TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/28 W183 2209825-1

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Veröffentlicht am 28.10.2020
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Entscheidungsdatum

28.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W183 2209825-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 und am 01.09.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 2015 Iran, stellte am 13.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 19.10.2017 wurde der Beschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), im Beisein des damaligen Vertreters, zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen, nachdem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2016 der Bescheid der belangten Behörde vom 12.10.2016, mit welchem der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen und dessen Außerlandesbringung nach Kroatien angeordnet worden war, behoben wurde.

Im behördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, er habe Iran verlassen, da er und sein Bruder von der Polizei beim Alkoholgenuss erwischt worden seien, sowie dass er in Österreich zum Christentum konvertiert sei.

2.       Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 17.10.2018) wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Iran zulässig ist (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Der Bescheid stützte sich in seiner Begründung maßgeblich auf die mangelnde Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Vorfälle in Iran, ging jedoch nur marginal auf die Ausübung des christlichen Glaubens des Beschwerdeführers in Österreich ein.

Das BFA stellte dem Beschwerdeführer amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3.       Mit Schriftsatz vom 12.11.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang.

4.       Mit Schriftsatz vom 19.11.2018 (eingelangt am 21.11.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28.03.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 15.05.2019).

5.       Mit Schreiben vom 02.03.2020 wurden der Beschwerdeführer sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2020 geladen (die abberaumt wurde und in weiterer Folge am 23.06.2020 stattfand) und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, Gesamtaktualisierung am 14. Juni 2019“ sowie den „Länderreport 10 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Iran – Situation der Christen, Stand 3/2019“ als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Das BFA entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung. Schriftliche Stellungnahmen wurden von keiner der Parteien dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.06.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer sowie dessen Rechtsvertretung teilnahmen. Der Beschwerdeführer wurde ausführlich zu seiner Person, seinen Fluchtgründen sowie religiösen Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen, zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen und seine Situation in Österreich darzustellen. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

Am 07.07.2020 langte seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme ein, in der im Wesentlichen das Beschwerdevorbringen wiederholt wurde, und die dem BFA zum Parteiengehör gebracht wurde.

7.       Mit Schreiben vom 13.07.2020 wurden der Beschwerdeführer sowie das BFA zu einer weiteren mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 geladen und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, zusätzlich die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, Gesamtaktualisierung am 19.06.2020“ als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Das BFA entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung. Schriftliche Stellungnahmen wurden von keiner der Parteien dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

8.       Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.09.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer sowie dessen Rechtsvertretung und der in der Verhandlung vom 23.06.2020 zum Beweis der inneren Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers beantragte Zeuge teilnahmen. Der Zeuge wurde ausführlich zu den religiösen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich befragt. Es wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, zur Aussage des Zeugen Stellung zu nehmen und diesen zu befragen. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

Die Verhandlungsniederschriften wurden dem BFA zur Kenntnis gebracht.

Es langten keine weiteren Stellungnahmen ein.

9.       Das Bundesverwaltungsgericht führte zuletzt am 15.10.2020 eine Strafregisterabfrage durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Er trägt den im Erkenntniskopf genannten Namen und ist am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer stammt aus Shiraz und lebte dort bis zu seiner Ausreise, spricht Farsi (Muttersprache) und Türkisch, und besuchte in Iran sowie in Österreich die Schule.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In Iran leben seine Eltern und seine erweiterte Familie. Zu seiner Mutter hat der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt, das Verhältnis zu ihr ist gut. Sein Vater lehnt seine Konversion ab.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung von Passkontrollen aus Iran aus, illegal nach Österreich ein und stellte am 13.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung.

In Österreich lebt der Bruder des Beschwerdeführers, der bis zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers auch die Obsorge über diesen innehatte. Der Beschwerdeführer besuchte die 9. und 10. Schulstufe am BORG XXXX . Zum Freundeskreis des Beschwerdeführers zählen unter anderem österreichische Staatsbürger, welche er vorwiegend von der Pfarre oder der Schule kennt.

Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch in einem Ausmaß, das es ihm erlaubte, im Wesentlichen die in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gestellten Fragen der Richterin zu verstehen sowie sich auszudrücken.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund gesetzt.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer war ursprünglich muslimischen Glaubens und kam in Österreich mit dem Christentum in Kontakt. In Österreich konvertierte der Beschwerdeführer zum Christentum.

