TE Lvwg Erkenntnis 2020/9/16 LVwG-2020/20/0043-28

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Führerscheingesetz

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
FSG 1997 §3 Abs1 Z4
FSG 1997 §10
FSG 1997 §11

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Stöbich über die Beschwerde des Herrn AA, Z, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt BB, Y, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 25.11.2019, Zl ***, betreffend die Wiederaufnahme eines führerscheinrechtlichen Verfahrens und die Nichterteilung einer Lenkberechtigung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die anzuwendenden Normen wie folgt lauten:

?   §§ 69 Abs 1 Z 3 und 70 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) idF BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013

?   § 3 Abs 1 Z 4 und § 10 und 11 Führerscheingesetz (FSG) BGBl. I Nr. 120/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 74/2015 und § 11 Führerscheingesetz BGBl. I Nr. 120/1997 in der Fassung BGBl I 61/2011

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 25.11.2019, Zl ***, wurde

?   unter Spruchpunkt I. angeordnet, dass gemäß §§ 69 Abs 1 Z 3 und 70 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung, GZ *** (Eingangsdatum im Führerscheinregister 02.02.2015), Klassen AM und B, wiederaufgenommen werde, und

?   unter Spruchpunkt II. angeordnet, dass der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung (GZ ***) gemäß §§ 3 Abs 1 Z 4 sowie 10 und 11 des Führerscheingesetzes wegen mangelnder fachlicher Befähigung abgewiesen werde.

Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass der über die erteilte Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein vom 28.12.2016, Nr ***, bei der Bezirkshauptmannschaft X abzuliefern sei.

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, dass das Absolvieren der theoretischen Fahrprüfung „erschlichen“ worden sei. Auf Grund der Rechtskraft der Erteilung der Lenkberechtigung könne bei im Wesentlichen unveränderten Sachverhalt in Bezug auf die Erteilungsvoraussetzungen das Erteilungsverfahren wiederaufgenommen und der Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung abgewiesen werden. Im Falle des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs 1 Z 1 AVG gäbe es nach Maßgabe des § 69 Abs 3 AVG keine Befristung. Auch die zweiwöchige Frist des § 69 Abs 2 AVG komme nicht zur Anwendung.

Der Beschwerdeführer sei insgesamt fünf Mal zur theoretischen Fahrprüfung angetreten, wobei er nachfolgende Ergebnisse erzielt habe:

Datum               Prozentpunkte (Grundwissen und klassenspezifisch):

20.05.2015:  5 % und 2 %

09.09.2015:  13 % und 3 %

11.05.2016:  22 % und 32 %

08.06.2016:  62 % und 60 %

23.11.2016:  97 % und 100 %

Auf Grund einer anonymen Anzeige, wonach der Beschwerdeführer bei der theoretischen Prüfung geschwindelt habe, sei er von der Behörde für den 28.05.2019 vorgeladen worden. Der Beschwerdeführer sei bei der Behörde erschienen und habe bestritten, bei der Fahrprüfung „geschummelt“ zu haben. Es seien ihm einzelne Fragen der theoretischen Fahrprüfung vorgelegt worden. Dabei hätte sich ergeben, dass der Beschwerdeführer gravierende Probleme beim Lesen und bei der Aussprache gehabt habe. Er habe augenscheinlich den gelesenen Text nicht verstanden. Er habe angegeben, die Fragen „auswendig“ gelernt zu haben und in etwa gewusst, „zu Bild X muss er Antwort 1 und 3 anklicken“.

Die Behörde sei zur Ansicht gelangt, dass es ihm auf Grund der offenkundigen mangelnden Deutschkenntnisse gar nicht möglich gewesen sei, eine theoretische Fahrprüfung in deutscher Sprache ordnungsgemäß positiv zu absolvieren. Er habe Fragen aus seiner theoretischen Fahrprüfung weder vorlesen noch sinnerfassend erörtern können.

Vor diesem Hintergrund erscheine es undenkbar, dass der Beschwerdeführer bei der theoretischen Fahrprüfung ein Ergebnis von 97 % bzw 100 % erreichen könne. Beim letzten Prüfungsantritt ca 5 Monate vorher habe er lediglich 62 % bzw 60 % erreicht. Eine Leistungssteigerung in diesem Umfang binnen dieser Zeit erscheine nicht glaubwürdig.

Es könne bei dieser Sach- und Rechtslage dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer die Antworten wie beschrieben „auswendig gelernt“ oder, wie in der Anzeige dargelegt, bei der Prüfung tatsächlich „geschwindelt“ habe.

In beiden Fällen sei das positive Absolvieren der theoretischen Fahrprüfung erschlichen worden. Das Ankreuzen von Antworten, ohne den Sinn der Fragestellung und der Antworten zu erfassen, belege keinesfalls das Vorhandensein der in § 11 Abs 2 FSG geforderten Kenntnisse und stelle im Ergebnis keine positive Fahrprüfung dar. Mangels fachlicher Befähigung sei der Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid hat Herr AA durch seinen Rechtsfreund innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. In dieser wurde zunächst geltend gemacht, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens dem Grundsatz ne bis in idem widerspreche. Nach diesem prozessualen Grundsatz dürfe über eine Rechtssache nur einmal rechtskräftig entschieden werden. Mit der angefochtenen Entscheidung sei ein Sachverhalt abgehandelt worden, der bereits Gegenstand eines vorangegangenen Verfahrens gewesen sei, welches mit Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 rechtskräftig beendet worden sei. Im nunmehrigen „zweiten“ Bescheid“ habe sich die Behörde lediglich auf andere Rechtsvorschriften gestützt.

Es läge auch kein Grund für die Wiederaufnahme des rechtkräftig abgeschlossenen Verfahrens auf Erteilung der Lenkberechtigung vor. Von einem „Erschleichen“ im Sinne des § 69 Abs 1 Z 1 AVG könne keine Rede sein. Es müssten zusammengefasst drei Voraussetzungen vorliegen. Es müssten objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht worden sein. Es müsse ein Kausalitätszusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde vorliegen. Es sei auch eine Irreführungsabsicht der Partei erforderlich, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen mit der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen.

Das von der Behörde alternativ angenommene Auswendiglernen von Prüfungsfragen könne niemals darunter subsumiert werden. Der Beschwerdeführer habe weder objektiv unrichtige Angaben gemacht oder wesentliche Umstände verschwiegen, noch habe er mit der Absicht gehandelt, die Behörde in die Irre zu führen. Von einer vorsätzlichen Vorgangsweise und dem geforderten Kausalitätszusammenhang könne keine Rede sein.

Der Beschwerdeführer habe die Prüfung allein, ohne Zuhilfenahme unerlaubter Mittel und ohne Unterstützung durch dritte Personen bzw durch falsche Angaben oder dergleichen erfolgreich bestanden.

