TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/19 W173 2176813-1

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Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W173 2176760-1/14E

W173 2176813-1/15E

W173 2176815-1/11E

W173 2176816-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Margit Möslinger-Gehmayr als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 2) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 3) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan und 4) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 1.10.2017, zu den Zahlen 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX und 4) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.5.2020 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. XXXX (in der Folge 1.BF), XXXX (in der Folge 2.BF) und XXXX (in der Folge 3.BF) reisten illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 1.1.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die minderjährige 3.BF stellten die gesetzliche Vertreterin den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich am 1.1.2016 gab die 1.BF an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Sie spreche Dari und habe fünf Jahre lange die Grundschule besucht. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die 1.BF an, aus Afghanistan geflüchtet zu sei, da es dort keine Sicherheit gebe. Die Hazara würden von den Taliban verfolgt. Sie habe 8 Jahre lang illegal im Iran gelebt und ihr Mann sei zwei Mal nach Afghanistan abgeschoben worden. Aus Angst um ihr Leben sei die Familie nach Europa geflüchtet.

Der 2.BF gab im Zuge seiner Erstbefragung an, aus Baghlan in Afghanistan zu stammen. Er sei Hazara schiitischen Glaubens und habe ein Jahr lang die Grundschule besucht. Er habe Afghanistan vor ca. zwei Jahren verlassen und zwei Jahre lang im Iran gelebt. Vor ca. 21 Tagen habe er gemeinsam mit seiner Frau, seiner Tochter und dem Bruder seiner Frau den Iran verlassen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, dass er aus Afghanistan geflüchtet sei, da es dort keine Sicherheit gebe und die Hazara von den Taliban verfolgt würden. Er habe zwei Jahre lang illegal im Iran gelebt und sei zwei Mal nach Afghanistan abgeschoben worden. Aus Furcht, das Leben zu verlieren, sei die Familie Richtung Europa geflüchtet.

Für die minderjährige 3.BF wurden keine spezifischen Fluchtgründe vorgebracht.

3. Für die am XXXX in Österreich geborene XXXX (in der Folge 4.BF) wurde durch ihre gesetzlichen Vertreter am 17.11.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

4. In der Einvernahme durch die belangte Behörde (in der Folge BFA) am 23.8.2017 führte die 1.BF aus, sie habe seit ihrer Ankunft im Jänner 2016 in Österreich zu Hause ein bisschen Deutsch gelernt und Deutschkurse besucht. Während ihrer Schwangerschaft in Österreich sei das für sie schwierig gewesen. Sie habe zwei Töchter, von denen eine in Österreich geboren sei. Sie sei schiitische Hazara und in Afghanistan geboren, aber im Iran und in Pakistan aufgewachsen. Im Alter von 13 Jahren habe sie Afghanistan, wo sie zuletzt im Dorf XXXX in der Provinz Ghazni gelebt habe, verlassen. Sie sei traditionell verheiratet und habe ihren Mann in Teheran kennengelernt. Sie habe zwei Jahre in Peschawar, Pakistan gelebt und dort Teppiche geknüpft. Im Iran sei sie acht Jahre lang gewesen und habe dort fünf Jahre lang eine afghanische Schule besucht und dann als Schneiderin im Betrieb ihrer Mutter gearbeitet. Afghanistan habe sie verlassen, weil Krieg gewesen sei und die Taliban aktiv gewesen wären. Ihre Eltern seien damals geflüchtet und sie habe mitkommen müssen. Den Iran habe sie verlassen, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung gehabt habe. Sie sei in Afghanistan nicht aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt worden, aber ihre Eltern seien als Hazara schlecht behandelt worden. Wegen seines Wunsches, die Schule zu besuchen, sei ihr Bruder mit ihrer Familie vom Iran nach Österreich mitgekommen. Er habe sich eine bessere Zukunft gewünscht. Ihre Kinder hätten die selben Fluchtgründe wie sie. Ob sie in Kabul hätte leben können, wisse sie nicht, da ihre Eltern die Entscheidung zur Ausreise getroffen hätten. Im Zuge der Einvernahme wurden von der 1.BF diverse Fotos ihrer Familie und eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 vorgelegt.

