TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W265 2187737-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W265 2187737-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.03.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 31.03.2016 fand die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volkgruppe der Paschtunen zu sein, sowie dem muslimischen Glauben sunnitischer Ausrichtung anzugehören. Befragt dazu, warum er sein Land verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan aus Angst vor den Taliban und der Daesh verlassen. Diese würden junge Burschen töten. Sie würden junge Burschen auffordern, sich ihnen anzuschließen. Wenn man sich weigere, werde man verprügelt und sogar getötet. Das sei sein Fluchtgrund und einen anderen habe er nicht.

3. Am 31.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, die Taliban hätten ihn aufgefordert, sich ihrer Sache anzuschließen. Er habe dies abgelehnt, er teile ihre Einstellung nicht. Sein Vater sei unter Druck gesetzt worden, damit er sich ihnen doch anschließe. Wenige Tage vor seiner Ausreise seien die Taliban vor der Tür gestanden und hätten zu seinem Vater gesagt, er solle seine Söhne in den Jihad aussenden. Dieser habe sie zum Zuwarten überredet, indem er erklärt habe, seine Söhne seien noch zu jung, und sie seien dann weggegangen. Sein Vater habe ihn schlussendlich gerettet und seine Ausreise nach Europa finanziert. Er selbst habe die Taliban nicht gesehen. Wenn er in sein Dorf zurückkehren würde, würden Anhänger der Taliban ihn verraten und man würde ihn verschleppen.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid vom 30.01.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen den oben genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Eingabe vom 27.02.2018 fristgerecht Beschwerde. Er wiederholte darin im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen und brachte ergänzend vor, sein Vater sei am 28.01.2018 von den Taliban verschleppt worden. Aktuelle Länderberichte würden seine Aussagen bekräftigen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht zur Verfügung, da einerseits die Taliban in der Lage seien, verfolgte Personen überall aufzuspüren, und andererseits der Beschwerdeführer in Kabul oder einer anderen Großstadt auch sein Überleben nicht sichern könne.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 01.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

7. Mit Eingabe vom 20.04.2018 erstattete der Beschwerdeführer, nunmehr bevollmächtigt vertreten durch Rechtsanwältin XXXX , eine Beschwerdeergänzung. Er führte darin im Wesentlichen aus, der angefochtene Bescheid gründe sich auf ein unzulängliches Ermittlungsverfahren und eine unschlüssige Beweiswürdigung, und verwies auf Länderberichte zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul stehe dem Beschwerdeführer ebenfalls nicht zur Verfügung. Mit der Beschwerdeergänzung wurden Integrationsunterlagen vorgelegt.

8. Mit Eingabe vom 19.11.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 verwies und ausführte, mehreren darin genannten Risikoprofilen zu entsprechen.

9. Mit Eingabe vom 02.09.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin eine Stellungnahme, in der er ergänzend vorbrachte, er habe die letzten Jahre keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt und vermutet, dass sie in den Iran geflüchtet seien. Ende Juli 2020 habe er von seiner Schwester erfahren, dass seine Eltern gerade aus der Gefangenschaft der Taliban freigekommen seien. Sie seien auf der Flucht von diesen aufgegriffen und gefangen genommen worden. Nunmehr seien sie nur unter der Bedingung freigelassen worden, ein Abkommen mit den Taliban zu schließen, in dem sie sich verpflichten, den Beschwerdeführer „selber oder mit Hilfe der Mujaheddin zu töten“.

Weiters habe sich der Beschwerdeführer vom Islam vollständig abgewandt und möchte ohne Religion leben. Zum Nachweis seiner inneren und vollständigen Abkehr vom Islam werde die Einvernahme von vier Zeugen beantragt. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan daher auch Verfolgung aus religiösen Gründen (Atheismus). Schließlich verwies der Beschwerdeführer auf Länderberichte zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan und zur generellen Sicherheitslage. Ihm drohe im Fall der Rückkehr jedenfalls einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK. Mit der Stellungnahme wurden Unterlagen zum Fluchtvorbringen, medizinische Unterlagen und Integrationsunterlagen vorgelegt.

10. Mit Eingabe vom 09.09.2020 gab der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin bekannt, die Einvernahme (nur) von zwei der vier ursprünglich angeführten Zeugen zu beantragen. Zugleich legte er eine medizinische Unterlage vor.