Durch eine Abänderung des Prüfungsvorganges oder durch Abklärung der Sprachkenntnisse der Prüflinge vor Teilnahme der Prüfung hätte die Behörde (leicht) geeignete Erhebungen treffen können, ob die computerunterstützt im Multiple-Choice-Verfahren gestellten Fragen auch vollinhaltlich verstanden würden oder ob sie allenfalls auch zum Teil nur mit Glück oder eben mit Auswendiglernen richtig beantwortet würden.

Es seien die Feststellungen der belangten Behörde auch inhaltlich unrichtig. Der Beschwerdeführer versichere, bei der Prüfung keinesfalls geschummelt, sondern vielmehr zwei Jahre darauf gelernt zu haben. Es sei nicht weiter verwunderlich, dass er zweieinhalb Jahre nach der Prüfung ihm vorgelegte einzelne Fragen nicht mehr beantworten könne. Es sei dies auch nicht Voraussetzung für das Weiterbestehen der Lenkberechtigung. Der Beschwerdeführer habe sich auf die Prüfung konkret und speziell vorbereitet und darauf gelernt und diese in weiterer Folge auch erfolgreich bestanden.

Ihm nunmehr nach dem Vorlegen einzelner Fragen aus dem Jahr 2016 und auf Grund des in der Niederschrift geschilderten „negativen Eindrucks“ der amtshandelnden Personen, demzufolge der Beschwerdeführer nicht ausreichend Deutsch könne, den Führerschein zu entziehen, sei rechtswidrig. Es verwundere auch, dass laut Niederschrift das Gespräch bzw die Befragung des Beschwerdeführers ohne sprachliche Barrieren erfolgen habe können.

Es seien auch grundlegende Verfahrensgrundsätze missachtet worden. In der Ladung zum 09.05.2019 sei kein konkreter Grund bzw ein Vorwurf sondern lediglich „führerscheinrechtliche Befragung“ angeführt gewesen. Die Niederschrift enthalte auch keine Unterschrift des Beschwerdeführers und sei offen, wann diese tatsächlich angefertigt worden sei. Es sei dem Beschwerdeführer nach Anfertigen der Niederschrift auch keine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme gegeben worden. Der Beschwerdeführer sei auch ohne Dolmetscher und ohne ihm zuvor den Grund der Befragung mitzuteilen einvernommen worden, obwohl die Behörde im nachfolgenden Bescheid selbst davon ausgegangen sei, dass er nicht ausreichend Deutsch sprechen und lesen könne. Dennoch sei diese Befragung wesentliche Grundlage des Bescheides geworden.

Auch sei der angeführte Bescheid dem Beschwerdeführer selbst überhaupt nicht zugestellt worden, sondern nur seinem im Vorverfahren ausgewiesenen Rechtsvertreter. Auch dies stelle einen Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften dar und sei von einer nicht gehörigen Zustellung auszugehen.

Es wurde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung sowie zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Mit Schreiben vom 02.01.2020 wurde die gegenständliche Beschwerde samt Akt dem Landesverwaltungsgericht vorgelegt.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Bezirkshauptmannschaft X das von ihr angenommene Erschleichen der (positiven) theoretischen Fahrprüfung am 23.11.2016 zunächst zum Anlass genommen hatte, den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 03.06.2019, Zl ***, gemäß § 3 Abs 1 Z 3, § 8 und § 24 Abs 4 Führerscheingesetz, aufzufordern, innerhalb einer Frist von einem Monat ab Rechtskraft dieses Bescheides die theoretische und praktische Fahrprüfung (§  11 FSG) neuerlich abzulegen. Dabei bezog sich die Bezirkshauptmannschaft auf die bei ihr eingelangte „anonyme“ Mitteilung sowie auf das Ergebnis der Einvernahme des Beschwerdeführers am 28.05.2019 und verwies darauf, dass „enorme Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung“ bestünden.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis vom 19.08.2019, Zl LVwG-2019/20/1423-1, Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid behoben. In der Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass dann, wenn Erteilungsvoraussetzungen nie erlangt worden seien, weil etwa die Erteilung der Lenkberechtigung erschlichen worden sei, das Erteilungsverfahren betreffend die Lenkberechtigung gemäß § 69 Abs 1 Z 1 AVG iVm § 69 Abs 3 AVG von Amts wegen wiederaufzunehmen sei. Für eine Aufforderung gemäß § 24 Abs 4 FSG, die Fahrprüfung noch einmal abzulegen, lägen die Voraussetzungen nicht vor. Diese Entscheidung nahm die Bezirkshauptmannschaft X zum Anlass, im zweiten Rechtsgang den nunmehr angefochtenen Bescheid zu erlassen.

Nach Vorlage des nunmehr angefochtenen Bescheides samt Akt durch die Bezirkshauptmannschaft X forderte das Landesverwaltungsgericht Tirol die Bezirkshauptmannschaft auf, die Prüfungsunterlagen betreffend die vom Beschwerdeführer absolvierte praktische Fahrprüfung zu übermitteln. Es wurde auch um Bekanntgabe ersucht, in welcher Fahrschule der Beschwerdeführer vor der Führerscheinprüfung Unterricht genommen habe.

Mit E-Mail vom 27.01.2020 übermittelte die Bezirkshauptmannschaft X diverse Unterlagen im Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung, darunter auch Prüfungsprotokolle mehrerer theoretischer Prüfungen, an denen der Beschwerdeführer teilgenommen hat, sowie das Prüfungsprotokoll über die Ablegung der praktischen Prüfung am 21.12.2016. Weiters wurden auch Begutachtungen nach § 8 FSG vom 23.02.2015 und vom 01.09.2016 vorgelegt.

In der Folge richtete das Landesverwaltungsgericht ein Schreiben vom 31.01.2020 an den Inhaber jener Fahrschule, bei welcher der Beschwerdeführer am 23.11.2016 die theoretische Prüfung bestanden hat. In diesem Schreiben wurde im Wesentlichen um Mitteilung gebeten, ob auf Seiten der Fahrschule Umstände bekannt seien, welche für oder gegen eine Manipulation bei der Ablegung der theoretischen Prüfung sprechen würden. Auch wurde um Mitteilung gebeten, inwieweit bekannt sei, dass sich der Beschwerdeführer gezielt und effizient auf die theoretische Prüfung vorbereitet habe und inwieweit – etwa aufgrund interner Tests, Kontrollen bzw des persönlichen Eindrucks insbesondere vor dem Hintergrund der vier erfolglosen Antritte – eine günstige Prognose in Bezug auf die positive Ablegung der theoretischen Prüfung abgegeben worden sei. Dieses Schreiben wurde – nach Urgenz – mit E-Mail vom 26.02.2020 beantwortet.

In der Folge wurde für den 25.03.2020 beim Landesverwaltungsgericht Tirol eine Verhandlung festgesetzt. Es wurde ermittelt, dass die Muttersprache des Beschwerdeführers Albanisch ist. Dementsprechend wurde auch eine Dolmetscherin für Albanisch bestellt.

