Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** B*****, vertreten durch Forcher-Mayr & Kantner Rechtsanwälte Partnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. März 2020, GZ 15 Ra 7/20x-22, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
1. Gegenstand des Verfahrens ist die Beendigung des Dienstverhältnisses einer begünstigten Behinderten nach § 51 Abs 8 Tiroler Landesbedienstetengesetz (Tir LBedG) aufgrund durchgehender, über ein Jahr hinaus bestehender und in der Dauer unabsehbarer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit.
Rechtliche Beurteilung
2. Die Revisionsausführungen über die eingeschränkte Kündbarkeit von begünstigten Behinderten nach § 8 BEinstG setzen den Fall der Beendigung nach § 51 Abs 8 Tir LBedG, die ex lege erfolgt, mit einer Dienstgeberkündigung gleich. Tatsächlich ist § 8 BEinstG für den vorliegenden Fall nicht einschlägig.
Maßgeblich ist nur § 8a BEinstG, der die Vorgangsweise und die besonderen Rechte begünstigter Behinderter im Fall der Beendigung aufgrund von dienstrechtlichen Vorschriften für Bedienstete einer Gebietskörperschaft wegen langer Dienstverhinderung infolge Krankheit regelt. In diesem Fall ist der Behindertenausschuss spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist von Amts wegen zu verständigen. Der Behindertenausschuss hat zur Zweckmäßigkeit einer Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses Stellung zu nehmen. Die Beendigung des Dienstverhältnisses wird – ungeachtet der dienstrechtlichen Vorschriften – frühestens drei Monate nach Einlangen der Verständigung beim Behindertenausschuss wirksam.
Die Auflösung des Dienstverhältnisses ex lege nach § 24 Abs 9 VBG oder den ihm nachgebildeten Landesgesetzen bedarf nach § 8a BEinstG im Unterschied zur Kündigung eines begünstigten Behinderten nach § 8 leg cit keiner Zustimmung des Behindertenausschusses. Es wird ihm nur ein durch die sanktionsbewehrte Verständigungspflicht abgesichertes (ErlRV 1518 BlgNR 20. GP 13) Anhörungsrecht eingeräumt.
3. Aus dieser auf sachlicher Grundlage basierenden Unterscheidung ist entgegen den Revisionsausführungen jedoch gerade nicht die Unanwendbarkeit der damit im Anwendungsbereich des BEinstG geregelten besonderen gesetzlichen Beendigungsform abzuleiten (vgl 9 ObA 86/18i).
Der Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit nach § 73 Abs 2 lit b Tir LBedG, auf den sich die Revision bezieht, ist bereits dann erfüllt, wenn der Vertragsbedienstete sich für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben als gesundheitlich nicht geeignet erweist, was einen Krankenstand nicht einmal zwingend voraussetzt.
Wenn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses dem Dienstgeber nicht zugemutet werden kann, liegt ein Grund für die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten vor. Nach § 8 Abs 4 lit b BEinstG ist dies unter anderem dann der Fall, wenn der Bedienstete die im Dienstvertrag vereinbarte Tätigkeit in absehbarer Zeit nicht mehr leisten kann. Bei Vorliegen der im Gesetz geforderten ungünstigen Prognose ist aber vor Einleitung des Kündigungsverfahrens – im Unterschied zum Tatbestand des § 8a BEinstG – keine Mindestdauer der Arbeitsunfähigkeit erforderlich.
Der Beendigungsgrund nach § 51 Abs 8 Tir LBedG (vgl § 24 Abs 9 VBG) kommt demgegenüber erst nach einer einjährigen völligen Dienstverhinderung zum Tragen und ist damit abstrakt geeignet, die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses von langzeitkranken Vertragsbediensteten über einen längeren als den für eine Kündigung erforderlichen Zeitraum zu fördern.
4. Nach § 3 BEinstG ist eine Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Eine einjährige Dienstverhinderung wegen Krankheit wird regelmäßig diesen gesetzlichen Begriff der Behinderung im materiellen Sinn erfüllen (vgl K. Mayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 7b BEinstG Rz 2 mwN). Der Auflösungstatbestand des § 51 Abs 8 Tir LBedG erfasst, soweit er sich auf Dienstunfähigkeit wegen Krankheit bezieht, ausschließlich solche Personen. Die Situation einer begünstigten Behinderten wie der Klägerin unterscheidet sich von der Situation anderer Vertragsbediensteter im Langzeitkrankenstand im Wesentlichen nur durch das formale Merkmal der Antragstellung und bescheidmäßigen Feststellung gemäß § 14 BEinstG.
Die Anwendung des § 8a BEinstG aufgrund der Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten begünstigt sie aber gegenüber der Vergleichsgruppe, wenngleich nicht in dem für den Kündigungsschutz geltenden Ausmaß. Die verpflichtende Anhörung des Behindertenausschusses sorgt dafür, dass allfällige Gründe, die für den Abschluss einer Vereinbarung zur Fortsetzung des Dienstverhältnisses sprechen, beim Dienstgeber Gehör finden.
5. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Resolutivbedingung, bei deren Eintritt das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten durch Zeitablauf endet, bestehen keine Bedenken (RIS-Justiz RS0129049 = 9 ObA 16/13s).
6. Durch die Gleichbehandlungsrahmen-richtlinie 2000/78/EG wird nach ihrem Erwägungsgrund 17 unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Weiterbeschäftigung einer Person vorgeschrieben, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht fähig oder verfügbar ist. Eine (hier allenfalls: mittelbare) Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit und ohne Behinderung durch eine Vorschrift widerspricht nicht dem Diskriminierungsverbot, wenn sie im Sinn des Art 2 Abs 2 lit b RL 2000/78/EG sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Zielerreichung angemessen und erforderlich sind, oder der Arbeitgeber aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet ist, geeignete Maßnahmen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift ergebenden Nachteile zu beseitigen.
Es kann hier auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anerkennung der sachlichen Rechtfertigung beschäftigungspolitischer Ziele und den
– wenn auch der Intensität nach abgestuften – Schutz durch das BEinstG verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beurteilung der Angemessenheit erforderlicher Maßnahmen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Einzelfall den nationalen Gerichten vorbehalten (EuGH C-335/11, 337/11 HK Danmark, ECLI:EU:C:2013:222; C-270/16 Ruiz/Conejero, ECLI:EU:C:2018:17).
Das mit den Grundsätzen dieser Rechtsprechung in Einklang stehende Ergebnis des Berufungsgerichts, dass die Bestimmung des § 51 Abs 8 Tir LBedG unter Berücksichtigung der Schutzbestimmung des § 8a BEinstG und des Zeitraums von einem Jahr, in dem der Vertragsbedienstete nicht zur Arbeitsleistung zur Verfügung steht, nicht über das zur Erreichung legitimer beschäftigungspolitischer Ziele Erforderliche hinausgeht, ist nicht korrekturbedürftig.
7. Der von der Revision angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union war aus diesen Erwägungen nicht näherzutreten.
Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO liegt nicht vor.
Textnummer
E130076European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00046.20B.1123.000Im RIS seit
17.12.2020Zuletzt aktualisiert am
17.12.2020