TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/23 W268 2226324-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W268 2226324-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Iris Gachowetz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.11.2019, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik China.

Sie reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.07.2019 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Bei der am 23.07.2019 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die BF an, der Volksgruppe der Han anzugehören und aus der Stadt Fuzhou in der Provinz Fujian stammen. Im Herkunftsland befänden sich Mutter und Schwester der BF. Ihr Sohn sei mit vier Jahren von Unbekannten entführt worden. Ihr damaliger Ehemann habe deshalb begonnen, übermäßig Alkohol zu konsumieren. Zu den Fluchtgründen befragt gab die BF an, sie sei von ihrem Exmann immer wieder geschlagen worden und die Suche nach ihrem Sohn wäre erfolglos gewesen. Die Lage in China wäre hoffnungslos.

1.3. Am 30.10.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Zu ihren Fluchtgründen befragt brachte die BF vor, sie habe ihren Herkunftsstaat wegen ihres Ex-Manns verlassen; er habe sie geschlagen, weil ihr gemeinsames Kind im Jahr 2000 entführt worden sei. Sie sei damals gemeinsam mit ihrem Sohn einkaufen gewesen und dabei sei er verschwunden. Sie vermute, dass ein Kinderschlepper ihr Kind genommen habe. Sie habe eine Anzeige bei der Polizei gemacht, aber es sei nichts passiert. Die chinesische Polizei sei nutzlos, sie hätten das Kind nicht gefunden. Auch vor ein paar Jahren, als ein Schlepperring aufgeflogen sei, hätten sie geschaut, ob ihr Sohn dabei sei. Die Polizei wäre auch nicht schutzwillig. Es habe einen handgreiflichen Streit zwischen der BF und ihrem Ex-Ehemann gegeben. Die BF sei eine Woche in U-Haft gekommen; ihr Ex-Ehemann sei wegen starker Alkoholisierung freigesprochen worden. Trotz der Scheidung habe sie ihr Ex-Ehemann immer wieder geschlagen. Als er nüchtern gewesen sei, habe er sie nicht geschlagen, aber er sei fast nie nüchtern gewesen und trank jeden Tag. Die BF sei auch oft im Krankenhaus wegen einer Gehirnerschütterung gewesen. Im Falle ihrer Rückkehr würde ihr Ex-Ehemann sie totschlagen.

1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.11.2019, Zahl: 1239352500 – 190749046, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG2 005 abgewiesen (Spruchpunkt I), wobei auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Volksrepublik China abgewiesen wurde (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde hierbei gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Volksrepublik China gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI). Begründend führte die belangte Behörde aus, der BF sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung durch ihren Ex-Ehemann glaubhaft zu machen Zudem stelle häusliche Gewalt keinen Asylgrund dar. Die BF habe auch angegeben, dass die Polizei betreffend das Verschwinden ihres Sohnes nutzlos gewesen sei, während sie jedoch später angegeben habe, dass die Polizei noch immer ihren Sohn suchen würde. Somit zeige sich, dass die Polizei und die Sicherheitsbehörden in der VR China aktiv seien und Anliegen der Bürger ernst nehmen würden. Zudem habe die BF divergierende Angaben zum Namen ihres Ex-Mannes und ihres Sohnes sowie dem Jahr des Verschwindens gemacht. Auch sei es der BF nicht möglich gewesen, detaillierte und lebensnahe Angaben zum Verschwinden des Sohnes zu machen. Weiters sei es nicht nachvollziehbar, dass sich die BF einvernehmlich habe scheiden lassen und ihr Ex-Ehemann sie weiterhin misshandelt habe. Die BF sei arbeitsfähig, verfüge über mehrjährige Schulausbildung und Arbeitserfahrung. Die BF habe Familienangehörige in der VR-China und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Zudem gäbe es in China eine Grundversorgung. Der Antrag auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigen sei daher abzuweisen gewesen. Die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen würden die marginalen Integrationsschritte der BF hinsichtlich einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet überwiegen.

1.5. Mit Verfahrensanordnung vom 06.11.2019 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.6. Mit Schriftsatz vom 05.12.2019 erhob die BF fristgerecht Beschwerde. Dabei wurde im Wesentlichen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sich genauer mit der Situation von (alleinstehenden) Frauen und der damit einhergehenden Gefährdung mit Gewalt gegen Frauen in der VR China auseinanderzusetzen. Die BF sei in China alleinstehend und habe nur selten Kontakt zu ihren Angehörigen in China. Die BF habe nur eine geringe Schulbildung. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes könne sie keiner festen Arbeit nachgehen, was dazu führe, dass sie in prekären Verhältnissen lebe. Die BF habe keine familiären Kontakte, die bereit oder in der Lage wären, sie bei einer etwaigen Rückkehr nach China zu unterstützen. Zusätzlich sei sie weiterhin gefährdet, von ihrem Ex-Mann geschlagen und misshandelt zu werden. Die BF habe keine Hilfe von der Polizei erhalten und werde auch in Zukunft keine ausreichende Hilfe erhalten, da diese sehr korrupt und ineffizient arbeite. Aus den Länderberechtigen geht u.a. hervor, dass China kein Rechtsstaat sei und hinsichtlich Menschenrechte keine Besserung erkennbar sei. Es erscheine daher unwahrscheinlich, dass die BF in China – als Frau ohne einflussreiche Kontakte zur Kommunistischen Partei – staatlichen Schutz vor ihren Verfolgern finden könnte.

