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50/01 Gewerbeordnung;Norm
GewO 1973 §74 Abs2 Z2 impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde
1.)
des P, 2.) der M, 3.) der B, 4.) des Dr. AD, 5.) der SD,
6.)
des RH und 7.) der XH, alle in Klosterneuburg und vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. September 1995, Zl. V/1-BA-9487, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: C in K), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 2. August 1994 wurde der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Betriebsanlage für die Ausübung des Gastgewerbes in der Betriebsart Buffet an einem näher bezeichneten Standort unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen erteilt.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Berufung.
Ergänzend zum erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren hat die Berufungsbehörde ein meteorologisches Gutachten, ein luftreinhaltetechnisches Gutachen, zwei amtsärztliche Gutachten und ein lärmtechnisches Gutachten eingeholt. Diese wurden den Beschwerdeführern zur Kenntnis gebracht. In der diesbezüglichen Stellungnahme vom 8. August 1995 brachten die Beschwerdeführer u. a. vor, daß vor allem in dem direkt neben der gegenständlichen Betriebsanlage liegenden Garten, an welchem sie ein Benutzungsrecht hätten, mit Lärm- und Geruchsbelästigungen zu rechnen sei. Der Garten sei anders als die Wohnungen nur einen Meter von der Betriebsanlage entfernt.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. September 1995 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Zur Begründung wurde - hinsichtlich Geruchsbelästigung - (zusammenfassend) die Auffassung vertreten, daß aufgrund der Aussagen des medizinischen Amtssachverständigen und den Erfahrungen des "allgemeinen Lebens" es durch Betriebe dieser Art zu keinen Geruchsbelästigungen von Anrainern, die 15 m von der Betriebsanlage wohnten, komme; im Hinblick auf näher angeführte Tatsachen (8 Verabreichungsplätze, eingeschränktes Speiseangebot) komme die Behörde zu dem Schluß, daß von der Betriebsanlage keine unzumutbare Belästigung durch Geruch ausgelöst werden könne. Die belangte Behörde führte weiters aus, daß als nächstgelegener Ort einer möglichen Geruchs- und Lärmbelästigung die der Betriebsanlage am nächsten befindlichen Fenster von Wohnräumen hergezogen worden seien, weil von den Beschwerdeführern in keiner Weise bewiesen worden sei, daß der das Wohnhaus umgebende Garten von ihnen zum regelmäßigen Aufenthalt benutzt werden dürfe und auch würde. Dies werde von den Beschwerdeführern in den Schreiben vom 6. September 1993 und 8. August 1995 zwar behauptet, jedoch nicht nachgewiesen (z.B. durch Vorlage des Mietvertrages). Auch der in diesem Schreiben genannte Endbeschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg liege der belangten Behörde nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ihrem gesamten Vorbringen zufolge erachten sich die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in ihren gewerberechtlich geschützten Nachbarrechten verletzt. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes tragen sie unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vor, die Behörde hätte die Beurteilung der Zumutbarkeit der Geruchtsbelästigung für den der Betriebsanlage am nächsten liegenden Teil (Garten) errechnen lassen und feststellen müssen, wie sich die Immissionen im Garten als ungünstigsten Aufenthaltsort auswirken würden. Diesbezüglich hätte die belangte Behörde von Amts wegen ermitteln müssen, ob die Beschwerdeführer den Garten tatsächlich benützen dürften, und sich nicht darauf stützen dürfen, daß die Beschwerdeführer in keiner Weise bewiesen hätten, zur Gartenbenützung berechtigt zu sein.
Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde (§§ 333, 334, 335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet
sind, (Z. 1) das Leben oder die Gesundheit ... der Nachbarn ...
zu gefährden; (Z. 2) die Nachbarn u.a. durch Geruch zu belästigen.
Im Grunde des § 77 Abs. 1 erster Satz leg. cit. ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen oder der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.
Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 zumutbar sind, ist nach § 77 Abs. 2 leg. cit. danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden normal empfindenden Erwachsenen auswirken.
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. November 1979, Slg. 9979/A, vom 9. Oktober 1984, Zl. 84/04/0084, und vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0013) hat die Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jene der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen, der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Entscheidung der Gewerbebehörde insbesondere auf dem Gebiet des Baurechtes geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb eines Gebäudes, dienen KANN. Nichts anderes kann auch für die im Beschwerdefall relevante Beurteilung der Zumutbarkeit einer Geruchsbelästigung gelten. Aus der Dispositionsfreiheit der Nachbarn (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 10. April 1984, Zl. 83/04/0295) folgt für den Beschwerdefall, daß die Genehmigungsfähigkeit der Betriebsanlage davon abhängt, ob eine Gesundheitsgefährdung einer sich nicht nur vorübergehend auf dem in Rede stehenden Grundstück - gleichgültig wo - aufhaltenden Person ausgeschlossen werden kann und bejahendenfalls, ob zu erwarten ist, daß Belästigungen hinsichtlich einer solchen Person auf ein zumutbares Maß beschränkt werden (vgl. insbesondere das zitierte Erkenntnis vom 9. Oktober 1984). Die Dispositionsfreiheit ist freilich nach dem Vorhergesagten insoweit eingeschränkt, daß dem Rechtsvorschriften entgegenstehen; ebenso kann aber auch (außer einer rechtlichen) eine bloß faktische Unmöglichkeit des Aufenthaltes bestehen.
Die belangte Behörde hat sich nun in der Frage des "nächstgelegenen Ortes einer möglichen Geruchs- und Lärmbelästigung" in Ansehung des das Wohnhaus umgebenden Gartens auf die Feststellung zurückgezogen, es sei von den Beschwerdeführern in keiner Weise "bewiesen" worden, daß dieser Garten von ihnen "zum regelmäßigen Aufenthalt benützt werden darf und auch benützt wird". Abgesehen davon, daß es nach dem oben Gesagten nicht auf die tatsächliche Benutzung, sondern auf die Möglichkeit der Benutzung ankommt, hat die belangte Behörde dabei in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage - wie in der Beschwerde zutreffend gerügt - ihre Pflicht zur amtswegigen Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes verletzt.
Die Verpflichtung zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes trifft die Behörde und kann von dieser nicht auf die Parteien überwälzt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1978, Slg. 9565/A). Es ist daher verfehlt, wenn die belangte Behörde davon ausging, die Beschwerdeführer hätten die (Zulässigkeit der) Gartenbenutzung zwar behauptet, aber nicht "bewiesen". Sie hat damit nicht etwa im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung aus einer mangelnden Mitwirkung der Parteien im Ermittlungsverfahren daraus ihre (für die Parteien negativen) Schlüsse gezogen, sondern in gesetzwidriger Weise eine Verteilung der Beweislast auf die Beschwerdeführer vorgenommen. Damit belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995040222.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
04.04.2012