TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/21 W251 2146965-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §16 Abs1
VwGVG §28 Abs1

Spruch

W251 2146965-1/38E

Schriftliche Ausfertigung des am 28.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2016, Zl. 74244502 - 14446033, sowie über den Antrag auf internationalen Schutz vom 10.03.2014 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 16 Abs. 1 VwGVG aufgehoben.

II. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 10.03.2014 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen.

III. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen.

IV. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wird der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

V. Gemäß § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien auf Dauer für unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 und 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine weibliche Staatsangehörige Äthiopiens, reiste mit einem Visum C im Dezember 2013 in Österreich ein. Kurz vor Ablauf des Visums stellte die Beschwerdeführerin am 10.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 11.03.2014 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Dabei gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihr Vater verstorben sei als sie noch sehr jung gewesen sei. Ihr Onkel habe sie im Jahr 2011 mit einem sehr alten Mann verheiratet, weshalb sie nach Dubai geflogen sei. Im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien befürchte die Beschwerdeführerin zu diesem alten Mann zurückkehren zu müssen, weil ihre Familie von diesem Mann bereits Geld erhalten habe. Da es sich um sehr viel Geld gehandelt habe, könne ihre Familie dies nicht mehr zurückzahlen.

3. Am 17.02.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) eine Säumnisbeschwerde der Beschwerdeführerin ein.

4. Mit Urkundenvorlage vom 14.07.2016 legte die Beschwerdeführerin Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

5. Am 21.07.2016 fand die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt statt. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, dass ihr Onkel, der nach dem Tod ihres Vaters ihr Vormund gewesen sei, sie gegen viel Geld an einen alten Mann verheiraten habe wollen. Die Beschwerdeführerin und ihre Mutter haben nichts dagegen gesagt, weil dies in ihrer Kultur als äthiopische Frau so sei. An einem Donnerstag habe der Onkel der Beschwerdeführerin, seine Ehefrau und der alte Mann etwas unterschrieben. Der Onkel der Beschwerdeführerin habe auch bereits Geld von dem alten Mann erhalten. Die Polizisten habe der Beschwerdeführerin nicht helfen wollen und sie ausgelacht. Sie sei daraufhin zu einer Schulfreundin gegangen, die sie zum Haus deren Mutter gebracht habe. Der Mann ihrer Schulfreundin habe der Beschwerdeführerin geraten nach Dubai zu gehen um dort zu arbeiten. Die Beschwerdeführerin habe in Dubai die ganze Zeit arbeiten müssen.

6. Mit Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 04.08.2016 legte die Beschwerdeführerin erneut Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

7. Aus dem Medizinischen Gutachten vom 29.11.2016 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin eine gegenwärtig leichte Anpassungsstörung aufweist. Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt nicht vor. Die Beschwerdeführerin ist ohne Medikation kompensiert. Eine psychotherapeutische Unterstützung ist empfohlen. Die Beschwerdeführerin hat keinerlei kognitive Einschränkungen und ist in allen Bereichen orientiert.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien (Spruchpunkt II.) ab und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Es drohe der Beschwerdeführerin auch keine Gefahr, die die Erteilung subsidiären Schutzes rechtfertige. Die Beschwerdeführerin könne auf einen intakten Familienverbund in Äthiopien zählen, der sie gerne wieder in seiner Mitte aufnehmen ihr bei der Wiederintegration im Heimatland helfen werde. Die Beschwerdeführerin verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

9. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das medizinische Gutachten zwar der Entscheidungsfindung zugrunde gelegt worden sei, jedoch weder der Beschwerdeführerin noch der Rechtsvertreterin übermittelt worden sei. Die landeskundlichen Informationen der Staatendokumentation seien veraltet und würden auf im Verfahren relevante Themen wie Zwangsverheiratung, die rechtliche Stellung der Frau und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten nur wenig bzw. keinen Bezug nehmen. Das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes sei daher mit Mängeln behaftet. Der Bescheid leide zudem an fehlerhaften Tatsachenfeststellungen aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung. Zudem habe das Bundesamt versucht die Beschwerdeführerin möglichst unglaubwürdig darzustellen. Die Beschwerdeführerin habe widerspruchsfrei und schlüssig vorgebracht von ihrem Onkel zur Zwangsehe genötigt worden zu seien. Die Beschwerdeführerin habe den Antrag auf internationalen Schutz nicht in Täuschungsabsicht gestellt. Der Beschwerdeführerin drohe in Äthiopien eine asylrelevante Zwangsheirat. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für die Beschwerdeführerin als alleinstehende junge Frau nicht. Darüber hinaus sei Äthiopien von Nahrungsmittelengpässen betroffen, sodass die Grundversorgung nicht gewährleistet sei. Die familiären Anknüpfungspunkte der Beschwerdeführerin könnten ihre Existenz nicht sichern. Einer alleinstehenden Frau sei es in Äthiopien nicht möglich sich selbständig zu versorgen und ihre eigene Existenz zu sichern. Die Beschwerdeführerin verfüge in Österreich über ein schützenswertes Familienleben zu ihrer Schwester, die sie nach deren Entbindung unterstützt habe. Zudem würde sich aus den zahlreichen im Verfahren vorgelegten Unterlagen die sehr gute Integration der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben. Das Bundesamt habe jegliche sachliche Auseinandersetzung mit den vorgelegten Integrationsnachweisen vermissen lassen. Die Beschwerdeführerin habe alle Möglichkeiten genutzt um sich weiterzubilden und Deutschkenntnisse zu erwerben.

Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 08.02.2017 den Verwaltungsakt vor.

10. Mit Urkundenvorlage vom 27.09.2017 und 14.02.2018 legte die Beschwerdeführerin Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.02.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Amharisch und im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführerin wurde in der Verhandlung die Möglichkeit eingeräumt zu den Verhandlungsergebnissen und den in der Verhandlung beigezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen.

12. Mit Stellungnahme vom 22.03.2018 wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin zwei Beschäftigungsangebote für die Zeit nach Absolvierung ihrer Ausbildung erhalten habe. Die Beschwerdeführerin legte unter einem sowie mit Urkundenvorlage vom 25.09.2018, vom 21.03.2019, vom 03.06.2019 und vom 31.07.2019 Urkunden betreffend ihre Integration vor.