5. Der 2.BF gab in seiner Einvernahme durch das BFA am 23.8.2017 an, dass er und seine Frau seit der Ankunft in Österreich abwechselnd auf die Kinder schauen und den Deutschkurs besuchen würden. Auch würden er und seine Frau kochen und spazieren gehen. Er sei Hazara und schiitischer Muslim. Seine letzte Wohnadresse in Afghanistan wisse er nicht. Nach Angaben seines Vaters sei diese im Distrikt XXXX , Provinz Baghlan gewesen. Er habe Afghanistan vor ca. 20 Jahren verlassen. Er habe am 14.9.2012 traditionell in Teheran die 1.BF geheiratet. Er wisse nichts über Verwandte im Heimatland. Er sei im Iran aufgewachsen und habe dort gearbeitet und geheiratet. Seine Eltern seien im Iran gestorben. Wegen des fehlenden Aufenthaltstitels habe er nur ein Jahr lang die Schule besucht und dann als Schneider gearbeitet. Seine Frau habe er ca. 2012 in Teheran getroffen. Über seine Fluchtgründe aus seinem Heimatland befragt führte der 2.BF aus, dass es nach den Erzählungen seines Vaters damals Taliban gegeben habe und es in Afghanistan unruhig gewesen sei. Außer in Afghanistan habe sich der 2.BF nur im Iran aufgehalten. Als die Taliban seinen Vater aufgefordert hätten, mit ihnen zu arbeiten, sei er in den Iran gegangen. 1995 oder 1996 hätte seine Familie Afghanistan verlassen. Der 2.BF sei damals sehr klein gewesen und in Afghanistan nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt worden. Fluchtauslösend sei die Entscheidung seines Vaters gewesen. Er sei zuletzt 2015 mangels Aufenthaltstitel vom Iran nach Herat in Afghanistan abgeschoben worden und die dortige Situation habe sich nicht geändert. Afghanistan sei sehr traditionell und anders als der Iran. In Österreich sei er wegen seiner Familie, die in Sicherheit leben sollte. Es gehe ihnen in Österreich gut. Vom 2.BF wurden im Rahmen der Einvernahme eine Arbeitsbestätigung der Marktgemeinde Eggersdorf bei Graz und eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 vorgelegt.

6. Die belangte Behörde hat mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom 1.10.2017 die gegenständlichen Anträge der BF (1.BF bis 4.BF) auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den BF wurden gemäß § 57 AsylG 2005 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien (Spruchpunkt III.) Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. den BF Fristen von 14 Tagen für die freiwilligen Ausreisen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt. Begründend wurde ausgeführt, dass die BF in ihrer Heimat nicht asylrelevant verfolgt werden würden und die BF eine derartige Bedrohung dezidiert verneint hätten. Hinsichtlich einer Rückkehr habe keine Bedrohungssituation für sie in Afghanistan festgestellt werden können. Die allgemeine Sicherheitslage sei nicht so schlecht, dass eine Rückkehr als generell unmöglich einzustufen sei. Die gesunde und arbeitsfähige 1.BF könne bei einer Rückkehr eine Arbeit aufnehmen und habe Familienmitglieder in Kabul zur Unterstützung. Die Rückkehrentscheidung stelle auch keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar. Es bestehe keine entgegenstehende Empfehlung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Abschiebung.

7. Gegen die im Spruch angeführten Bescheide vom 1.10.2017 wurde am 6.11.2017 von den BF, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmBH, jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde eingebracht und die gegenständlichen Bescheide in vollem Umfang angefochten. Begründend wurde ausgeführt, dass die 1.BF eine Ausbildung zur Grafikdesignerin machen und arbeiten wolle, nachdem sie Deutsch erlernt habe. Sie gehe alleine einkaufen und zum Deutschkurs, während der 2.BF bei den Kindern sei. Ihr äußerliches Auftreten sei auffallend westlich. Die 1.BF habe gefärbte blonde Haare, sei stark geschminkt, habe lackierte Fingernägel und auf einer Hand sichtbar Henna-Tattoos. Den BF sei Afghanistan und die afghanische Kultur völlig fremd. Sie hätten kein soziales Netz in Afghanistan. Lediglich weit entfernte Tanten und Onkel der 1.BF, welche die 1.BF noch nie gesehen habe, würden in Kabul leben. Den BF drohe asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara sowie ihrer Religionszugehörigkeit. Auch würde den BF aufgrund ihres Aufenthalts im Iran und im westlichen Ausland von regierungsfeindlichen Gruppen wie den Taliban eine oppositionelle prowestliche politische Gesinnung unterstellt werden. Da die 1.BF überdurchschnittlich westlich eingestellt und dies augenscheinlich sei, drohe ihr vor allem deshalb Verfolgung. Zudem sei die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage derart prekär, dass den BF im Falle einer Rückkehr auch eine Verletzung ihrer von Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte drohe. Die herangezogenen Länderberichte seien veraltet. Die westliche Orientierung der 1.BF sowie die politische/gesellschaftliche und religiöse Einstellung sei nicht geprüft worden. Dies gelte auch für die Verfolgung der BF auf Grund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit in Afghanistan. Die BF würden auf Grund der in Afghanistan vorherrschenden strengen Form des Islams verfolgt. Wesentliche Ermittlungen seien von der belangten Behörde unterlassen worden.