Die Hukou-Problematik komme außerdem hinzu. Eine Niederlassung ohne Registrierung sei zwar möglich, jedoch nicht zumutbar, da nur mit einer Registrierung Zugang zu sozialen Leistungen bestehe. Es bestehe somit keine innerstaatliche Fluchtalternative. Hätte die belangte Behörde diese Länderberichte herangezogen, so hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass der BF in China Verfolgung droht und dass alleinstehende Frauen im Falle einer Rückkehr nach China in eine ausweglose Situation kommen würden.

Zusätzlich wurde eine mangelhafte Beweiswürdigung geltend gemacht. Die BF habe entgegen der Ansicht des BFA ihr Vorbringen detailliert und lebensnah gestaltet und habe über die lebensbedrohliche Situation in China frei gesprochen. Die vorgenommene Beweiswürdigung der Behörde entspräche nicht den höchstgerichtlichen Vorgaben.

Schließlich sei auch die rechtliche Beurteilung unrichtig und hätte die BF Asylstatus aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen erlangen müssen. Aufgrund der weitreichenden Korruption sei es der BF auch nicht möglich, sich an die Behörden zu wenden, um Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen. Es bestehe für die BF auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, da diese aufgrund der weitverbreiteten Korruption und der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz schnell und überall im Land aufgespürt werden könnte.

1.7. Die Beschwerdevorlage langte am 09.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

1.8. Mit Schriftsatz vom 15.09.2020 brachte die Beschwerdeführerin zu den Länderberichten vor, in China sei häusliche Gewalt weit verbreitet und ein ernsthaftes Problem. Frauen würden in China weiterhin Missbrauch und Diskriminierung ausgesetzt sein, wobei Versuche, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, oftmals erfolglos blieben. Ergänzend gab sie an, mit Erkenntnis des BVwG vom 07.03.2016, W 119 2007231-1, sei einer chinesischen Staatsangehörigen Asyl als Opfer von häuslicher Gewalt gewährt geworden.

1.9. Am 16.09.2020 wurde eine mündliche Verhandlung unter Teilnahme der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht abgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1. Zum Verfahrensgang

2.1.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt den Verfahrensgang fest, wie dieser unter Punkt 1 Wiedergegeben ist.

2.2. Zur Person der BF und ihren Fluchtgründen

2.2.1. Die BF ist eine Staatsangehörige der VR China, gehört der Volksgruppe der Han an, ist konfessionslos und wohnte im Herkunftsstaat in der Stadt Fuzhou in der Provinz Fujian. Die BF war im Herkunftsstaat in einer Kleidungs- und Schuhfabrik erwerbstätig. Die BF konnte damit ihre Existenzgrundlage sichern. Die BF verließ ihren Herkunftsstaat im April 2018. Sie reiste im Juli 2019 irregulär in das österreichische Bundesgebiet ein. Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Die BF genoss drei Jahre Grundschulbildung. In Österreich halten sich bis auf einen Bruder in Wien keine Familienangehörigen der BF auf. Der Bruder unterstützt die BF manchmal mit finanziellen Mitteln. Unterhaltsähnliche (fixierter Zeitraum und Höhe) Zahlungen werden jedoch nicht gewährt. Im Herkunftsland leben die Mutter und die Schwester der BF. Die BF ist geschieden. Ihr Ex-Ehemann lebt noch im Herkunftsstaat. Die BF konnte im Verfahren keine Deutschkenntnisse nachweisen. Die BF ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Maßgebliche Anhaltspunkte für eine hinreichende Integration der BF in Österreich konnten nicht festgestellt werden.

2.2.2. Der gemeinsame Sohn der BF und ihres Ex-Ehemanns wurde 2001 entführt. Der Ex-Ehemann der BF suchte intensiv nach seinem Sohn und konnte dadurch nicht mehr regelmäßig arbeiten. Der Ex-Ehemann der BF verlor dadurch seinen Beruf und konsumierte übermäßig viel Alkohol. Die BF wurde in der Folge laufend geschlagen, weil der Ex-Ehemann der BF die Schuld an der Entführung ihres Sohnes gab. Trotz Scheidung wurde die BF von ihrem Ex-Ehemann weiter belästigt. So tauchte er betrunken mehrmals pro Monat vor der Wohnung bzw. bei der Arbeitsstätte der BF auf, um sie zu misshandeln. Die BF wandte sich diesbezüglich an die Polizei, jedoch wurde ihr dort lediglich mitgeteilt, dass man gegen die Alkoholsucht ihres Ex-Ehemannes nichts unternehmen könne. Der BF wurde somit kein effektiver Schutz durch die staatlichen Behörden gegen die Gewalt Ihres Ex-Ehemannes gewährt.