Aufgrund der zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 notwendig gewordenen weitreichenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der zwischenmenschlichen Kontakte wurde diese Verhandlung kurzfristig abberaumt.

Mit E-Mail vom 26.03.2020 wurden dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Ergebnisse der Ermittlungen des Landesverwaltungsgerichts zur Kenntnisnahme und zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen am Landesverwaltungsgericht wurde für den 03.06.2020 neuerlich eine Verhandlung festgesetzt. Noch vor der Verhandlung (am 29.05.2020) übermittelte die Bezirkshauptmannschaft X mehrere Schriftstücke, darunter auch das Ergebnis der von ihr durchgeführten Ermittlungen, wonach ein weiterer erfolgloser Prüfungsantritt (bei einer Wiener Fahrschule) hervorgekommen sei, bei dem der der Beschwerdeführer in „Schummelverdacht“ geraten sei.

Schließlich wurde am 03.06.2020 eine Verhandlung durchgeführt, an der der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter, ein Vertreter der belangten Behörde sowie eine Dolmetscherin teilnahmen und bei der der Beschwerdeführer als Partei und das am 23.11.2016 tätige Prüfungsaufsichtsorgan (Bezirkshauptmannschaft X) CC als Zeuge einvernommen wurden.

Nachdem der Beschwerdeführer in dieser Verhandlung den Verdacht äußerte, dass die anonyme Anzeige von seiner Ex-Gattin stammen würde, wurde die Verhandlung zur Einvernahme dieser Zeugin vertagt.

Seitens des Landesverwaltungsgerichtes wurden auch Versuche unternommen, statistisches Material in Bezug auf das Abschneiden bei theoretischen Führerscheinprüfungen (konkret: wie viele Teilnehmer 97 bzw 100% oder mehr erzielen) in Erfahrung zu bringen. Aufgrund entsprechender Kosten wurde davon Abstand genommen und wurde zu diesem Thema telefonisch Rücksprache mit dem Inhaber der Fahrschule DD gehalten.

Schließlich wurde am 14.07.2020 eine fortgesetzte Verhandlung durchgeführt, bei welcher die Ex-Gattin des Beschwerdeführers EE zum Landesverwaltungsgericht Wien geladen und per Videokonferenz als Zeugin einvernommen wurde. Es kam auch zu einer ergänzenden Einvernahme des Beschwerdeführers.

II.      Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde am 18.11.1979 in W (Serbien) geboren. Er serbischer Staatsangehöriger, gehört jedoch der Ethnie der Albaner an. Auch seine Muttersprache ist Albanisch. Der Beschwerdeführer besuchte in seinem serbischen Geburtsort acht Jahre die Grundschule und dann drei Jahre eine Berufsschule für Technik, wobei es sich hierbei (zumindest in Bezug auf die Grundschule) um eine Schule für Albaner gehandelt hat.

Der Beschwerdeführer kam 2005 als Asylwerber nach Österreich. Er war sieben Jahre Asylwerber und hat dann ein Visum erhalten. Er hatte, bevor er nach Österreich gekommen ist, keine Deutschkenntnisse. Nachdem er nach Österreich gekommen ist, hat einen Deutschkurs im Asylheim FF absolviert. Eine verbale Kommunikation mit dem Beschwerdeführer auf Deutsch ist grundsätzlich möglich. Die Einvernahme des Beschwerdeführers beim Landesverwaltungsgericht wurde durchgängig unter Beiziehung einer Albanisch-Dolmetscherin durchgeführt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich zunächst in der Gastronomie als Abspüler gearbeitet, dann bei der GG, dann acht Jahre beim Transportunternehmen JJ. Jetzt ist er wieder bei der GG tätig. Er arbeitet als Asphaltierer.

Der Beschwerdeführer war im Zeitraum vom 08.07.2005 bis 10.12.2010 mit Wohnsitz im Flüchtlingsheim KK gemeldet. Der Beschwerdeführer wohnt seit 2011 in Z. Der Beschwerdeführer war von 2013 bis 2017 mit Frau EE, die ebenfalls der Ethnie der Albaner zugehörig und deren Muttersprache ebenfalls Albanisch ist, verheiratet.

Der Beschwerdeführer begann am 02.02.2015 bei der Fahrschule OO in Z mit der Ausbildung zum Erwerb der Lenkberechtigung für die Klasse B. Dort hat er auch den Theoriekurs besucht. Es folgten dann mehrere Wechsel zu anderen Fahrschulen, nämlich am 17.04.2015 zur Fahrschule LL, am 15.01.2016 zur Fahrschule MM, dann am 31.03.2016 zur Fahrschule NN in V und am 09.05.2016 zur Fahrschule DD in Z. Die Theoriestunden hat er bei der Fahrschule OO in Z besucht. Die Wechsel zu anderen Fahrschulen erfolgten, um dort zur theoretischen Prüfung antreten zu können. Der Beschwerdeführer trat insgesamt fünf Mal erfolglos zur theoretischen Prüfung an. Erst beim sechsten Mal (am 23.11.2016) war er erfolgreich.

Der theoretische Teil der Führerscheinprüfung wird in der Fahrschule an einem PC (Computerprüfung) abgelegt. Die Prüfungsaufsicht (bestehend aus Mitarbeitern der Fahrschule sowie einem externen Prüfer) weist dazu jedem Führerscheinbewerber einen Prüfungsplatz zu.

Insgesamt mehr als 1000 umfasst der Pool der Prüfungsfragen für die Klasse B. Aktuell sind es genau 1486 Fragen. Im Jahr 2016 waren es einige weniger. Pro Modul werden (bzw wurden auch 2016) bis zu 40 Fragen gestellt. Bei der Computerprüfung für den PKW-Führerschein werden somit bis zu 80 Fragen (als Multiple-Choice-Fragen) samt Vertiefungsfragen gestellt (Allgemeines Grundwissen und Modul Fahrzeugklasse B). Die Fragen werden per Zufallsprinzip aus den verschiedenen vorgegebenen Fragentöpfen ausgewählt. Beim Basismodul z.B. Verkehrszeichen, Vorrangbeispiele, Überholen etc. Bei jedem Modul sind 20 "Hauptfragen" zu beantworten, wobei es zu jeder Frage eine Unterfrage gibt. Unterfragen werden nur gestellt, wenn die Hauptfrage richtig beantwortet wurde. Das Modul wird positiv gewertet, wenn mindestens 80 Prozent der Punkte erreicht werden. Alle diese Fragen sind öffentlich und können schon vor der richtigen Theorieprüfung eingesehen und geübt werden. Jede Frage hat immer vier Antwortmöglichkeiten, wobei mindestens eine Antwort richtig ist. Es können aber auch zwei, drei oder alle vier Antwortmöglichkeiten richtig sein, wobei die Reihenfolge der jeweils vier Antwortmöglichkeiten durch die EDV bestimmt wird.

