TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/21 W154 2138793-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W154 2138793-1/50E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5.10.2016, Zl. 1045724906 - 140190225, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 19.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) am 21.3.2016.

1.1. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, traditionell verheiratet und schiitischen Glaubens zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und zu Hause ca. vier bis fünf Jahre Unterricht erhalten zu haben. Seit seinem 15. Lebensjahr habe er in verschiedenen Branchen als Hilfsarbeiter gearbeitet, zuletzt sei er Paketzusteller gewesen. Seine Familie besitze eine Landwirtschaft, mehrere Felder und ein Haus.

Geboren sei der Beschwerdeführer in der Provinz Uruzgan im Distrikt Shahestan, sei dort bis zu seinem neunten Lebensjahr geblieben, danach für ungefähr vier Jahre in Pakistan und anschließend acht Jahre im Iran wohnhaft gewesen. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan habe er in der Provinz Ghazni, im Distrikt Karabach gelebt.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Auftrag seines Arbeitgebers immer wieder verschiedene Kartons an verschiedene Destinationen zugestellt. Den Inhalt dieser Kartons könne er nicht angeben. Vor ca. sechs Monaten hätte er wieder einige Pakete zu einem ca. 40 Minuten Motorradfahrt entfernten Ort zustellen müssen, plötzlich hätten ihn zwei maskierte bewaffnete Männer angehalten, ihm die Ladung abgenommen und ihn mit dem Gewehrkolben auf seinen Kopf geschlagen. Der Beschwerdeführer sei bewusstlos geworden, als er zu sich gekommen sei, habe er seinen Arbeitgeber gesehen. Zwei Tage später habe ihn dieser an einem dem Beschwerdeführer unbekannten Ort in einem Stall gebracht und ihm gesagt, dass er in Afghanistan nicht mehr sicher sei. Die Ausreise habe sein Arbeitgeber organisiert. Zudem habe er die Familie des Beschwerdeführers zu ihm gebracht und dessen Frau $ 5000 (die Entlohnung des Beschwerdeführers) gegeben.

Nachgefragt, was er bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte, erklärte der Beschwerdeführer ausdrücklich, er wisse nicht, womit sein Chef gehandelt habe, es sei entweder Rauschgift oder Waffen gewesen und der Beschwerdeführer habe Angst, dass die Feinde seines Chefs ihn umbrächten.

1.2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde erklärte der Beschwerdeführer zunächst, gesund und nur in Afghanistan wegen eines Schlages am Kopf geröntgt worden zu sein. Jetzt gehe es ihm gut. Wegen seiner Vergesslichkeit gehe er manchmal zum Arzt, müsse Tabletten und Beruhigungsmittel schlucken.

Im Iran habe der Beschwerdeführer im Jahr 1997 traditionell geheiratet, die Ehe sei auch registriert worden. Dort hätten sie in Mashad gelebt, dann in Ghazni in Afghanistan. Der Beschwerdeführer sei inzwischen dreimal aus dem Iran ausgewiesen worden, beim dritten Mal habe er auch seine Frau und seine Kinder nach Afghanistan zurückgeschickt. Sie seien dann gemeinsam nach Kabul gegangen und später weiter nach Ghazni umgezogen. Insgesamt hätten sie gemeinsam acht bis neun Monate in Afghanistan gelebt. In der Zwischenzeit habe sein ehemaliger Arbeitgeber in Afghanistan die Frau und die drei Kinder des Beschwerdeführers wieder in den Iran geschickt.

Vom Vater und Großvater des Beschwerdeführers habe die Familie Grundstücke in Afghanistan in der Nähe der Stadt Daikundi. Sie würden sich jedoch nicht trauen hinzugehen, weil jeder gegen jeden kämpfe und jede Partei, die mehr Macht habe, das Eigentum der anderen an sich nehme. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer weite Verwandte, jedoch keine engen.

Schule habe er keine besucht, jedoch habe seine Frau Matura und ihm gut Lesen und Schreiben beigebracht. Zudem habe er eine Berufsausbildung als Hausfassadenbauer. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer für den Dorfältesten gearbeitet und monatlich 40 000 Afghani verdient. Zweimal wöchentlich habe er große verschlossene Kartons per Auto ausgeliefert und zugleich auch das Haus des Dorfältesten instandgehalten.

