TE Vwgh Beschluss 1997/9/3 97/01/0422

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.1997
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
RAO 1868 §9 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/01/0423

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über den Antrag des Biliulu (auch: Biluilu) Mulaba in Wien, geboren am 7. November 1969, vertreten durch Dr. Friedrich Bubla, Rechtsanwalt in Baden, Biondekgasse 4, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Juli 1996, Zl. 4.349.483/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, sowie in dieser Beschwerdesache, den Beschluß gefaßt:

Spruch

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird n i c h t stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach der Aktenlage und der in der - mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen - Beschwerde enthaltenen Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 1. Juli 1996, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Zaire, abgewiesen worden war, dem - auf Grund des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. August 1996 - mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 10. September 1996 zum Verfahrenshelfer für den Beschwerdeführer bestellten nunmehrigen Beschwerdevertreter am 18. Oktober 1996 zugestellt. Die Zustellung des Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich an den Beschwerdeführer scheiterte, weil der Beschwerdeführer von seiner bisherigen Abgabestelle (Flüchtlingslager Traiskirchen) verzogen war und eine andere Adresse dem Verwaltungsgerichtshof nicht bekanntgegeben hatte.

Der Beschwerdeführer führt zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde aus, er habe dem Bundesasylamt seine neue Anschrift mitgeteilt, in der Folge aber weder von diesem noch vom Verwaltungsgerichtshof oder vom beigegebenen Verfahrenshelfer eine Verständigung über die Gewährung der Verfahrenshilfe erhalten. Erst nachdem er von der Fremdenpolizei aufgegriffen worden sei, habe seine rechtsfreundliche Vertreterin am 10. April 1997 vom hg. Berichter erfahren, daß die Verfahrenshilfe gewährt, aber ein Antrag auf Entzug der Verfahrenshilfe gestellt worden und die Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde verstrichen sei. Da der Beschwerdeführer bei seiner Entlassung aus der Bundesbetreuung seine neue Adresse dem Bundesasylamt mitgeteilt habe, habe er davon ausgehen können, daß er von der Gewährung der Verfahrenshilfe und der Bestellung seines Verfahrenshelfers in Kenntnis gesetzt würde. Er habe beabsichtigt, sich nach Erhalt einer derartigen Verständigung mit dem Verfahrenshelfer ins Einvernehmen zu setzen und ihm die zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde notwendigen Informationen zu geben. Es sei ihm nicht bekannt, warum seine nunmehrige Adresse verlorengegangen oder vom Bundesasylamt nicht zum Akt gelegt worden sei. Der Beschwerdeführer sei somit durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis an der Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gehindert gewesen. Der Verfahrenshelfer habe ohne entsprechende, vom Beschwerdeführer erteilte Informationen eine solche Beschwerde nicht mit Aussicht auf Erfolg erheben können. Da es dem Verfahrenshelfer nicht möglich gewesen sei, die neue Anschrift des Beschwerdeführers zu eruieren und er ohne Mitteilung aller - über die Aktenlage hinausgehender - Informationen nicht in der Lage gewesen sei, nach Ansicht des Verfahrenshelfers aussichtslose Schritte der weiteren Rechtsverfolgung zu ergreifen, habe dieser einen Antrag auf Entzug der Verfahrenshilfe gestellt. Gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz der Rechtsanwaltsordnung habe der Rechtsanwalt nur jene Verteidigungsmittel zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstritten. Mangels persönlicher Auftragserteilung seitens des Beschwerdeführers und zufolge der ohne nähere Informationen nach der Aktenlage aussichtslos erscheinenden Erhebung einer Beschwerde habe der Verfahrenshelfer von einer solchen Abstand genommen. Es sei somit im Interesse des Beschwerdeführers gewesen, mit der Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bis zur persönlichen Informationserteilung zuzuwarten. Anders als im Fall einer dem hg. Erkenntnis Slg. NF Nr. 9463/A zugrunde liegenden gewillkürten Vertretung, bei der dem Rechtsanwalt alle der vertretenen Partei zur Verfügung stehenden Informationen mitgeteilt würden bzw. für den Rechtsanwalt die Gelegenheit bestehe, diese zu erhalten, bestehe im Fall der Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Verfahrenshelfer kein laufendes Mandatsverhältnis, sodaß dem persönlichen Informationsgespräch zentrale Stellung für die Festlegung der weiteren Verteidigung oder Rechtsverfolgung zukomme. Durch das unvorhergesehene Ereignis der mangelnden Aktenkundigkeit der neuen Adresse des Beschwerdeführers und das daraus folgende Unterbleiben der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Verfahrenshelfers sei es letztlich zur Fristversäumung gekommen. Der auf seiten des Verfahrenshelfers zugrunde liegende psychologische Vorgang sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis Slg. NF. Nr 9226/A) als Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG anzusehen.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Soweit im Wiedereinsetzungsantrag die Auffassung vertreten wird, der Verfahrenshelfer hätte ohne Besprechung mit dem Beschwerdeführer keinen Auftrag zur Erhebung einer Beschwerde gehabt, ist dem entgegenzuhalten, daß in dem mit dem Bestellungsbescheid dem Verfahrenshelfer übermittelten hg. Beschluß die Verfahrenshilfe ausdrücklich gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid gewährt wurde. Damit war einerseits der Verfahrenshelfer gemäß § 16 Abs. 2 RAO verpflichtet, die Vertretung des Beschwerdeführers zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen, woraus sich gemäß § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 RAO ergibt, daß der Verfahrenshelfer verpflichtet war, die Vertretung des Beschwerdeführers dem Gesetz gemäß zu führen und dessen Rechte mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, und befugt war, alles was er nach dem Gesetz zur Vertretung des Beschwerdeführers für dienlich erachtete, unumwunden vorzubringen und seine Angriffs- und Verteidigungsmittel, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten, in jeder Weise zu gebrauchen. Andererseits war der Verfahrenshelfer dadurch, daß ihm Zahl und Datum des angefochtenen Bescheid bekannt war, in die Lage versetzt, die Akten des diesem Bescheid zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens bei der belangten Behörde einzusehen und sich somit die grundlegenden Informationen für die Verfassung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu beschaffen. Daß das ungenützte Verstreichenlassen der Frist für die Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bei Vorliegen eines einen Asylantrag abweisenden letztinstanzlichen Bescheides keinesfalls den Interessen des asylwerbenden Beschwerdeführers entsprechen konnte, liegt auf der Hand.