2.3. Zur Situation in der Volksrepublik China werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2018) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 14.1.2020). China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 3.2019a). Hongkong hat seit dem Souveränitätsübergang vom Vereinigten Königreich auf die Volksrepublik China zum 1. Juli 1997 den Status einer Sonderverwaltungsregion (Special Administrative Region - SAR). Grundlage für den Souveränitätsübergang ist die von den beiden Regierungschefs am 19. Dezember 1984 in Peking unterzeichnete ‚Gemeinsame Erklärung‘. Nach dem dort verankerten Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ kann Hongkong für 50 Jahre sein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem aufrechterhalten und genießt einen hohen Grad an politischer und rechtlicher Autonomie. Zum 1. Juli 1997 trat auch das Hongkonger „Basic Law“ in Kraft und löste die koloniale Verfassung ab. Macau wurde nach einem ähnlichen Abkommen am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Vereinigung mit Taiwan zur „Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität“ bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (AA 3.2019a). Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“ (AA 3.2019a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 13.3.2019). Die KP ist die allbestimmende politische Kraft. Der 19. Parteitag hat im Oktober 2017 ein neues Zentralkomitee (ZK) gewählt, dem alle wichtigen Entscheidungsträger in Staat, Regierung, Armee und Gesellschaft angehören. Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas. Das Zentralkomitee wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit 7 Mitglieder). Letzteres ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor durch die Parteiführung erarbeitet, wobei über das genaue Verfahren und dessen Grad der Formalisierung keine Klarheit besteht (AA 3.2019a vgl. USDOS 13.3.2019). Xi Jinping ist zudem Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte, die seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind. Der 2018 erneut gewählte Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (AA 3.2019a). Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 2.2019a). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der Nationale Volkskongress (NVK) ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung (FH 1.2017a). Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 2.2019a). Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht (AA 22.12.2019). Es gibt weitere acht kleine „demokratische Parteien“, die auch im Nationalen Volkskongress, aber vor allem in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes vertreten sind. Deren Vorsitzender ist Wang Yang. Das Gremium unter Führung der KP Chinas hat lediglich beratende Funktion (AA 3.2019a). Der Nationale Volkskongress hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode (5. - 20. März 2018) Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (AA 3.2019a). Xi Jinping ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte (AA 3.2019a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 13.3.2019). Durch die Kommunistische Partei Chinas wurde 2019 in jenen von ihr als kritisch eingestuften gesellschaftlichen Bereichen der Einsatz repressiver Maßnahmen intensiviert (HRW 14.1.2020). Vorrangige Ziele der chinesischen Führung sind die Entwicklung des „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“ und die Verwirklichung des „chinesischen Traums vom großartigen Wiederaufstieg der chinesischen Nation“. Die Wahrung der politischen und sozialen Stabilität unter Führung der Partei gilt als wichtigstes Ziel der KP Chinas. Die strenge Führung durch die Partei soll dabei in allen Bereichen der Gesellschaft durchgesetzt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reform und Stärkung der Partei. Schwerpunkte sind der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Stärkung der zentralen Kontrolle der Parteiführung. Die von Deng Xiaoping im Jahr 1978 verkündete Ära von „Reform und Öffnung“ hat China eine lange Phase anhaltend hohen Wachstums gebracht. Vor dem 40-jährigen Jubiläum von „Reform und Öffnung“ im Dezember 2018 scheinen die wirtschaftlichen Reformanstrengungen jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Angesichts der dramatischen Herausforderungen durch den demografischen Wandel, die Umweltbelastungen und die weiter zunehmende soziale Ungleichheit erscheint eine Fortsetzung der Reformagenda umso dringlicher. (AA 3.2019a).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.1.2020

Seit Dezember 2019 wurden in Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei) und in weiteren Provinzen zahlreiche Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit diagnostiziert. Bei den Erkrankten wurde eine Infektion mit einem neuartigen Coronavirus nachgewiesen (BMEIA 28.1.2020a). Aktuell steigen die Fallzahlen deutlich an, es es sind Todesfälle aufgetreten und die Erkrankung breitet sich in China weiter aus. Die Quelle und Übertragungswege der Infektion sind nicht abschließend geklärt, die Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber inzwischen wissenschaftlich gesichert (AA 28.1.2020). Die Stadt Wuhan ist seit dem 23.01.2020 von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Auch die 70 km östlich gelegene Metropole Huanggang wurde isoliert. Der Bahnverkehr und andere öffentliche Verkehrsverbindungen wurden eingestellt (BMEIA 28.1.2020a). Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus werden Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Ausmaßes verhängt. Davon kann zunehmend auch der Fernreiseverkehr betroffen sein. Allgemein ist derzeit mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität innerhalb Chinas zu rechnen (AA 28.1.2020). Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 25.9.2019). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind In den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden. (EDA 23.1.2020). Die Risiken beschränken sich hauptsächlich auf die Autonome Region Xinjiang. Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung, wie auch weit verbreitete „Anti-Halal“ Kampagnen [Anmerkung d. Staatendokumentation: dem Verbot einer Etikettierung von Waren mit den arabischen Schriftzeichen für „Halal“] und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die anhaltende Problematik der muslimischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (AA 28.1.2020; vgl. GW 25.9.2019). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlichen Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt (GW 25.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019).