Ausgereist sei der Beschwerdeführer, weil er acht bis neun Monate beim Dorfältesten gearbeitet und für ihn Kartons ausgeliefert habe. Nach fünf bis sechs Monaten habe er gesehen, dass zwei Personen seinen Arbeitgeber aufgesucht und mit ihm laut Paschtu gesprochen hätten. Einer dieser Männer und ein zweiter hätten eines Tages das Auto des Beschwerdeführers bei einer seiner Lieferungen angehalten und ihn aufgefordert, ihnen die Zeit, die Adressen und die Namen der Paketempfänger mitzuteilen, was er jedoch nicht getan habe. Ein paar Tage bzw. zwei bis drei Wochen später hätten ihn wieder zwei Männer angehalten und ein dritter beim Auto gewartet. Als er aus seinem Auto ausgestiegen sei, sei der Beschwerdeführer mit dem Griff einer Kalaschnikow auf die Schulter geschlagen worden und zu Boden gefallen. Daraufhin sei er aufgestanden und habe versucht, seinen Chef anzurufen, woraufhin ihm mit etwas aus Metall auf seinen Kopf geschlagen worden sei. Diese Leute hätten die ganze Fracht mitgenommen, er selbst sei ohnmächtig geworden und wisse nicht mehr, was dann passiert sei. Aufgewacht sei er im Krankenhaus, nachdem ihn der Sohn seines Arbeitgebers, der immer aus der Ferne die Auslieferungen beobachtet habe, gefunden und dorthin gebracht hätte.

Sein Arbeitgeber habe die beiden Männer aufgesucht, es sei zu einem Streit und einer Schießerei zwischen ihnen gekommen, bei der einer der beiden Männer ums Leben gekommen wäre. Sein Arbeitgeber habe ihn dann in sein Heimatdorf gebracht und ihm erzählt, dass einer der beiden Männer sein ehemaliger Geschäftspartner und der andere, der von einem der Männer seines Chefs getötet worden wäre, dessen Bruder gewesen sei. Jedoch wären die Männer hinter dem Beschwerdeführer her, sein Chef hätte ihn aber nicht ausliefern wollen, weil er gut für ihn gearbeitet habe.

Nachgefragt, was er über die Kartons wisse, die er ausgeliefert habe, antwortete der Beschwerdeführer, er habe gedacht, dass es sich um Exportwaren handle. Dann sei er darauf gekommen, dass in den Paketen Waffen gewesen wären. Vor diesem Angriff habe der Beschwerdeführer beschlossen gehabt, diese Arbeit aufzugeben und hätte nur am Ende des Monats seinen Lohn bekommen, aber mit solchen Sachen nichts zu tun haben wollen. Unmittelbar danach hätten sie ihn auf der Straße aufgehalten und dieser Überfall wäre passiert. Bei dem Angriff sei die Schulter schwer verletzt worden und seit dem Schlag auf den Kopf funktioniere sein linkes Auge nicht mehr so gut.

Auf weiteres Nachfragen hin, woher er gewusst habe, dass sich in den Kartons Waffen befänden, antwortete der Beschwerdeführer, bis zu dem Tag, als er von den beiden Männern überfallen worden sei, habe er nicht gewusst, was sich in den Kartons befinde. Als die Männer angefangen hätten, die Kartons wegzutragen, sei einer aufgerissen und der Beschwerdeführer habe Waffen gesehen. Dann hätten sie ihn niedergeschlagen, er sei fünf oder sechs Tage im Koma gewesen und als ihn sein Chef nach Hause gefahren habe, habe er ihm erzählt, dass diese Personen alle Kartons mitgenommen hätten. Dies sei auch der Grund gewesen, dass sein Arbeitgeber diese Männer aufgesucht habe. Dort hätten ihm beide Männer die Bedingung gestellt, sie würden sich mit seinem Chef wieder versöhnen, wenn er den Beschwerdeführer an sie ausliefere. Später habe ihm sein Arbeitgeber erzählt, dass es sich um ehemalige Geschäftspartner handle. Der Beschwerdeführer denke, es handle sich um Taliban, denn sie hätten lange Bärte gehabt und Paschtu gesprochen.

Ausdrücklich erklärte der Beschwerdeführer, dass es keine weiteren Fluchtgründe gebe. Die Flucht habe der Dorfälteste, sein letzter Arbeitgeber, bezahlt. Zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers sei sein Chef noch in Afghanistan gewesen, wo er sich jetzt befinde, wisse der Beschwerdeführer nicht. Er selbst sei nach dem Vorfall noch zwei bis drei Monate in Afghanistan geblieben, bis er gesund gewesen sei. Die Männer seines Arbeitgebers hätten ihn gesund gepflegt.

Seit acht oder neun Monaten befinde sich die Familie des Beschwerdeführers wieder im Iran. Diese Leute würden sie nicht suchen, weil sie mit der Sache nichts zu tun habe. Solange seine Frau und seine Kinder noch im Dorf in Afghanistan gelebt hätten, hätten sie unter dem Schutz seines ehemaligen Chefs gestanden und die Gegner hätten sich nicht getraut, ins Dorf zu kommen und seiner Familie etwas anzutun.

