TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 W261 2207036-1

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Veröffentlicht am 02.11.2020
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Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2207036-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX auch XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, rechtlich vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg vom 17.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15.03.2017 nach Einreise als unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 28.03.2017 fand seine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der minderjährige Beschwerdeführer unter anderem an, er sei Paschtune und sunnitischer Muslim und stamme aus einem Dorf in der Provinz Baghlan. Befragt, warum er sein Land verlassen habe, gab er an, die Taliban hätten ihre Schule gesperrt und sie geschlagen und ins Wasser geworfen. Viele Kinder seien von den Taliban ermordet worden. Er habe Angst vor den Taliban, sein Großvater sei von diesen getötet worden.

2. Die Ersteinvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) fand am 11.07.2017 statt. Dabei gab der minderjährige Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen im Wesentlichen an, er sei in Kabul geboren und im Dorf XXXX (oder XXXX ) im Distrikt XXXX in der Provinz Bahglan aufgewachsen. Seine Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern würden noch im Heimatdorf leben, und er habe Kontakt zu seiner Familie. Ein Bruder sei zusammen mit ihm ausgereist, doch er habe ihn an der ungarischen Grenze verloren. Es gebe auch noch weitere Verwandte in der Provinz Baghlan. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan zwei Jahre die Schule besucht und nebenbei auf den Feldern geholfen. In Österreich lebe auch ein Cousin seines Vaters.

Zu seinen Fluchtgründen gab der minderjährige Beschwerdeführer zusammengefasst an, die Taliban hätten die Schule gesperrt und gewollt, dass sie in die Koranschule gehen. Er habe aber in die normale Schule gehen wollen. Die Taliban hätten ihn und seinen Bruder verfolgt, weil sie in die Schule hätten gehen wollen. Seine Großeltern seien von den Taliban umgebracht worden. Sein Großvater sei vor seiner Geburt und seine Großmutter vor ca. zwei Jahren getötet worden, als sie bei Auseinandersetzungen auf den Feldern getroffen worden sei. Es gebe Krieg, es komme immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Regierung. Sie hätten sich nicht sicher gefühlt. Die Taliban würden auch zu ihnen nachhause kommen und hätten sie aufgefordert, ihnen etwas zu essen zu geben. Es habe keine Ruhe gegeben, jeden Tag habe es Schießereien gegeben. Deshalb hätten ihm seine Eltern gesagt, dass er Afghanistan verlassen und nach Österreich gehen soll. Er und sein Bruder sollten sich in Sicherheit bringen und später seine Eltern nachholen. Die Taliban hätten ihn einmal mit der Pistole bedroht und von ihm Geld verlangt und ihn geschlagen.

3. Mit Eingabe vom 25.07.2017 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen ausführte, aus seinem Vorbringen sei ersichtlich, dass ihm in Afghanistan Verfolgung iSd der GFK aufgrund seiner zumindest unterstellten politischen/religiösen, gegen die Taliban gerichteten, Gesinnung drohe. Bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit sei zu beachten, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen unmündigen Minderjährigen handle. Eine Rückkehr sei unter keinen Umständen möglich, da diese das Kindeswohl erheblich beeinträchtigen würde. Eine Rückkehr in seine umkämpfte Heimatprovinz Baghlan sei angesichts der Gefahrenlage unmöglich, ein Verweis auf einen anderen Teil Afghanistan sei schon aufgrund seines Alter nicht möglich. Es wäre ihm daher zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

4. Eine weitere Einvernahme des minderjährigen Beschwerdeführers vor der belangten Behörde fand am 08.03.2018 statt. Dabei gab er ergänzend an, er habe Kontakt zu seiner Familie, aber nicht so regelmäßig, denn oft gebe es keinen Empfang. Seine Eltern würden in der Provinz Baghlan, weitere Verwandte in Kandahar und an anderen Orten leben. Er habe auch Kontakt zu seinem nunmehr in Österreich lebenden Bruder XXXX . Vor kurzem sei in ihrem Dorf Krieg gewesen, dadurch sei auch ihr Haus zerstört worden und seine Eltern hätten woanders hin flüchten müssen. Mittlerweile seien sie aber seines Wissens nach wieder zurück in Baghlan. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer mehrere afghanische Dokumente vor.

5. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 17.08.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine bis 16.08.2019 befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aufgrund einer konkreten individuellen Verfolgung aus asylrelevanten Gründen verlassen habe, oder er nach einer allfälligen Rückkehr asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Er habe kein konkretes asylrelevantes Fluchtvorbringen erstattet. Seine Herkunftsprovinz Baghlan sei volatil, ihm stehe jedoch grundsätzlich mit Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Diese sei ihm allerdings aufgrund seiner derzeitigen Minderjährigkeit und der fehlenden familiären Unterstützungsmöglichkeit vor Ort subjektiv nicht zumutbar, da er nicht nachweislich über familiären Anschluss in Kabul verfüge und daher möglicherweise in eine aussichtslose Lage geraten würde. Ihm werde daher subsidiärer Schutz gewährt.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Eingabe vom 26.09.2018 fristgerecht Beschwerde. Er brachte darin nach einer erneuten Darstellung seines Fluchtvorbringens im Wesentlichen vor, die belangte Behörde sei ihrer erhöhten Ermittlungspflicht angesichts seiner Minderjährigkeit nicht ausreichend nachgekommen und habe diesen Umstand auch bei der Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit nicht angemessen berücksichtigt. Die Beweiswürdigung sei widersprüchlich und mangelhaft begründet. Bei der Erstbefragung sei der Beschwerdeführer erst 12 Jahre alt und in einer außergewöhnlich belastenden Situation gewesen. Sein Vorbringen würde sich auch mit näher zitierten Länderberichten decken. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung ergebe sich, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung aufgrund seiner (zumindest unterstellten) politischen/religiösen Gesinnung von Seiten der Taliban in Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie drohe und ihm daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen wäre.

7. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 27.09.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 04.10.2018 in der Gerichtsabteilung W209 einlangte.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.05.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W209 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 neu zugewiesen, wo dieses am 02.06.2020 einlangte.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.10.2020 eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der minderjährige Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle seiner Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

10. Mit Eingabe vom 13.10.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen ausführte, er habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf kinderspezifische Gefahren Bezug genommen und seiner Furcht vor den Taliban Ausdruck verliehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei es nicht zwingend erforderlich, dass eine Verfolgung bereits stattgefunden habe, es handle sich bei der Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgungsgefahr um eine Prognoseentscheidung. Der Beschwerdeführer gehöre iSd UNHCR-Richtlinien von 30.08.2018 unter anderem der Risikogruppe der „Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung“ an. Aus näher zitierten Länderberichten ergebe sich die Praxis von Zwangsrekrutierungen. Die Furcht vor einer Rekrutierung durch die Taliban sei somit wohlbegründet. Eine innerstaatliche Fluchtalternative scheide aufgrund der Zuerkennung von subsidiärem Schutz aus.

11. Mit Eingabe vom 16.10.2020 übermittelte die belangte Behörde einen Strafantrag, ein Hauptverhandlungsprotokoll und einen Beschluss aus einem gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB geführten Strafverfahren. Dieses wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 16.09.2020, Zl. XXXX , nach diversioneller Erledigung unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt.

12. Mit Eingabe vom 20.10.2020 erstattete die belangte Behörde eine Stellungnahme, in der sie im Wesentlichen ausführte, die Angaben des Beschwerdeführers seien in näher dargestellten Punkten widersprüchlich und überaus vage. Insbesondere eine vermeintliche drohende Zwangsrekrutierung sei niemals nachvollziehbar und fundiert behauptet worden. Es könnten aus Sicht der Behörde auch keine besonderen Integrationsbemühungen erkannt werden, der Beschwerdeführer seit bereits mehrfach strafrechtlich relevant in Erscheinung getreten, wobei zwei Ermittlungsverfahren wegen Unmündigkeit eingestellt und ein Strafverfahren diversionell erledigt worden sei.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen sowie des Stammes der XXXX und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht auch Dari und etwas Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan geboren, wo er im Familienverband aufwuchs. Sein Vater heißt XXXX und ist ca. 49 Jahre alt, er arbeitet auf den Feldern und belädt auch Lkws. Seine Mutter heißt XXXX und ist ca. 39 Jahre alt, sie ist Hausfrau. Der Beschwerdeführer hat drei Brüder, XXXX (auch XXXX ), ca. 18 Jahre alt, XXXX , ca. 13 Jahre alt, und XXXX , ca. zehn Jahre alt, sowie zwei Schwestern, XXXX , ca. acht Jahre alt, und XXXX , ca. drei Jahre alt. Bis auf seinen Bruder XXXX , der in Österreich lebt, leben alle seine Familienmitglieder noch im Heimatdorf.

Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie.

Der Beschwerdeführer stellte am 15.03.2017 nach Einreise als unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan aufgrund der kriegerischen Situation und Taliban-Präsenz in seinem Heimatdorf. Persönlich wurde der Beschwerdeführer von den Taliban nicht aufgesucht oder bedroht. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht aufgefordert, mit den Taliban oder einer anderen Gruppierung zusammenzuarbeiten oder diese zu unterstützen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch diese oder durch andere Personen.