Tibet

Letzte Änderung: 25.1.2020

China regiert Tibet über die Administration der „Autonomen Region Tibet“ (TAR) und 12 autonome Präfekturen bzw. Landkreise in den angrenzenden Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan (FH 1.2019b). Durch die Behörden in den tibetischen Gebieten wird die Religionsfreiheit, wie auch die freie Meinungsäußerung, die Bewegungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit weiterhin stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020). Staatliche Repressionen der Meinungs-, Religions-, Bewegungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit von Tibetern in der Autonomen Region Tibet (TAR), wie auch in anderen tibetischen Gebieten haben sich verstärkt und werden in einem höheren Außmaß betrieben als in anderen Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019). Unter der tibetischen Bevölkerung besteht angesichts einer chinesischen Politik der wirtschaftlichen Expansion die wenig Rücksicht auf Mitbestimmung, kulturelles Erbe und religiöse Freiheit nimmt, eine große Frustration. Besonders in den tibetischen Gebieten Sichuans, Gansus und Qinghais kam es seit 2009 zu über 100, meist tödlichen, Akten von Selbstverbrennung, die von religiösen Versammlungen, Protesten und schließlich einer oft gewaltsamen Auflösung durch Sicherheitsorgane gefolgt wurden. Einige Tibeter wurden wegen Anstiftung zur Selbstverbrennung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB 11.2019). Die Regierung geht gegen vermeintlich separatistische Kräfte in Tibet mit besonderer Härte vor

(AA 22.12.2019).

Xinjiang

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die chinesische Regierung wirft Teilen der uigurischen Bevölkerung in der Autonomen Provinz Xinjiang (XUAR), im äußersten Westen Chinas, separatistische Bestrebungen und terroristische Aktivitäten vor und wertet diese als Bedrohung gegen den Staat (ÖB 11.2019). 2013 erfolgte eine Eskalation der Gewalt, bei der ca. 200 Menschen ums Leben kamen. Die

Gewalt griff zunehmend auch auf andere Regionen Chinas über. 2013/2014 kam es zu drei,

offenbar von Uiguren verübten Anschlägen, die sich gegen Unbeteiligte richteten (AA 15.10.2014). Die seit Jahren eskalierende Gewaltspirale konnte durch die umfassende Repression 2016 scheinbar zwar gebremst, aber nicht gestoppt werden, wie eine Reihe bekannt gewordener blutiger Anschläge mit insgesamt 18 Toten seit Jahresende 2016 zeigt. 2015 hat sich nach chinesischen Angaben die Zahl der Verurteilungen wegen Terrorismus und Separatismus auf über 1.400 verdoppelt. Der allergrößte Teil dieser Urteile steht aller Voraussicht nach in Zusammenhang mit Xinjiang, wo im August 2016 das erste Antiterrorgesetz auf Provinzebene verabschiedet wurde. Den Behörden ist es bisher weitgehend gelungen, die Unruhen lokal zu begrenzen. Eine existentielle Bedrohung für China stellen sie nicht dar. Die chinesische Regierung fürchtet jedoch den Fortgang der blutigen Scharmützel und potentiell eine Wiederkehr einzelner Attacken auch außerhalb Xinjiangs (AA 14.12.2018). Die chinesische Führung hat in mehreren Verlautbarungen darauf hingewiesen, dass es nach ihrer Überzeugung direkte Verbindungen zwischen uigurischen Separatisten und den afghanischen Taliban und Al Qaida gebe und dass ein energisches Vorgehen gegen den uigurischen Separatismus, Extremismus und Terrorismus Teil des internationalen Kampfes gegen den Terror sei (AA 22.12.2019). Zudem macht China seit Jahren im Exil lebende uigurische Separatisten für Angriffe in Xinjiang verantwortlich (Aljazeera 1.3.2017). In der Autonomen Region Xinjiang (XUAR) verfolgt die chinesische Zentralregierung einen zweigleisigen Ansatz: zum einen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Gefährdungs-Triade (religiöser) Extremismus, (ethnischer) Separatismus und (internationaler)