Der Beschwerdeführer erzielte bei seinen fünf erfolglosen Antritten folgende (nach Grundwissen und klassenspezifischem Wissen aufgesplittete) Ergebnisse:

20.05.2015 (U):             5 % und 2 %

09.09.2015 (U):             13 % und 3 %

28.01.2016 (U):             3 % und 5 %

11.05.2016 (X):             22 % und 32 %

08.06.2016 (X):             62 % und 60 %

Beim Antritt am 28.01.2016 in den Räumen der Fahrschule MM in U verhielt sich der Beschwerdeführer derart auffällig, dass der Verdacht entstanden ist, dass er einen „Schummelversuch‘“ unternommen habe und dieser vereitelt worden sei. Der Beschwerdeführer kam als Einziger der vom Prüfungsaufsichtsorgan vor der Prüfung erteilten Aufforderung, das Handy abzuschalten und vor sich auf den Tisch zu legen, nicht nach. Er war dabei auch auffallend nervös und hantierte, sobald das Prüfungsorgan ihm dem Rücken zuwandte, an seinem Schal herum. Dieser Vorfall und der damit verbundene Verdacht eines „Schummelversuchs“ wurden seitens der Fahrschule MM noch am Tag des Prüfungsantritts mit Email der Fahrschulaufsicht der Stadt U (Magistratsabteilung **) mitgeteilt.

Schließlich legte der Beschwerdeführer am 23.11.2016 bei der Fahrschule DD in X die theoretische Fahrprüfung ab, nachdem er zuvor fünf Mal erfolglos angetreten war. Der Beschwerdeführer konnte bei diesem Prüfungsantritt 97 % der Fragen betreffend das Grundwissen und 100 % der klassenspezifischen Fragen (Klasse B) beantworten. Vom Aufsichtsorgan der am 23.11.2016 abgelegten theoretischen Prüfung (CC) wurde damals „kein unkorrektes Verhalten beobachtet“. Der Beschwerdeführer absolvierte in weiterer Folge am 30.11.2016 auch die praktische Prüfung und wurde ihm mit Führerschein vom 28.12.2016, Nr. ***, die Lenkberechtigung für die Klasse B erteilt.

Am 30.04.2019 langte bei der Bezirkshauptmannschaft X eine handschriftlich verfasste, anonyme Anzeige ein. In dieser Anzeige wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die theoretische Prüfung für das Lenken eines Kraftfahrzeuges der Klasse B mit Hilfe einer kleinen Kamera, einem Mikrophon und einem Kontakt zu einem „Wiener“ absolviert habe. Der Beschwerdeführer habe dieser Person „aus Wien“ für das Bestehen der Fahrprüfung einen Betrag von Euro 1.000,00 bezahlt. Im Falle einer Überprüfung könne man sich davon überzeugen, dass der Beschwerdeführer die Verkehrsregeln überhaupt nicht kenne und weder die deutsche noch die kroatische Sprache spreche.

Tatsächlich kann sich der Beschwerdeführer auf Deutsch verständigen. Er hat jedoch gravierende Probleme beim sinnerfassenden Lesen. Der Beschwerdeführer hat bei der Beantwortung der Prüfungsfragen am 23.11.2016 den Sinngehalt der ihm gestellten Prüfungsfragen bzw Antwortmöglichkeiten nicht erfasst. Es ist unmöglich, dass der Beschwerdeführer die Fragen und Antworten auswendig gelernt oder fotographisch gespeichert und deshalb die richtigen Antworten angeklickt und das positive Prüfungsergebnis (97 % bzw 100 % der Fragen richtig beantwortet) erreicht hat. Vielmehr hat der Beschwerdeführer bei der theoretischen Fahrprüfung bewusst manipuliert, wobei er mit hoher Wahrscheinlichkeit die an ihn gestellten Prüfungsfragen in der in der Anzeige dargestellten Weise, somit unter Verwendung unzulässiger Hilfsmittel (Minikamera, Ohrstöpsel, externer Helfer) beantwortet und dadurch ein positives Prüfungsergebnis erzielt hat.

III.     Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen ergeben sich aufgrund eines umfassenden Ermittlungsverfahrens des Landesverwaltungsgerichtes. Der Prüfungsablauf bei der theoretischen Fahrprüfung ergab sich an Hand der in den Akten befindlichen Schriftstücke wie der Prüfungsprotokolle sowie Angaben des als Zeugen einvernommenen Prüfungsaufsichtsorganes CC. Darüber hinaus ist der an sich amtsbekannte Ablauf der theoretischen Führerscheinprüfung auf mehreren Interseiten wie etwa auch auf der offiziellen Seite der Republik Österreich näher dargestellt (https://www.oesterreich.gv.at/themen/dokumente_und_recht/fuehrerschein/1/1/Seite.040140.html#Theorie).

Dem Prüfungsprotokoll vom 23.11.2016 sind die dem Beschwerdeführer gestellten Fragen zu entnehmen. Es ist amtsbekannt, dass die Fragen durch die EDV zufällig ausgewählt werden. Der Geschäftsführer jenes Unternehmens, das die Prüfungssoftware für die Republik Österreich entwickelt hat (die PP GmbH), bestätigte in einem Email vom 08.09.2020 gegenüber dem Landesverwaltungsgericht, dass „auch die Reihenfolge der Antworten zu den einzelnen Fragen bei jeder Prüfung von unserer Software bestimmt wird“.

Es ist amtsbekannt und wurde im konkreten Verfahren durch die von der Bezirkshauptmannschaft X vorgelegten Unterlagen (insbesondere durch die Meldung und Lichtbildbeilage der LPD U vom 07.07.2016) nochmals detailliert belegt, dass es in den letzten Jahren in Bezug auf die Absolvierung der theoretischen „Führerscheinprüfung“ immer wieder zu „Schummeleien“ gekommen ist. Aus den Unterlagen geht hervor, dass eine dabei in Anwendung gebrachte Methode ist, dass Kandidaten über in die Kleidung eingenähte Smartphones oder kleine Kameras verfügen, mit deren Hilfe Bildschirme (mit den prüfungsrelevanten Fragestellungen) abgefilmt und einem externen Helfer übermittelt werden. Über einen „Stöpsel im Ohr“ werden dem Prüfungskandidaten von einem externen Helfer die zutreffenden Antworten eingesagt. Diese Häufung von Manipulationen hat letztlich auch zu einer Änderung des Führerscheingesetzes (19. FSG-Novell, BGBl I 76/2019) und zu einer schärferen Sanktionierung derartiger Vorgangsweisen geführt.

Es ist auch amtsbekannt, dass derartige „Schummeleien“ – bezogen auf Österreich – am häufigsten in U auftraten. Eine derartige Vorgangsweise wurde von der Magistratsabteilung 65 der Stadt U, Rechtliche Verkehrsangelegenheiten, in einem Schreiben vom 28.05.2020 an die belangte Behörde dargelegt. Aus den Beilagen ergibt sich, dass es derartige Manipulationen bzw Manipulationsversuche bereits im Jahr 2016 gab.