13. Die Beschwerdeführerin teilte mit Schreiben vom 23.04.2020 mit, dass sie schwanger sei und zu ihrem Freund – dem Vater des Kindes –, der über den Status des Asylberechtigten verfüge, gezogen sei. Unter einem sowie mit Schreiben vom XXXX legte sie Unterlagen betreffend ihre Integration und ihre Schwangerschaft vor.

14. Am 28.07.2020 wurde die mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin fortgesetzt. Die Beschwerdeführerin verzichtete auf die Beiziehung einer Dolmetscherin. Nach Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen
Entscheidungsgründen gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet und Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der angefochtene Bescheid wurde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurde sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien abgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde der Beschwerdeführerin nicht erteilt. Die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien wurde auf Dauer für unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

15. Mit Schreiben vom 07.08.2020 beantragte die Beschwerdeführerin die schriftliche Ausfertigung des am 28.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin reiste mit einem C-Visum im Dezember 2013 in Österreich ein. Kurz vor Ablauf des Visums stellte die Beschwerdeführerin am 10.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 39, 11 ff).

Am 17.02.2016 langte beim Bundesamt eine Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 iVm 132 Abs. 3 B-VG der Beschwerdeführerin ein. Sie stellte die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen und in der Sache selbst entscheiden, dem Antrag auf internationalen Schutz stattgeben und ihr den Asylstatus zuerkennen.

Das Bundesamt vernahm die Beschwerdeführerin am 21.07.2016 niederschriftlich zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit Bescheid vom 27.12.2016 wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien (Spruchpunkt II.) ab und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Äthiopien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

Die Säumnisbeschwerde wurde weder von der Beschwerdeführerin noch von deren Rechtsvertreter zurückgezogen.

1.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX auch XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist äthiopische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Gurage an, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Amharisch als Muttersprache sowie Arabisch und Deutsch (AS 11, 121, 125; Verhandlungsniederschrift vom 26.02.2018 = OZ 6, S. 6). Die Beschwerdeführerin wurde im Alter von ca. drei Jahren beschnitten (OZ 6, S. 16).

Die Beschwerdeführerin wurde in Addis Abeba geboren und ist dort aufgewachsen. Der Vater der Beschwerdeführerin verstarb als die Beschwerdeführerin ca. drei Jahre alt war. Die Beschwerdeführerin lebte mit ihrer Mutter, die auf dem Wochenmarkt Lebensmittel verkauft hat, in einer Mietwohnung. Die Beschwerdeführerin hat acht Jahre lang die Grundschule in Addis Abeba und zwei Jahre die „Highschool“ in XXXX , somit insgesamt 10 Jahre die Schule in Äthiopien, besucht. Sie hat eine einjährige Berufsausbildung in Strickerei in einer Schneiderschule absolviert und neben der Grundschule in einem Schuhgeschäft gearbeitet. Mit Beginn ihres Besuchs der „Highschool“ hat sie ihre Tätigkeit im Schuhgeschäft beendet und diese nach ihrer Stickereiausbildung wiederaufgenommen (AS 123 ff, 218-220, 285-287; OZ 6, S. 7 f).

Die Beschwerdeführerin reiste am 28.03.2011 von Addis Abeba mit dem Flugzeug im Besitz eines Visums (Aufenthaltsrechts) nach Dubai (AS 41, 127). Sie war dort bei einer Agentur angestellt. Ihr Visum (Aufenthaltsrecht) für die Vereinten Arabischen Emirate wurde verlängert (OZ 6, S. 8, AS 125). Die Beschwerdeführerin reiste vor Ablauf des Visums (Aufenthaltsrechts) am 15.11.2013 nach Äthiopien zurück, wo sie wieder bei ihrer Mutter wohnte und ein Visum für die Schengen Staaten beantragte. Am 15.12.2013 reiste die Beschwerdeführerin mit dem Flugzeug aus Äthiopien aus.

Die Mutter der Beschwerdeführerin lebt nach wie vor in Addis Abeba in der Mietwohnung und verkauft Lebensmittel auf der Straße (AS 125-127, OZ 6, S. 8). Eine Schwester der Beschwerdeführerin ist verheiratet und hat Kinder. Sie lebt mit ihrer Familie in Addis Abeba. Ihr Ehemann betreibt ein Familiengeschäft und kommt für den Unterhalt der Schwester der Beschwerdeführerin auf (AS 127; OZ 6, S. 9). Die Beschwerdeführerin hat regelmäßig Kontakt zu ihren Familienangehörigen – insbesondere ihrer Mutter – in Addis Abeba.

Darüber hinaus leben noch drei Onkel und eine Tante sowie Cousins und Cousinen der Beschwerdeführerin in Addis Abeba. Weitere Onkel und Tanten der Beschwerdeführerin väterlicher- und mütterlicherseits leben in Äthiopien in XXXX und XXXX (AS 127).

Eine Schwester der Beschwerdeführerin lebt in London. Diese ist verheiratet und hat vier Kinder (AS 127; OZ 6, S. 9). Eine weitere Schwester der Beschwerdeführerin ist verheiratet und lebt in Österreich. Sie arbeitet im Krankenhaus als Reinigungskraft (AS 127; OZ 6, S. 9).

Die Beschwerdeführerin leidet an einer leichten Anpassungsstörung, die derzeit ohne Medikation kompensiert ist. Eine psychotherapeutische Unterstützung ist empfohlen. Die Beschwerdeführerin hat keinerlei kognitive Einschränkungen und ist in allen Bereichen orientiert und arbeitsfähig. Sie leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten (AS 121, 137; OZ 6, S. 14).

1.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Die Beschwerdeführerin wurde in Äthiopien nicht von ihrem Onkel an einen reichen Mann verheiratet. Der Onkel der Beschwerdeführerin hat kein Geld für die Verheiratung der Beschwerdeführerin erhalten. Der Onkel hat die Beschwerdeführerin keinem anderen Mann zur Heirat versprochen.

Im Falle der Rückkehr nach Äthiopien droht der Beschwerdeführerin weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch ihren Onkel, ihren behaupteten Ehemann, staatliche Organe oder durch andere Personen.

