TE Bvwg Beschluss 2020/10/30 I419 2233223-1

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

AlVG §10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

I419 2233223-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Marc Deiser und Thomas Geiger MBA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch RA Dr. Christian Schöffthaler, gegen den Bescheid des AMS Imst vom 27.02.2020 nach Beschwerdevorentscheidung vom 03.06.2020, Zl. XXXX, beschlossen:

A) Die Beschwerdevorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem bekämpften Bescheid sprach das AMS aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Arbeitslosengeld für 12.02. bis 24.03.2020 verloren habe, wobei der Zeitraum sich um Zeiten verlängere, während derer Krankengeld bezogen wurde. Der Beschwerdeführer habe die Arbeitsaufnahme auf einer zumutbaren Stelle bei einem namentlich genannten Dienstgeber vereitelt, da er „eine Arbeitsstelle in der Schweiz für April bevorzugt“ habe. Gründe für eine Nachsicht seien nicht zu berücksichtigen gewesen.

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe die Anstellung nicht vereitelt, sondern sich vollkommen ordnungsgemäß verhalten, wie er es schon anlässlich der Niederschrift dargetan habe. Nachdem der Betriebsinhaber das Bewerbungsgespräch einseitig abgebrochen habe, sei dem Beschwerdeführer nichts übriggeblieben, als den Ort des Geschehens zu verlassen.

3. Mittels Beschwerdevorentscheidung wies das AMS die Beschwerde ab. Es habe sich um eine zumutbare Jahresstelle gehandelt, der Beschwerdeführer habe aber seine Arbeitswilligkeit betreffend diese Jahresstelle in Zweifel gestellt, indem er ausgedrückt habe, dass er seit 22 Jahren in der Schweiz gearbeitet habe und dort auch im April wieder zu arbeiten beginnen werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt, wie in I. wiedergegeben. Außerdem wird festgestellt:

1.1 Der Beschwerdeführer absolvierte vor rund 40 Jahren eine Tischlerlehre und war seit etwa 22 Jahren mit Unterbrechungen beim selben Dienstgeber in der Schweiz als Montagetischler (Schreiner-Monteur) tätig, wobei die Unterbrechungen jedenfalls ab 2015/16 jeweils etwa zwei bis drei Monate in der ersten Jahreshälfte umfassten. Zuletzt endete sein befristetes Arbeitsverhältnis als Wochenpendler dort am 27.01.2020 mit einer Wiedereinstellungszusage für „voraussichtlich im April 2020“.

1.2 Die Betreuungsvereinbarung vom 13.01.2020 hält unter Anderem fest, dass das AMS ihn bei der Suche nach einer Stelle als Montagetischler im Wohnbezirk oder einer der Gemeinden L., Z. oder T. in zwei Nachbarbezirken unterstützen werde. Der Arbeitsplatz müsse mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.

Am 10.02.2020 wies das AMS dem Beschwerdeführer eine Ganzjahresstelle in der genannten Gemeinde Z. als vollzeitbeschäftigter Montagetischler im Betrieb der L. GmbH „ab sofort“ zu. Als Arbeitszeiten waren 07:30 bis 12:00 Uhr und 13:00 bis 17:30 Uhr von Montag bis Donnerstag sowie freitags 07:30 bis 11:30 Uhr angeführt. Das Stellenangebot enthielt den Vermerk „Dienstgeber ist bei der Wohnungssuche behilflich“. Die angebotene Stelle entsprach den körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers.

1.3 Der Beschwerdeführer teilte dem potenziellen Dienstgeber, konkret Herrn L., im Vorstellungsgespräch mit, dass er seit 22 Jahren in der Schweiz bei der Firma D. sei und dort auch im April 2020 wieder zu arbeiten beginnen werde. Ein Dienstverhältnis des Beschwerdeführers im Betrieb der L. GmbH kam nicht zustande. Die genannte Aussage war kausal dafür.

1.4 Der sonstige Inhalt des Bewerbungsgesprächs kann nicht festgestellt werden. Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, ob dem Beschwerdeführer in dem Gespräch eine Wohnmöglichkeit angeboten oder genannt wurde, und gegebenenfalls, welche und ab wann.

1.5 Am 18.02.2020 einvernommen gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er betreffend berufliche Verwendung, Arbeitszeit, tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg sowie Betreuungspflichten keine Einwendungen habe. Es sei ein „normales Vorstellungsgespräch“ gewesen, wo über Ausbildung und Praxis gesprochen worden sei, erst nachdem er Herrn L. seinen im April bevorstehenden Arbeitsbeginn in der Schweiz mitgeteilt habe, sei dieser sehr unhöflich geworden und habe auch geschrien.

1.6 Der Beschwerdeführer hat am 11.05.2020 wieder beim seinerzeitigen Dienstgeber in der Schweiz zu arbeiten begonnen.

1.7 Der Betrieb der L.-GmbH ist vom inländischen Wohnsitz des Beschwerdeführers etwa 25 Straßenkilometer entfernt. Die Wegzeiten bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel und den in 1.2 angeführten Arbeitszeiten sind an Schultagen folgende:

Morgens 06:02 bis 07:21 Uhr (79 min), abends 17:32 bis 19:26 Uhr (114 min), Fr. mittags 11:43 bis 13:56 Uhr (133 min).

Die Wegzeit errechnet sich damit als Summe der beiden Wege mit 3,22 h (193 min) bzw. freitags 3,53 h (212 min). Gewichtet ergibt das eine tägliche Wegzeit pro Arbeitstag von 3,28 Stunden (197 min oder 3 h 17 min).

Auf den betreffenden Strecken ist morgens von der Kraftfahrlinie 4204 in die Kraftfahrlinie 4206 umzusteigen, die Retourfahrten setzen sich aus Strecken mit Kraftfahrlinie 4206 (freitags Regionalbus 1), ÖBB-IC (freitags Railjet) und Kraftfahrlinie 4204 zusammen, an den Ausgangs- und Endpunkten sind jeweils noch Fußwege von 1,5 km und 727 m (freitags 513 m) enthalten.

1.8 Es kann nicht festgestellt werden, ob am Wohnort des Beschwerdeführers lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben, als zwei Stunden bei einer Vollzeitbeschäftigung für Hin- und Rückweg.

1.9 Es kann auch nicht festgestellt werden, ob und wenn ja welche besonders günstigen Arbeitsbedingungen, die dem Beschwerdeführer geboten worden wären, oder andere Umstände vorliegen, die für die Zumutbarkeit der täglichen Wegzeit von Bedeutung sein würden.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden AMS-Akt, den eingeholten Versicherungs- und Meldedaten sowie einer Routenabfrage (Google maps) und einer auf www.vvt.at vorgenommenen Fahrplanabfrage des Verkehrsverbunds Tirol. Betreffend die festgestellten Inhalte des Vorstellungsgesprächs und dessen Ergebnis samt Kausalität folgt das Gericht den Angaben des Beschwerdeführers in der beim AMS aufgenommenen Niederschrift vom 18.02.2020.

2.2 Die Negativfeststellungen ergeben sich aus der fehlenden Angaben von Herrn L. zu den in 1.4 und 1.9. genannten Umständen, ferner daraus, dass das AMS soweit ersichtlich auch keine Ermittlungen betreffend die lokal üblichen Wegzeiten (1.8) gepflogen hat.

Infolge dessen ist auch nicht zu erkennen, ob eine Feststellung des Inhalts möglich sein wird, dass der Beschwerdeführer die Annahme einer zumutbaren Stelle erwiesener Maßen vereitelt und die Folgen in Kauf genommen hätte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

3.1 § 10 Abs. 1 AlVG legt fest, dass eine Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle des AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die auf diese Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Das gilt nach § 38 AlVG auch für die Notstandshilfe.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieser im angefochtenen Bescheid verhängten Sanktion ist, dass die zugewiesene Beschäftigung als zumutbar und auch sonst geeignet in Betracht kommt, der Arbeitslose ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, das Zustandekommen der Beschäftigung zu vereiteln, und dass dieses Verhalten kausal für das Nichtzustandekommen sowie vorsätzlich darauf gerichtet war.