1.3.    Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit März 2017 durchgehend in Österreich auf. Er war nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 15.03.2017 zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG und ist seit 17.08.2018 aufgrund einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse und hat noch keine Deutschprüfung abgelegt.

In Österreich lebt ein Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , als Asylwerber. Er besucht ihn regelmäßig. Auch ein Cousin seines Vaters namens XXXX lebt in Österreich. Ein Onkel mütterlicherseits, XXXX , lebt in London. Der Beschwerdeführer hat manchmal Kontakt zu seinem Onkel.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Ein gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB geführtes Strafverfahren wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 16.09.2020, Zl. XXXX , nach diversioneller Erledigung unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt. Dem Beschwerdeführer wurden vom Bezirksgericht seine Integration betreffende Weisungen erteilt.

1.4.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 21.07.2020 (LIB),

-        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1)

1.4.1   Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

1.4.1.1. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

1.4.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5 % der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala-System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6 % der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte normalerweise die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Derzeit sind die meisten Teehäuser, Hotels und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19-Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB, Kurzinformation 21.07.2020)

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: Der afghanischen Regierung zufolge leben 52 % der Bevölkerung in Armut, während 45 % in Ernährungsunsicherheit leben. Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

1.4.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Berichten zufolge haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19-Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2 % der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

1.4.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40-42 % Paschtunen, rund 27-30 % Tadschiken, ca. 9-10 % Hazara und 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 16.1).

1.4.5. Religionen

Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80–89,7 % Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

1.4.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.4.7.  Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z. B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet, einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Die großen COVID-19-bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.06.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish-Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.06.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen betreffend COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

1.4.8.  Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach „fehlverhalten“, unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance, zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

1.4.9. Relevante Provinzen und Städte

1.4.9.1. Herkunftsprovinz Baghlan

Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans. Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan. Die Provinz hat 995.814 Einwohner (LIB, Kapitel 2.4).

Baghlan gehört zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. Im Jahr 2019 gab es 349 zivile Opfer (123 Tote und 226 Verletzte) in der Provinz Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 34% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (LIB Kapitel 2.4).

In der Provinz Baghlan kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Stammeszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, seiner Schulbildung und seiner fehlenden Berufserfahrung gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben sowie den vorgelegten Nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Das Datum der Antragstellung und der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers folgen hinsichtlich der kriegerischen Situation und der Taliban-Präsenz in seinem Heimatdorf seinen eigenen glaubhaften und plausiblen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2020. In dieser brachte er zu seinen Fluchtgründen zunächst zusammengefasst vor, in Afghanistan habe in ihrer Umgebung jeden Tag Krieg geherrscht. Durch den Krieg seien seine Großeltern väterlicherseits ums Leben gekommen. Die Taliban seien ständig zu ihnen gekommen, sie hätten Angst um ihr Leben gehabt. Seine ganze Familie habe Afghanistan verlassen wollen, doch seine Kernfamilie sei sehr groß, deshalb hätten sie sich eine gemeinsame Flucht finanziell nicht leisten können. Daher hätten nur er und sein Bruder das Land verlassen, um später den Rest ihrer Familie in Sicherheit bringen zu können (vgl. Niederschrift vom 06.10.2020, S. 6-7).

Diese Angaben entsprechen auch den zu seiner Herkunftsprovinz Baghlan getroffenen Länderfeststellungen, nach denen Aufständische der Taliban dort in gewissen unruhigen Distrikten aktiv sind, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen gleichlautende Angaben (vgl. AS 72-73).

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass es sich bei diesen zunächst geschilderten Fluchtgründen zur allgemein schlechten Sicherheitslage und kriegerischen Situation um den tatsächlichen Grund der Ausreise des Beschwerdeführers handelt. Erst auf Nachfrage, ob es sich dabei um all seine Fluchtgründe gehandelt habe, brachte er in der mündlichen Verhandlung darüberhinausgehend noch vor, dass sie die Taliban, wenn sie zurückkehren würden, als Spione beschuldigen würden, oder sie müssten sich den Taliban anschließen und in den Krieg ziehen (vgl. Niederschrift vom 06.10.2020, S. 7).