Terrorismus, zum anderen Wirtschaftsförderung und Erhöhung des Lebensstandards der Menschen mit dem Ziel der Gewährleistung sozialer Stabilität bzw. Eindämmung von Unruhepotential (AA 22.12.2019). Die 2014 gestartete besonders repressive Kampagne „Strike Hard“ wird unvermindert gegen die türkisch-muslimische Bevölkerung fortgesetzt (HRW 14.1.2020). Im Laufe des Jahres intensivierte die Regierung ihre Strategie der Massenverhaftung von Mitgliedern muslimischer Minderheitengruppen in der autonomen Region der Uiguren (Xinjiang) deutlich. Es wird berichtet, dass die Behörden schätzungsweise 800.000 Menschen, unter Umständen mehr als zwei Millionen Uiguren, ethnische Kasachen und andere Muslime willkürlich in Internierungslagern festhalten, deren Zielsetzung in der Vernichtung ihrer religiösen und ethnischen Identitäten liegt. Von Regierungsbeamten wird behauptet, dass diese Lager zur Bekämpfung von Terrorismus, Separatismus und Extremismus benötigt würden. Internationale Medien, Menschenrechtsorganisationen und ehemalige Häftlinge berichten davon, dass Sicherheitskräfte in den Lagern Häftlinge misshandelt, gefoltert und getötet haben (USDOS 13.3.2019; vgl. FH.2.2019a). Vertrauliche Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas aus den Jahren 2017 und 2018 beschreiben, wie die Verfolgung und Internierung insbesondere von Uiguren in Umerziehungslagern in Xinjiang organisiert wird. Die „China Cables“ genannten Papiere geben Anleitung zur Gestaltung des Lagerlebens und zur strengen Überwachung der Uiguren in den Lagern und außerhalb davon und bestätigen im Wesentlichen Berichte von Beobachtern und ehemaligen Lagerinsassen. Die Berichte widersprechen der offiziellen chinesischen Darstellung, dass es sich bei den von der Regierung errichteten Lagern lediglich um Einrichtungen zur beruflichen Weiterbildung handelt (NYT 16.11.2019; vgl. WZ 25.11.2019). Der Einsatz von Technologien zur massenhaften Überwachung und sozialen Kontrolle durch die Behörden ist beispiellos. Die Integrated Joint Operations Platform (IJOP), ein Computerprogramm, das im Mittelpunkt der Massenüberwachungssysteme von Xinjiang steht, überwacht viele Facetten des Lebens der Menschen, einschließlich ihrer Bewegungen und ihres Stromverbrauchs und alarmiert die Behörden, wenn Unregelmäßigkeiten aufscheinen (HRW 14.1.2020). So werden über eine App, die sogenannte Integrated Joint Operations Platform (IJOP) personenbezogene Daten gesammelt. Das IJOP-System registriert und überwacht Bewegungs- und Standortdaten auf IDKarten und Mobiltelefonen. Durch das System als problematisch gekennzeichnete Vorfälle haben sofortige Untersuchungen zur Folge. Abhängig vom Grad der wahrgenommenen Bedrohung und basierend auf der Programmierung, kann die Bewegungsfreiheit einer Person eingeschränkt werden, indem das Verlassen eines registrierten Standorts ebenso, wie auch ein Betreten öffentlicher Räume wahrgenommen werden (HRW 1.5.2019). Die IJOP-App bewertet auch Regierungsbeamte nach ihrem Arbeitserfolg bei der Erfüllung von Aufgaben und ist ein Werkzeug übergeordneter Vorgesetzter zur Überprüfung untergeordneter Beamter (HRW 1.5.2019). Mehr als eine Million Beamte sind durch die Regierung zur Überwachung mobilisiert worden (HRW 17.1.2019). Um der wachsenden internationalen Besorgnis über die Niederschlagung entgegenzuwirken, organisierten die chinesischen Behörden mehrere, streng kontrollierte Reisen für ausgewählte Journalisten und Diplomaten - auch von der UN - nach Xinjiang und erklärte Ende Juli 2019, dass „die meisten“ in den Lagern für „politische Bildung“ in Xinjiang „in die Gesellschaft zurückgekehrt“ sind. Beide Behauptungen werden von Beobachtern bezweifelt (HRW 14.1.2020), zumal Berichten zufolge eine unbekannte Zahl Internierter nicht in Freiheit, sondern in streng kontrollierte Zwangsarbeit entlassen worden sind (BAMF 16.12.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Darüber hinaus werden durch die Behörden auch weiterhin Kinder, deren Eltern interniert sind oder sich im Exil befinden, ohne elterliche Zustimmung in staatlichen „Kinderfürsorge-Einrichtungen“ und Internaten ohne Zugang betreut (HRW 14.1.2020).