Er ist Mitglied des freikirchlichen XXXX , besucht seit 2016 regelmäßig deren Gottesdienste, „Lifegruppen“ (wöchentliche Treffen in kleinen Gruppen zur Vertiefung des Glaubens) sowie andere Veranstaltungen und nimmt am Leben in der Gemeinde teil. Er engagiert sich in der Gemeinde, etwa übernimmt er Ordnungsdienste. Er wurde nach dem Besuch eines Vorbereitungskurses am 22.04.2017 in derselben Gemeinde getauft und als Mitglied aufgenommen. Weiters wurde er im Zuge der Aufnahme in die Gemeinde von einer Seelsorgerin persönlich begleitet und nahm an einem „Begegnung mit Gott“-Wochenende teil; auch ist er in der „Jüngerschaftsschule“ der Gemeinde angemeldet. Schließlich sagte er am 13.10.2017 öffentlich dem „Islam und allen damit verbundenen geistlichen Mächten“ ab.

Es wird festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt hat, sich öffentlich dazu bekennt und den neuen Glauben praktiziert sowie am Leben der Kirchengemeinde aktiv teilnimmt. Der christliche Glaube wurde wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers. Es ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum bekennt und dementsprechend im Falle einer Rückkehr nach Iran nicht zum Islam zurückkehren, sondern Christ bleiben und diesen Glauben aktiv leben würde.

Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Iran Verfolgung durch staatliche Akteure droht.

1.3.     Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Iran vom 19. Juni 2020 (LIB 2020) ergibt sich wie folgt:

Zu Apostasie und Konversion

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2019). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten zehn Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2019, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2019).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2019).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit „Konversion“ vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese „Konversion“ ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Im derzeitigen Parlament sind Sunniten (vorwiegend aus Sistan-Belutschistan) vertreten. Gewisse hohe politische Ämter sind jedoch de facto Schiiten vorbehalten. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 12.2018).

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen will, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018).

Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen, und wenn es ein prominenter Fall ist, werden diese Personen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen, mit der Bedingung, dass sie sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 12.2018). Die Regierung nutzt Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein, würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein, und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (US DOS 29.5.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 20.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        Open Doors (2020): Weltverfolgungsindex 2020 Länderprofil Iran, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 20.4.2020

?        US DOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011176.html, Zugriff 20.4.2020

Die zu Apostasie und Konversion festgestellte Situation stellt sich im gesamten iranischen Staatsgebiet gleichermaßen dar.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung; EB) und durch das BFA (EV) sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VH), der Beschwerdeschriftsatz, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran vom 19. Juni 2020 mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente (Taufschein, Bestätigung über Gottesdienstbesuche, Austrittsanzeige, Sprachkurs, Schulbesuchsbestätigung), die Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung am 01.09.2020 und die Strafregisterabfrage vom 15.10.2020

2.2.    Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1.  Zur Person des Beschwerdeführers

Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb in Bezug auf Namen und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet den Beschwerdeführer – betreffend weitere Personenmerkmale (Alter, Staatsangehörigkeit, Herkunftsregion, Sprachkenntnisse, Ausbildung und Berufserfahrung, Familienstand, Familienverhältnisse und Gesundheitszustand) sowie seine Situation in Österreich für persönlich glaubwürdig, weil er im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, und war der Beschwerdeführer diesbezüglich auch in der mündlichen Verhandlung persönlich glaubwürdig.

Die Feststellung zur Einreise und Ausreise ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor der belangten Behörde.

Die Feststellungen zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten, unstrittigen Dokumenten (Schulbesuchsbestätigung, Obsorgebeschluss) und der Einvernahme in der mündlichen Verhandlung. Betreffend die Deutschkenntnisse konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung ein aktuelles Bild von den guten Deutschkenntnissen machen.

2.2.2.  Zum Fluchtvorbringen

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgt, dass sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, sich das Gericht auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen muss, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260 unter Bezugnahme auf VfGH 27.02.2018, E 2958/2017).

Im gegenständlichen Fall ergeben sich die Feststellungen zu den christlich-religiösen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich aus dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem vorgelegten Taufschein (und der „Absage vom Islam“), sowie der vorgelegten Bestätigung des Pastors des XXXX vom 15.10.2017 und dessen Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung.