Die Prüfungsprotokolle der vom Beschwerdeführer jeweils in U am 20.05.2015 und am 09.09.2015 abgelegten Prüfungsversuche weisen ein überaus schlechtes Ergebnis mit 5 % bzw 2 % und 13 % bzw 3 % aus. Es wurden bei diesen Prüfungen jeweils insgesamt dreiundachtzig Fragen gestellt, wobei insgesamt lediglich sieben (20.05.2015) bzw fünfzehn (09.09.2015) Fragen richtig beantwortet wurden. Diese überaus schlechten Prüfungsergebnisse zeigen, dass der Beschwerdeführer, der am 02.02.2015 in Z mit der Führerschein-Ausbildung begann, große Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Prüfungsfragen hatte.

Besonders auffällig ist das Ergebnis des Prüfungsversuches vom 28.01.2016. Bei diesem Prüfungsantritt, der erst aufgrund der Recherchen der belangten Behörde während des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bekannt wurde, erreichte der Beschwerdeführer lediglich 3 bzw 5 %. In den von der belangten Behörde vorgelegten Schriftstücken findet sich auch ein E-Mail vom 28.01.2016 der Fahrschule MM an einen Mitarbeiter der für Verkehrsangelegenheiten zuständigen Magistratsabteilung ** (Führerscheinaufsicht), in welchem unter Verweis auf das vom Beschwerdeführer an diesem Tag erzielte Prüfungsergebnis und das während der Prüfung beobachtete Verhalten ausgeführt wurde, dass offenbar ein „Schummelversuch“ vereitelt worden sei.

Es gibt keinen Anlass, die Richtigkeit der in diesem an die zuständige Behörde gerichteten Schreiben enthaltenen Angaben in Zweifel zu ziehen. Es liegt nahe, dass seitens der Fahrschule und des Prüfungsaufsichtsorganes darauf geachtet wurde, Prüfungsmanipulationen zu verhindern.

Der Beschwerdeführer, der zunächst auch noch bei seiner Einvernahme am Landesverwaltungsgericht am 03.06.2020 von insgesamt fünf Antritten (tatsächlich sind es insgesamt 6 Antritte) sprach, wurde mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Er bestritt, an diesem Tag einen Schal gehabt zu haben. Er sei auch nicht darauf hingewiesen worden, seine Jacke auszuziehen und es sei ihm auch nicht gesagt worden, dass das Handy vor einem hinzulegen sei. Er verwies auch darauf, dass er in solchen Prüfungssituationen gestresst sei. Er wäre jedoch sehr gut vorbereitet gewesen. Zu Hause hätte er die höchste Prozentzahl erreicht.

Damit blieb der Beschwerdeführer eine nachvollziehbare Erklärung schuldig. Das Prüfungsergebnis ist mit 3 bzw 5 % derart schlecht ausgefallen, dass Stress als Erklärungsursache nicht ausreicht. Der Beschwerdeführer verwies auch auf die finanzielle Belastung durch den Erwerb des Führerscheines. Umso mehr wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer ein Jahr nach Beginn der Ausbildung und zwei erfolglosen Versuchen durch eine entsprechende Vorbereitung, die der Beschwerdeführer ja selbst gegenüber dem Verwaltungsgericht ins Treffen führte, ein deutlich besseres Ergebnis erzielt. Der Beschwerdeführer gab an, davor zu Hause einmal 100 % und dann wieder einmal nur 20 % erreicht zu haben. Dies kann das auffallend schlechte Prüfungsergebnis am 28.01.2016 (ein Jahr nach Beginn der Ausbildung), das schlechter als beim zweiten Antritt bzw nahezu gleich schlecht war wie beim ersten Antritt, nicht erklären. Dies erhärtet vielmehr den Verdacht, dass damals tatsächlich, wie von der Fahrschule an die zuständige Magistratsabteilung gemeldet, vom Beschwerdeführer ein „Schummelversuch“ unternommen wurde.

Die Ergebnisse der nachfolgend absolvierten Prüfungsantritte am 11.05.2016 und am 08.06.2016 blieben mit 22 bzw 32 % und 62 % bzw 60 % jeweils deutlich unter den erforderlichen 80 %. Damit ergeben sich insgesamt fünf erfolglose Prüfungsantritte, von denen die ersten vier jeweils ein Ergebnis brachten, welches sehr weit von einem Prüfungserfolg entfernt war. Die schlechten Ergebnisse in Verbindung mit den durchaus detaillierten Angaben in der anonymen Anzeige belegen die erheblichen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers bei den Prüfungen und sprechen dafür, dass er sich deshalb für die Inanspruchnahme unzulässiger Hilfsmittel entschied.

Die Bezirkshauptmannschaft X übermittelte dem Beschwerdeführer eine Ladung vom 09.05.2019, mit welcher er aufgefordert wurde, zu einer „führerscheinrechtlichen Befragung“ am 28.05.2019 um 14.00 Uhr persönlich bei der Bezirkshauptmannschaft zu erscheinen. Seitens der Bezirkshauptmannschaft X wurde das Prüfungsprotokoll der theoretischen Prüfung vom 23.11.2016 des Beschwerdeführers eingeholt. Bei dieser Befragung am 28.05.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Leiter der Amtshandlung (CC) davon in Kenntnis gesetzt, dass der Verdacht bestehe, dass er bei der theoretischen Fahrprüfung „geschummelt“ habe. Der Beschwerdeführer rechtfertigte sich dahingehend, dass kein unkorrektes Verhalten stattgefunden habe. Vielmehr habe er mehr als zwei Jahre für die theoretische Prüfung gelernt. Der Beschwerdeführer wurde vom Leiter der Amtshandlung gebeten, einige Fragen aus seiner bestandenen theoretischen Fahrprüfung vorzulesen. Der Amtsleiter beurteilte den Beschwerdeführer dabei dahingehend, dass dieser „gravierende Probleme mit dem Lesen und der Aussprache der einzelnen Wörter“ habe. Auch die dem Beschwerdeführer eingeräumte Möglichkeit, eine Frage für sich zu lesen und anschließend die Bedeutung der Frage mitzuteilen, führte beim Leiter der Amtshandlung zu „keinem positiven Eindruck, da der gelesene Text offenbar nicht verstanden wurde“.