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Hongkong

Letzte Änderung: 25.1.2020

Vor der Rückgabe Hongkongs durch die Briten am 1. Juli 1997 wurde ausgehandelt, dass

Hongkong nach der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ als Sonderverwaltungsregion seine freie Marktwirtschaft, seine eigene Währung, sein eigenes Rechtswesen, ein politisches System mit demokratischen Elementen und garantierten bürgerlichen Freiheiten wie der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit, 50 Jahre lang beibehalten dürfe, also bis 2047 (AA 8.2019). Im ersten Jahrzehnt nach der Übergabe funktionierte dieses Arrangement für beide Seiten weitgehend reibungslos. 2010 kam es zu ersten großen Demonstrationen, 2014 zu wochenlangen Massenprotesten, an denen Zehntausende teilnahmen. 2019 entzündete sich die Protestwelle an Plänen für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz. Die Demonstranten werfen der Führung in Peking eine immer stärkere Einmischung in Hongkonger Belange und den Abbau der bürgerlichen Freiheiten vor (AA 8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Seit Anfang Juni 2019 führen Großdemonstrationen, unangekündigte Protestaktionen sowie Aufrufe zum Streik immer wieder zu Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Seit dem 11. November 2019 finden täglich Demonstrationen mit Straßenblockaden in vielen, auch touristisch frequentierten Stadtteilen, statt. Es kommt zu teils heftigen Zusammenstößen mit der Polizei, bei welchen bisher mehrere Personen getötet worden sind (AA 22.11.2019; vgl. TG 14.11.2019, ZO 11.11.2019). Die chinesische Staats- und Parteiführung hat die Regierung von Hongkong wiederholt aufgefordert, mit aller Härte gegen die Demonstranten vorzugehen und sie wegen „Aufstand“ strafrechtlich zu verfolgen. Mittlerweile werden nur noch vereinzelt Demonstrationen und Versammlungen genehmigt, was eine deutliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit darstellt (AA 22.12.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen (AA 22.12.2019). Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei auf ungeteilte Macht gegenüber (FH 2.2019a). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert, neben sozialer Not eine der Hauptquellen von Unzufriedenheit in der chinesischen Gesellschaft (AA 3.2019a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 22.12.2019). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2019). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sogenannter „Leitlinien“. Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen „Leitlinien“ der politischjuristischen Ausschüsse (FH 2.2019a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines „sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“ unter dem Motto „den Gesetzen entsprechend das Land regieren“. Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2019). Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2019). Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es

ist für Richter schwierig, zwischen „Unabhängigkeit“ von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2019). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll „Fehlverhalten“ von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) und die Oberste Staatsanwaltschaft haben wiederholt gefordert, „Falschurteile“ der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die tatsächliche Gerichtspraxis ist allerdings davon noch weit entfernt (AA 22.12.2019). Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019). Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die „Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte“ an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden – in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine „Behinderung der Ermittlung“ bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein.

Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem „designierten Ort“ bis zu 6 Monate unter „Hausarrest“ gestellt werden können. Dieser Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2019). Die Staatsorgane greifen verstärkt auf den „Hausarrest an einem festgelegten Ort“ zurück – eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern – einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften – zu unterbinden (ÖB 11.2019; vgl. AA 22.12.2019, AI 22.2.2018). Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem „Verwaltungsstrafen“ verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer „Verwaltungshaft“ (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten „schwarzen Gefängnissen“ kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 22.12.2019). Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind.(AA 22.12.2019). Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 2.2019a). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen „konterrevolutionären Straftaten“ abgeschafft und im Wesentlichen durch „Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden“ (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 22.12.2019). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr 2017 über an (AI 22.2.2018). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder „Verrat von Staatsgeheimnissen“ lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 22.12.2019). Auch 2018 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlicher Verfolgung fort (FH 2.2019a). Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten, droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von Schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TAZ 29.3.2016). Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 11.2019). Häufig wurden Anklagen wegen „Untergrabung der staatlichen Ordnung“, „Anstiftung zum Separatismus" oder „Terrorismus“, „Anstiftung zu Subversion" oder „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“, wie auch „Streitsucht und Unruhestiftung“ erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018). Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Millionen Eingaben [Petente] eingereicht. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 22.12.2019).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.12.2019

Zivile Behörden haben die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 3.2019a). Xi Jinping, der Vorsitzende der ZMK der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (AA 3.2018a). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019). Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP.

Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 11.2019). Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law", 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas, ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger „Blockwarte“ die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2019). Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 25.1.2020

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 22.12.2019). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und bei verdächtigen Todesfällen in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2019; vgl. FH 2.2019a). Menschenrechtsanwälte äußern Besorgnis darüber, dass Rechtsanwälte und Aktivisten weiterhin nach Inhaftierung verschiedenen Formen von Folter, Misshandlung oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind. Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren berichten von systematischer Folter und anderer erniedrigender Behandlung durch im Strafvollzug und in den Internierungslagern beschäftigte Beamte (USDOS 13.3.2019). Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen „Vorzeigefällen“, in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, oder einzelne Polizisten nach tödlicher Folter (und öffentlicher Empörung) entlassen werden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018). Das revidierte Strafverfahrensrecht verbietet die Verwendung von Geständnissen und Zeugenaussagen, die unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommen sind (neuer Art. 53), sowie sonstiger illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 22.12.2019). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 2.2019a). Von Medien, Menschenrechtsgruppen, Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft und Uiguren wird über die Anwendung von Gewalt und Folter gegen Uiguren in Umerziehungszentren berichtet (DFAT 3.9.2019). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe „unterer Amtsträger“ dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 22.12.2019).