11. Mit Eingabe vom 05.10.2020 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin Integrationsunterlagen und eine medizinische Unterlage vor.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Vertreterin ausführlich zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsniederschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

In dieser mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer auch ausführlich und eingehend zu den Gründen und den Umständen des von ihm vorgebrachten Abfalles vom islamischen Glauben befragt. Auch die beiden vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen wurden zu diesem Thema befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, des genannten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde und Beschwerdeergänzung, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Stellungnahmen, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und das Geburtsdatum XXXX . Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Laghman in Afghanistan geboren, wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan aufhielt. Er besuchte eine Koranschule und arbeitete als Schneidergehilfe.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Seine in Afghanistan aufhältige Familie besteht aus seinen Eltern, vier Schwestern und drei Brüdern. Seine Familie lebt noch im Heimatdorf. Kontakt hat der Beschwerdeführer nur zu einer seiner Schwestern.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 30.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer wuchs in Afghanistan als sunnitischer Muslim in einem streng religiösen Elternhaus auf. Sein Vater nahm ihn jeden Abend mit in die Moschee, er musste die Gebetszeiten einhalten und eine Koranschule besuchen. Erste Zweifel an der Existenz Gottes hatte er schon damals, er traute sich aber nicht, diese offen zu äußern. Nach seiner Ankunft in Österreich ging der Beschwerdeführer zunächst weiter in eine Moschee, mit der Zeit jedoch immer weniger. Er informierte sich über das wissenschaftliche Welt- und Menschenbild und zog daraus für sich persönlich den Schluss, dass die Lehren des Islam nicht der Wahrheit entsprächen. Insbesondere lernte er in Österreich auch viele Nichtmuslime kennen, die er als gute Menschen wahrnahm, während er in Afghanistan etwa vom Mullah seiner Koranschule schlecht behandelt und geschlagen worden sei. 2019 wendete er sich endgültig vom Islam ab. Er betet nicht und glaubt nicht an Gott. Entgegen islamischen Vorschriften ließ er sich tätowieren, er trinkt Alkohol und isst Schweinefleisch. Auch an anderen Religionen ist der Beschwerdeführer nicht interessiert, er bezeichnet sich selbst als Atheisten.

Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich aus tiefer freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen in identitätsprägender Weise endgültig vom islamischen Glauben abgewendet. Es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seinen Abfall vom islamischen Glauben in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde bzw. verleugnen könnte.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom islamischen Glauben physische und/oder psychische Gewalt.

Dem Beschwerdeführer steht als vom Islam Abgefallenen keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich aktuell strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (zuletzt aktualisierter Stand vom 21.07.2020):

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion:

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

1.2.2. Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

„Nach Angaben des US-Nachrichtendiensts Central Intelligence Agency (CIA) seien 99,7 Prozent der Bevölkerung Afghanistans Muslime. Der Anteil der Sunniten liege bei 84,7 bis 89,7 Prozent, während jener der Schiiten bei 10 bis 15 Prozent liege. Nichtmuslimische Gruppen würden 0,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen (CIA, Stand 1. Mai 2017). Laut US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) würden zu den nichtmuslimischen Gruppen vor allem Hindus, Sikhs, Bahá'í und Christen zählen. Bezüglich Zahl der christlichen Gemeinden im Land würden keine verlässlichen Schätzungen vorliegen (USDOS, 10. August 2016, Section 1). Nach Angaben des niederländischen Außenministeriums handle es sich dabei wahrscheinlich um einige Dutzend Personen (BZ, 15. November 2016, S. 65). Laut Angaben der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), eines evangelikalen Netzwerks verschiedener Kirchen und Gemeinschaften in Deutschland, gehe „[e]ine optimistische Schätzung […] davon aus, dass es mehrere Tausend einheimische Christen“ im Land gebe (EAD, 9. Juni 2015). Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt unter Berufung auf Berichte afghanischer Flüchtlinge in Europa, dass unter anderem die Zahl der Christen in Afghanistan seit dem Wiedererstarken der Taliban im Jahr 2015 vermutlich erheblich zurückgegangen sei (USCIRF, 26. April 2017).