In Linz würde ein entfernter Verwandter des Beschwerdeführers und eine weitere entfernte Verwandte würde in Wien leben.

Vorgelegt wurden zwei Deutschkursbesuchsbestätigungen der Volkshochschule sowie ein von der afghanischen Botschaft in Teheran ausgestellter Führerschein.

1.3. Im Auftrag des Bundesamtes wurde der Beschwerdeführer fachärztlich untersucht und dann 27.6.2016 ein neurologisch psychiatrisches Gutachten erstellt. Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu seiner Biografie, dass er vom zehnten bis etwa zum 20. Lebensjahr im Iran gewesen und dann wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sei, wo er einige Jahre gelebt und als Maurer gearbeitet habe. Diesen Beruf habe er auch erlernt. Der Beschwerdeführer sei schlepperunterstützt bis nach Europa gekommen, für den Schlepper habe er 8000 bis € 9000 bezahlt.

In Österreich wolle er die Deutschprüfung ablegen. Zu seinen aktuellen Beschwerden erklärte er, vergesslich zu sein. Nachgefragt, wie er dann die Deutschprüfung ablegen wolle, relativierte er, dass der Gedächtnisschwund eigentlich nicht so schlimm sei, er könne auch die Prüfungen machen und vergesse nur manchmal etwas. Konfrontiert damit, dass er mit einer Vergesslichkeit keine Stelle am Arbeitsmarkt erlangen könne, relativierte er wiederum seine Aussagen dahingehend, dass er eigentlich nicht so vergesslich wäre. Sein Lehrer sage, er könne die Prüfungen ordentlich durchziehen.

Seine Vergesslichkeit stehe im Zusammenhang mit Schlägen im Rahmen seines Unfalles. Er wäre in Afghanistan im Koma und sieben Tage lang im Krankenhaus aufhältig gewesen. In Österreich habe man ein Röntgen durchgeführt. Zudem sei er in Kabul im Bereich des Schlüsselbeins operiert worden, in Österreich habe man das Metallteil wieder entfernt. Aktuell habe er keine Beschwerden, auch keine Schmerzen, er bemerke nur eine Sehminderung im linken Auge. Kopfschmerzen hätte er nach längerem Fernsehen. Depressionen habe er keine.

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass im neurologischen Status ein unauffälliger Befund erhoben werden könne. Im psychiatrischen Status zeige sich eine subdepressiv verfärbte Stimmungslage bei ansonsten unauffälligem Befund. In Zusammenschau mit der Anamnese, der Klinik und dem Status lasse sich aktuell keine neurologisch psychiatrische Erkrankung feststellen. Die subdepressive Stimmungslage sei nicht als krankheitswertig einzustufen. Die vom Betroffenen subjektiv angegebene Vergesslichkeit sei neurologisch psychiatrisch nicht erklärbar. Eine organische Ursache für die angegebenen Beschwerden liege nicht vor. Hinweise für ein hirnorganisches Psychosyndrom lägen nicht vor. Der Tagesablauf sei strukturiert und der Betroffene in der Lage, komplexe Sachverhalte zu verstehen und unter anderem eine Deutschprüfung abzulegen. Zudem sei er zeitlich, örtlich, situativ und zur Person orientiert und könne gestellte Fragen nachvollziehbar beantworten.

2. Mit dem gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen sein vor der Behörde angegebenes Fluchtvorbringen wiederholte.

4. Am 26.10.2016 wurde ein kriminaltechnischer Untersuchungsbericht erstellt, nach dem die Authentizität des vom Beschwerdeführer vorgelegten Führerscheines nicht entschieden werden könne.

5. Mit Bescheid des AMS vom 3.1.2018 wurde dem Antrag eines Hotelbetriebes gemäß § 5 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes stattgegeben und dem Beschwerdeführer eine Arbeitsbewilligung als gastrogewerbliche Hilfskraft (40 Stunden pro Woche) bis 15.5.2018 erteilt.