3.2 Eine Beschäftigung ist nach § 9 Abs. 2 AlVG zumutbar, wenn sie – unter anderem – in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen zumutbar, insbesondere dann, wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden.

Nach der Rechtsprechung liegt bei einer Vollzeitbeschäftigung eine tägliche Wegzeit dann „wesentlich“ über der in § 9 Abs. 2 AlVG genannten Grenze von „jedenfalls zwei Stunden“ - und sie ist daher erst dann „nur unter besonderen Umständen“ zumutbar -, wenn diese Grenze um etwa 50 % überschritten wird. Ab einer Wegzeit von drei Stunden täglich bedarf es einer näheren Prüfung, ob derartige besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer die festgestellten Wegzeiten ausnahmsweise zumutbar sind. (VwGH 09.06.2020, Ra 2020/08/0031 mwN)

3.3 Der Beschwerdeführer hat keine Einwendungen gegen die täglichen Wegzeiten geltend gemacht. Allerdings wäre das AMS nach der Rechtsprechung verpflichtet gewesen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Zwar geht diese Verpflichtung nicht so weit, dass es in jede denkbare Richtung Ermittlungen hätte durchführen müssen, jedoch ist Anhaltspunkten aus den Akten nachzugehen. Die Frage, ob die zugewiesene Beschäftigung dem Beschwerdeführer in rechtlicher Hinsicht zumutbar ist, hat die belangte Behörde jedenfalls zu beantworten, und sie hat sich zu diesem Zweck Kenntnis von den relevanten Sachverhaltsumständen zu verschaffen. (VwGH 04.04.2002 2002/08/0021)

Der VwGH hat zwar entschieden, dass bei einer direkten Bahnverbindung und einer Fahrzeit von rund 50 Minuten keine Veranlassung besteht, von Amts wegen auf die Frage der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes einzugehen (18.10.2000, 97/08/0408), jedoch ist beim vorliegenden Sachverhalt, keine Direktverbindung und tägliche Reisezeiten über drei Stunden, im Umkehrschluss davon auszugehen, dass das AMS durch Ermittlungen die Frage der Erreichbarkeit klären musste (zur Manuduktion s. 3.5).

3.4 Im gegebenen Zusammenhang ist aus der Betreuungsvereinbarung ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in einer Mittelgebirgssiedlung im P.-Tal wohnt und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Die Arbeitszeiten finden sich im Stellenangebot und damit ebenso im Akt. Die Lage der Gemeinde Z., in der sich der Arbeitsplatz befunden hätte (im I.-Tal im Nachbarbezirk gelegen), ist notorisch. Spätestens mit einer Abfrage der Verkehrsverbindungen wäre dem AMS auch das Fehlen einer direkten Verbindung im Linienverkehr offenbar geworden.

3.5 In weiterer Folge hätte sich auch dem AMS die Frage gestellt, ob und mit welchem Inhalt die in der Stellenzuweisung angeführte Hilfe bei der Wohnungssuche angesprochen wurde. Diesbezügliche Ermittlungen wären jedenfalls angesichts der zu unschwer zu erfahrenden Wegzeiten anzustellen gewesen. Es obliegt nämlich dem AMS, Erhebungen durchzuführen, die zur Klärung des Sachverhalts benötigt werden. Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung aller unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Fall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise. Insbesondere einer rechtsunkundigen und nicht rechtsfreundlich vertretenen Partei gegenüber ist die Verwaltungsbehörde zur Manuduktion verpflichtet. (VwGH 19.05.1992, 91/08/0189)

Zur Zurückverweisung zur – allfälligen – Erlassung eines neuen Bescheids:

3.6 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).

Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.7 Im vorliegenden Fall hat das AMS verkannt, dass einer Entscheidung über den Anspruchsverlust angesichts der bekannten Wohn- und Arbeitsorte und des Scheiterns der Vermittlung ein Ermittlungsverfahren voranzugehen gehabt hätte, in welchem geklärt wird, welcher Sachverhalt vorliegt.

