Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj C***** H*****, geboren am ***** 2005, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Mag. Dr. A***** H*****, vertreten durch die Gruböck & Lentschig Rechtsanwälte OG, Baden, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. November 2019, GZ 42 R 270/19w-308, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. Juni 2019, GZ 4 Ps 231/11a-295, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Mutter erkennt selbst, dass die Obsorge für ihren Sohn bislang weder mittels gerichtlicher Entscheidung noch durch Vereinbarung „endgültig geregelt“ (im Sinn des § 180 Abs 3 Satz 1 ABGB) war, sondern ihr die alleinige Obsorge nach § 177 Abs 2 Satz 1 ABGB zukam. Unklar bleibt damit, was sie für ihren Standpunkt gewonnen wissen will, wenn sie als erhebliche Rechtsfrage geltend macht, dass die von den Vorinstanzen vorgenommene Festlegung der Obsorge beider Elternteile eben nicht von einer maßgeblichen Änderung der Verhältnisse, wie sie § 180 Abs 3 Satz 1 ABGB für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fordert, abhängig war.
2.1 Bereits die Vorinstanzen haben darauf hingewiesen, dass die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein soll (RIS-Justiz RS0128811). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge durch beide Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entscheidungen zu treffen. Erforderlich ist daher, dass eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit hergestellt werden kann (RS0128812).
2.2 Ob eine ausreichende Kommunikationsbasis besteht, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0128812 [T15]). Inwieweit nach Art und Umfang der Kommunikation eine ausreichende Gesprächsbasis für eine gemeinsame Entscheidungsfindung anzunehmen ist, kann nicht verallgemeinert werden (vgl etwa 7 Ob 217/18i). Auch eine sachliche Kommunikation der Eltern per E-Mail oder SMS kann bei ausreichender Kooperationsbereitschaft eine taugliche Basis für eine gemeinsame Obsorge begründen (9 Ob 51/16i mwN). Hier steht fest, dass es den Eltern im Wesentlichen möglich ist, sachlich zu kommunizieren, um zu einer für alle Seiten tragbaren Lösung zu gelangen, wobei sowohl Mutter als auch Vater in liebevoller Art um das Wohl ihres Sohnes bemüht sind. Wenngleich die Kommunikation der Eltern primär per SMS und E-Mail erfolgt, ist es im Einzelfall daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen von einer für die gemeinsame Obsorge ausreichend tragfähigen Gesprächsbasis ausgegangen sind. Dass es im Zuge des Austausches von Nachrichten fallweise zu wechselseitigen Vorhaltungen gekommen ist, haben die Vorinstanzen ohnedies berücksichtigt, sodass auch die von der Mutter zur Stützung ihres gegenteiligen Standpunkts angeführten Vorhalte des Vaters ihr gegenüber zu keiner anderen Beurteilung führen.
2.3 Dass einem mündigen Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden soll, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen und der Wunsch nicht gegen die offenbar erkennbaren Interessen des Kindes gerichtet ist, entspricht der herrschenden Rechtsprechung (RS0048820). Gegen diesen Grundsatz hat das Rekursgericht entgegen der Argumentation der Mutter auch nicht verstoßen. Zum einen ist der Wunsch des Kindes nicht allein ausschlaggebend (RS0048981; RS0048820 [T11]), zum anderen kann keine Rede davon sein, dass dem Sohn gegen seinen Willen eine Beteiligung des Vaters an der Obsorge aufgezwungen werden würde. In seiner Äußerung zur Entscheidung des Erstgerichts führte der Sohn lediglich aus, dass seiner Meinung nach die Obsorge der Mutter beibehalten werden könne, weil sich – zusammengefasst – für ihn nichts ändere. Damit mag er allenfalls zum Ausdruck bringen, dass er in einer gemeinsamen Obsorge der Eltern für sich keine Vorteile sieht; die von der Mutter ins Treffen geführte klare Ablehnung einer Mitbeteiligung des Vaters an der Obsorge lässt sich daraus nicht ableiten.
3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Textnummer
E129762European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00015.20T.0923.000Im RIS seit
17.12.2020Zuletzt aktualisiert am
17.12.2020