1) Vom Islam abfallende Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als „Weggehen“ vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe:

[…]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die „heilige Religion des Islam“ als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

[…]

Bezug nehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten „hudud“-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten „hudud“-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten „Freedom of Thought Report 2016“, dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei:

[…]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

‚Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.‘ (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 „Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan“ des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

‚Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.‘ (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

‚Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten‘, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwalt-schaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.‘ (UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her „reif“ seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige:

[…]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden „gefangen gehalten“. Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem:

[…]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

‚Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. […]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).‘ (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien:

[…]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von „Ungläubigen“ bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange:

[…]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie „Apostaten“ bzw. „Konvertiten“ würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die „Verrat an ihrem Glauben“ geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen:

[…]“

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers wurde mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2016 auf Grundlage einer gutachterlichen Altersfeststellung festgestellt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit und der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburts- und Aufenthaltsort, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen, seinen Lebensumständen in Afghanistan sowie seiner Einreise nach Österreich waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur aktuellen strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2.    Zu den Feststellungen zur Abwendung vom islamischen Glauben (Apostasie):

Die Feststellungen zum religiösen Hintergrund des Beschwerdeführers, zur Entwicklung seiner religiösen Überzeugungen und religiösen Praxis in Österreich und zu seiner aus tiefer freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragenen Abwendung vom Islam stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften und übereinstimmenden Ausführungen des Beschwerdeführers und seiner beiden als Zeugen einvernommenen österreichischen Bekannten in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2020.

Insbesondere der persönliche Eindruck, den der Beschwerdeführer bei der Schilderung der näheren Umstände und inneren Beweggründe für seine Abkehr vom Islam in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ, vermochte davon zu überzeugen, dass beim Beschwerdeführer im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich eine tiefgreifende, ernsthafte, innerlich durchaus identitätsprägende Abkehr vom islamischen Glauben im Sinne einer scharfen Abgrenzung und emotionalen Abwehrhaltung gegenüber den damit verbundenen Glaubensinhalten und religiösen Bräuche und Sitten stattgefunden hat. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er an keinen Gott glaube und sich keiner Religion verbunden fühle. Infolge einer eingehenden Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und insbesondere Begegnungen mit vielen Nichtmuslimen, die er, entgegen dem, was ihm in Afghanistan erzählt wurde, als gute Menschen wahrnahm, verstärkten sich beim Beschwerdeführer im Laufe seines Aufenthaltes Zweifel an den Lehren des Islam (vgl. S. 11 bis 12 des Verhandlungsprotokolls). Auch das konservative islamische Frauenbild lehnt er rundum ab. Er bekräftigte, der Islam bedeute ihm „nichts mehr“, schon in Afghanistan habe Religion für ihn vor allem bedeutet, das zu tun, was der Mullah von ihnen verlangt habe (vgl. S. 12). Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer unter anderem an, er glaube an gar nichts, denn alles, was existiere, sei die Natur. Der Mensch komme und gehe wieder (vgl. S. 13). Die Abwendung vom Islam sei seine eigene, persönliche Entscheidung, er sei volljährig und das sei sein Recht (vgl. S. 14). Er lehne religiöse Vorschriften für menschliches Verhalten ab, die Gesetze sollten von den Menschen selbst kommen und die Menschen so leben können, wie sie wollen (vgl. S. 15).

Aus den einen glaubhaften Eindruck vermittelnden Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung lässt sich ableiten, dass der Abfall vom Islam aus innerer Überzeugung und nicht bloß zum Schein aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist. Vor diesem Hintergrund bestehen seitens des erkennenden Gerichtes keine Zweifel daran, dass sich der Beschwerdeführer aus freier persönlicher Überzeugung, von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen vom islamischen Glauben abgewendet hat und bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht beabsichtigt, die ehemalige Religion auszuüben, und auch nicht in der Lage wäre, seine Abwendung vom islamischen Glauben dauerhaft zu verheimlichen.