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden, da es sich dabei offenbar um eine bloß allgemeine Befürchtung und Mutmaßung des Beschwerdeführers handelt, die nicht auf konkreten Geschehnissen beruht. Dass die Taliban jemals versucht hätten, ihn zu rekrutieren, oder ihn jemals beschuldigt hätten, ein Spion zu sein, brachte der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht vor. Die Befürchtungen des Beschwerdeführers sind zwar angesichts des von ihm Erlebten nachvollziehbar, jedoch nicht begründet. Nach dem ins Verfahren eingebrachten Landinfo-Bericht vom 23.08.2017 haben die Taliban klar definierte Gruppen von Zielpersonen (Kapitel 4), zu denen der Beschwerdeführer nicht zählt. Aus der EASO Country Guidance vom Juni 2019 geht hervor, dass die Taliban keinen Mangel an freiwilligen Rekruten haben und nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch machen (Kapitel II.6.a). Welches Interesse die Taliban am zum Zeitpunkt der Ausreise erst zwölfjährigen Beschwerdeführer gehabt hätten sollen, konnte dieser auf Nachfrage selbst nicht beantworten (vgl. Niederschrift vom 06.10.2020, S. 7).

Erst auf weitere ausdrückliche Nachfrage, ob jemals von irgendjemandem persönlich bedroht worden sei, brachte der Beschwerdeführer schließlich vor, die Taliban seien ständig zu ihnen gekommen und hätten Geld von ihnen verlangt, oder was sie sonst gehabt hätten. Er sei auch persönlich gewarnt und ihm sei Geld weggenommen worden, er sei aber noch nie geschlagen worden (vgl. Niederschrift vom 06.10.2020, S. 7). Einen solchen Vorfall konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, da er diesen nicht nur völlig vage und unsubstantiiert, sondern auch gänzlich anders als noch in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde beschrieb: Damals gab er an, die Taliban hätten ihn dabei mit einer Pistole bedroht (vgl. AS 68, 73), was er in der mündlichen Verhandlung mit keinem Wort erwähnte. Vor allem aber gab er vor der Behörde an, die Taliban hätten ihn dabei geschlagen (vgl. AS 73), während er nunmehr ausdrücklich vorbrachte, noch nie geschlagen worden zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt dieser vermeintlichen Ereignisse minderjährig war und nach wie vor ist und daher nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich ist (vgl. VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150 mwN). Ein derart gravierender Widerspruch lässt sich jedoch auch unter Berücksichtigung des Alters des Beschwerdeführers nicht erklären. Es wäre im Fall einer tatsächlich erfolgten Bedrohung durch die Taliban jedenfalls zu erwarten, dass sich der Betroffene daran erinnert, ob er dabei auch geschlagen wurde.

Der Vollständigkeit wegen ist festzuhalten, dass für das Bundesverwaltungsgericht auch im Fall einer Wahrunterstellung der vorgebrachten Erpressung von Geld durch die Taliban nicht erkennbar wäre, weshalb dem Beschwerdeführer aus diesem Grund im Fall seiner Rückkehr eine aktuelle Gefährdung drohen sollte.

Weitere vom Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens vorgebrachte Übergriffe durch die Taliban erwähnte er in der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht mehr, obwohl er aufgefordert wurde, alle seine Fluchtgründe zu nennen und danach noch einmal befragt wurde, ob er nun alle Fluchtgründe vorgebracht habe (vgl. Niederschrift vom 06.10.2020, S. 6-7). In seiner polizeilichen Erstbefragung hatte er noch angegeben, die Taliban hätten sie geschlagen und „ins Wasser geworfen“. Viele Kinder seien von den Taliban ermordet worden (vgl. AS 9). In der Einvernahme vor der belangten Behörde hatte er unter anderem vorgebracht, die Taliban hätten ihn und seinen Bruder verfolgt, weil sie in die Schule hätten gehen wollen (vgl. AS 68). Das begründungslose Abgehen von diesen Teilen seines Fluchtvorbringens in der mündlichen Verhandlung beeinträchtigt die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zusätzlich.

Da sich die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung nicht ereignet hat, war auch festzustellen, dass diesem im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan keine Gewalt durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen und keine Zwangsrekrutierung drohen.

2.3.    Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen und seinen familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zum gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahren ergeben sich aus dem vorliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 16.09.2020, Zl. XXXX , (OZ 12). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.4.    Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u. a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.3. Wie festgestellt wurde der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht durch die Taliban aufgesucht oder bedroht und von diesen auch nicht im Sinne einer versuchten Zwangsrekrutierung aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Da die vom Beschwerdeführer geschilderte Verfolgung sich nicht ereignet hat, droht dem Beschwerdeführer aus diesem Grund auch keine Gefahr bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Es liegt beim Beschwerdeführer, entgegen den Ausführungen in seiner Beschwerde und der Stellungnahme vom 13.10.2020, keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor.

3.1.4. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.

3.1.5. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.

3.1.6. Die Beschwerde, die sich ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtete (vgl. AS 384), war daher zur Gänze als unbegründet abzuweisen.

Zu B)     Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

aktuelle Gefahr Glaubwürdigkeit mangelnde Asylrelevanz Verfolgungsgefahr Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2207036.1.00

Im RIS seit

17.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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