TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/30 W229 2170118-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art130 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §8 Abs1

Spruch

W229 2170118-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am XXXX gestellten Antrag auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Dem Antrag vom XXXX wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge der Erstbefragung am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, als Polizist von den Taliban bedroht worden zu sein. Eines Tages sei während einer Polizeistreife eine Mine explodiert und dabei sei ein Arbeitskollege getötet worden. Aus Angst um sein Leben habe er sein Heimatland verlassen.

3. Am 05.04.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA). Hinsichtlich seines Fluchtgrundes brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, als Polizist von den Taliban bedroht worden zu sein. Zwei Mal seien Minen explodiert, während er mit dem Auto gefahren sei. Beim zweiten Mal seien ein Arbeitskollege getötet und zwei verletzt worden. Der Beschwerdeführer habe fast jeden Tag Anrufe bekommen. Etwa ein Mal im Monat sei sein Polizeiposten angegriffen worden. Er habe eine Anzeige bei einer vorgesetzten Behörde gemacht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass er entweder von den Taliban oder der Regierung getötet werde. Die Regierung könne ihn deshalb töten, weil er weggegangen sei, ohne der Regierung Bescheid zu sagen. Er habe die fünf Posten, für die er verantwortlich gewesen sei, einfach zurückgelassen.

Weiters legte der Beschwerdeführer Dokumente, Fotos, medizinische Unterlagen sowie Integrationsunterlagen vor.

4. Am 18.04.2017 brachte der Beschwerdeführer mittels seines nunmehrigen Rechtsvertreters ergänzendes Vorbringen ein.

5. Mit Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG vom 29.05.2017 führte der Beschwerdeführer aus, dass er in seinem Recht auf Entscheidung verletzt worden sei. Er habe am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sein Verfahren sei am gleichen Tag zugelassen worden und sei derzeit beim BFA seit mehr 15 Monaten anhängig. Das BFA habe bis dato nicht über seinen Antrag entschieden. Durch Verweis auf die aktenkundige Erstbefragung am XXXX mache er glaubhaft, dass seit Antragstellung die Entscheidungsfrist des § 22 Abs. 1 AsylG 2005 von 15 Monaten verstrichen sei.

Der Beschwerdeführer beantrage, das Bundesverwaltungsgericht möge in Stattgebung seiner Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen und ihm Asyl, gegebenenfalls Subsidiärschutz zuerkennen.

6. Mit Schreiben vom 05.09.2017 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde vor.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.12.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Es wurden weitere Länderberichte in das Verfahren eingebracht und dem Beschwerdeführer eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

8. Am 11.12.2019 legte der Beschwerdeführer aktuelle medizinische Unterlagen vor.

9. Mit Schreiben vom 14.02.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BFA das Verhandlungsprotokoll vom 05.12.2019 zur Stellungnahme. Ein Äußerung des BFA zur Verhandlungsschrift erfolgte nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geb. XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari, weiters spricht er Paschtu sowie Deutsch auf A1 Niveau. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat acht Kinder.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Helmand. Er besuchte sechs Jahre lang die Schule und arbeitete mit seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft. Etwa ab dem Jahr 2003 bis 2006 hielt sich der Beschwerdeführer im Iran auf und arbeitete dort als Schweißer. Weiters arbeitete der Beschwerdeführer als Imker und als Autoverkäufer (zur Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dorfpolizist siehe 1.2.).

Die Familie des Beschwerdeführers hat in ihrem Heimatort ein Haus und landwirtschaftliche Grundstücke in der Größe von ca. 30 Hektar besessen. Das Dorf des Beschwerdeführers befindet sich nunmehr unter der Kontrolle der Taliban. Das Haus des Beschwerdeführers sowie die Obstbäume auf den Grundstücken wurden von den Taliban zerstört. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie ihre gemeinsamen Kinder leben in XXXX in Helmand. Auch die Mutter des Beschwerdeführers, zwei Brüder und ein Halbbruder leben in XXXX . Der Beschwerdeführer hat aufgrund der schlechten Internetverbindung in Helmand nur etwa zwei Mal pro Monat Kontakt mit ihnen.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde im Jahr XXXX von den Taliban entführt und verstarb wenige Monate nach seiner Freilassung an den Folgen der Misshandlungen.

