TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/21 W254 2193039-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a

Spruch

W254 2193039-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. IRAN, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG, § 53 Abs. 1 und 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte am XXXX .2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung am 25.12.2017 gab der BF an, dass er im Iran nicht mehr sicher gewesen sei. Zehn bis fünfzehn Tage vor seiner Ausreise habe er seinen Glauben gewechselt und sei Christ geworden. Die Behörden hätten dies erfahren und sei er vom iranischen Staat verfolgt worden. Sein Freund XXXX habe ihn benachrichtigt, dass die Behörden die Hauskirche durchsucht und zwei ihrer Freunde mitgenommen hätten. XXXX habe ihm zur Flucht geraten. Da im Iran ein Glaubenswechsel mit dem Tod bestraft sei, habe er den Iran verlassen.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 15.02.2018 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er drei Wochen vor seiner Ausreise im Iran in einer Hauskirche in Teheran gewesen sei. Ein Freund namens XXXX , welchen er schon seit seiner Kindheit gekannt und ihn zum Christentum gebracht habe, habe ihn angerufen und ihm über die Erstürmung der Hauskirche, welche von ihnen besucht worden sei, berichtet, wobei zwei ihrer Kollegen festgenommen worden wären. XXXX habe ihn aufgefordert, sofort das Land zu verlassen, woraufhin er sich angezogen und seinen Bruder gebeten habe, ihm ein paar Sachen zusammenzupacken. Er sei dann mit einem Privattaxi nach XXXX gefahren. Er habe sich dann mit XXXX getroffen und sei gemeinsam mit ihm in die Türkei gereist.

Der BF legte eine iranische, nationale Identitätskarte, einen iranischen Führerschein und eine Bestätigung der Dom- und Stadtpfarre XXXX , vom XXXX .2018, vor, durch welche bestätigt wurde, dass der BF am XXXX .2018 zum ersten Mal in der Domkirche zur hl. Messe und Katechese gekommen war und er dabei den Wunsch geäußert hat, sich auf die Taufe vorbereiten zu können. Gleichzeitig wurde ein möglicher Tauftermin für Ostern 2019 bestätigt. Am 13.03.2018 übermittelte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs.

2. Mit Bescheid vom XXXX .2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz „belangte Behörde“) den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine Fluchtgründe habe glaubhaft machen können. Bei der behaupteten Konversion würde es sich um eine Scheinkonversion handeln. Eine Verfolgungsgefahr würde nicht bestehen, weshalb eine Rückkehr, auch aufgrund der Erwerbsfähigkeit, in den Iran möglich sei.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte begründend vor, dass er Christ geworden sei und ihm deshalb im Iran Verfolgung drohe. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und aufgrund einer unrichtigen Beweiswürdigung eine unrichtige rechtliche Beurteilung durchgeführt. Mit der Beschwerde legte er erneut die Bestätigungen über den Kirchenbesuch und die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs sowie eine Bestätigung über die Taufvorbereitung vor.

Mit Schreiben vom 19.04.2018 legte der BF erneut die Bestätigung über die Taufvorbereitung sowie eine Bestätigung über die Teilnahme an einem wöchentlichen Freizeit- und Lernangebots vor.

Am 09.04.2019 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung des XXXX vom 07.03.2019 vor, wodurch der Rektor der XXXX mit der Spende der heiligen Sakramente der Initiation beauftragt wurde. Am 06.05.2019 übermittelte er erneut die Ermächtigung vom 07.03.2019, eine Kopie des Taufscheines vom XXXX 2019 und eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs.

4. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden mehrere mündliche Verhandlungen durchgeführt im Zuge dessen der BF ein Konvolut von Ausdrucken zu seinem Auftritt in öffentlichen Medien und zum Beweis seines Bekenntnisses zum christlichen Glauben sowie Bestätigungen über seine religiös-künstlerische Tätigkeit und über die von ihm teilweise geführten Telefonate vorlegte. Die vom BF vorgelegten fremdsprachigen Unterlagen wurden einer Übersetzung zugeführt und die Analyse des Accounts des BF in Auftrag gegeben. Im Zuge der letzten Verhandlung legte der BF eine Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft, die Kopie zweier Taufscheine sowie eines Taufbuchauszuges zum Beweis der der Funktion des BF als Taufpate und einen vorläufigen Führerschein vor.

Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.02.2020, berichtigt durch den Beschluss vom XXXX .2020 zur Zl. XXXX , als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde dabei u.a. ausgeführt, dass es sich beim vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignis im Iran um ein Konstrukt handle, zumal die Schilderung der Ereignisse sowohl im behördlichen als auch gerichtlichen Verfahren sehr detailarm vorgebracht worden seien. Der BF sei vor der belangten Behörde nicht in der Lage gewesen, anzugeben, wie sein Freund, der ihn über die Erstürmung der Hauskirche informiert haben soll, Kenntnis über die Behördenaktion erlangt habe. Demgegenüber habe er vor Gericht allerdings eine entsprechende Begründung liefern können. Gleichzeitig habe er aber auch angegeben, den Kontakt zu diesem Freund auf der Reise nach Europa verloren zu haben und nichts über dessen Verbleib zu wissen. Aufgrund dieser offensichtlichen konstruierten Fluchtgeschichte, müsse davon ausgegangen werden, dass die behaupteten späteren Ereignisse (wie der Kontakt mit einer Person, die versucht hätte, Informationen über christliche Aktivitäten im Iran bzw. über ihn und seine Familie zu erfragen und die daraus resultierende Festnahme des Bruders) als bloße Steigerung des Vorbringens anzusehen seien. Der BF habe sein Vorbringen in weiterer Folge auch erneut gesteigert, indem er angegeben habe, dass auch seine Schwester einmal festgenommen worden sei. Es erscheine auch nicht plausibel, dass ein tatsächlich Verfolgter einer unbekannten Person Kontaktdaten übermitteln würde, da es dadurch leicht möglich wäre den Aufenthalt des Verfolgten ausfindig zu machen. Nicht plausibel erscheine es in diesem Zusammenhang auch, wenn der BF einerseits behaupte, seine Cousins, welche für den iranischen Geheimdienst tätig wären, hätten an drei Durchsuchungen des Hauses der Familie mitgewirkt, sich dann aber nach der Festnahme des Bruders für dessen Freilassung eingesetzt.

Ebenso sei die behauptete Konversion nicht glaubhaft. Das ergebe sich daraus, dass der BF vor Gericht nicht in der Lage gewesen sei, eine tatsächliche innere Glaubensüberzeugung darzulegen. Seine Aussagen vor Gericht hätten den Eindruck vermittelt, dass er sich mit dem Christentum nicht ernsthaft auseinandergesetzt habe. So habe er seine Motivation zu einer anderen Religion zu finden, nicht überzeugend dargestellt. Seine Ausführungen hätten jener Tiefe entbehrt, die auf eine ernste Beschäftigung mit der neu gewählten Religion und auf einen inneren Entschluss hingedeutet hätten. Zum Zeugen XXXX wurde ausgeführt, dass aus dessen Aussage nur wenig in Hinblick auf die vom Beschwerdeführer behauptete Konversion gewonnen werden könne. In Bezug auf den Zeugen XXXX wurde ausgeführt, dass dieser keine unmittelbaren Wahrnehmungen zu den von ihm behaupteten missionierenden Tätigkeiten des BF habe und aufgrund der bestehenden Freundschaft eine zugunsten des BF gefärbte Aussage anzunehmen sei. Der Zeuge XXXX habe in seinen Ausführungen im Wesentlichen nur mittelbare Eindrücke berichtet, weshalb darin kein Beweis für eine tatsächliche Konversion gesehen werden könne.

Zu den vom BF vorgelegten Unterlagen zu seinem Instagram-Account führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es sich dabei um einen Schein-Account handle. Der Account sei dem BF nicht namentlich zuzuordnen. Der BF sei auf diesem Account dreimal persönlich zu sehen und seien die Bilder jeweils nach Verhandlungsterminen hochgeladen worden. Die Beiträge seien in einem relativ geringen Ausmaß aufgerufen worden. Die höchste Zahl an Aufrufen finde sich nach einer Aufforderung zum Aufruf durch den BF und sei das eine Reaktion auf eine von Instagram eingerichtete Automatik um Accounts ohne tatsächliche Aktivität ersichtlich zu machen. Auch die vom BF behaupteten politischen Aktivitäten, die sich in erster Linie auch auf seinem Instagram-Account beschränken würden, erachtete das Bundesverwaltungsgericht als eine reine Scheinaktivität zur Erlangung von Asyl.

Ebenso wurde im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.02.2020 näher erläutert, dass der BF nicht in leitender Funktion exponiert sei und auch nicht glaubhaft vorgebracht habe, dass er missionierend tätig sei. Das Verhalten des BF (dass er nämlich in Österreich die Kirche besuche und religiös bzw. politische Aktivitäten im Internet betreibe) erweise sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheine, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen, weswegen vom Bundeverwaltungsgericht kein asylrelevantes Verfolgungsrisiko erkannt wurde.

Aufgrund der festgestellten Scheinkonversion bzw. vorgetäuschten exilpolitischen Aktivität sei davon auszugehen, dass der BF nach seiner Rückkehr in den Iran keine christlichen bzw. politischen Handlungen vornehmen werde. Auch habe der BF nicht glaubhaft vorgebracht, dass ihm nahestehende Personen gegen ihn Anzeige erstatten würden. Es sei daher auch nicht davon auszugehen, dass diese die iranischen Behörden diesbezüglich tatsächlich in Kenntnis setzen. Es bestehe daher auch keine Gefahr, dass dem BF eine bestimmte politische Gesinnung unterstellt werden könnte. Ein Vorbringen hinsichtlich einer politischen Tätigkeit im Iran sowie in Österreich habe der BF nicht glaubhaft machen können, weshalb auch keine Verfolgungsgefahr aus politischen Gründen erkennbar sei.

5. Am 12.03.2020 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz: bei der Erstbefragung an diesem Tag gab der BF an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht seien. Er habe in Österreich bei Demonstrationen teilgenommen, wobei die letzte Demonstration vor der iranischen Botschaft gefilmt worden sei, wovon die iranischen Behörden erfahren hätten. Die iranische Polizei habe gestern das Haus seiner Eltern durchsucht. Sein Bruder sei auch festgenommen worden.

6. Mit Schreiben vom 18.03.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Ebenfalls mit Schreiben vom 18.03.2020 wurde dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran, mit einer Gesamtaktualisierung vom 14.06.2019, zugestellt.

7. Am 21.04.2020 langte eine Vollmacht von XXXX sowie am 28.04.2020 eine Urkundenvorlage (Fotokonvolut, Video), Stellungnahme und Richtigstellung bei der belangten Behörde ein. Darin wurde ausgeführt, dass der BF Anhänger der iranischen Monarchie sei. Auf Foto 5 sei der BF bei einer Demonstration für den Sturz des islamischen Mullah-Regimes bzw. zur Unterstützung und Anhängerschaftsbegründung für die Familie der Schah-Dynastie zu erkennen. In Reaktion auf sein Engagement sei gegen ihn im XXXX 2009 eine Fatwa erlassen worden. Auch habe der BF u.a. an einer Demonstration vor der iranischen Botschaft am XXXX .2020 teilgenommen. Daraufhin sei die Wohnung seiner Eltern im Iran durchsucht und der Bruder des BF festgenommen worden. Den Eltern sei im Zuge dessen mitgeteilt worden, dass der BF ein Ungläubiger sei und rebellieren würde. Durch sein politisches Engagement und seine öffentliche Zurschaustellung seiner Unterstützung bzw. Anhängerschaft des legitimen Schahs sei er bei einer Rückkehr in den Iran mit dem Tode bedroht. Zudem sei der BF bekennender Christ und katholisch getauft. Dass im Zuge seiner Erstbefragung bei der Religionsangehörigkeit Islam/Sunnit angegeben sei, könne nur auf einen groben Fehler des Dolmetschers zurückzuführen sein.

8. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 25.06.2020 gab der BF an, dass seine Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien, er aber auch neue Fluchtgründe habe. Er unterstütze seit zwei Jahren die Pahlavi-Bewegung und habe in diesem Zeitraum an acht bis zehn Demonstrationen teilgenommen. Auf seinem Instagram-Account veröffentliche er auch immer wieder Videos. Seine Teilnahme an einer dieser Demonstrationen sei vom Sender XXXX gefilmt sowie bereits ausgestrahlt und ins Internet gestellt worden. Ein paar Tage später sei sein Elternhaus von iranischen Behörden durchsucht und sein Bruder am XXXX .2020 mitgenommen worden. Dieser habe eine Zustimmungserklärung unterschreiben müsse, dass er sofort die Behörden kontaktieren werde, wenn er vom Aufenthaltsort des BF Kenntnis erlange. Danach sei er freigelassen worden. Das Datum der Demo, bei welcher er gefilmt worden sei, könne er nicht genau benennen, es soll einige Tage vor der Festnahme seines Bruders gewesen sein. Ein paar Tage zuvor sei er von seiner Mutter über die Veröffentlichung des Videos informiert worden. Später gab er an, von der Ausstrahlung des Videos am XXXX .2019 von seiner Mutter telefonisch in Kenntnis gesetzt worden zu sein.

Unter einem wurde ein Schreiben von XXXX und eine handgeschriebene Liste mit drei potentiellen Zeugen (deren Einvernahme zugleich beantragt wurde) und eines Youtube-Links zu einem bereits vorgelegten Video. Das Video sei bereits auf BBC und XXXX zu sehen gewesen; Beweismittel für die Ausstrahlung würden allerdings nicht vorliegen. Aus dem Schreiben von XXXX geht u.a. hervor, dass der BF am XXXX 2019 getauft und gefirmt worden sei. Während der Schließzeit in XXXX habe er eine eigene Bibelstunde gegründet und vier Neuchristen getauft. Der BF sei ein eifriger Konvertit, der auf Instagram für den christlichen Glauben werbe und mit Interessenten kommuniziere. Darüber hinaus sei er auch politisch aktiv.

9. Mit Schreiben vom 03.07.2020 brachte der BF vor, dass er bei vier Konvertiten eine sog. Nottaufe durchgeführt habe, wie aus der beigefügten Stellungnahme des XXXX hervorgehe. Der BF sei daher aufgrund seiner intensiven missionarischen Tätigkeit im Iran der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt. Weiters wurde die Einvernahme des Zeugen XXXX beantragt.

10. Mit Schreiben vom 25.06.2020 wurde dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran, mit einer Gesamtaktualisierung vom 19.06.2020, zugestellt. In der darauf bezogenen Stellungnahme führte der BF aus, dass er bei einer Rückkehr in den Iran mit Sanktionen des iranischen Regimes wegen Apostasie (insb. wegen missionarischer Tätigkeiten) und politischer Auflehnung gegen das Regime zu rechnen habe. Der Antrag auf Einvernahme des Zeugen XXXX werde zudem weiterhin aufrechterhalten.