8. Die gegenständlichen Beschwerden samt Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.11.2017 von der belangten Behörde vorgelegt.

9. Am 20.5.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. Dieoben genannten Beschwerdeverfahren (1.BF bis 4.BF) wurden mit dem Beschwerdeverfahren des ebenfalls mit ihnen nach Österreich geflohenen Bruders der 1.BF, XXXX , das unter der Aktenzahl W173 2185719-1 beim Bundesverwaltungsgericht protokolliert wurde, zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden.

XXXX gab an, leiblicher Bruder der 1.BF zu sein und gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan im Kindesalter verlassen und mit ihr nach einem Aufenthalt in Pakistan im Iran gelebt zu haben. Er sei gemeinsam mit der 1.BF und deren Familie aus dem Iran geflüchtet. In Österreich absolviere er mittlerweile eine Lehre. Von seiner Schwester (1.BF) nehme er an, sie sei während ihres Aufenthaltes in Österreich offener geworden und besitze hier mehr Freiheit im Vergleich zu ihrem bisherigen Dasein. Sie habe in Österreich Chancen zur Berufs- und Schulbildung. Seinen Beobachtungen zufolge verwalte die 1.BF das Geld in ihrer Familie. Die 1.BF würde sich mit ihrem Ehemann den Haushalt zur Hälfte teilen und mit ihm gemeinsam Entscheidungen treffen.

Die 1.BF führte in ihrer Einvernahme aus, 26 Jahre alt zu sein und aus der Provinz Ghazni zu stammen. Dari sei ihre Muttersprache. Im Iran habe sie Farsi gelernt und sie könne auch ein wenig Deutsch, habe jedoch keine Deutschprüfung absolviert, weil sie sich das nicht habe leisten können. Sie habe einen Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss besucht und dort auch Gegenstände wie z.B. Mathematik gelernt. Sie sei bei der Prüfung für einen Pflichtschulabschlusskurs an der Deutschprüfung gescheitert. Wenn die Möglichkeit bestünde, würde sie einen solchen Kurs sofort nochmals machen und den Pflichtschulabschluss absolvieren. Es sei für sie wichtig, da sie anschließend eine Ausbildung absolvieren wolle und dies ohne Pflichtschulabschluss nicht möglich sei. Sie wolle gerne als Krankenpflegerin, Dolmetscherin oder auch als Flüchtlingsbetreuerin tätig sein. Sie wolle mit ihrem Mann eine bessere Zukunft aufbauen und gemeinsam für das Familieneinkommen sorgen. Hinsichtlich der Eheschließung ihrer Töchter oder ein etwaiges Zusammenleben vor der Ehe wolle sie, dass ihre Kinder eigene Entscheidungen treffen. Sie sei jetzt in Österreich und wolle sich der Gesellschaft anpassen und die Freiheit genießen, weil sie davor unter religiösen Vorschriften gelitten habe. Sie könne sich nur wenig an ihr Leben in Afghanistan erinnern. Dort habe Krieg geherrscht. Ihre Familie habe im Iran weitergelebt. Selbst wenn sie machen würde, was die afghanische Gesellschaft verlange, sei ihr Leben in Gefahr, weil alle wüssten, dass sie Zeit in Europa verbracht habe und nicht mehr der Gesellschaft entspreche. Sie wolle ihre nunmehrige Lebensart nicht verändern. Ihr Ehemann sei nicht konservativ, aber die gesellschaftlichen Zwänge in Afghanistan würden eine Anpassung verlangen. Sie lehne es ab, in Afghanistan das Leben einer Frau nach den Vorstellungen der Taliban zu führen. Sie wolle ihre in Österreich erworbenen Rechte nicht aufgeben. In Afghanistan bestehe für eine Frau keine Chance auf Schulbildung, worunter sie gelitten habe. Dieses Schicksal sollten ihre Töchter nicht haben. In Österreich sei sie kurz nach ihrer Einreise schwanger geworden und habe sich trotz ihrer Schwangerschaft bemüht, die deutsche Sprache zu lernen. Sie habe Vorbereitungskurse für den Pflichtschulabschluss besucht und sei in der Gesellschaft aktiv gewesen. Sie habe Tanzkurse sowie Yogakurse besucht, sei in ihrer Freizeit schwimmen gegangen, habe sich mit Freunden getroffen und gemeinsam Kaffee getrunken. Sie würden mit ihrem Ehemann gemeinsam Entscheidungen treffen und die Haushaltskasse liege bei ihr. In Zukunft wolle sie den Pflichtschulabschluss absolvieren und eine Ausbildung zur Krankenpflegerin beginnen. Zusätzlich möchte sie als Sozialarbeiterin/Flüchtlingsbetreuerin bzw. Dolmetscherin arbeiten.

Der 2.BF führte aus, dass er die 1.BF vor ca. acht Jahren im Iran einvernehmlich geheiratet habe und die 3.BF und 4.BF ihre gemeinsamen Kinder seien. Als Kind habe er mit seiner aus Baghlan stammenden Familie Afghanistan verlassen und sei mit ihnen in den Iran gezogen. Er habe dann mit seiner Familie (1.BF und 3.BF) den Iran verlassen, damit die Tochter als Mädchen ihre Rechte und eine bessere Zukunft hätte. Seitdem er in Österreich sei, habe er sich bemüht, die deutsche Sprache zu lernen und als gemeinnütziger Arbeiter bei der Gemeinde gearbeitet. Seine Frau sei meistens mit dem Haushalt beschäftigt, gehe mit den Kindern spazieren und übe, was sie im Deutschkurs gelernt habe. Sie habe auch als gemeinnützige Arbeiterin bei der Gemeinde arbeiten wollen, aber diese habe sich nicht gemeldet. Als sie noch in Graz gewesen seien, habe seine Frau einen Tanzkurs besucht und an Projekten teilgenommen. Sie würden derzeit in einer Asylunterkunft in XXXX leben. Er möchte seine Deutschkenntnisse verbessern und im Baubereich tätig sein. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan hätte er Angst um das Leben seiner zwei Töchter, die dort die Schule nicht besuchen dürften, keine gute Zukunft mit einer Arbeitsstelle und ein normales Leben hätten. Es gehe um die Zukunft seiner Frau und seiner Töchter.

10. Mit Schreiben vom 29.7.2020 wurden von den BF Zertifikate über von der 1.BF und dem 2.BF am 8.7.2020 erfolgreich abgeschlossene Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 vorgelegt.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1      Zu den Beschwerdeführern:

Die BF (1.BF bis 4.BF) tragen die im Spruch genannten Namen, sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an, sind schiitischen Glaubens. Die Muttersprache der 1.BF und des 2.BF ist Dari. Die 1.BF und der 2.BF sind miteinander verheiratet und die leiblichen Eltern der 3.BF und der 4.BF.

Die 1.BF verließen ihre afghanische Heimatprovinzen Ghazni bereits im Kindesalter mit ihren Familien und ist nach einem Aufenthalt mit ihrer Familie in Pakistan in der Folge im Iran aufgewachsen. Der 2.BF stammt aus der afghanischen Provinz Baghlan und hat auch im Iran gelebt, wo er die 1.BF 2012 in Teheran geheiratet hat. Dort wurde auch ihre gemeinsame Tochter (3.BF) geboren. Sie (1.BF bis 3.BF) haben in der Folge gemeinsam mit dem Bruder der 1.BF den Iran verlassen, sind in Österreich illegal eingereist und haben am 1.1.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die 4.BF wurde am XXXX als gemeinsame Tochter der BF 1 und des BF 2 in Österreich geboren. Für sie wurde ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die BF (1.BF bis 4.BF) sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Die 1.BF hat im Iran für fünf Jahre lang die Schule besucht und danach innerhalb der Familie unterstützend als Schneiderin im Iran gearbeitet.

Die 1.BF will in Österreich den Pflichtschulabschluss absolvieren und danach eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolvieren. Zusätzlich möchte sie gerne als Sozialarbeiterin oder Flüchtlingsbetreuerin bzw. Dolmetscherin aktiv sein. Die 1.BF hat einen Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss besucht. Am 8.7.2020 haben die 1.BF und der 2.BF die Deutschprüfung auf dem Niveau A1 bestanden.

Seit ihrer Ankunft in Österreich hat die 1.BF Tanzkurse besucht, am österreichischen Gesellschaftsleben teilgenommen und verschiedene Freizeitaktivitäten wie Yoga oder Schwimmen verfolgt.

Die 1.BF hat während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in der Familie und Gesellschaft steht in Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Die 1.BF hat eine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Eine solche Lebensführung ist wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden.

1.2      Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 13.11.2019, Letzte Information eingefügt am 21.7.2020)

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

(UNAMA 2.2020)

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Kabul gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2019 und das erste Quartal 2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

 

2019

2020 (bis 31.3.2020)

 

GIM

Vorfälle

ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)

GIM

Vorfälle

ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)

Bagrami

1

1

 

 

Chahar Asyab

 

2

 

 

Dehsabz

3

1

 

 

Estalef

 

 

 

 

Farza

 

 

 

 

Guldara

 

 

 

 

Kabul

217

62

37

15

Kalakan

 

 

 

 

Khak-e-Jabar

 

 

 

 

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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