6. Am 28.3.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Integrationsdokumente des Beschwerdeführers ein: Arbeitsbestätigung, Lohn- und Gehaltsabrechnungen für Jänner und Februar 2018, mehrere Unterstützungsschreiben bzw. Bestätigungen über die Verrichtung ehrenamtlicher Tätigkeiten, ein am 21.11.2017 ausgestelltes ÖSD Zertifikat A2 sowie eine Bestätigung des Roten Kreuzes über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe Grundkurs.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 31.5.2019 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines länderkundigen Sachverständigen für Afghanistan eine mündliche Verhandlung durch.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, in einem Dorf in der Provinz Daikundi, Distrikt Shahrestan, geboren zu sein, dieses im Alter von ca. neun oder zehn Jahren verlassen und ein paar Jahre in Iran gewohnt zu haben. Drei bis vier Mal sei er nach Afghanistan abgeschoben worden, ca. 20 Jahre habe er im Iran gelebt. Mit ca. 30 Jahren sei er nach Pakistan gegangen. Mehrmals aufgefordert, die genauen Zeitpunkte zu schildern, wann er jeweils Afghanistan verlassen habe und dann wieder zurückgekehrt sei, gab der Beschwerdeführer zunächst keine konkrete Antwort und erklärte dann, dass er bei seiner ersten Abschiebung ca. 19 oder 20 Jahre alt und anschließend vier bis fünf Jahre in einem Dorf in Herat aufhältig gewesen sei, wo er auf einer Baustelle an Hausfassaden gearbeitet habe.

In weiterer Folge wurde von der rechtlichen Vertretung vorgebracht, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, durch den Talibanangriff, bei dem er bewusstlos geschlagen worden wäre, an Erinnerungslücken zu leiden und manchmal im Alltag Schwierigkeiten bei der Konzentration zu haben. Er nehme ca. vier verschiedene Tabletten und bitte um etwas Nachsicht für seinen Zustand.

Seitens der erkennenden Richterin wurde auf das Gutachten im erstinstanzlichen Akt verwiesen, in dem ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer an keiner psychischen Beeinträchtigung leide, die Diagnosekriterien einer psychischen Erkrankung nicht erfüllt und die angegebenen Befindlichkeitsstörungen als nicht krankheitswertig einzustufen seien. Die Diagnosekriterien einer psychischen Erkrankung, beispielsweise einer posttraumatischen Belastungsstörung, würden nicht erfüllt.

Die rechtliche Vertretung beantragte daraufhin die Erstellung eines aktuellen neurologisch psychiatrischen Gutachtens, weil das zitierte aus dem Jahr 2016 stamme und nicht mehr aktuell wäre.

Nachdem er den Beschwerdeführer diesbezüglich befragt hatte, gab der länderkundige Sachverständige eine gutachterliche Stellungnahme ab, laut der die bisherigen Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine Herkunft von mangelhaften Angaben gekennzeichnet gewesen seien. Seine Rückführung aus dem Iran im Alter von 19 Jahren und die damit verbundenen Antworten, wie lange und wo er in Herat gelebt habe, seien mit groben Fehlern versehen gewesen. Nach der Replik des Beschwerdeführers dazu stellte der länderkundige Sachverständige fest, dass er ein politisch hochgebildeter Mensch sei und sich mit der neuen afghanischen politischen Geschichte gut auskenne. Er habe eben jetzt diese Kenntnisse so ausgedrückt, wie sich nur gebildete und politisch aktive und interessierte Personen ausdrückten.

Der Beschwerdeführer gab zu seiner Integration an, dass er hier in Österreich als Gartenarbeiter ehrenamtlich tätig gewesen sei und Reinigungsarbeiten ausgeführt habe. Zudem habe er drei Monate beim Servieren geholfen. Manchmal vermittle ihm aktuell ein Verein eine Arbeit und er nehme auch an Deutschkursen teil. Für seine Tätigkeit bekomme er eine finanzielle Entschädigung in Form von Gutscheinen. Aktuell besuche der Beschwerdeführer den Deutschkurs B1. In ärztlicher Behandlung sei er gegenwärtig nicht, nehme aber Medikamente gegen Kopfschmerzen

8. Am 31.5.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den damaligen Länderfeststellungen ein.

9. Am 18.8.2019 wurde im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes auf Basis der Vorbefunde, der schriftlichen Stellungnahme der Betreuerin in der Unterkunft des Beschwerdeführers, dessen Eigenanamnese, der Außenanamnese eine Bezugsperson des Beschwerdeführers sowie einer eigenen Untersuchung das seitens des Beschwerdeführervertreters beantragte zweite neurologisch psychiatrische Gutachten zum Beschwerdeführer erstellt. Demnach bestehe insgesamt kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer derzeit an keiner relevanten, psychiatrisch zu diagnostizierenden Störung leiden könne, insbesondere an keiner posttraumatischen Belastungsstörung. Die damit vergesellschafteten Verhaltensauffälligkeiten müssten dem Umfeld aufgefallen sein. Im Gegenteil werde aber bestätigt, dass der Beschwerdeführer extrem aktiv sei, jede Arbeit sehe, sehr geschickt sei und auch oft bei Konfliktlösungen mit jüngeren Männern im Hause mithilfe. Demgegenüber leide er fraglos und gut nachvollziehbar an seiner existenziellen Gesamtsituation. Belastet habe ihn nicht nur das Schädelhirntrauma als solches, welches – wie den Unterlagen und auch der Eigenanamnese zu entnehmen sei – in erster Linie durch eine Verbrechergang verursacht und nicht politisch motiviert sei, sondern unter anderen auch die existenzielle Unsicherheit, der Mangel einer sinnvollen Beschäftigung und die Trennung von der Familie. Jedoch bestehe die Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Epilepsie mit komplex-fokalen epileptischen Anfällen. Würde sich die Verdachtsdiagnose bestätigen, so sei eine medikamentöse Einstellung zur Vermeidung künftiger epileptische Anfälle erforderlich. Bestätige sich die Verdachtsdiagnose einer Epilepsie nicht, so wären die geschilderten Episoden als dissoziative Phänomene zu sehen.