Die Feststellung wäre anhand der oben angeführten Beweise – Fahrplanabfragen, Vernehmung des Zeugen L. (Wohnmöglichkeit, Transportangebot für Mitarbeiter, besonders günstige Arbeitsbedingungen), Recherche der „Pendelzeiten“ aus der Wohngemeinde des Beschwerdeführers (etwa durch eine Anfrage bei der Gemeinde oder der Verkehrsplanung des Landes) – zu treffen gewesen, ferner auch die Fahrmöglichkeiten an schulfreien Tagen (Ferien), als Basis für die Entscheidung, ob ein Vereitelungstatbestand erfüllt und damit die Erlassung eines Bescheids geboten ist. Zur beabsichtigten Feststellung wäre dem Beschwerdeführer sodann Parteiengehör zu gewähren gewesen, und zwar unter Verweis auf die Ergebnisse der Beweisaufnahmen, es sei denn die Stelle wäre schon vorab als nach § 9 Abs. 2 AlVG unzumutbar anzusehen.

3.9 Das AMS hat demgegenüber lediglich eine Niederschrift aufgenommen, in der zwar die vorgesehene Entlohnung und der mögliche Arbeitsantritt konkretisiert wurden, was beides dem Akt zu entnehmen war, sich aber nicht mit der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes befasst.

Dem – damals unvertretenen – Beschwerdeführer wurde laut Niederschrift zwar eine Reihe von möglichen Gründen für das Scheitern der Vermittlung mit der Frage nach Einwendungen vorgegeben (neben solchen gegen die Entlohnung, Verwendung etc. auch nach der täglichen Wegzeit und „sonstiger Gründe“), ohne aber die Erreichbarkeit mit Linienverkehr zu thematisieren oder ihm mitzuteilen, dass die Zumutbarkeitskriterien sich in seinem Fall auf die zur Wegzeit im Linienverkehr beziehen. Es erstaunt nicht, wenn der rechtsunkundige Beschwerdeführer, dem – zutreffend – vorgehalten wurde, er habe durch seine Aussagen beim Vorstellungsgespräch die Anstellung verhindert, auf diesen Vorhalt eingeht, nicht aber auf die zum Befragungszeitpunkt für ihn nicht mehr ersichtlich relevanten Busfahrpläne, mit denen er sich womöglich noch gar nicht befasst hatte.

Anschließend erging der angefochtene Bescheid, den die Beschwerdevorentscheidung bestätigte, in welcher allerdings betreffend die Zumutbarkeit nur festgestellt wird, dass die Bezahlung zumindest dem Kollektivvertrag entsprochen hätte, die Beschäftigungsaufnahme dem Beschwerdeführer „grundsätzlich“ zumutbar gewesen wäre, und dieser die „grundsätzliche Zumutbarkeit“ nicht bestritten habe. Der Sachverhalt war bis dahin bloß ansatzweise ermittelt, nämlich beschränkt auf einen Teil des Gesprächs mit Herrn L. und die Angaben des Beschwerdeführers zum Grund des Scheiterns der Bewerbung. Das AMS hat somit keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen, womit es ihm nicht gelang, den bekämpften Bescheid mittels Beschwerdevorentscheidung nachträglich tauglich zu begründen.

3.10 Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] „zur bloßen Formsache degradiert“ werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).

Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) „lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden“ (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Wie erwähnt, hat das AMS nur ansatzweise ermittelt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind auch deshalb nicht gegeben, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal sich der Arbeitsplatz des Zeugen L. in Z. befindet, von wo sowohl die AMS-Dienststelle in Imst als auch jene Landeck deutlich weniger weit entfernt und schneller erreichbar sind als der Gerichtsstandort.

Will das Verwaltungsgericht die Sache an die Behörde zurückverweisen, so ist die in der Sache ergangene, an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz oder Abs. 4 VwGVG aufzuheben. (VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026)

Demnach war gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG wie im Spruch geschehen die Beschwerdevorentscheidung zu beheben und die Sache an das AMS zurückzuverweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Weg- und Wartezeit Zumutbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2233223.1.00

Im RIS seit

17.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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