Im Zuge der Verhandlung beim Landesverwaltungsgericht am 03.06.2020 wurde der Leiter dieser Amtshandlung als Zeuge ua zu seinen Wahrnehmungen bei dieser Einvernahme befragt, wobei er folgende Antwort gab:

„Mir ist vorgekommen, er hat mich ganz normal verstanden und er hat normal geantwortet. Das Problem war, das Geschriebene zu lesen. Er hat sich schon schwer getan, einen Artikel vorzulesen.“

Daran anknüpfend wurden dem Beschwerdeführer in der Verhandlung beim Landes-verwaltungsgericht am 03.06.2020 zwei Fragen, die er auch bei seiner Prüfung zu beantworten hatte, nämlich die erste Frage der Fragekombination (für die Klasse B) 1796, 1797 und die erste Frage der Fragenkombination (Grundwissen) 2614, 2615, vorgelegt. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sprach sich dagegen aus. Das Verwaltungsgericht verwarf diesen Einwand, weil es nicht um ein prüfungsmäßiges Abfragen, sondern um die Prüfung der Fähigkeit, den Sinn eines Textes zu erfassen, ging. Dass einer Überprüfung der Sprachkenntnisse und des Verständnisses der Fragen im gegebenen Zusammenhang große Bedeutung zukommt, ist auch den Ausführungen in der Beschwerde zu entnehmen. Nach Auffassung des Beschwerdeführers wäre dies allerdings vor dem Prüfungsantritt zu überprüfen gewesen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes war dies im gegebenen Zusammenhang im Nachhinein zu prüfen.

Der Beschwerdeführer wurde vom Verhandlungsleiter ersucht, die Frage vorzulesen und mitzuteilen, um welche Situation es bei dieser Fragestellung geht. Der Text der ersten Frage zu (B)1796, 1797 lautet wie folgt:

„Sie bringen mit Ihrem PKW ein Volksschulkind zur Schule. Was beachten Sie dabei?“

Die erste Frage der Fragenkombination (GW) 2614, 2615 lautet wie folgt:

„Sie fahren in einem Tunnel plötzlich versagt der Motor Ihres Fahrzeuges? Wie verhalten Sie sich?“

Es zeigte sich, dass der Beschwerdeführer erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen hatte. So wurde etwa das Wort „Schule“ mit „schnell“ übersetzt. Dass es bei der zweiten Frage um das Problem des Versagens des Motors ging, wurde vom Beschwerdeführer nicht verstanden. Insofern bestätigte sich der vom Zeugen CC dargelegte und von der Bezirkshauptmannschaft X in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Eindruck, dass die vorgelegten Fragen offenbar nicht verstanden wurden. Die gravierenden Schwierigkeiten beim Erfassen des Sinns eines Textes wurden vom Beschwerdeführer, der auf ein „fotographisches“ Aufnehmen der Fragen verwies, gar nicht bestritten.

Im Protokoll über die Prüfung vom 23.11.2016 ist ausgewiesen, dass der Beschwerdeführer die insgesamt 80 Fragen (Modul GW zu 97 % und Modul B zu 100 %) in 48 Minuten und 50 Sekunden richtig beantwortet hat. Es handelt sich hierbei um ein ausgezeichnetes Prüfungsergebnis. Eine telefonische Nachfrage durch das Landesverwaltungsgericht beim Inhaber jener Fahrschule, bei der diese Prüfung absolviert wurde, ergab, dass erfahrungsgemäß ca 15 % der Prüflinge ein derart gutes (oder besseres) Ergebnis erzielen können.

Der Versuch des Verwaltungsgerichtes, bei der vom Bundesrechenzentrum namhaft gemachten PP GmbH eine Statistik in Bezug auf die Erfolgsquote bei theoretischen Prüfungen zu erlangen, wäre mit hohem Kostenaufwand verbunden gewesen. Es ist auch als amtsbekannt anzusehen, dass ein Prüfungsergebnis mit 97 bzw 100 % Erfolgsquote ein ausgezeichnetes Ergebnis darstellt und, so wie dies vom Inhaber der Fahrschule DD bekannt gegeben wurde, regelmäßig nur von einem kleineren Anteil der Prüfungsteilnehmer erzielt wird. Deshalb wurde von der Einholung einer Statistik Abstand genommen.

Der Beschwerdeführer hat gravierende Probleme beim sinnerfassenden Lesen. Insofern stellte sich die Frage, aufgrund welcher Fähigkeiten, insbesondere auf Grund welcher Lern- bzw Merktechniken bzw Gedächtnisleistung er am 23.11.2016 in der Lage war, ohne den Inhalt der Frage richtig zu verstehen, die richtigen Antworten anzuklicken. Nach den Ausführungen des Inhabers der Fahrschule DD in seinem E-Mail vom 26.02.2020 sei das Prüfungsergebnis des Beschwerdeführers ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache „nicht sehr mächtig“ sei, bedeute nicht zwangsläufig, dass er die Prüfung nicht bestehen könne. Manche Schüler würden sich mit Hilfe von sogenannten Signalwörtern die richtigen Antwortsätze merken, ohne den Sinn zu verstehen und so zum Erfolg kommen.

Dem Beschwerdeführer wurde auch in der Verhandlung am 14.07.2020 nochmals unter Verweis darauf, dass sich gezeigt habe, dass das Verständnis und das Lesen der Fragen Probleme bereite, vorgehalten, dass sich die Frage stelle, wie er auswendig gelernt habe. Der Beschwerdeführer konnte diesbezüglich keine nachvollziehbare Erklärung liefern. Er gab dazu lediglich an, dass er „fast alles auswendig gelernt“ habe und verwies darauf, dass es sich hier manchmal auch um „Fragen mit Bildern und manchmal um Fragen ohne Bilder“ handeln würde, wobei es „nicht so schwer sei, die Fragen zu verstehen“. Als er gefragt wurde, wie er Fragen ohne Bilder beantworten könne, gab er wiederum an, dass dann, „wenn man vor sich die Stopp-Tafel sieht, es klar verständlich sei“. Es sei alles „selbstverständlich“ und man wisse das schon. Er könne heute jedoch nicht mehr genau sagen, wie er das Ganze in sein Gedächtnis eingeprägt habe. Es sei doch schon vier Jahre her. Er habe die Fragen wie ein Foto aufgenommen und dann gewusst, welche Antwort passe. Wenn man eine Frage tausendmal sehe, wisse man genau welche Antwort passe, auch wenn man sie nicht gut verstehe. Der Beschwerdeführer gab auch an, dass ihm der Chef des „RR“ QQ, der vor 30 Jahren den Führerschein erworben habe, geholfen und ihm Antworten erklärt habe. Man habe zusammen „vier bis fünf Mal“ gelernt.

Diese Aussagen sind nicht überzeugend. Sie erklären nicht, auf Grund welcher Gedächtnisleistung das ausgezeichnete Ergebnis am 23.11.2016 erzielt werden konnte. Die Prüfungsfragen wurden per Zufallsprinzip aus einem Katalog von mehr als 1000 Fragen ausgewählt. Die Fragen betreffen einerseits das Grundwissen und sind andererseits fahrzeugklassenbezogen. Bei einer durchaus beachtlichen Anzahl von Fragen geht es um reine Textfragen. Das Prüfungsprotokoll der Prüfung vom 23.11.2016 und der darauf Bezug nehmende ausgedruckte Fragenkatalog (beides befindet sich im Akt der Verwaltungsbehörde) belegen dies. Demnach waren knapp weniger als die Hälfte der Fragen reine Textfragen.