Die Beschwerdeführerin wurde in Äthiopien niemals konkret bedroht und war keiner Verfolgung ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin hat Äthiopien weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

1.2.2. Darüber hinaus droht der Beschwerdeführerin in Äthiopien weder physische noch psychische Gewalt wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft des sunnitischen Islams oder zur Volksgruppe der Gurage .

1.2.3. Die Beschwerdeführerin ist in Äthiopien allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Die Beschwerdeführerin verfügt in Äthiopien über Familienangehörige, sodass sie über ein soziales und familiäres Netzwerk verfügt. Die Beschwerdeführerin müsste bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in ein IDP-Lager gehen, sondern kann bei ihrer Familie Schutz, Unterkunft und Verpflegung vorfinden.

1.2.4. Die Beschwerdeführerin wäre in Äthiopien aufgrund der durchgeführten Genitalbeschneidung weder einer Lebensgefahr noch psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in die Stadt Addis Abeba kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit.

Die Beschwerdeführerin kann dort auch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Beschwerdeführerin verfügt über eine langjährige Schulbildung, eine Berufsausbildung sowie Berufserfahrung. Sie ist gesund und erwerbsfähig, sie hat in Addis Abeba keine Sorgepflichten. Die Beschwerdeführerin verfügt über ein hohes Maß an Selbständigkeit und Anpassungsfähigkeit.

Die Beschwerdeführerin wurde nach den äthiopischen Gepflogenheiten und der äthiopischen Kultur sozialisiert, sie ist mit den äthiopischen Gepflogenheiten vertraut und zudem anpassungsfähig. Sie ist in Addis Abeba geboren und aufgewachsen, sodass sie mit den Gepflogenheiten in dieser Stadt vertraut ist und über Ortskenntnisse verfügt.

Die Beschwerdeführerin verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Addis Abeba und kann – wie vor ihrer Ausreise aus Äthiopien - bei ihrer Mutter in Addis Abeba wohnen. Sie kann von ihrem familiären Netzwerk, insbesondere bei der Arbeitssuche und der Verpflegung, unterstützt werden und dann selber für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen. Die Beschwerdeführerin kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist der Beschwerdeführerin daher möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Äthiopien in Addis Abeba wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Zum(Privat)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Die Beschwerdeführerin reiste mit einem Visum C in das Bundesgebiet ein und hielt sich zunächst aufgrund dieses Visums in Österreich auf. Kurz vor Ablauf des Visums stellte die Beschwerdeführerin am 10.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seit ihrer Antragsstellung am 10.03.2014 ist die Beschwerdeführerin aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich viele Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht (AS 97-107; OZ 2). Sie hat die ÖSD Deutschprüfung auf dem Niveau A2 am 25.04.2017 gut sowie auf dem Niveau B1 am 18.07.2017 ausreichend bestanden (OZ 2; OZ 6, S. 11). Sie verfügt über gute Deutschkenntnisse (OZ 6, S. 10).

Zudem hat sie im Jahr 2015 Basiskurse in Mathematik, Englisch und Deutsch (AS 95) sowie im Jahr 2016 einen Vorbereitungslehrgang zum externen Pflichtschulabschluss besucht (AS 89) und die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden (OZ 2). Sie absolvierte die zweijährige Ausbildung in der Pflegeassistenz mit dem Schwerpunkt Altenarbeit (OZ 2; Beilage ./B; OZ 19; OZ 21; OZ 25). Sie ist ausgebildete Pflegeassistentin (OZ 24). Zudem absolvierte sie den Grundkurs Kinaesthetics in der Pflege (OZ 24). Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin an einem Werte- und Orientierungskurs sowie an weiteren Kursen (ua. Nähkurs, Stempelschnitzkurs, Erste-Hilfe-Grundkurs) teilgenommen (OZ 2; OZ 5; OZ 25).

Die Beschwerdeführerin hat ein viermonatiges, ein zweimonatiges, ein eineinhalbmonatiges und ein fünfmonatiges Praktikum im Rahmen ihrer Ausbildung in einem Seniorenwohnhaus absolviert (OZ 5; OZ 21; OZ 24). Sie hat für die Caritas auch eine auf Renumeration basierende Tätigkeit als Reinigungskraft ausgeübt (AS 175; OZ 6, S. 11). Sie engagierte sich von Anfang März 2017 bis Ende August 2017 an zwei Wochentagen für ca. 10 Wochenstunden auf ehrenamtlicher Basis in einem Sozialmarkt für Menschen mit geringem Einkommen (OZ 2; OZ 5; OZ 6, S. 11). Von 23.01.2017 bis 28.08.2017 war die Beschwerdeführerin in einem Seniorenheim freiwillig tätig (OZ 2; OZ 5; OZ 6, S. 11). Sie hat auch ehrenamtliche Tätigkeiten, als Dolmetscherin sowie für einen Verein erbracht (AS 173; OZ 6, S. 11). Die Beschwerdeführerin hat seit Dez. 2019 bis Ende März 2020 (Einschränkungen durch Corona-Pandemie) ehrenamtlich 8 Stunden pro Woche in einem Seniorenwohnheim in der Betreuung und Pflege gearbeitet (OZ 26). Sobald eine Aufenthaltsberechtigung vorliegt, würde die Beschwerdeführerin in diesem Seniorenwohnheim arbeiten können (OZ 13; OZ 14; OZ 25; OZ 26).

Die Beschwerdeführerin hat gelegentlich Kontakt zu ihrer in Österreich lebenden Schwester und deren Kindern. Sie lebt mit ihrer Schwester und deren Kindern nicht im gemeinsamen Haushalt und es besteht kein Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen (OZ 6, S. 12).

Die Beschwerdeführerin hat Freunde in Österreich mit denen sie spazieren oder ins Kino geht und Musikveranstaltungen besucht (OZ 6, S. 11 ff). Sie wird von ihren freundschaftlichen Kontakten sowie ihren Lehrern aufgrund ihrer offenen und hilfsbereiten Art sehr geschätzt (AS 91, 93, 177-193; OZ 5; OZ 26).