11. Mit Bescheid vom 31.07.2020 wies die belangte Behörde den (zweiten) Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG, hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach IRAN zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem hielt die belangte Behörde fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gegen den BF wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Zurückweisung des Antrags begründete die belangte Behörde damit, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege:

Der BF habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht. Der BF habe bereits in seinem Vorverfahren angegeben, dass er aufgrund politischer Statements auf Instagram politisch verfolgt werden würde. Nähere Angaben zur Pahlavi-Bewegung, die er bereits seit zwei Jahren unterstütze, machte er jedoch nicht. Auch habe er bereits im Vorverfahren Bedrohungen seiner Familie aufgrund seiner Konversion vorgebracht. Dass es nun eine Woche nach Eintritt der Rechtskraft zu einer Hausdurchsuchung und Verhaftung des Bruders aufgrund der politischen Aktivitäten des BF gekommen sein soll, wirke wie ein Konstrukt mit dem er sein bisherigen Fluchtvorbringen um eine politische Facette erweitern möchte. In Bezug auf seine Aktivität auf Instagram verwies die belangte Behörde auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es sich diesbezüglich um einen Schein-Account handle. Angesichts der widersprüchlichen Angaben des BF zu seinem neuen Fluchtvorbringen, könne auch nicht von einem glaubhaften Kern ausgegangen werden. Da sich auch die allgemeine Situation im Iran seit Rechtskraft des Erstverfahrens nicht wesentlich geändert habe, liege auch in diesem Punkt entschiedene Sache vor. Auch habe keine Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich festgestellt werden können.

12. Der BF erhob gegen den im Kopf angeführten Bescheid fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass die Repressalien, denen seine Familie im Iran ausgesetzt seien, erst nach rechtskräftiger Beendigung des Erstverfahrens zu Tage getreten seien und damit keine entschiedene Sache vorliege. Der BF beantragte u.a., der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und die Einvernahme namentlich genannter Zeugen durchzuführen. Ergänzend wurden Urkunden bzw. Video-Links in Vorlage gebracht, die den BF bei Demonstrationen sowie mit einem Pfarrer zeigen würden.

13. Die belangte Behörde legte den Verfahrensakt samt dem Beschwerdeschriftsatz dem Bundesverwaltungsgericht am 21.08.2020 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

-        Der Akt des Erst- und Zweitverfahrens der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,

-        Die Bescheide des Erst- und Zweitverfahrens der Behörde,

-        Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.02.2020 samt dem bezugshabenden Akt

-        die im Zweitverfahren von der Behörde eingebrachten Länderberichte zu Iran

-        Sämtliche vorgelegte Beweismittel,

-        Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin, zum Verfahrensverlauf und den Fluchtgründen:

Betreffend den Verfahrensverlauf wird auf Punkt I. verwiesen.

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in der Stadt Teheran in Islamischen Republik Iran geboren. Er ist iranischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Perser an, ist ledig und hat keine Kinder. Er spricht Farsi. Seine Identität steht fest.

Er hat im Iran die Schule und die Universität besucht und war auch schon beruflich tätig.

Der BF verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte im Iran.

Der BF ist in Österreich nicht berufstätig, lebt von der Grundversorgung, ist gesund, arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten.

Er hat keine familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der BF bezieht sich in seinem (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz auf Umstände, die bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Asylantragstellung bestanden haben. Der BF konnte seit Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr in den Iran Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass er in eine seine Existenz bedrohende Notlage geriete.

1.2.    Zur Lage im Herkunftsstaat (vgl. die Feststellungen, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegen):

Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen: […]

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch- irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen: […]

Rechtsschutz/Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

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Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

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Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen. Geschätzt gibt es ca. eine Viertelmillion Häftlinge (US DOS 11.3.2020). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Auch ist von mangelnder Hygiene auszugehen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.4.2020).

In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 10.2019).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 26.2.2020). Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in „sichere Häuser“ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen, wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten werden. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 10.2019). Von Hungerstreiks in iranischen Gefängnissen wird des Öfteren berichtet, in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020).

Es ist nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, z. B. in Form von Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg. Die größte Gefahr droht Inhaftierten bei Verhören. Die Behörden gingen Foltervorwürfen grundsätzlich nicht nach und zogen die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft. Folter soll zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt oder dazu beigetragen haben (AI 18.2.2020).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

-        Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

-        Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte - Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

-        Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

-        Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

-        Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

-        UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

-        Konvention über die Rechte behinderter Menschen

-        UN-Apartheid-Konvention

-        Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-        Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

-        Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

-        Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

-        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

-        Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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