 2 VwGG zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Die belangte Behörde vertrat dazu die Auffassung, die an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden hätten auf einen Bereich abgezielt, der außerhalb der Durchführung des ASVG liege. Die Befreiungsbestimmung des § 110 ASVG komme nur zum Tragen, wenn der Verfassungsgerichtshof "ausschließlich als Sonderverwaltungsgerichtshof" entscheide, nicht aber dann, wenn er ersucht werde, gemäß Art. 140 B-VG vorzugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 70 Abs. 1 AlVG bestimmt:

"(1) Die im Verfahren nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Eingaben und deren Beilagen, Ausfertigungen, Niederschriften, Entscheidungen, Vollmachten und Zeugnisse sind von den Stempel- und Rechtsgebühren befreit."

§ 45 AlVG lautet:

"Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht oder über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden. In diesem Verfahren kommt den Landesgeschäftsstellen Parteistellung zu."

Gemäß § 355 ASVG gehören zu den Verwaltungssachen insbesondere die Feststellung der Versicherungspflicht (Z. 1 leg. cit.) und die Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber einschließlich der Beitragszuschläge nach § 113 (Z. 3 leg. cit.).

§ 110 ASVG lautet auszugsweise:

"(1) Von der Entrichtung der bundesgesetzlich geregelten öffentlichen Abgaben, der Bundesverwaltungsabgaben sowie der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren sind ... befreit:

...

2. Rechtsgeschäfte, Rechtsurkunden, sonstige Schriften und die im Verfahren vor den Gerichten, Verwaltungsbehörden, Einigungskommissionen, nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften errichteten Kommissionen, Ausschüssen und Schiedsgerichten durchgeführten Amtshandlungen, wenn sie Rechtsverhältnisse betreffen, die begründet oder abgewickelt werden,

a) in Durchführung der in diesem Bundesgesetz geregelten Versicherungen zwischen den Versicherungsträgern und dem Hauptverband einerseits und den Versicherten, deren Dienstgebern, den Anspruchswerbern und Anspruchsberechtigten auf Leistungen der Versicherung, den Vertragspartner der Versicherung sowie den Trägern der Sozialhilfe andererseits,

..."

Die belangte Behörde räumt selbst ein, daß betreffend die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes dann, wenn dieser "ausschließlich als Sonderverwaltungsgerichtshof entscheidet", in entsprechend gelagerten Fällen die Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG zur Anwendung kommt. Insoweit sie dabei allerdings differenziert und jene Fälle aus dem Anwendungsbereich der zitierten Befreiungsbestimmung ausgeschieden haben will, in denen der Verfassungsgerichtshof ersucht wird, gemäß Art. 140 B-VG vorzugehen, vermag ihr der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen.

Die belangte Behörde übersieht dabei nämlich, daß der Kompetenzbereich "Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit" des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 144 B-VG nicht nur die Entscheidung über Beschwerden umfaßt, mit denen der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt zu sein, sondern auch jene Fälle, in denen Rechtsverletzung durch Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages behauptet wird. Auch der zweitgenannte Bereich (Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm; vgl. dazu Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8, Rz. 1207) ist Teil der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofes, bei der er sich um die quantitativ weitaus bedeutsamste Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes handelt (Walter/Mayer, a.a.O., Rz. 1205). Wird in einer entsprechenden Bescheidbeschwerde (so wie dies in den Beschwerdefällen der Fall war) behauptet, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt, so prüft der Verfassungsgerichtshof, ob die behauptete Rechtswidrigkeit der generellen Norm vorliegt und leitet bejahendenfalls ein entsprechendes Incidentalverfahren zur Aufhebung der betreffenden Norm ein (Walter/Mayer, a.a.O., Rz. 1208). Führt dieses Verfahren zur Aufhebung der betreffenden Norm, dann hebt der Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge den angefochtenen Bescheid auf (Walter/Mayer, a.a.O., Rz. 1208). In Bescheidbeschwerden gemäß Art. 144 B-VG wird in entsprechenden Fällen üblicherweise schon durch den Beschwerdeführer die Anregung vorgenommen, der Verfassungsgerichtshof möge ein Normenprüfungsverfahren einleiten (vgl. dazu das Eingabenmuster für eine Bescheidbeschwerde gemäß Art. 144 B-VG in Machacek/Grof/Müller, Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem Verwaltungsgerichtshof3, 115). Allein dadurch, daß ein Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer solchen Anregung Gebrauch macht, verändert er keineswegs den Charakter der erhobenen Bescheidbeschwerde.

Daraus ergibt sich für den Beschwerdefall folgendes: Die an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Bescheidbeschwerden gemäß Art. 144 B-VG waren gegen Bescheide gerichtet, die Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht bzw. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung betrafen und die gemäß § 45 AlVG in dem Verfahren ergingen, welches für die gesetzliche Krankenversicherung gilt. Es handelte sich dabei um Verwaltungssachen gemäß § 355 Z. 1 und Z. 3 ASVG und gilt nach ständiger hg. Judikatur die sachliche Abgabenfreiheit des § 110 Abs. 1 Z. 2 lit. a ASVG nicht nur für das Verwaltungsverfahren selbst, sondern auch für das anschließende Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. dazu die bereits oben zitierte hg. Rechtsprechung). Was aber für ein Bescheidbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt, hat gleichermaßen auch für ein Bescheidbeschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof als Sonderverwaltungsgerichtshof zu gelten. Eine Beschränkung der Anwendung des zitierten Befreiungstatbestandes auf jene Fälle, in denen der Verfassungsgerichtshof prüft, ob eine generelle Norm "denkmöglich und nicht willkürlich vollzogen wurde" (wie dies in der Stellungnahme der belangten Behörde angestrebt wird), ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Da sich sohin bereits aus den angefochtenen Bescheiden ergab, daß die in den Beschwerden behauptete Rechtsverletzung vorlag, waren die Bescheide ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 2 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Gebührenfreiheit der Beschwerde Ersatz bei Gebührenfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997160206.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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