10. Am 11.2.2020 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt. Dabei erklärte der Beschwerdeführer zunächst, sich derzeit in ärztlicher Behandlung zu befinden, sein behandelnder Arzt sei Allgemeinmediziner und heute in der Verhandlung anwesend. Die derzeit wegen seiner starken Kopfschmerzen verschriebenen Medikamente könne der Beschwerdeführer vorlegen. Zudem besuche er eine weitere Ärztin, die jeder Flüchtling aufsuche. Laut dem anwesenden Arzt handle es sich bei dieser um seine Nachfolgerin und Allgemeinmedizinerin.

In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer das durch das Gericht in Auftrag gegebene neurologisch psychiatrische Gutachten übersetzt und zudem dem Vertreter vorgelegt.

Dazu erklärte der Beschwerdeführer, er hätte anfangs nicht schlafen können und deshalb Tabletten eingenommen. Seine Kopfschmerzen wären dermaßen intensiv, dass er beispielsweise einmal in der Klasse den Namen seiner Tochter nicht habe nennen können. Derzeit leide er jedoch unter keiner Migräne, weil er davor die Medikamente eingenommen habe. Beeinträchtigt sei er durch seine Medikamente nicht.

Laut dem anwesenden Arzt könnte der Hinweis, dass der Beschwerdeführer manchmal die Namen seiner Kinder nicht nennen könne, Symptom der kleinen Form der Epilepsie sein, im Gegensatz zu jener Form, bei der man hinfalle und bewusstlos sei und Krampfzustände habe. Die Übergänge zwischen Migräne und dieser Form der Epilepsie seien fließend.

Der Beschwerdeführer gab an, wenn er wandern gehe (bergsteige), bekomme er Kopfschmerzen und ihm werde schwindlig.

11. Am 15.9.2020 wurden dem Bundesverwaltungsgericht diverse neue Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers vorgelegt: Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF, diverse Fotos von sozialen Aktivitäten, zwei Bestätigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten sowie eine Arbeitsplatzzusage eines Hotels im Falle der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung, jedoch ohne Angaben über das Gehalt bzw. Art und Dauer der Tätigkeit.

12. Am 16.9.2020 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt.

Anfangs erklärte der Beschwerdeführer ausdrücklich, dass es ihm gut gehe und er sich gesund fühle. Wenn er neue Medikamente brauche, suche er seine Ärztin auf, ansonsten habe sich nichts Neues ergeben.

Das neurologisch psychiatrische Gutachten vom 18.8.2019 wurde dem in der Verhandlung anwesenden Behördenvertreter zur Durchsicht vorgelegt.