Sofern die belangte Behörde die Begründung des angefochtenen Bescheides maßgeblich auf die mangelnde Glaubhaftigkeit vorgebrachter Vorfälle in Iran stützt, jedoch nur marginal auf die Ausübung des christlichen Glaubens des Beschwerdeführers in Österreich einging (so habe dieser aufgrund bloß oberflächlichen Wissens „kein echtes Interesse an der neuen Religion vermitteln“ können), ist darauf hinzuweisen, dass die Ausübung des christlichen Glaubens des Beschwerdeführers in Österreich gegenständlich maßgeblich relevant ist und sich die Beweiswürdigung in der Folge im Wesentlichen dieser widmet.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung prüfte das erkennende Gericht die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Konversion entsprechend den in der Folge unter Punkt 3.1.1. zitierten Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes und befragte den Beschwerdeführer zu seiner Motivation für den Glaubenswechsel, seinem Wissen in Bezug auf das Christentum, seinen Gottesdienstbesuchen und sonstigen religiösen Aktivitäten und einer allfälligen Verhaltens- und Einstellungsänderung. Die Befragung widmete sich der Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers sowohl im Hinblick auf eine öffentliche Ausübung des Glaubens als auch auf die persönliche, innere Beziehung zum Christentum.

Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig darlegen, dass er sowohl von der inneren Überzeugung her, als auch in der Praxis ein Leben nach christlichen Grundsätzen führt und aktives Mitglied der freikirchlichen „ XXXX “-Gemeinde ist, deren Gottesdienste, Lifegruppen und weitere Veranstaltungen er regelmäßig besucht und in der er nach Besuch eines Vorbereitungskurses auch getauft wurde. Er vermochte auch Ablauf und persönliche Bedeutung der Taufe näher darzulegen. Der Beschwerdeführer praktiziert bereits seit vier Jahren den christlichen Glauben. Der Beschwerdeführer hat sich auch nach einem Umzug nach XXXX bewusst für diese Gemeinde entschieden, nachdem er zum Vergleich eine lokale Kirche besucht hatte. Er nimmt das Pendeln nach XXXX in Kauf und hat sich insbesondere bemüht, auch trotz der Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie den Kontakt aufrechtzuerhalten. So hat er an Gottesdiensten via Streaming weiterhin teilgenommen sowie sich an den in seiner Gemeinde bedeutenden Lifegruppen über die Dienste Zoom und Skype beteiligt.

Bei den Wissensfragen hat das Bundesverwaltungsgericht als Maßstab die Glaubensinhalte jener Religionsgemeinschaft herangezogen, der der Beschwerdeführer angehört (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350). Betreffend die gegenständlich relevante freikirchliche Religionsgemeinschaft verfügt der Beschwerdeführer über ein hinreichendes Wissen und konnte er Glaubenslehren und -inhalte erklären sowie durch seine Beschreibung des Ablaufs der Gottesdienste und einer Bestätigung der Gemeinde seines regelmäßigen Besuchs auch seine Glaubenspraxis nachvollziehbar darlegen. Insbesondere konnte er auch COVID-19-spezifische Schutzmaßnahmen während der aktuellen Gottesdienste beschreiben. Auch hat er sich über einen hinreichend langen Zeitraum auf die Konversion vorbereitet. Dass der Beschwerdeführer durch die Aufnahme in die Gemeinde das Gefühl hat, eine neue Familie gefunden zu haben, ist einerseits aufgrund des intensiven Kontakts in der Kirche, andererseits aufgrund seines Alters (so kam er mit 16 Jahren nach Österreich) und seiner Herkunftsfamilie (er gibt an, sein Vater habe ihn aufgrund der Konversion verstoßen) nachvollziehbar; auch hat etwa die Geschichte über den verlorenen Sohn für den Beschwerdeführer eine besondere Bedeutung.

Anhand einer Zeugenaussage konnte sich das Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar ein breites Bild vom Beschwerdeführer und dessen aktueller Glaubensüberzeugung sowie gemeinschaftlicher Aktivität machen. Der befragte Zeuge war insofern glaubwürdig, als er nicht in übertriebener Weise über den Beschwerdeführer berichtete, sondern nur zu Umständen Auskunft gab, die er selbst wahrnehmen konnte. Aus einer Zusammenschau der Aussagen des Beschwerdeführers mit jenen des Zeugen ist auch ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die wesentlichen Lehren der freikirchlichen Gemeinde kennt bzw. verinnerlicht hat. So betonten sowohl der Zeuge als auch der Beschwerdeführer die besondere Bedeutung der Lifegruppen für diese Gemeinde. Der Zeuge hob weiters hervor, dass die Gemeinde großen Wert auf die Ernsthaftigkeit von Aufnahmewerbern legt. So seien nicht alle, die sagen, dass sie Christen sind, auch gleich als Christen anzusehen, sondern basiere dies auf einer gründlichen Vorbereitung und der Überzeugung eines ganzen Teams, das sich auch austauscht. Wesentlich sei, den Weg wirklich als Christ gehen zu wollen sowie dass eine tiefe und innere Beziehung zu Gott bestehe. Dies erachtet der Zeuge im Fall des Beschwerdeführers für gegeben.

Auch das persönlich glaubwürdige, von Emotionen getragene Auftreten des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, die authentische Erzählweise sowie die ausführliche und persönliche Beantwortung der Fragen zum neuen Glauben lassen keinen Zweifel an der tatsächlichen Hinwendung zum Christentum zu. Der Beschwerdeführer erweckt schließlich auch nicht den Eindruck, Fakten auswendig gelernt zu haben, sondern berichtet authentisch von seinen Gefühlen und seinem Verständnis seines neuen Glaubens.

2.2.3.  Zur Situation in Iran

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den unter Punkt 1.3. genannten Länderberichten samt den darin zitierten Quellen. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Den Länderberichten wurde nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten)

3.1.1.  Rechtsgrundlagen

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 und Ra 2018/19/0260). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob der Fremde schon im Iran mit dem Christentum in Berührung gekommen ist (vgl. VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675); ebenso wenig, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist (VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230). Die Behauptung eines „Interesses am Christentum“ reicht zur Darlegung einer inneren Glaubensüberzeugung nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453).

In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergehende Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0455).

Aus Art. 10 Abs. 1 lit. b RL 2011/95/EU (Statusrichtlinie) folgt, dass die Ausübung einer Glaubensüberzeugung nicht auf das sog. „forum internum“ beschränkt werden darf, sondern vielmehr auch der öffentliche Bereich umfasst ist.

3.1.2.  Umgelegt auf den gegenständlichen Fall findet die oben festgestellte, den Beschwerdeführer treffende und glaubhaft gemachte Verfolgungsgefahr ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe, weil dem Beschwerdeführer in Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine aktuelle, aus politischen bzw. religiösen Gründen resultierende Verfolgung maßgeblicher Intensität durch staatliche Akteure droht. Ein aktives Ausleben des christlichen Glaubens und insbesondere eine missionarische Betätigung werden in Iran verfolgt und drohen hohe Haftstrafen, allenfalls auch die Todesstrafe. Der Beschwerdeführer hat sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt und lebt diesen aktiv. Die nachvollziehbaren und persönlich glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers machen eine innere Konversion glaubhaft. Durch die offiziell dokumentierte Taufe erfolgte auch eine Konversion nach außen. Zusammen mit den regelmäßigen Gottesdienstbesuchen ist der Glaubenswechsel des Beschwerdeführers öffentlich geworden. Es kann folglich nicht ausgeschlossen werden, dass im Falle einer Rückkehr nach Iran dem Beschwerdeführer eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht. Auch ist es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar, im Falle einer Rückkehr nach Iran den neuen Glauben vor den iranischen Behörden zu verleugnen und die Religionsausübung auf das sog. forum internum zu beschränken (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. b RL 2011/95/EU).

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Beschwerdeführer nicht offen, weil sich – wie sich aus den Länderberichten ergibt – die drohende Verfolgung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt.

Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe iSd § 6 Abs. 1 AsylG 2005 hervorkamen und der Beschwerdeführer nicht straffällig wurde, war dem Beschwerdeführer gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 auszusprechen, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.    Zur Behebung der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides

Da die Spruchpunkte II. bis VI. des im Spruch bezeichneten Bescheides voraussetzen, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, sind diese ohne weitere Prüfung ersatzlos zu beheben und ist insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W183.2209825.1.00

Im RIS seit

17.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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