Es ergibt sich somit, daß der Verfahrenshelfer nicht gehindert war, zumindest eine auf dem aus den Verwaltungsakten eruierbaren Sachverhalt aufbauende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde fristgerecht einzubringen. Daß er dies nicht getan hat, muß sich der Beschwerdeführer zurechnen lassen (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 647 angeführte Judikatur). Wird die Frist zur Einbringung der Beschwerde deshalb versäumt, weil der Vertreter die Entscheidung, ob die Beschwerde zu erheben ist, erst nach Befragung des - fristgerecht nicht erreichbaren - Beschwerdeführers treffen wollte, liegt ein Hindernis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG nicht vor (vgl. die in Dolp, aaO, S. 648 angeführte Judikatur). Auch kann die Untätigkeit eines Verfahrenshelfers nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis angesehen werden (vgl. die in Dolp, aaO, S. 650 angeführte Judikatur).

Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung damit, ob und inwieweit das Unterlassen der Bekanntgabe der neuen Adresse an den Verwaltungsgerichtshof dem Beschwerdeführer als Verschulden anzurechnen ist.

Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte somit gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben werden.

Dies hat weiters zur Folge, daß die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Beschwerdefrist ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Damit erübrigte sich auch eine Entscheidung über den Antrag, dem Wiedereinsetzungsantrag aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997010422.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten