Entscheidungsdatum
20.10.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2197534-1/16E
GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 5.10.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Iran, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20 Top 21
A-1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 9.5.2018, ZI. 1140986806 – 170094673/BMI-BFA_SZB_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Nachdem der Beschwerdeführer (BF) am 22.01.2017 in Passau mit einem total gefälschten
spanischen Ausweis und einem nicht ihm gehörenden österreichischen Reisepass betreten
wurde und ihm die Einreise nach Deutschland verweigert wurde, beantragte er am
22.01.2017 vor dem PAZ Wels internationalen Schutz und gab als Fluchtgrund an, er glaube
seit zwei Jahren nicht mehr an den Islam und habe sich im Iran taufen lassen wollen. Dies sei
ihm verwehrt worden, aber viele seiner Freunde hätten erfahren, dass er an das Christentum
glaube und nicht mehr an den Islam. 20 Tage vor seiner Ausreise habe ihn ein Freund
angerufen und ihn gesagt, er sei zwei Tage in U-Haft gewesen und SEPAH suche nach ihm. Er
habe gesagt, der BF solle flüchten und sein Leben retten. Daraufhin habe er Angst bekommen und sich in Karaj bei einem Freund versteckt. Die Mutter habe ihm mitgeteilt, dass SEPAH nach Hause nach ihm gesucht habe.
Als Zielland seiner Flucht gab der BF Island an. Bei ihm wurden vier Stück OBB-Fahrkarten für den Zeitraum 21.01.2017 bis 25.01.2017 von Wien über Köln nach Amsterdam gefunden.
Am 03.01.2018 wurde der BF offenbar am Flughafen Salzburg betreten und erstattete
Anzeige, dass er seine „weiße Verfahrenskarte" selbst beschädigt bzw. vernichtet habe, kurz
vor seinem geplanten Abflug nach London. Zu einem Abflug sei es nicht gekommen (AS 89).
Offenbar damit in Zusammenhang stand eine Verfolgung des BF wegen § 231 Absatz l, § 229
StGB.
Mit Verständigung vom 12.02.2018 trat die Staatsanwaltschaft Salzburg zu 51BAZ
52/18a von der Verfolgung zurück.
Der BF gab vor dem BFA am 13.04.2018 zusammengefasst an, er habe in seiner Heimatstadt
XXXX offizielle Kirchen gesucht, dies sei nicht erfolgreich gewesen. Er habe dann über
einen ehemaligen Schulfreund versucht, mehr über das Christentum zu erfahren und sei
durch diesen zu einer Art „Heimkirche" gelangt, die er in einem Zeitraum von sechs oder
sieben Monate, zehn- oder elfmal besucht habe. Es sei eine assyrische Kirche gewesen
(Ashorisch). Eines Tages sei ihm von einem Freund mitgeteilt worden, dass SEPAH hinter ihm
her sei. Seine Mutter habe ihm sogar mitgeteilt, dass SEPAH zu Hause gewesen sei und die
Bücher und die Festplatte mitgenommen hatte. Er habe sich dann ca. 20 Tage lang bei einem
Freund in Karaj versteckt und sei dann im Oktober 2016 schlepperunterstützt ausgereist.
Er sei noch nicht getauft und wolle die baptistische Kirche besuchen.
Mit dem bekämpften Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Asyl
und Subsidiärschutz abgewiesen (Spruchpunkt l. und II.), ein Aufenthaltstitel nicht erteilt
(Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit
der Abschiebung festgestellt (Spruchpunkt V.) und eine Ausreisefrist gesetzt.
Begründend führte des BFA aus, die Identität des BF stehe nicht fest, es handle sich um eine
Scheinkonversion. Der BF werde auf Grund seines Glaubens nicht verfolgt und habe
seine Heimat zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Perspektiven verlassen. Der BF weise
zwar in weiteren Teilen fundiertes Faktenwissen (betreffend Religion) auf, das aber
auswendig gelernt werden könne, weiters eine überdurchschnittliche Intelligenz. Seine
Angaben seien insbesondere im Hinblick auf seine Angaben gegenüber der deutschen Polizei, wonach er falsche Angaben habe machen wollen, damit seine Chance besser stünden, nicht glaubwürdig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit dem primären Antrag, dem BF Asyl zu gewähren. In Wesentlichen verwies er auf seine Angaben im bisherigen Verfahren, wonach er zwei Jahre vor seiner Ausreise aus dem Iran zum Christentum konvertiert sei.
Die belangte Behörde legt den Akt samt Beschwerde dem BVwG am 01.06.2018 vor. Er kam
der Abteilung W274 am 02.10.2018 zu.
Nach Vorlage weiterer Urkunden, fand am 5.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF ausführlich vernommen wurde.
Auf Grund des gesamten Akteneinhaltes steht folgender Sachverhalt fest:
Der BF entstammt einer kurdischen Familie aus dem nordwestiranischen Bundesstaat
XXXX und wurde im schiitisch-muslimischen Glauben erzogen. Er lebte zuletzt in
XXXX und betrieb selbstständig ein Fuhrwerksunternehmen mit einem Lastwagen für
Zementtransporte.
Der BF verließ den Iran um den 17.11.2016 und versuchte, kombiniert mittels Eisenbahn und
Flügen nach Island zu gelangen, das ihm als günstiges Asylland beschrieben worden war.
Nach seinem Aufgriff in Österreich, war der BF zunächst in einer Asylunterkunft in Bergheim
bei Salzburg vom 23.01. - 03.02.2017, sodann bis 03.04.2017 in einem Asylheim in XXXX .
Seit 11.04.2017 befindet er sich in einem Asylheim in XXXX .
Der BF versuchte zunächst Kontakt zu den Baptisten XXXX zu erlangen, wohin er einige
Male reiste, was er aber auf Grund der räumlichen Entfernung zur Stadt Salzburg nicht
weiterführte. Nicht festgestellt werden konnte, ob und in welchem Ausmaß er zwischen
Mitte 2017 und Anfang 2018 Kirchen besuchte.
Jedenfalls seit Mitte 2018 besuchte der BF einen Katechumenatskurs der Pfarre XXXX , gehalten im Wesentlichen von Pastoralassistentin XXXX . Er erlangte Kontakt zu Personen im Bereich der Pfarre XXXX bzw. XXXX . Er wurde nach Absolvierung des Taufkurses am 11.08.2019 durch XXXX in der Pfarre XXXX im Beisein der von ihm gewählten Taufpatin XXXX getauft und gefirmt.
Nach Sprachkursen bestand der BF am 11.02.2020 das ÖSD-Zertifikat A1. Er war von Juli bis September 2020 gemeinnützig für die Marktgemeinde XXXX in der XXXX tätig.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Es ist glaubhaft, dass der BF zwischenzeitlich die christliche Religion soweit aufgenommen
hat, dass er das Bedürfnis hätte, diese auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer
Rückkehr in den Iran, weiterhin innerlich und äußerlich zu leben.
Beweiswürdigung:
Das BFA begründete die Negativfeststellung zur Identität damit, die bisher vorgelegten
Urkunden hätten nicht authentifiziert werden können. Das BFA legte am 18.06.2018 einen Aktenvermerk vor, wonach die Dokumente Führerschein, PA und Geburtsurkunde unbedenklich seien. Daher bestand auch kein Grund, die genannten Urkunden, die dem Gericht allerdings nicht vorliegen, sondern offenbar dem BFA, in Zweifel zu ziehen.
Auf Grund der mangelnden Widerlegung einer inneren Konversion in Österreich kann eine
ins Detail gehende Prüfung einer allfälligen Konversion bzw. Verfolgung bereits im Iran
dahinstehen. Die diesbezüglichen Angaben, der BF sei bereits zwei Jahre vor seiner Ausreise
Christ gewesen, waren aber wenig plausibel. Er konnte auch nicht darlegen, weshalb er sich
bereits zwei Jahre vor seiner Ausreise als Christ gesehen hätte, wenn die „Hauskirchenbesuche" erst sechs oder sieben Monate vor der Ausreise stattgefunden
hätten. Da im Rahmen der Einreise hervorkam, dass der BF den Plan gehabt hatte, nach Island auszureisen, im Rahmen der heutigen Verhandlung aber nicht angeben konnte, welche Religion dort vorherrsche, hätte der BF in diesem Fall ein Fluchtland ausgesucht, von dem er gar nicht gewusst hätte, ob er dort seinen neuen Glauben hätte ausüben können. Auch dies spricht sehr gegen eine ernste Beschäftigung mit dem christlichen Glauben im Iran.
Dem BFA ist insofern beizupflichten, als der BF im Rahmen seiner Ausreise und der
Befragung durch die deutschen Behörden einräumen musste, ein Heft mit für ihn nützlichen
Angaben zur Ausreise mit sich geführt zu haben. Protokolliert ist in diesem Zusammenhang die Aussage des BF, er habe falsche Angaben machen wollen, damit seine Chance besser stünden. Dass es sich dabei - wie vom BF gegenüber dem BFA behauptet - um Angaben handelt, die unter Druck zustande gekommen wären, ist im Zweifel nicht zu vermuten.
Im Rahmen der ausführlichen Befragung des BF vor Gericht, an der sich die belangte Behörde in Folge Nichterscheines nicht beteiligte, kamen allerdings keine Anhaltspunkte dafür hervor, dass das Engagement des BF in der katholischen Gemeinde XXXX
nicht konsequent und ehrlich wäre. Es liegen Bescheinigungen vor, die
von ihrer Ausführlichkeit und ihrem Inhalt her über mögliche Gefälligkeitsschreiben weit
hinausgehen (Pfarrer, Pastoralassistentin, Taufpatin, Familienangehörige der Taufpatin,
Deutschlehrerin und weitere Personen aus der Gegend um XXXX ). Es ist dem BF
zumindest teilweise gelungen, auf Basis seines dortigen Wohnorts, die räumlichen
Schwierigkeiten aufzuzeigen, zu einer Kirche zu gelangen. Bereits das BFA ging von sehr
guten Kenntnissen des BF über das Christentum aus, wenngleich es diese für angelernt
erachtete. Im Rahmen der Befragung bestand für den Richter der Eindruck, dass
der BF ein tatsächliches Verständnis für den Ablauf des katholischen Gottesdienstes hat. Es
war ihm auch der Doppelcharakter von Taufe und Firmung geläufig. Der BF war auch in der
Lage, diese Umstände - trotz des noch nicht langen Aufenthaltes in Österreich - teilweise auf
Deutsch darzustellen.
Dem Gericht ist bewusst, dass der BF in Zusammenhang mit der Einreise und mit einer
versuchten Weiterreise Anfang 2018 in Kauf nahm, allenfalls mit von Schleppern erlangten
Papieren ein- bzw. auszureisen. Diese Umstände alleine erachtete das Gericht nicht für so
wesentlich, dass sie zwingend dem Versuch eines Lebens des BF nach christlichen
Grundsätzen entgegenstehen. Wesentliche Umstände, die gegen die Glaubwürdigkeit einer
christlichen Lebensweise des BF sprechen, kamen nicht hervor. Der BF stellte auch durchaus
glaubhaft und nicht pflichtgemäß oder floskelhaft bei mehreren Gelegenheiten dar, andere
Personen zur Pfarre eingeladen zu haben bzw. einen bereits anerkannten Flüchtling von der
Wichtigkeit der Taufe überzeugt zu haben.
Rechtlich folgt:
Nach Ansicht des VfGH erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährten Rechts
auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren die Widerlegung, dass ein
Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist, sobald ein solcher auf Grund äußerer
Tatsache nicht unwahrscheinlich ist.
Auf Grund der Taufe und der Eingliederung in die katholische Gemeinde XXXX liegen solche
äußeren Tatsachen vor. Im Rahmen des gesamten Beweisverfahrens, an dem sich die
belangte Behörde vor Gericht nicht beteiligte, kamen keine Umstände im
Einzelnen und in ihrer Gesamtheit hervor, die einen derartigen Religionswechsel aus
„innerer Überzeugung" widerlegen.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision beruht darauf, dass entlang
höchstgerichtlicher Judikatur eine Einzelfallentscheidung zu treffen war.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Christentum Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung KonversionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2197534.1.00Im RIS seit
17.12.2020Zuletzt aktualisiert am
17.12.2020