Aufgefordert, konkret seine Rückkehrbefürchtungen zu schildern, brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er, nachdem er vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei, bei einer Person in Ghazni im Distrikt Karabagh Arbeit gefunden habe. Nach einer Weile – ca. einem Monat – hätten sich Leute vor ihn gestellt und gesagt, dass er als Hazara in diesem bestimmten Ort nicht arbeiten dürfe. Seine Tätigkeit habe so ausgesehen, dass er gemeinsam mit seinem Chef Kartons getragen und zu Kunden geliefert hätte. Im Laufe der Zeit habe der Beschwerdeführer gemerkt, dass eigenartige, körperlich kräftig gebaute, Menschen, seinen Arbeitgeber aufgesucht hätten. Nachdem er sechs oder sieben Monate nach dem ersten Vorfall weitergearbeitet habe, seien plötzlich drei Leute auf der Straße vor dem Beschwerdeführer gestanden und hätten ihm sofort vorgeworfen, dass sie ihm seinerzeit schon gesagt hätten, dass er dort nicht arbeiten dürfe. Dann habe ihm eine Person mit dem Griff Teil einer Waffe auf die Schulter geschlagen und der Beschwerdeführer sei hingefallen. Als er wieder aufgestanden sei, habe er versucht, mit dem Handy jemanden anzurufen, hätte dann den nächsten Schlag auf seinen Kopf bekommen und sei daraufhin sieben Tage im Koma gewesen. Als er im Krankenhaus aufgewacht sei, wäre eine Person neben ihm gestanden, die sein Chef geschickt hätte. Diese Person sei immer beim Beschwerdeführer gewesen. Nach einiger Zeit habe ihn sein Arbeitgeber besucht und ihm erklärt, dass dieser Mann, der ihm die ganze Zeit über im Krankenhaus geholfen habe zum Kreis seines früheren Teilhabers gehöre. Der Neffe dieser Person, die der Begleiter des Beschwerdeführers im Krankenhaus gewesen sei, habe früher bei seinem Chef gearbeitet. Dann habe man den Beschwerdeführer nach Hause gebracht, wo man sich weiter um ihn gekümmert hätte. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen seinem Chef und der Person, die ihm im Krankenhaus geholfen habe, gekommen. Bei dieser Auseinandersetzung sei der Sohn seine Chefs verletzt worden und eine Person der anderen Seite getötet. Danach habe man zu seinem Arbeitgeber gesagt, dass er, wenn er „diesen Hazara“ – den Beschwerdeführer – an die Gegenseite ausliefere, wegen der genannten Auseinandersetzung keine weiteren Probleme bekäme. Diesen Vorschlag habe der Vorgesetzte jedoch abgelehnt und dem Beschwerdeführer den Vorschlag gemacht, das Land zu verlassen und seine Flucht zu finanzieren.

Nachgefragt, welche Verfolgung er durch diese Personen erlitten habe, antwortete der Beschwerdeführer, er wisse nur, dass diese Leute überall ihre Leute hätten, die ihn verfolgen würden. Ausdrücklich erklärte er nun, er würde aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara verfolgt. Für ihn und die Hazara gebe es immer noch eine Gefahr wie damals. Außerdem habe er einige Zeit im Iran und einige Zeit in Pakistan gelebt, sei Maurermeister gewesen und habe dort sehr gut gearbeitet. Durch seine Flucht habe er auch seine damals sechs Monate alte Tochter zurücklassen müssen.

Eine Gefahr würde für ihn durch die Taliban und die IS ausgehen, die mit den Hazara Probleme hätten.

Nachgefragt erklärte der Beschwerdeführer ausdrücklich, er sei sieben oder acht Tage lang in Kabul im Krankenhaus gewesen, habe aber damals nicht gewusst, wo er sich befinde.

Zu seinem aktuellen Gesundheitszustand erklärte der Beschwerdeführer, immer Kopfschmerzen zu haben und nicht gut sehen zu können. Sein Augenarzt meine, wenn es so weitergehe, müsse er operiert werden. Aufgrund des Schlages leide er auch unter großer Vergesslichkeit, die habe sich aber im Laufe der Zeit verbessert. Weiters hätte er Migräneattacken.

Der Beschwerdeführer habe den Deutschkurs B1 abgeschlossen, jedoch noch nicht die Prüfung abgelegt. In seiner Gemeinde stehe er mit vielen Leuten in Kontakt, verrichte bei einer älteren Dame hin und wieder Gartenarbeiten und helfe ehrenamtlich in der Gemeinde. Auch sei er geringfügig in diversen Hotels tätig und helfe älteren Personen. Seinen Aufenthalt in Österreich finanziere er sich durch die Caritas.

Seine Frau und seine Tochter befänden sich in Mashad im Iran, ein bis zweimal wöchentlich stünden sie in Kontakt.

Vorgelegt wurden diverse Unterstützungserklärungen und Empfehlungsschreiben sowie weitere, dem Gericht bereits bekannte, Dokumente.

Im Rahmen dieser Verhandlung gab der länderkundige Sachverständige eine gutachterliche Stellungnahme betreffend die Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seiner ethischen Herkunft als Hazara und die „Krankheiten des BF“ ab:

„1. Betreffend die Verfolgung des BF wegen seiner ethnischen Herkunft als Hazara:

Die Hazaras wurden bei der Bonner Konferenz Ende 2001, nach dem Sturz des Taliban-Regimes, an der politischen Macht beteiligt. Im Zuge dieser Konferenz wurden alle anderen Ethnien ebenfalls an der Macht beteiligt. Die Hazaras haben ca. 30 Prozent der Macht nach wie vor in Afghanistan inne: Sie sind in der Regierung, im Parlament, den lokalen Behörden, in der Gerichtsbarkeit usw. beteiligt und sie sind in diesen Institutionen überproportional anwesend. Der stellvertretende Staatspräsident ist ein Hazara und die Hazaras haben drei bis vier Minister in der Regierung. In allen Sicherheitsministerien haben sie einen stellvertretenden Minister. Sie sind im Verteidigungs- Innenministerium und im Sicherheitsministerium an den Schlüsselpositionen beteiligt. In den Provinzen und Distrikten, in denen die Hazaras in der Mehrheit sind, stellen sie die staatliche Behörde. Daher ist die Gefahr der Verfolgung der Hazara und Angriffe auf die Hazaras in den von ihnen beherrschten Gebiete und in Großstädten nicht mehr und nicht weniger als die Gefahr und Verfolgung bzw. Angriffe auf die Paschtunen oder anderen Ethnien Afghanistan durch die Taliban.