Die Beschwerdeführerin hat am XXXX eine Tochter in Österreich zur Welt gebracht (OZ 31; OZ 35, S. 3). Der Vater dieser Tochter ist somalischer Staatsangehöriger und er verfügt in Österreich über den Status eines Asylberechtigten. Ihm wurde am 20.10.2015 ein Konventionspass ausgestellt (OZ 26). Die Tochter der Beschwerdeführerin hat in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt über den noch nicht entschieden wurde.

Die Beschwerdeführerin führt seit Ende des Jahres 2018 eine Beziehung mit dem Vater ihrer Tochter (OZ 35, S. 4). Sie lebt seit 09.03.2020 mit diesem sowie seit der Geburt ihrer Tochter auch mit dieser im gemeinsamen Haushalt.

Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Sie war weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, ihre Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 28.07.2020).

1.6. Zur maßgeblichen Situation in Äthiopien:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Äthiopien basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Äthiopien vom 08.01.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 08.11.2019 (LIB),

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Äthiopien: Informationen zur sozioökonomischen Lage von Frauen vom 30.07.2015 (Beilage ./III)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Äthiopien: Informationen zur Lage von Frauen mit und ohne familiäre Anknüpfungspunkte bei einer Rückkehr (Sicherung der Existenzgrundlage); Lage von Angehörigen der Oromo vom 27.10.2014 (Beilage ./IV)

-        DFAT Country Information Report Ethiopia vom 27.09.2017 (DFAT)

-        Analyse der Staatendokumentation zu Ehe im Islam vom 05.05.2015 (Ehe im Islam)

1.6.1. Allgemeines und Sicherheitslage:

Äthiopien hat rund 104 Millionen Einwohner und mehr als 80 verschiedene ethnische Gruppen, wie die Oromo, Amharen, Somalis und Tigrinya. Diese vier Volksgruppen machen 75 % der Gesamtbevölkerung aus. Die Oromo sind mit 35 % die größte Bevölkerungsgruppe in Äthiopien. 80 % der Gesamtbevölkerung leben in ländlichen Gebieten (DFAT, S. 5).

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen (LIB, Kapitel 2).

Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet. Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht. Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden. Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen (LIB, Kapitel 3).

Aktuelle Proteste:

Ende Juni 2019 kam es zu mehreren Angriffen auf führende Politiker landesweit. Der Regionalpräsident von Bahir Dar wurde, gemeinsam mit zwei weiteren Regionalregierungsmitgliedern und Dutzender weiterer Personen bei einem „Putschversuch“ durch den Sicherheitsregionalleiter am 22.6.2019 getötet. Am 20.6.2019 wurde der Bürgermeister von Dembir Bolo angeschossen und schwer verletzt. In Guba wurden bei einem Angriff einer Amhara-Miliz am 23.6.2019 mehr als 50 Personen getötet. In Addis Abeba wurde der Militärstabschef durch seinen eigenen Personenschützer erschossen (LIB, Kapitel 1).

Die Ereignisse von Juni 2019 stehen in scharfem Kontrast zum Rückgang der Gewalt seit der Amtseinsetzung von Premierminister Abiy im April 2018. Abiy schlug danach eine härtere Linie ein. Das Internet wurde für vier Tage landesweit blockiert und hunderte Personen wurden in Zusammenhang mit der Gewalt verhaftet; der Druck der Regierung hat seitdem nicht nachgelassen (LIB, Kapitel 1).

Ende Oktober 2019 kam es nach Gerüchten über die Misshandlung des Abiy-Kritikers und Internetaktivisten Jawar Mohammed durch Sicherheitskräfte zu Protesten und Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Aus den Protesten entwickelten sich in der Folge ethnisch und religiös motivierte Unruhen. In den darauffolgenden Tagen kam es in vielen Städten zu gewaltsamen Sicherheitsmaßnahmen, gewalttätigen Konfrontationen und Kämpfen. Im Zuge dieser gewaltsamen Zusammenstöße zwischen verschiedenen Volksgruppen wurden nach Angaben des Premierministers 86 Menschen getötet, darunter zehn Tote durch Sicherheitskräfte und im Zusammenhang mit den Unruhen wurden 409 Personen verhaftet. Premierminister Abiy kündigte an, dass die Behörden gegen all jene vorgehen würden, die "den Frieden und die Stabilität Äthiopiens bedrohen" (LIB, Kapitel 1).

Region Oromia:

Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (LIB, Kapitel 3.1).

1.6.2. Rechtsschutz und Sicherheitsbehörden:

Das Gesetz bzw. die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Gerichte nicht immer unabhängig arbeiten, was jedoch kaum nachzuweisen ist. Das Justizwesen wird als korrupt und undurchsichtig wahrgenommen (LIB, Kapitel 4).

Sowohl religiöse als auch traditionelle Gerichte sind verfassungsmäßig anerkannt. Viele Bürger in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zum formalen Justizsystem und sind auf traditionelle Konfliktlösungsmechanismen angewiesen. Scharia-Gerichte können religiöse und Familienrechtsfälle übernehmen, die Muslime betreffen. Sie erhalten finanzielle Unterstützung durch den Staat und urteilen in der Mehrheit der Fälle in den vorwiegend muslimischen Somali und Afar-Gebieten. Daneben gibt es noch weitere traditionelle Rechtssysteme, wie etwa Ältestenräte (LIB, Kapitel 4).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich (LIB, Kapitel 4).

Das Public Defender‘s Office bietet kostenlose Rechtsberatung, allerdings sind dessen Ressourcen beschränkt. Zusätzlich gibt es zahlreiche sog. Legal Aid Clinics und in manchen Landesteilen dürfen auch Rechtsstudenten und -Professoren pro bono als Verteidiger auftreten. Pflichtverteidiger können erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitskräfte handeln im Allgemeinen diszipliniert, sind aber oftmals schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und besitzen ungenügende Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften. Gewalt wird teilweise unverhältnismäßig eingesetzt. Straffreiheit ist weiterhin ein ernstes Problem. Allerdings lässt die Regierung Polizisten und Soldaten in Menschenrechten ausbilden (LIB, Kapitel 5).

Der National Intelligence and Security Service (NISS) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Sein Schwerpunkt richtete sich in erster Linie gegen die politische inländische Opposition, regierungskritische Journalisten und gegen Gruppierungen aus Eritrea und Somalia (LIB, Kapitel 5).

Die Bundespolizei (Federal Police) untersteht dem Premierminister und unterliegt parlamentarischer Aufsicht. Diese Aufsicht ist allerdings locker. Jeder der neun Regionalstaaten hat eine eigene Staats- oder Sonderpolizeieinheit [„Liyu“], die jeweils den regionalen zivilen Behörden untersteht. Neben den staatlichen bzw. regionalen Polizeibehörden gibt es in allen Regionen staatliche Milizen. Diese sind von Gemeindevertretern ausgewählte, bewaffnete Personen, die ehrenamtlich Militär- und Polizeidienste leisten und im Wesentlichen Polizeiaufgaben in (teilweise sehr entlegenen) ländlichen Gebieten erfüllen (vergleichbar mit „Community Police“) (LIB, Kapitel 5).

In einigen Regionen (Oromia, SRS, Gambella, Sidamo) gehen Polizei und Militär weiterhin gezielt gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige der dort aktiven, z. T. militant bis terroristisch operierenden oppositionellen Gruppierungen OLF (Oromo Liberation Front), ONLF (Ogaden National Liberation Front), Ethiopian National United Patriotic Front (ENUPF) und Sidamo Liberation Front (SLF) vor. Die beiden erstgenannten Gruppierungen wurden allerdings im Juli 2018 entkriminalisiert. Im Zuge der Proteste, bzw. des Ausnahmezustandes in der Region Oromia wurden hauptsächlich Militär und Bundespolizei gegen Demonstranten eingesetzt (LIB, Kapitel 5).

1.6.3. Allgemeine Menschenrechtslage, Folter und unmenschliche Behandlung:

Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung (LIB, Kapitel 9).

Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (LIB, Kapitel 9).

Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (LIB, Kapitel 9).

Die Verfassung verbietet Folter. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis unterlaufen. Von verschiedener Seite werden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär laut. Berichte von Folter und Misshandlung gibt es insbesondere während der Untersuchungshaft und von Häftlingen, die unter Verdacht stehen, mit Terrororganisationen in Verbindung zu stehen. Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z.B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (LIB, Kapitel 6).

1.6.4. Todesstrafe:

Einige Gesetze, zum Beispiel das Strafgesetz und das Antiterrorgesetz, sehen nach wie vor die Todesstrafe vor. Die Todesstrafe wurde in Äthiopien seit 1991 zwei Mal vollstreckt. Seit der letzten Hinrichtung im August 2007 herrscht ein de-facto Moratorium (LIB, Kapitel 11).

1.6.5. Ethnische Minderheiten

Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit einer großen Zahl von Ethnien und Sprachen. Die Anzahl ethnischer Gruppen wird mit mindestens 80 bis zu 120, angegeben. Die Sprachenvielfalt ist ebenso ausgeprägt. Diese sind entweder sehr klein, mit nur einigen tausend Menschen (z.B. Mursi) oder mit über 25 Millionen (z.B. Oromo) sehr groß. Laut Volkszählung von 2007 sind Oromo mit 34,5% und Amharen mit 29,6% die zwei größten ethnischen Gruppen, gefolgt von Somali mit 6,2% und Tigray mit 6,1%. Die übrigen Ethnien machen zusammen gut 23% der Bevölkerung aus (LIB, Kapitel 13).

Auch wenn keine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis feststellbar ist, gibt es jedoch nicht verifizierbare Berichte, dass kleinere indigene Gruppen in der Praxis diskriminiert werden (LIB, Kapitel 13).

Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ethnien werden teils gewaltsam ausgetragen, und weder die Zentralregierung noch lokale Behörden sind in allen Regionen in der Lage, Menschenrechte und demokratische Rechte permanent zu gewährleisten (LIB, Kapitel 13).

Angehörige der Gurage sind alleine aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit in Äthiopien keiner physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.6.6. Religionsfreiheit

Äthiopier sind tief gläubige Menschen, für die ihr Glaube fester Bestandteil ihres Alltags ist. Die zwei größten Glaubensgemeinschaften sind die äthiopisch-orthodoxen Christen (ca. 43%) und überwiegend sunnitische Muslime (ca. 34%). Die übrigen 23% gehören überwiegend anderen christlichen Kirchen oder traditionellen Religionen an (LIB, Kapitel 12).

Die sunnitischen Muslime, die etwa ein Drittel der äthiopischen Bevölkerung ausmachen, sind in den Regionen Oromia, Somali und Afar vorherrschend (LIB, Kapitel 12).

Die Verfassung kodifiziert die Trennung von Religion und Staat, legt Religionsfreiheit fest, verbietet religiöse Diskriminierung und legt fest, dass die Regierung sich nicht in die Ausübung einer Religion einmischt und dass keine Religion in die Angelegenheiten des Staates eingreift (LIB, Kapitel 12).

Äthiopien ist für die friedliche Koexistenz der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, vor allem für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen, bekannt. Generell sind bislang keine nennenswerten interreligiösen Spannungen in Äthiopien zu verzeichnen (LIB, Kapitel 12).

Allerdings werden Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen teils gewaltsam ausgetragen. In den Bundesstaaten Oromia und im Somali Regional State (SRS) schwelt ein international kaum wahrgenommener Konflikt. Die Gewalttätigkeiten sind religiös und ethnisch aufgeladen (LIB, Kapitel 12).

Muslime sind in Äthiopien nicht alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.6.7. Frauen

Frauen sind nach der äthiopischen Verfassung gleichberechtigt. Allerdings beinhalten Gesetze diskriminierende Regelungen, wie z.B. die Anerkennung des Ehemanns als legales Familienoberhaupt und als einzigen Fürsorgeberechtigten für Kinder über 5 Jahre (LIB Kapitel 14.1.).

Im Oktober 2018 wurden erstmals besonders bedeutende Ministerposten an Frauen vergeben, darunter das Verteidigungsministerium sowie das neu geschaffene Friedensministerium, das u. a. den Geheimdienst kontrolliert. Das Kabinett besteht nun zur Hälfte aus Frauen. Ebenfalls Symbolwirkung hatte die Wahl von Sahle-Work Zewde zur ersten Staatspräsidentin des Landes (LIB Kapitel 14.1.).

In der gesellschaftlichen Realität haben Frauen allerdings eine schwächere Position als Männer, nur wenige Frauen haben Führungspositionen inne. Die Situation von Frauen ist oft von körperlich sehr harter Arbeit, Benachteiligung und Bevormundung, von traditioneller Rollenzuschreibung und Gewalterfahrungen geprägt (LIB Kapitel 14.1.).

Trotz steigender Tendenz ist die Einschulungsquote für Mädchen nach wie vor deutlich niedriger als bei Buben. Das gilt auch für den Hochschulbereich. Insbesondere auf dem Land werden Frauen diskriminiert und verfügen nur über sehr eingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten. In den Städten ist die Situation der meisten Frauen deutlich besser als auf dem Land. Vor allem in der noch in der Entstehung befindlichen neuen Mittelschicht sind die Töchter mindestens genauso gut ausgebildet wie die Söhne. Von den neu immatrikulierten Studierenden in 2011 waren bereits über 46 % Frauen. Berufstätige Mütter sind in Addis Abeba an der Tagesordnung. Dennoch sind auch viele urbane Frauen von Benachteiligung und Gewalt betroffen: Sie bekommen weniger Lohn für die gleiche Arbeit (LIB Kapitel 14.1; Beilage ./III).

Der Zugang von Frauen zu Erwerbsarbeit, Krediten und der Möglichkeit ein Unternehmen zu besitzen und zu verwalten, ist durch ihre im Allgemeinen niedrigere Stufe der Bildung und Ausbildung und traditionelle Einstellungen eingeschränkt (Beilage ./IV).

Häusliche Gewalt ist ein weit verbreitetes Problem in Äthiopien und wird meist nicht gerichtlich verfolgt oder als Scheidungsgrund anerkannt. Vergewaltigung in der Ehe ist kein Strafdelikt. Traditionelle Praktiken zum Nachteil von Frauen, wie Beschneidung, Kinderehe und Brautraub mit Zwangsverheiratung stehen unter Strafe, kommen aber, insbesondere in ländlichen Gegenden, weiterhin vor (LIB Kapitel 14.1.).

Auch die sehr frühe Verheiratung von Mädchen ist ein hartnäckiges Problem. In vielen Fällen spielt dabei Entführung eine Rolle. Um der Zahlung eines hohen Brautpreises zu entgehen, entführen junge Männer das Mädchen ihrer Wahl, vergewaltigen es und verhandeln hinterher – meist über vermittelnde Älteste – mit den Eltern. Diese stimmen einer Heirat normalerweise zu, da eine spätere Verheiratung der nicht mehr jungfräulichen Tochter erheblich schwerer würde. Laut einer im Jahr 2003 veröffentlichten Studie kommen in manchen Regionen Äthiopiens zwischen 80 und 90 Prozent aller Eheschließungen durch Entführungen zustande (Beilage ./III).

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist illegal, aber die Regierung setzt dieses Verbot nicht konsequent durch. FGM ist weit verbreitet. Aktuell sind etwa drei Viertel aller Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. FGM ist seit der Reformierung des Strafgesetzbuches 2005 gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 15 Euro) oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe bedroht. Trotz sinkender Zahlen bleibt FGM nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet. Die Zahlen schwanken zwischen 56% und über 70% landesweit. In städtischen Gebieten ist FGM weniger verbreitet. Die Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führen Kampagnen gegen FGM durch und haben sich zum Ziel gesetzt schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, bis zum Jahr 2025 endgültig abzuschaffen (LIB Kapitel 14.1.).

1.6.8. Ehe im Islam

Die Ehe ist ein durch das islamische Gesetz bestimmter Vertrag, der eine körperliche Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau gestattet. Demnach haben sie das Recht miteinander zu leben, sowie Pläne für ein gemeinsames Leben und eine gemeinsame Zukunft zu schmieden. Die Ehe kommt nur nach Abschluss des Vertrages, dem Eintritt in den Ehestand und der Sesshaftigkeit des ehelichen Lebens, zustande (Ehe im Islam, S. 7).

Voraussetzungen für die Ehe bzw. einen islamischen Ehevertrag sind das Einverständnis beider Parteien, die Bereitschaft zur Bindung, zwei Zeugen, die Mitgift, die Anwesenheit des Brautvormunds (Wali) (in der hanafitischen Rechtsschule darf sich die Braut auch selbst verheiraten) (Ehe Islam, S. 8).

Brautvormunde oder Wali sind die männlichen Verwandten väterlicherseits; dies beinhaltet den Vater, den Großvater (väterlicherseits), den Sohn, den Bruder und den Onkel (väterlicherseits). Sollte der Vater als Vormund nicht anwesend sein, so dürfen der Reihenfolge nach zuerst dessen Vater (Brautgroßvater), gegebenenfalls der Sohn der Braut sowie ihr Enkel, ihr leiblicher Bruder, danach ihr Halbbruder väterlicherseits, danach die Söhne ihres leiblichen Bruders, die Söhne ihres Halbbruders väterlicherseits, dann ihre Onkel väterlicherseits, deren Söhne, sowie schlussendlich die Onkel ihres eigenen Vaters die Vormundschaft übernehmen (Ehe im Islam, S. 9 f).

Eine Ehe gilt mit der Publikation, Verpflichtung, Einwilligung und Anwesenheit der erforderlichen Personen, als gültig. Rechtmäßig ist eine Ehe, in der folgende Voraussetzungen erfüllt wurden: passendes Alter der Braut (18 Jahre); Einhaltung einiger Hochzeitsriten (Verlobung, Verlobungsgeschenk, Kleidung, Bankett/Gastmahl, Versammlung bzw. Feier; Mitgift bzw. Brautgeld, (eine rechtliche Verpflichtung) (Ehe im Islam, S. 8 f).

Bei den vier sunnitischen Rechtsschulen gibt es keine Unterschiede, da sie einheitliche Vorschriften zur Zeremonie der Eheschließung haben:

-        Ernennung der zu Verheiratenden

-        das Einverständnis beider, die Anwesenheit des Brautvormunds,

-        das Bezeugen, dass keine Eheausschließungsgründe vorliegen.

Es handelt sich um eine simple Zeremonie, bei der die Braut nicht anwesend sein muss, solange sie zwei Zeugen entsendet, die den Vertrag für sie aufsetzen (Ehe im Islam, S. 11 f).

Die Stellvertreter ehe ist ein legales Abkommen, das es Paaren erlaubt in Abwesenheit eines oder bieder Ehepartner zu heiraten. Ein Ehepartner kann eine dritte Person als Stellvertreter ernennen. Der Mann oder dessen Vertreter und die Frau und deren Vormund müssen alle physisch am selben Ort anwesend sein. Die Stellvertreterehe ist erlaubt, solange beide Parteien damit eiverstanden sind und sie repräsentiert sind (Ehe im Islam, S. 13).

1.6.9. Bewegungsfreiheit

Obwohl das Gesetz die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Rückführung vorsieht, kam es während des Ausnahmezustands zu Einschränkungen der internen Bewegungsfreiheit. Diese Beschränkungen wurden mit dem Ende des Ausnahmezustands aufgehoben (LIB Kapitel 15).

Bei der Ein- und Ausreise über den internationalen Flughafen in Addis Abeba erfolgt eine genaue Personen- und Passkontrolle mit digitaler Erfassung. An den wenigen Grenzübergängen der Landgrenze wird die Ein- und Ausreise manuell erfasst. Abseits der offiziellen Grenzübergänge sind die Grenzen passierbar, der Verlauf der Grenzen ist nicht demarkiert (LIB Kapitel 15).

Opfer staatlicher Repressionen können ihren Wohnsitz in andere Landesteile verlegen, um einer lokalen Bedrohungssituation zu entgehen. Der niedrige Entwicklungsstand, Schwierigkeiten beim Landerwerb und ethnische sowie sprachliche Abgrenzungen machen die Gründung einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Existenz in anderen Landesteilen mitunter schwierig. In größeren Städten ist ein wirtschaftlicher Neuanfang im Vergleich leichter möglich (LIB Kapitel 15).

1.6.10. Grundversorgung/Wirtschaft

Äthiopien ist bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927,4 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt, auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze, das rasche Bevölkerungswachstum trägt zum Verharren in Armut bei. Äthiopien ist strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen, ebenso wie von häufigen Überschwemmungen und die Regierung steht noch vor enormen humanitären Herausforderungen. Das Land leidet immer noch unter den Auswirkungen der Dürre 2015-16, welche durch unterdurchschnittliche Niederschläge im Jahr 2017 verstärkt wurden. Hunderttausende waren zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen - vor allem im Süden und Südosten des Landes. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe (LIB Kapitel 17).

Viele Menschen können nicht lesen oder schreiben, sind nicht in die moderne Ökonomie eingebunden und haben nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme sind auf die Agenda der Regierung getreten: Mit der Arbeit an einer National Social Protection Policy hat die Arbeit an Themen wie Kindergeld, Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten begonnen (LIB Kapitel 17).

Äthiopien ist traditionell ein Land der Landwirtschaft und Viehzucht, wandelt sich durch massive Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr zu einem Land mit aufstrebenden Dienstleistungs- und Industriesektoren. Die äthiopische Wirtschaftslage entwickelt sich insgesamt gut. Im Jahr 2016 war ein Wirtschaftswachstum von etwa 8-10% zu verzeichnen. Die Wirtschaft des Landes zählt damit zu den am schnellsten wachsenden der Welt (LIB Kapitel 17).

Die meisten Menschen in Äthiopien (ca. 80%) leben auf dem Land als sesshafte Bauern, Viehhirten oder (Halb-) Nomaden. Neben der Millionenstadt Addis Abeba gibt es 16 Großstädte mit mehr als 120.000 Einwohnern. Das Bevölkerungswachstum in den Städten ist mit fast 5% deutlich höher als das ländliche. Dieses Wachstum geht einher mit der Überforderung von Stadtverwaltungen, dem schlechten Umgang mit den kommunalen Finanzen sowie einer schwachen städtischen Infrastruktur. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (LIB Kapitel 17).

Der wichtigste Erwerbszweig bleibt die Landwirtschaft mit 81% der Erwerbstätigen, die 2016 rund 40% des Bruttoinlandsprodukts erzeugten (GIZ 9.2018). Die saisonalen Niederschläge von Oktober bis Dezember 2018 waren unterdurchschnittlich und unregelmäßig, es ist zu langen Trockenperioden gekommen. Die Entwicklung nicht-saisonaler Niederschläge, insbesondere in Teilen von Tigray, Amhara, SNNPR sowie im westlichen und zentralen Oromia, hat die Ernte- und Lageraktivitäten behindert und die Ernteerträge in den betroffenen Gebieten beeinträchtigt. Von der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion hängt die Sicherheit der Lebensmittelversorgung ab. Viele Kleinbauern können sich und ihre Familien mit ihrer Ernte nicht ganzjährig ernähren. Jährlich erhalten daher rund 3 Millionen Äthiopier Nahrungsmittelhilfe zur Überbrückung ihrer Engpässe, weitere ca. 8 Millionen werden über das staatliche Productive Saftey Net Programme (PSNP, Landwirtschafts- und Sozialprogramm) 6 Monate im Jahr durch Cash-for-Work oder auch direkte Nahrungsmittelhilfe unterstützt. Zudem besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD. Darüber hinaus sind 7,9 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (LIB Kapitel 17).

Teile der Regionalstaaten Somali, Oromia und Harar befinden sich in IPC-Phase 3 (IPC = Integrated Phase Classification der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln; Stufe 1 – Minimal, Stufe 2 – Stressed, Stufe 3 Crisis, Stufe 4 – Emergency, Stufe 5 – Hungersnot). Daran wird sich auch im ersten Halbjahr 2019 nichts ändern (LIB Kapitel 17).

1.6.11. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist in Addis Abeba nur beschränkt gewährleistet und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch hoch problematisch. Die Gesundheitsversorgung ist trotz erheblicher Anstrengungen und bereits erzielter Fortschritte noch mangelhaft. Medizinische Versorgungsmöglichkeiten sind begrenzt, die Qualität ist unvorhersehbar, eine staatliche notfallmedizinische Versorgung auf europäischem Niveau ist landesweit nicht vorhanden. Vor allem im medizinischen Bereich stellt die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte (brain drain) ein Problem dar (LIB Kapitel 18).

Generell ist die medizinische Versorgung auf dem Land wegen fehlender Infrastruktur erheblich schlechter als in den städtischen Ballungszentren. Ernsthafte Krankheiten und Verletzungen werden im Ausland behandelt. Es gibt in Äthiopien weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen. Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Vorschusszahlung). Die medizinische Behandlung erfolgt entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Krankenhäusern oder in privaten Kliniken (LIB Kapitel 18).

Die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen ist durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Komplizierte Behandlungen können wegen fehlender Ausstattung mit hochtechnologischen Geräten nicht durchgeführt werden (LIB Kapitel 18).
Viele Menschen sind von häufigen Durchfällen betroffen. Diese stellen bei Kindern die häufigste Todesursache dar. Chronische Krankheiten, die auch in Äthiopien weit verbreitet sind, wie Diabetes, Schwäche des Immunsystems etc. können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente ggf. nicht verfügbar sind. Andere Herausforderungen bleiben Malaria, Hepatitis, Meningitis, Bilharziose sowie HIV/AIDS. HIV/AIDS ist in Äthiopien stark verbreitet (LIB Kapitel 18).

Es kommt es bei bestimmten Medikamenten immer wieder einmal zu Versorgungsengpässen. Der Zugang zu den wesentlichen Medikamenten ist nur einem Teil der Bevölkerung möglich. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss mehr als 15 Kilometer zurücklegen, um zum nächstgelegenen Gesundheitsposten zu gelangen (LIB Kapitel 18).

1.6.12. Behandlung nach Rückkehr

Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt ohne Konsequenzen. Es sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen ausgesetzt waren oder diese gar festgenommen oder misshandelt worden wären. Im direkten persönlichen Umfeld wird eine Rückkehr jedoch häufig als Scheitern gewertet. Daher suchen einige der zwangsweise nach Äthiopien zurückgeführten Personen erneut den Weg nach Europa. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Für schutzbedürftige Rückkehrer, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, gibt es Erstaufnahmeeinrichtungen, die von IOM betrieben werden. Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um die Bereitstellung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge, Asylbewerber, Staatenlose und andere betroffene Personen zu gewährleisten (LIB Kapitel 19).

1.7. Zur aktuellen Covid-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 22.07.2020, 08:00 Uhr, 19.868 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 711 Todesfälle (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Neuartiges-Coronavirus-(2019-nCov).html); in Äthiopia wurden mit Stand vom 22.07.2020 11.524 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 188 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://www.africanews.com/2020/07/22/coronavirus-ethiopia-covid-19-reported-cases-in-ethiopia-22nd-july-2020/).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einsichtnahme in die Länderberichte, durch Einsichtnahme in die vorgelegten Unterlagen sowie durch Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Dass die Säumnisbeschwerde weder von der Beschwerdeführerin noch von deren Vertreter zurückgezogen wurde, ergibt sich aus der telefonischen Auskunft des Bundesamtes vom 27.07.2020 (Aktenvermerk vom 27.07.2020), die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung am 28.07.2020 nicht bestritten wurde.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

2.2.1. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführerin gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person der Beschwerdeführerin im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Muttersprache, der erfolgten Genitalbeschneidung und zu ihrem Lebenslauf (ihr Aufwachsen sowie ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Addis Abeba, ihr zehnjähriger Schulbesuch und ihre Berufsausbildung sowie Arbeitserfahrung) gründen sich auf ihre diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführerin zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Dubai ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt in Kopie befindlichen Reisepass der Beschwerdeführerin sowie ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung. Dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien im November 2013 wieder bei ihrer Mutter wohnte, ergibt sich – entgegen ihrer Aussage beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung, wonach sie bei ihrer Freundin bzw. deren Mutter gelebt habe (AS 127, 137; OZ 6, S. 8) – aus dem Umstand, dass die Angaben der Beschwerdeführerin zum Fluchtvorbringen einerseits nicht glaubhaft sind und eine Verfolgung der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden konnte (siehe Punkt II.2.3.1.). Es steht daher fest, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr aus Dubai nach Äthiopien wieder bei ihrer Mutter wohnen konnte, zumal – abgesehen von dem behaupteten, jedoch nicht glaubhaften Fluchtvorbringen (vgl. Punkt II.2.3.1.) – keine Umstände im Verfahren hervorgekommen sind, die gegen eine neuerliche Unterkunftnahme der Beschwerdeführerin bei ihrer Mutter sprechen. Zudem ist unplausibel, dass die Beschwerdeführerin nicht stringent angeben konnte, ob sie das eine Monat nach ihrer Rückkehr aus Dubai in Addis Abeba bei ihrer Freundin oder deren Mutter gewohnt habe (AS 127, 137; OZ 6, S. 8).

2.2.2. Dass die Mutter der Beschwerdeführerin sowie ihre Schwester nach wie vor in Addis Abeba leben sowie die Feststellungen zu deren Situation in Addis Abeba, ergeben sich aus den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Beschwerdeführerin beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (OZ 6, S. 8; AS 127).

Sofern die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung angegeben hat, dass sie keinen Kontakt mit ihren Familienangehörigen in Äthiopien hat, ist dies nicht glaubhaft, zumal die Beschwerdeführerin beim Bundesamt angab ab und zu mit ihrer Mutter Kontakt zu haben (AS 125, 129) und ihr die Schul- und Abschlusszeugnisse aus Äthiopien nach Österreich geschickt wurden. Zudem waren die Angaben der Beschwerdeführerin zum Fluchtvorbringen nicht glaubhaft (siehe Punkt II.2.3.1.), sodass auch deshalb nicht plausibel ist, dass die Beschwerdeführerin den Kontakt zu ihrer Familie in Äthiopien verloren hat.

Die Feststellungen zu den weiteren Verwandten der Beschwerdeführerin stützten sich auf ihre diesbezüglich schlüssigen Angaben beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (AS 127; OZ 6, S. 9).

2.2.3. Die Feststellungen zum psychischen Zustand der Beschwerdeführerin gründen auf dem im Verfahren eingeholten medizinischen Gutachten vom 29.11.2016. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus der diesbezüglich glaubhaft

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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