Korruption

Letzte Änderung: 25.1.2020

Korruption stellt nach wie vor ein großes Problem im Land dar (USDOS 13.3.2019). China scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) für das Jahr 2018 mit einer Bewertung von 39 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 87. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019). 2017 wurde China mit 41 Punkten (Rang 77 von 180 Staaten) bewertet (TI 2018). Trotz diverser Anti-Korruptionsmaßnahmen bewirken Korruption und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, nach wie vor deutliche Zeichen von Unzufriedenheit in der Bevölkerung (LVAk 9.2019). Die weitest verbreiteten Formen von Korruption in China sind Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Günstlingswirtschaft durch Regierungsvertreter. Korruption, politische Einmischung und Vermittlungsleistungen sind beim Erwerb öffentlicher Dienstleistungen und im Umgang mit dem Rechtssystem üblich (DFAT 3.10.2019). Gemäß der Auswertung des Globalen Korruptions-Barometers für China zum Jahre 2017, haben 26 Prozent der Befragten Vermittlungszahlungen geleistet, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Bildung, Leistungen im Gesundheitswesen und der Strafverfolgungsbehörden zu erhalten (TI 2.3.2017). Auch die von der Regierung stark regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur sind anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeldzahlungen. (USDOS 13.3.2019). Bei seinem Amtsantritt startete Präsident Xi eine landesweite Anti-Korruptionskampagne (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 2.2019a). Ziel dieser Kampagne war, hochrangige und niederrangige korrupte Beamte zu fassen. 2013 wurden von den Behörden 172.000 Anti-Korruptionsuntersuchungen durchgeführt, im Jahre 2015 waren es 330.000. 2017 wurden 527.000 Untersuchungen durchgeführt und im im ersten Halbjahr 2017 waren es 302.000 Untersuchungen (DFAT 3.10.2019). Mehr als eine Million Beamte wurden nach offiziellen Angaben bisher überprüft und bestraft (FH 2.2019a). Bis Mitte 2017 sind durch das behördliche Durchgreifen über 1.800 Beamte dingfest gemacht worden, darunter 182 Beamte auf Ebene der stellvertretenden Provinz- oder stellvertretenden Ministerialebene bzw. darüber. Die erfolgten Untersuchungen führten zu Verhaftungen, Ausschlüssen aus der Partei und der Verurteilung von 1.130 Beamten (darunter 139 hoher Beamter) wegen Korruption (DFAT 30.10.2019). Unter den Gemaßregelten befinden sich hochrangige Staats- und Parteifunktionäre aus dem Sicherheitsapparat, dem Militär, dem Außenministerium, staatlichen Unternehmen und den staatlichen Medien (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 2.2019a). Obwohl die Beamten mit strafrechtlichen Sanktionen wegen Korruption konfrontiert waren, haben die Regierung und die CCP das Gesetz nicht konsequent und transparent umgesetzt (USDOS 13.3.2019). Eine stark auf Parteiloyalität und Verschwiegenheit fokussierte Antikorruptionskampagne kennzeichnet gegenwärtig die innenpolitischen Entwicklungen (AA 22.12.2019).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 25.1.2020

Unabhängige Menschenrechtsinstitutionen gibt es in China (mit zunehmend eingeschränkter

Ausnahme Hongkongs) nicht. Die bestehenden strengen Regeln für NGOs machen deren Registrierung de facto unmöglich. Die wenigen staatlichen chinesischen Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, sind im Sinne der Information über und Werbung für das