In Kabul leben ca. 2 Millionen Hazara und Schiiten, in Mazar-e Sharif sind mindestens ein Drittel der Bevölkerung Hazara und in der Stadt Herat ca. die 40%. Es ist vorgekommen, dass gezielte Angriffe auf die Hazara Gebiete von den Taliban vorgenommen worden sind. Die Hazara Generäle konnten binnen kürzester Zeit die notwendige militärische Unterstützung zur Stellung bringen und können mit der Unterstützung der eigenen Bevölkerung die Taliban aus ihren Gebieten vertreiben. Die Großstädte wie Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat sind keine attraktiven Städte für die Taliban, um besonders die Hazara zu verfolgen. Die Taliban verüben Selbstmordanschläge gegen die Institutionen, gezielt gegen bestimmte Zeremonien in den bekannten schiitischen Moscheen, auf die Politiker unabhängig ihrer Konfession und auf ausländische Botschaften. Die beliebige Verfolgung von Privatpersonen in Großstädten ist für sie riskant und sie werden das nicht tun, es sei denn, dass jemand einen Taleb an der Front oder in einem Streit oder in einem anderen Konflikt getötet oder ihn in seiner Ehre schwer verletzt hat. In diesem Fall wird eine solcher Fall wie eine Blutrache gehandelt, sodass die Opfer oder deren Familienmitglieder nach der paschtunischen Tradition handeln und den Täter aufzusuchen, auch wenn dieser sich in Gebiete begeben hat, wo ihnen Gefahren lauern.

Schlussfolgernd möchte ich ausführen, dass die Hazara derzeit nicht einer besonderen Verfolgung ausgesetzt sind und sie sind keine Ausnahme in den Augen der Terroristen in Afghanistan. Die Taliban und andere Terroristen erwecken bei einem Anschlag den Anschein als ob die sie die Hazaras zum Ziel hätten, aber nach einiger Zeit erfährt man, dass sie in einem paschtunisch-sunnitischen Gebiet im Osten dieselbe Tat begangen hat, wie z.B., dass sie eine Moschee und die Geistlichkeit in die Luft sprengt haben oder die politischen Persönlichkeiten getötet haben.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen: Selbstverständlich werden Hazaras auf den Hauptstraßen im Südwesten von den Taliban angehalten und entführt. Diese werden teilweise getötet und teilweise mit ihren Gefangenen ausgetauscht. Solche Fälle passieren auch der Bevölkerung im Norden Afghanistans öfters. Solche Fälle kommen auch in den sunnitischen Regionen wie in Fariab, in Kunduz oder in Ostenprovinzen wie in der Provinz Nangarhar öfters vor.

2. Betreffend „Krankheiten des BF“:

Der BF hat heute angegeben, dass er unter Migräne leidet und in Stresssituationen aus der Fassung gerät. Situationen führen ihn in eine Konfliktsituation, wobei seine Migräne zur Erscheinung tritt bzw. er bekommt dann Migräne.

Das Gesundheitssystem in Afghanistan ist soweit, dass Personen mit diesen Symptomen medikamentös behandelt werden. Es ist auch möglich, dass solche Patienten stationär behandelt werden können. Aus diesem Krankheitsbild, das der BF heute angedeutet hat, erwächst ihm keine besonderen Nachteile in der Gesellschaft wie wenn jemand eine schwerwiegende psychische Krankheit hätte, der von der Familie sogar zu Hause eingesperrt wird und die Psychiatrie in den meisten solchen Fällen nicht in der Lage ist, sie langfristig stationär zu behandeln.“

Dem Beschwerdeführer und dessen Vertreter wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.