Des Weiteren gründen sich die Feststellungen zur Apostasie des Beschwerdeführers auch auf die sehr glaubhaften Angaben der beiden in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragten Zeugen, die den Beschwerdeführer persönlich gut kennen und sich mit ihm ausführlich über sein Glaubensleben und religiöse und gesellschaftliche Fragen im Allgemeinen unterhalten haben. Der Zeuge XXXX und die Zeugin XXXX beschrieben den Prozess der schrittweisen Abwendung des Beschwerdeführers vom Islam, seine intensive und kritische Auseinandersetzung mit Religionen und seinen nicht mehr an islamischen Vorschriften orientierten Lebensstil unabhängig voneinander in allen wesentlichen Punkten übereinstimmend mit seinem eigenen Vorbringen. Der Zeuge XXXX berichtete unter anderem, oft mit dem Beschwerdeführer über den Islam und andere Religionen diskutiert zu haben und schilderte nachvollziehbar, wie dieser infolge seines Glaubensabfalls sein Verhalten änderte, nicht mehr in die Moschee ging, Alkohol zu trinken begann und sich tätowieren sich. Auch auf Druck eines Teils seiner Freunde würde der Beschwerdeführer heute nicht mehr in die Moschee gehen (vgl. S. 17 bis 19 des Verhandlungsprotokolls). Die Zeugin XXXX beschrieb die aufkommenden Zweifel des Beschwerdeführers am Islam ähnlich, konkret hätten diesen etwa die Großzügigkeit der Menschen in Österreich und die Stellung der Frau sehr beschäftigt. Der Beschwerdeführer habe immer wieder gesagt, dass er Atheist sei, und sei auch sehr überzeugt von demokratischen Werten (vgl. S. 19 bis 20).

Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seines erfolgten Abfalles vom Islam physische und/oder psychische Gewalt drohen würde, ergibt sich aus den oben angeführten Länderberichten. Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 u. a. zur Situation vom Islam abgefallenen Personen (Pkt. II.1.2.2.) geht hervor, dass Apostaten Verfolgung durch afghanische Behörden und durch Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Apostaten haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen.

2.3.    Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die entsprechenden Auszüge aus dem Länderinformationsblatt in der aktualisierten Fassung vom 21.07.2020 zum Thema der Religionsfreiheit und der Apostasie sowie auf eine im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 08.10.2020 vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführte ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017. Da diese auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Die Beschwerde ist zulässig.

3.2.    Zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die im Zufluchtsstaat erfolgende Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Heimatstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat. Vielmehr ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. dazu VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210, mwN). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. dazu VwGH 23.05.2017, Ra 2017/18/0028, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, d. h. er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach der Rechtsprechung des VwGH ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2018, Ra 2018/19/0262). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

3.2.2. Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen ist es dem Beschwerdeführer gelungen, drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen:

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass Apostaten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen haben, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Damit ist im vorliegenden Fall jedenfalls zu rechnen, weil sich der Beschwerdeführer aus freier persönlicher Überzeugung, von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen vom Islam abgewendet hat und wegen dieser innerlich durchaus identitätsprägenden Abkehr vom Islam nicht in der Lage sein wird, dies dauerhaft zu verbergen.

Diese Verfolgung, die der Beschwerdeführer zu befürchten hat, wurzelt in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, nämlich in seiner Religion, die entsprechend Art. 10 Abs. 1 lit b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes auch nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst.

Sie ist auch nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt, da dem Beschwerdeführer die Entdeckung als Apostat überall droht. Eine inländische Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Frage.

Nach den Feststellungen zu Afghanistan kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz zuteilwürde, weil die Verfolgung auch von staatlichen Stellen ausgehen kann und die Behörden daher jedenfalls nicht als schutzwillig anzusehen sind.

3.2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Angesichts dieses Ergebnisses kann dahin gestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer auch Verfolgung aus anderen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe hervorgekommen ist, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Wurde ein Antrag auf internationalen Schutz mit oder nach dem 15. November 2015 gestellt, so kommt gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") iVm mit § 75 Abs. 24 leg. cit. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Da der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 30.03.2016 und damit nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, finden die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall Anwendung.

Das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten wird in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt, eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zur Erteilung eines Aufenthaltstitels als Asylberechtigter hat nicht zu erfolgen (vgl. VwGH vom 03.05.2018, Zl. Ra 2017/19/0374).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Nachfluchtgründe Religion Schutzunfähigkeit des Staates Schutzunwilligkeit des Staates staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2187737.1.00

Im RIS seit

17.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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