staatliche Konzept der Menschenrechtspolitik aktiv. So ist das Führungspersonal der Society for Human Rights Studies gleichzeitig Personal des Informationsamts des Staatsrats (AA 22.12.2019). Es gibt laut offiziellen Zahlen Chinas (mit einer sehr breiten Definition) mehr als 460.000 registrierte NGOs im Land. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann als „unabhängig“ qualifiziert werden. Unabhängige NGOs erhalten keine staatliche Unterstützung und es besteht keine „Spendenkultur“ für solche Organisationen, ebenso ist das sammeln von Spenden verboten. In den letzten Jahren wurde es für chinesische NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger. Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Unabhängigen und manchen internationalen Organisationen (z.B. UNHCR) ist darüber hinaus das Spendensammeln verboten. In den letzten Jahren wurde es für NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger, Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Seit Xi Jinping im Amt ist, sind NGOs vermehrten Repressalien ausgesetzt, z B. Inhaftierung ihrer Führungskräfte, Durchsuchungen sowie Einfrieren ihrer Konten, und Genehmigungsvorbehalt für die Projektarbeit (AA 22.12.2019; vgl. ÖB 11.2019). In China selbst werden unabhängige Menschenrechtsorganisationen streng kontrolliert und oft unterdrückt. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird von der KP nur in kleinteiliger Organisationsform bzw. in Bereichen wie Umwelt und Wohlfahrt zugelassen, wenn kein sozialer Aktivismus in Form von öffentlicher Kritik an Behörden, KP oder Politiken geübt wird (ÖB 11.2019). Am 1. Jänner 2017 trat ein eigenes Gesetz zur Kontrolle von ausländischen NGOs und von Finanzierungen aus dem Ausland für heimische NGOs in Kraft („Foreign NGO Activity Management Law“), das ausländische NGOs fortan unter die Aufsicht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit stellt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 2.2019a, ÖB 11.2019). Nach dem neuen Gesetz müssen alle Finanzierungen durch ausländische NGOs von den chinesischen Sicherheitsbehörden vor Erhalt genehmigt werden und dürfen ausländische NGOs in China nur gewisse Aktivitäten in Partnerschaft mit offiziellen Stellen ausüben. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind noch offen. Obgleich dieses Gesetz dazu beitragen kann, das nebulose Regelwerk der NGOs zu erhellen, wird befürchtet, dass das Gesetz eine weitere Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden darstellt, die Zivilgesellschaft zur Selbstzensur und zu unkritischem Verhalten zu zwingen und den Einfluss von Regierung und der Kommunistischen Partei auf ausländische und inländische Nichtregierungsorganisationen weiter zu erhöhen (ÖB 11.2019; vgl. FH 2.2019a). Durch den großen Ermessensspielraum der Polizei für die Kontrolle und Regulierung der Arbeit ausländischer NGOs erhöht sich das Risiko, dass das Gesetz dazu missbraucht werden könnte, Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (AI 22.2.2018). Die Umsetzung des Gesetzes über ausländische NGOs aus dem Jahr 2017 und der erlassenen Richtlinien zur humanitären Hilfe im Jahr 2016 hat den Zugang von Bürgergruppen zu Finanzmitteln aus ausländischen Quellen erheblich eingeschränkt und die Aufsicht und Finanzierung durch die Regierung verstärkt. NGOs die versuchen, größtmöglich Unabhängigkeit zu bewahren, wie auch NGOs, die sich mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit befassen, werden zunehmend marginalisiert (FH 2.2019a).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die Volksrepublik China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an, darunter die Konvention gegen Folter. Die VR China hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 1998 zwar unterzeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert.(AA 3.2019a). Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im

Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff „Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in Den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Die seit 2008 zunehmende Repression hat sich seit Amtsantritt Xi Jinpings verstetigt und sich im Berichtszeitraum, insbesondere nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 und dem 13. Nationalen Volkskongress im März 2018 nochmals verstärkt. Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist. Einschüchterungsmaßnahmen umfassen u.a. Hausarrest, willkürliche Haft in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige durch Bedrohungen bis hin zur „Sippenhaft“. Flankiert wird dies durch neue Gesetzgebung sowie eine Verschärfung von bestehenden Verordnungen und Gesetzen in den letzten Jahren (u. a. Gesetz zum Management von internationalen NROs, Wohlfahrtsgesetz, Verordnung über die Regulierung von religiösen Angelegenheiten). Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 22.12.2019). Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist (AA 22.12.2019). Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch Strafverfolgung aus politischen Gründen, Administrativhaft (Haftstrafe ohne Gerichtsurteil), Verletzung von allgemeinen Verfahrensgarantien im Strafverfahren (zum Beispiel Unschuldsvermutung, Recht auf Verteidigung), sehr häufige Verhängung der Todesstrafe sowie Fälle von Misshandlungen und Folter. Daneben gibt es das Bekenntnis der Regierung zu einem an Recht und Gesetz ausgerichteten sozialen Regierungshandeln und vermehrt Reformbemühungen im Rechtsbereich (AA 3.2019a). Häufig kommen Übergriffe lokaler Amtsträger bzw. von denen beauftragter Dritter vor, die im Ergebnis den Zielen der Regierungspolitik entsprechen oder der Wahrung des Einkommens dieser Personen dienen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenz hat (AA 22.12.2019). Chinas wissenschaftliches Entwicklungskonzept hält auch Einzug in die „Soziale Steuerung“ durch und für die Partei. Umfassende Sicherheit, so erkannte die Parteiführung, benötigt Big Data über Einstellungen und Stimmungen innerhalb der Bevölkerung sowie deren analytische Aufarbeitung (LVAk 9.2019). Die chinesische Regierung plant 2020 ein soziales Kreditsystem einzuführen, das Menschen in allen Lebenslagen bewertet und entsprechend belohnt oder bestraft (EuZ 29.8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Als Datenquellen werden das Verhalten in den sozialen Medien, beim Online-Shopping, beim Verfassen von Kurznachrichten, aber auch Kranken- und Gerichtsakten, Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen etc genutzt (EuZ 29.8.2019).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die chinesische Verfassung sieht Glaubensfreiheit vor, jedoch sind die einzig zugelassenen

Religionsgemeinschaften Katholizismus, Protestantismus, Buddhismus, Islam und Taoismus (ÖB 11.2019; vgl. BAMF 10.2019). Die seit 2008 zune

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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