Seitens des Gerichts wurden unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen folgende Länderinformationen in das Verfahren eingeführt: das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation von Afghanistan vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 21.7.2020, weiters ein Bericht erstes Quartal 2019 betreffend medizinische Versorgung in Bezug auf Epilepsie, eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 23.10.2018 zur Behandlung von Epilepsie in Afghanistan sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.9.2019 zur Behandlung von Epilepsie in Mazar-e-Sharif.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht zudem Farsi. Er ist verheiratet und hat drei Kader, eine Tochter ist noch minderjährig. Die Angehörigen leben in Mashad im Iran.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Daikundi, im Distrikt Shahrestan, geboren und wuchs dort mindestens bis zum zehnten Lebensjahr auf. Der Beschwerdeführer lebte zwar längere Zeit im Iran, wurde jedoch dreimal nach Afghanistan zurückgeschoben und verblieb auch im Erwachsenenalter mehrere Jahre dort. Er machte keine einheitlichen und konkreten Angaben darüber, wie lange er tatsächlich im Ausland aufhältig war. Der Beschwerdeführer besuchte nach eigenen Angaben keine Schule, lernte jedoch von seiner Ehefrau, die Matura hat, das Lesen und Schreiben und hat eine Berufsausbildung als Hausfassadenbauer bzw. Mauerer. Laut Feststellung des länderkundigen Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei ihm um einen gebildeten Menschen. Der Beschwerdeführer verdiente sich in Afghanistan und im Iran seinen Lebensunterhalt selbst und war vorwiegend in seinem Lehrberuf tätig.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer leidet laut eigenen Angaben an Migräne, Vergesslichkeit, und sieht auf dem linken Auge schlechter. Bei ihm wurde die Verdachtsdiagnose der kleineren Form der Epilepsie („petit male“) gestellt. Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund. Wie den Länderfeststellungen (Punkt II.1.5.) und der gutachterlichen Stellungnahme des länderkundigen Sachverständigen (Punkt I.12.) zu entnehmen ist, sind die genannten Beschwerden in Afghanistan behandelbar und es erwachsen ihm dadurch keine besonderen Nachteile in der Gesellschaft.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1.  Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban bzw. Paschtunen noch von ehemaligen Geschäftspartnern eines Arbeitgebers bedroht oder niedergeschlagen. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht.

Er wurde auch nicht aufgefordert mit den Taliban (bzw. ehemaligen Geschäftspartnern seines Arbeitgebers) zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen, indem er die Daten von Paketzustellungen verrät. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban.

Der Beschwerdeführer wurde auch nicht als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara bedroht oder angegriffen.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

1.2.2.  Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 19.11.2014 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau A2 und konnte ein entsprechendes ÖSD Zertifikat aus dem Jahr 2017 vorlegen. Der Beschwerdeführer besuchte einen Integrationskurs und einen Erste-Hilfe Grundkurs.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Er verfügt über eine Arbeitszusage eines Hotelbetriebes, aus der jedoch nicht hervorgeht, ob es sich um Saisonarbeit, Voll- oder Teilzeit handelt oder in welcher Funktion und zu welchem Lohn der Beschwerdeführer allenfalls eingestellt würde.

Er arbeitet regelmäßig ehrenamtlich und war Anfang 2018 saisonal als gastrogewerbliche Hilfskraft in einem Hotelbetrieb tätig.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über nähere Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

Der Beschwerdeführer wird von Vertrauenspersonen als höflich, freundlich, verlässlich und hilfsbereit beschrieben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4.    Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in seine sichere Herkunftsprovinz Daikundi kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers ist sicher erreichbar.

Die Ehefrau und Kinder des Beschwerdeführers wohnen derzeit im Iran. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu ihnen. Dem Beschwerdeführer bzw. seiner Familie gehören eine Landwirtschaft, mehrere Felder und ein Haus in Daikundi. Es ist nicht glaubwürdig, dass sie sich nicht trauen, dorthin zu fahren, weil es dort üblich wäre, dass mächtige Leute sich Grundstücke aneigneten. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht.

Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Stadt Mashad sowie eine Zeit lang mit seiner Familie in Kabul gelebt, ihm sind städtische Strukturen bekannt.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und auch bei einer (alternativen) Ansiedelung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat/Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 21.7.2020 (Auszug):

COVID-19 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Quellen:

-        AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.7.2020

-        AnA – Andolu Agency (18.7.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.7.2020

-        Arab News (10.7.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.7.2020

-        BBC – News (30.6.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.7.2020

-        DS – Daily Sabah (19.7.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.7.2020

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.7.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.7.2020

-        JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.7.2020

-        Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.7.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghanistan%20-%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.%2062%20%2816%20July%202020%29.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.7.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (8.7.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.7.2020

-        PT – Pakistan Today (17.9.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.7.2020

-        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.7.2020): Antwortschreiben, per Mail

-        TN – Tolonews (19.7.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (12.7.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (14.7.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (20.7.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (5.4.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (19.3.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.7.2020

-        WB – World Bank (10.7.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.7.2020

-        WFP – World Food Programme (15.7.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.7.2020

-        WFP – World Food Programme (5.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (20.7.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.7.2020

-        UNICEF (19.4.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.7.2020

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittler

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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