Der Beschwerdeführer legte auch nicht ansatzweise dar, dass er sich auf bestimmte Worte („Signalwörter“) oder auf Wortgruppen (oder Zahlen) konzentriert und aufgrund dessen jeweils gewusst habe, welche Antworten richtig wären. Die Fragestellungen weisen einen ähnlichen Aufbau auf. Sie bestehen meistens aus zwei kurzen Sätzen. Daran sind jeweils vier Antwortmöglichkeiten angeschlossen, wobei die Antwortmöglichkeiten im Zufallsprinzip angeordnet werden. Manchmal ist nicht nur eine Antwort richtig, sondern sind mehrere Antworten zutreffend. Bei der Vielzahl der Fragen (und den damit verbundenen Antwortmöglichkeiten) bedarf es einer außergewöhnlichen Gedächtnisleistung, sich, ohne den Sinn der Frage bzw Antworten zu erfassen bzw sich auf ein „Signalwort“ zu konzentrieren, bloß auf Grund eines Fotos bzw des Schriftbildes der Fragestellung samt Antwortmöglichkeiten die richtigen Antworten zu merken. Dass der Beschwerdeführer, der bei fünf erfolglosen Antritten zuvor sehr schlechte Ergebnisse erzielt hat, diese Fähigkeit dann plötzlich für den Antritt am 23.11.2016 erlangt haben wollte und dann nahezu fehlerfrei umgesetzt haben sollte, ist nicht erklärbar.

Aus den Ausführungen der LPD U vom 07.07.2016 ergibt sich, wie es möglich ist, mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln und einem externen Helfer, die Führerscheinprüfung zu manipulieren. Dem Zeugen CC ist während der Prüfung am 23.11.2016 nichts Verdächtiges aufgefallen. Die Kleinheit der Geräte (Kamera, Ohrstöpsel) und der Umstand, dass das Prüfungsaufsichtsorgan bei der Prüfung hinter den Kandidaten steht, führen dazu, dass ihm eine derartige Vorgangsweise nicht notwendigerweise auffallen musste.

Beim Durchlesen der anonymen Anzeige fällt auf, dass der Text mehrere Fehler in Bezug auf die Klein- und Großschreibung sowie weitere grammatikalische Fehler aufweist. Darauf verwies auch der Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer äußerte bei der Verhandlung am 03.06.2020 den Verdacht, dass die anonyme Anzeige von seiner Ex-Gattin stammen würde. Dies deutet darauf hin, dass diese handschriftlich verfasste Anzeige von jemanden stammt, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Es erscheint auch durchaus als möglich, dass die Anzeige von jemanden herrührt, der zu jener Ethnie zählt, welcher der Beschwerdeführer bzw seine Ex-Gattin angehören. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers und seiner Ex-Gattin ergibt sich, dass eine Scheidung zu einem Ehrverlust und zu Verwerfungen zwischen dem ehemaligen Ehegatten bzw deren Familien führen kann. Insofern ist es möglich, dass die Erstattung der anonymen Anzeige damit im Zusammenhang steht. Die detaillierten Ausführungen in der Anzeige (Beteiligung eines Wieners, Bezahlung von Euro 1.000,00, Verwendung von Kamera und Mikrofon, der Beschwerdeführer kennt die kroatische Sprache nicht) sprechen dafür, dass der Anzeiger/die Anzeigerin über Details Bescheid wusste und dieses Wissen im Familienkreis erlangt hat.

Die als Zeugin einvernommene Ex-Gattin des Beschwerdeführers EE gab dazu an, dass sie nicht wisse, wer die Anzeige erstattet habe. Weder sie selbst noch ihre Familie würden derartiges tun. Ihr wurde auch die anonyme Anzeige vorgelegt, worauf sie erklärte, dass sie diese Schrift niemandem zuordnen könne.

Befragt zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers gab sie an, dass er besser Deutsch gesprochen habe als sie. Im Gegensatz dazu sei sie beim Lesen besser gewesen. Sie habe, wenn Briefe von Behörden gekommen seien, ihrem Ex-Gatten den Inhalt vorgelesen oder man habe auch Freunde „dazugerufen“. Diese Ausführungen bestätigen den Eindruck, dass der Beschwerdeführer große Schwierigkeiten beim sinnerfassenden Lesen (somit auch bei den Prüfungen) hatte und nach wie vor hat.

In Bezug auf die Vorbereitung des Beschwerdeführers auf die Führerscheinprüfungen gab die Zeugin EE an, dass sie den Beschwerdeführer zwar öfters beim Lernen gesehen habe, sich aber nicht getraut habe, ihn weiter zu fragen. Sie habe von ihrem Ehegatten auch nie alles erfahren. Sie wisse nur von zwei oder drei Prüfungsversuchen. Sie habe auch nicht wahrgenommen, dass ihm jemand (beim Lernen) geholfen habe. Sie wisse auch nichts von Prüfungsantritten in U. Sie habe auch keine Kenntnis davon, dass eine Prüfung mit Hilfe einer externen Person absolviert werden sollte.

Die Zeugin äußerte mehrmals, dass sie mit ihrem Ex-Gatten seit dem Verlassen der gemeinsamen Wohnung nichts mehr zu tun habe und auch keinen Kontakt mehr haben wolle. Die Scheidung sei in der Heimat durchgeführt worden. Sie hätte dazu keine Ladung erhalten. Ein Kontaktabbruch nach einer Scheidung entspreche auch den Gepflogenheiten in ihrem Kulturkreis. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass die Zeugin ee einen Zusammenhang mit der anonymen Anzeige bestritt, um den Beschwerdeführer nicht zu belasten. Der grundsätzlich gute Eindruck, den die Zeugin hinterließ, spricht aber dagegen, dass sie tatsächlich die Anzeige verfasst hat.

Ihre Schilderungen erscheinen jedoch jedenfalls in dem Punkt als nachvollziehbar und glaubwürdig, als sie angab, dass sie über viele Schritte ihres Ex-Gatten im Unklaren gelassen worden sei. Dementsprechend ist auch möglich, dass sie selbst von einem allfälligen „Schummelversuch“ gar keine Kenntnis erlangt hat.

Zusammengefasst ergibt sich somit, dass davon auszugehen ist, dass die in der (detaillierten) anonymen Anzeige näher dargelegten Umstände zutreffend sind und sich der Beschwerdeführer zum Erreichen eines positiven Prüfungsergebnisses am 22.11.2016 in unzulässiger Weise externer Hilfe bedient hat. Dafür spricht vor allem das Fehlen der Fähigkeit, einen Text sinnerfassend zu lesen, in Verbindung mit dem Fehlen einer nachvollziehbaren Erklärung, wie dieses Defizit kompensiert wurde. Dazu kommt die hohe Anzahl erfolgloser Prüfungsantritte mit überaus schlechten Ergebnissen samt dem bei der Prüfung am 28.01.2016 aufgetauchten „Schummelverdacht“.