In Afghanistan hat der Beschwerdeführer weitere Verwandte, nämlich eine Tante väterlicherseits, die in XXXX lebt, eine weitere Tante väterlicherseits sowie zwei Onkeln väterlicherseits leben in der Provinz XXXX , zwei Tanten und ein Onkel mütterlicherseits leben in XXXX .

Ein Bruder des Beschwerdeführers reiste etwa drei Monate vor dem Beschwerdeführer aus Afghanistan aus und lebt ebenfalls in XXXX . Seinen Bruder sieht der Beschwerdeführer etwa ein Mal im Monat. Auch ein Cousin der Mutter des Beschwerdeführers lebt in Österreich.

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer leidet an einer chronischen Gastritis und nimmt regelmäßig Pantoprazol 40 mg ein.

Der Beschwerdeführer absolvierte Deutsch- sowie Integrationskurse, wobei er eine Deutschprüfung auf A1 Niveau absolvierte und Kurse auf A2 bzw. A2+ Niveau besuchte. Im Jahr 2016 besuchte der Beschwerdeführer einen Imkerkurs an der Volkshochschule XXXX und absolvierte ein Praktikum in einer Imkerei. Er arbeitet seit dem Jahr 2015 im Rahmen des Projektes XXXX mit und besucht mittwochs ein Sprachcafé. Der Beschwerdeführer hat einige österreichische Freunde, mit welchen er sich regelmäßig trifft.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer arbeitete von XXXX bis XXXX auf dem Militärstützpunkt XXXX im Ort XXXX mit britischen und US-amerikanischen Soldaten zusammen. Bereits während dieser Zeit wurde dem Beschwerdeführer von den Taliban unterstellt, er und seine Familie seien vom Glauben abgefallen. Die Taliban nahmen über Dorfälteste Kontakt mit dem Vater des Beschwerdeführers auf, um den Beschwerdeführer dazu zu bringen, seine Tätigkeit aufzugeben. Wegen der Bedrohungen beendete der Beschwerdeführer seine Arbeit und kehrte in sein Heimatdorf XXXX zurück.

Im Jahr XXXX wurde der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban entführt und etwa ein Monat gefangen gehalten. Der Vater kam wieder frei, verstarb aber schließlich an den Folgen der Misshandlungen.

Ebenfalls im Jahr XXXX begannen britische Soldaten in XXXX Dorfpolizisten der Afghan Local Police auszubilden. Der Beschwerdeführer wurde aufgenommen und war bis zum Jahr 2015 Dorfpolizist ( XXXX ). Dafür erhielt der Beschwerdeführer eine einmonatige Ausbildung in einer Polizeiakademie. Ab dem Jahr XXXX war der Beschwerdeführer Leiter einer Gruppe von zehn Polizisten. Anfangs war die Dorfpolizei den britischen Truppen unterstellt, nach deren Abzug aus der Region im Jahr XXXX dem afghanischen Innenministerium. Die Aufgabe des Beschwerdeführers und der Dorfpolizei war neben dem Sorgen für Sicherheit und der Verteidigung gegen die Taliban auch die Bekämpfung des Anbaus und Handels von Schlafmohn. Der Beschwerdeführer war auch an der Errichtung von Checkpoints und der Durchführung von Kontrollen beteiligt.

Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban über das Telefon bedroht, er solle seine Tätigkeit aufgeben und das Dorf verlassen, ansonsten würden sie ihn und seine Familie töten. Die Drohungen richteten sich auch gegen die Familie des Beschwerdeführers. Rund um das XXXX explodierte während einer Autofahrt des Beschwerdeführers am Weg eine Mine, wodurch er am XXXX verletzt wurde. Einige Monate später während des Monats XXXX war der Beschwerdeführer mit Arbeitskollegen in drei Autos am Weg ins Dorf. Der Beschwerdeführer befand sich im ersten Auto. Das Auto fuhr über eine Mine, die jedoch erst beim zweiten Auto explodierte. Dabei wurde eine Person getötet und zwei weitere wurden verletzt. Danach wurden regelmäßig Sicherheitsposten der Dorfpolizei angegriffen.