Die Einvernahme des Zeugen ss war nicht erforderlich, da der von ihm im Zuge eines Telefonats mit dem Verhandlungsleiter mitgeteilte Umstand, dass ein Prüfungsergebnis von 97 bzw 100 % von ca 15 % der Kandidaten erreicht werden könnte, mit dem amtsbekannten Umstand korreliert, dass ein derart gutes Prüfungsergebnis nur von einem kleineren Anteil der Prüfungskandidaten erreicht wird, wobei es letztlich auf den exakten Prozentsatz nicht ankommt.

Dem Beschwerdeführer wurden in der Verhandlung am 03.06.2020 (trotz eines diesbezüglichen Einwands seines Vertreters) zwei Fragen (zum Lesen und zum Erklären des Sinngehalts) vorgelegt. Seitens des Vertreters der belangten Behörde wurde in dieser Verhandlung beantragt, dem Beschwerdeführer ergänzend die eine oder andere Frage aus einem vorgelegten Fragenkatalog (der dem Beschwerdeführer seinerzeit gestellten Prüfungsfragen) vorzuhalten. Dies war im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer zuvor ohnedies bereits zwei Fragen (zum Lesen und zum Erklären des Sinngehalts) vorgelegt wurden, nicht mehr erforderlich. Es bedurfte auch keiner weiteren Beweisaufnahme im Zusammenhang mit dem Prüfungsablauf, zumal dieser vom Zeugen CC nachvollziehbar dargelegt wurde.

IV.      Rechtsgrundlagen:

§ 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 BGBl. Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

         1.       der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

         

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“

Im gegenständlichen Fall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes, BGBl I Nr 120/1997 idF BGBl I Nr 74/2015 (FSG), maßgeblich:

Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3

„(1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

1.   das für die angestrebte Klasse erforderliche Mindestalter erreicht haben (§ 6),

2.   verkehrszuverlässig sind (§ 7),

3.   gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

4.   fachlich zum Lenken eines Kraftfahrzeuges befähigt sind (§§ 10 und 11) und

5.   den Nachweis erbracht haben, in lebensrettenden Sofortmaßnahmen bei einem Verkehrsunfall oder, für die Lenkberechtigung für die Klasse D, in Erster Hilfe unterwiesen worden zu sein.

…“

V.       Rechtliche Erwägungen:

V.1. Zustellung:

In der Beschwerde wird gerügt, dass der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden sei, sondern nur dem im Vorverfahren ausgewiesenen Rechtsvertreter. Dazu ist festzuhalten, dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 19.06.2019 gegenüber der Bezirkshauptmannschaft X nach Erlassung des Bescheides vom 03.06.2019 (mit dem eine Aufforderung gemäß § 24 Abs 4 FSG erging) mitgeteilt, dass ihn der Beschwerdeführer bevollmächtigt habe, ihn „in dieser Angelegenheit zu vertreten und alle Schriftstücke und Urkunden zu empfangen“.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, kommt es entscheidend darauf an, ob ein so enger Verfahrenszusammenhang besteht, dass von derselben Angelegenheit oder Rechtssache gesprochen werden kann. Im gegenständlichen Fall ging es um die durch die anonyme Anzeige aufgeworfene Frage des „Schummelns“ bei der theoretischen Prüfung und die damit in Verbindung stehenden Frage des Erwerbs der fachlichen Eignung für das Lenken eines Kraftfahrzeuges. Die Behörde wählte zunächst den (rechtlich unzulässigen) Weg einer Aufforderung gemäß § 24 Abs 4 FSG. Der dahingehende Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X wurde mit Beschwerde bekämpft. Das Landesverwaltungsgericht behob diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 19.08.2019 und zeigte auf, dass auf der Grundlage des von der Behörde angenommenen Sachverhalts mit einer Wiederaufnahme des führerscheinrechtlichen Verfahrens und einer Versagung der Lenkberechtigung vorzugehen sei. Vor diesem Hintergrund ist von einem "engen Verfahrenszusammenhang" bzw von einer einheitlichen Zielrichtung der "Verfahren" auszugehen, sodass die Vollmacht auch für das fortgesetzte Verfahren als erteilt anzusehen ist (vgl VwGH 22.08.2019, Ra 2018/21/0188). Es wurde auch nicht behauptet, dass die Vollmacht gekündigt worden sei. Vielmehr wurde auch die Beschwerde gegen den Bescheid vom 25.11.2020 vom selben Rechtsvertreter erhoben, sodass von einem durchgehend aufrechten Bestand dieses Vollmachtsverhältnisses auszugehen ist.

Im Übrigen würde nach Maßgabe des § 9 Abs 3 Zustellgesetz die Zustellung (jedenfalls) in dem Zeitpunkt als bewirkt gelten, in dem der Rechtsvertreter (neuerlich) bevollmächtigt wurde und ihm der angefochtene Bescheid auch tatsächlich zugekommen ist (vgl. VwGH 26.01.2010, 2009/08/0069).

V.2. Ne bis in idem:

Aus § 68 Abs 1 AVG ist das im Verwaltungsverfahren geltende Prinzip abzuleiten, dass über ein und dieselbe Verwaltungssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit dem Bescheid unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der res iudicata entgegen (vgl VwGH 24.04.2015, 2011/17/0244, uHa VwGH 09.10.1998, 96/19/3364 uva).

Auch wenn die Zielrichtung in den beiden von der Bezirkshauptmannschaft X geführten Verfahren nach Einlangen der anonymen Anzeige im Wesentlichen gleich war, lag dem Bescheid vom 03.06.2019 mit der Aufforderung gemäß § 24 Abs 4 FSG, die theoretische und praktische Fahrprüfung neuerlich abzulegen, ein völlig anderes rechtliches Konzept zugrunde als dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.11.2019, mit welchem das Erteilungsverfahren wiederaufgenommen und die Erteilung der Lenkberechtigung versagt wurde. Es kann daher nicht von einer identen Verwaltungssache gesprochen werden und liegt daher auch kein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vor.

V.3. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften:

Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Verfahrensvorschriften (wie etwa das fehlende Parteiengehör, das Fehlen eines Dolmetschers bei der Einvernahme des Beschwerdeführers bei der Bezirkshauptmannschaft X bzw Mängel bei der Anführung des Gegenstands der Ladung zu dieser Einvernahme) rügt, ist er darauf zu verweisen, dass das Landesverwaltungsgericht ein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, in welchem der Beschwerdeführer unter Beiziehung einer Dolmetscherin einvernommen wurde und Beweise in der Verhandlung in Anwesenheit des Rechtsvertreters aufgenommen wurden, sodass das Parteiengehör jedenfalls gewahrt wurde. Insofern sind allfällige Verfahrensfehler bei der Durchführung des verwaltungsbehördlichen Verfahrens durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren als saniert anzusehen (vgl VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0191, mwN)

Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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