Aufgrund der Bedrohungen gegen ihn musste der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die örtliche Dorfpolizei Gefahr, Bedrohungs- und Gewalthandlungen von Seiten der Taliban ausgesetzt zu sein. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in Afghanistan hinreichend vor dieser Bedrohung durch die Taliban zu schützen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (verbliebene Fehler im Original, Nummerierung geändert):

„1.3.1.1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

1.3.1.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019). […]

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.). […]

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. […]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019). […]

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten „ein nützliches Fundraising-Tool“ sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

1.3.1.3. Helmand

Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie (PAJ o.D.). Helmand ist die größte Provinz Afghanistans (TD 31.5.2016) und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, Musa Qala, Nad Ali, Marja (ehemals Teil von Nad Ali (AAN 10.3.2016)), Nahr-i-Saraj (Nawa-i-Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Reg-i-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Nach Angaben der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) sind Marja und Nawamish sogenannte „temporäre“ Distrikte (CSO 2019), da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018).

Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.8.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief (AAN 16.8.2018; vgl. PAJ 29.7.2018). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.7.2019; vgl. PAJ 10.5.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).

Die CSO schätzt die Bevölkerungsanzahl von Helmand im Zeitraum 2019-20 auf 1.420.682 Personen (CSO 2019). Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan (NPS o.D.) und Hazara in Nawamish im Norden (AAN 16.8.2018). Während die nördlichen Distrikte von Helmand – Baghran, Kajaki und Musa Qala – hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und Nad Ali in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan (AAN 10.3.2016). Der verstorbene Taliban-Führer Mullah Akhtar Muhammad Mansur gehörte diesem Stamm an (AAN 10.3.2016; vgl. GN 26.12.2015).

Helmand ist von geostrategischer Bedeutung (PAJ o.D.), da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft (AAN 10.3.2016), welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet (TD 31.5.2016; vgl. AAN 10.3.2016). In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen mit Linienflugbetrieb (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb Helmand 2018 die mit Abstand größte Anbauprovinz für Schlafmohn in Afghanistan und beherbergte 52% der gesamten Anbaufläche des Landes, wenngleich der Schlafmohnanbau in Helmand im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 5% sank (UNODC/MCN 11.2018). Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt (AREU 5.2019; vgl. N-TV 23.12.2015; GN 26.12.2015; AAN 10.3.2016).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans (TN 19.6.2019; vgl. KP 24.5.2019). Ein Großteil der Gewalt in Helmand ist auf die Drogenwirtschaft zurückzuführen (AAN 10.3.2016). Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen (KP 7.5.2019).

Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen (TD 31.5.2016). Neben den Taliban soll auch Al-Qaida in Helmand präsent sein (UNSC 13.6.2019; vgl. LWJ 7.8.2018). Im August 2018 töteten afghanische Sicherheitskräfte sieben Al-Qaida-Mitglieder in Helmand (LWJ 7.8.2018; vgl. AT 7.8.2018). Einer Quelle zufolge sind keine Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Helmand aktiv (TD 26.9.2018).

Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften, soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein (JF 11.1.2019; vgl. RFE/RL 15.2.2018). Die Sangorian wurde im Januar 2016 vom Einsatzkommandanten der afghanischen Streitkräfte in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische (JF 11.1.2019). Helmand befindet sich im Verantwortungsbereich des 215. ANA Corps (USDOD 6.2019; MENA FN 16.4.2019), das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Seit dem Jahr 2017 sind US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken (LAT 15.11.2017).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 880 zivile Opfer (281 Tote und 599 Verletzte) in Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) und Selbstmord- oder komplexe Angriffe (UNAMA 24.2.2019).

Laut einem Bericht des UN-Generalsekretärs war Helmand im Frühjahr 2019 eine der aktivsten Konfliktzonen Afghanistans (UNGASC 14.6.2019). Während des Jahres 2018 und im ersten Halbjahr 2019 führten die US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte Operationen in der Provinz fort (z.B. TN 20.5.2019; TN 27.2.2019; RFE/RL 25.1.2019; PAJ 4.1.2019; RFE/RL 28.11.2018; vgl. UNSC 13.6.2019), einschließlich Luftangriffen, die Berichten zufolge Schäden unter der Zivilbevölkerung verursachten (z.B. TN 20.5.2019; RFE/RL 25.1.2019; RFE/RL 28.11.2018). Im Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 haben rund ein Drittel aller Luftangriffe in Afghanistan in der Provinz Helmand stattgefunden (UNGASC 28.2.2019). Im Berichtszeitraum Februar bis Juni 2019 fand die Hälfte aller Luftangriffe in den Provinzen Helmand und Ghazni statt (UNGASC 14.6.2019). Auch werden seit Juni 2018 Offensiven verstärkt in den strategisch wichtigen Distrikten Nad Ali, Nawa, Garm Ser, Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer durchgeführt. Die Taliban wurden so zurückgedrängt und der Druck auf die Provinzhauptstadt konnte vermindert werden (UNSC 13.6.2019).

In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt (KP 24.5.2019), dabei wurden hochrangige Taliban getötet (TN 8.2.2019; LWJ 2.12.2018) und Gefangene aus Taliban-Gefängnissen befreit (TN 31.5.2019; RFE/RL 5.1.2019; RFE/RL 3.8.2018; RFE/RL 31.5.2018). Die Taliban griffen wiederholt Sicherheitskontrollposten und Sicherheitskräfte an (z.B. TN 2.3.2019; PAJ 13.1.2019; RFE/RL 14.7.2018).

Aktivisten einer 2018 gegründeten Friedensbewegung, deren Mitglieder Männer als auch Frauen sind (RFE/RL 29.3.2018), waren auch im ersten Halbjahr 2019 aktiv und riefen die Konfliktparteien zu einer Beendigung ihrer Frühjahrsoffensiven auf (TN 19.7.2019; vgl. ASN 6.6.2019; RFE/RL 5.6.2019; TN 20.4.2019).

1.3.1.4. Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 13.3.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019): dies beinhaltet 227.374 Mitglieder der ANA und 124.626 Mitglieder der ANP. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 6.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272.465 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019). […]

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2018).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2018). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 6.2019), CSTC-A meldet dagegen eine Truppenstärke von 91.596. 3.650 Frauen dienen in der ANP (SIGAR 30.7.2019).

Im Gegensatz zur ANA bietet die ANP keine finanziellen Anreize für die Fortführung des Dienstes – eine mögliche Erklärung dafür, warum die ANA die ANP-Verbleibquoten übertrifft. Durch den Law and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA), der die Mehrheit der ANP-Gehälter finanziert, wird ermöglicht die ANP-Gehälter an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen (USDOD 12.2019).)

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 6.2019) und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Die Mitglieder werden von Dorfältesten oder lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer ausgewählt (SIGAR 30.7.219; vgl. USDOD 6.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als „Guardians“ bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019; vgl.) – davon waren rund 23.500 voll ausgebildet (SIGAR 30.7.2019). […]“

1.3.2. Auszüge aus „BFA Arbeitsübersetzung Landinfo report Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017 (Nummerierung geändert):

„Identifizierung von Zielpersonen zur Einschüchterung und Tötung

[…] Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach 'fehlverhalten':

a) Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind; […]

b) Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer 'feindlicher' Regierungen – alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

d) Personen, von denen angenommen wird, dass sie die Taliban für die Regierung ausspionieren oder Informationen über sie liefern;

e) Personen, die gegen die Shari'a (entsprechend der Auslegung der Taliban) und die Regeln der Taliban verstoßen;

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung – praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs – praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

i) Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern. […]

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und k) bieten die Taliban allen Personen, die sich 'fehlverhalten' die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer ‘Verurteilung’ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen ‘feindseligen’ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen.

b) Regierungsmitarbeiter und Mitarbeiter westlicher Regierungen: Sie können einer Warnung oder Verurteilung vor Erhalt des letzten Drohbriefes entgehen, wenn sie Abgaben zahlen, Informationen liefern und ihre Kollegen für die Taliban ausspionieren, um deren Aktionen gegen die eigenen Arbeitgeber zu unterstützen oder zur Verbesserung der Organisation der Taliban beizutragen. Bekannte Einzelfälle sind:

I. Personal im Bildungswesen: können arbeiten, wenn ihre Bildungsbehörde oder Schule eine Vereinbarung mit den Taliban schließt, die Lehrpläne und Schulbücher ändert, für religiöse Fächer von den Taliban empfohlene Lehrer einstellt und den Taliban die Überwachung der Schule gestattet.

II. Personal im Gesundheitswesen: darf arbeiten, wenn es sich bereit erklärt, verletzte Taliban-Mitglieder zu behandeln.

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges: wie b) oben, sie haben aber auch die Option, zu den Taliban überzulaufen und Absichtserklärungen mit den Taliban zu unterzeichnen (als gesamte Einheit), in denen eine im gemeinsamen Interesse liegende Gegenleistung angeboten wird. […]

Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. […]

Ende 2016 gaben Taliban-Quellen an, dass fast 15.000 Personen auf ihrer nationalen schwarzen Liste stünden. Das lässt vermuten, dass die Taliban keinen Zugang zu den staatlichen Datenbanken über das Sicherheitspersonal oder Regierungsmitarbeiter haben, ansonsten wäre die Zahl wesentlich höher. Dies ist nicht überraschend, denn die Regierung selbst ist kaum in der Lage zuverlässig anzugeben, wer den Sicherheitskräften angehört bzw. für die Regierung arbeitet. Im Anfangsstadium des Krieges war es durchaus üblich, dass die Taliban Polizisten und Soldaten an Straßensperren abfingen, wenn sie im Urlaub waren und ihre Ausweise dabei hatten. Sehr schnell wurde es immer schwieriger, jemanden zu fangen, der dumm genug war, seinen Ausweis mit sich zu führen.

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist.“

1.3.3. Auszüge aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellungen des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (Nummerierung geändert):

„Entwicklungen in Bezug auf den Konflikt in Afghanistan

Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen. Es heißt jedoch, dass die ANDSF mit unhaltbar hohen Ausfallraten und sinkender Moral zu kämpfen haben.

Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe – insbesondere im Norden Afghanistans – durchzuführen. […]

Risikoprofile

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden. Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.

Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach. Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent.
Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden. In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten: „Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die Hauptleidtragenden.”

Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich „gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land“ richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, „besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten“, gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden.

Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen. […]

b) Zivile Polizeikräfte (einschließlich Angehörigen der ANP und ALP) sowie ehemaliger Angehöriger der ANDSF

Die gezielten Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere die afghanische nationale Polizei (ANP), gehen weiter. Auch Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) werden häufig angegriffen. Schätzungen zufolge ist die Opferbilanz unter der afghanischen lokalen Polizei erheblich höher als die unter anderen Mitgliedern der ANDSF, da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsichereren Gebieten stationiert ist. Beamte sowohl der ALP als auch der ANP wurden im Dienst und auch außer Dienst angegriffen. Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte auch Angehörige anderer Polizeikräfte in Afghanistan sowie ehemalige Angehörige der ANDSF ins Visier nehmen.

[R]egierungsfeindliche Kräfte [haben] Berichten zufolge seit Beginn der Wählereintragung am 14. April 2018 Personen angegriffen, die mit den Wahlen befasst waren, darunter Wahlhelfer und Angehörige der afghanischen nationalen Polizei, unter anderem durch gezielte Tötung, Entführung, Bedrohung, Einschüchterung und Schikanen.“

1.3.4. Auszüge aus EASO Country Guidance Afghanistan: Guidance note and common analysis vom Juni 2019 (Nummerierung geändert):

„Actors of protection

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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