Entscheidungsdatum
29.01.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W142 2215215-1/5E
W142 2215214-1/5E
W142 2215212-1/5E
W142 2215213-1/5E
W142 2215209-1/5E
W142 2215210-1/5E
W142 2213558-1/5E
W142 2213551-1/5E
W142 2213554-1/5E
W142 2213556-1/5E
W142 2213561-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) 01.02.2019, Zl. 16-1104667309-160190025, 2) 01.02.2019, Zl. 16-1104666802-160190055, 3) 01.02.2019, Zl. 16-1104666900-160190047, 4) 01.02.2019, Zl. 16-1104670903-160190195, 5) 01.02.2019, Zl. 16-
1104670805-160190217, 6) 01.02.2019, Zl. 16-1104671007-160190225, 7) 14.12.2018, Zl. 16-1104670108-160190187, 8) 14.12.2018, Zl. 16-1104670690-160190209, 9) 14.12.2018, Zl. 16-1104669303-160190233, 10) 14.12.2018, Zl. 16-1126189707-161114675, 11) 14.12.2018, Zl. 18-1179231903-180059069, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer (BF1 bis BF11) behaupten Staatsangehörige Afghanistans zu sein und stellten am 07.02.2016 bzw. 17.01.2018 Anträge auf internationalen Schutz. Die BF1 ist die Mutter der volljährigen Töchter BF4 bis BF6 und des volljährigen Sohnes BF7. Die BF2 und BF3 sind die minderjährigen Enkeltöchter der obsorgebrechtigten BF1. Der BF9, BF10 und BF11 sind die gemeinsamen minderjährigen Söhne des BF7 und dessen Ehefrau BF8.
2. Am 07.02.2016 fand die Erstbefragung der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, wobei die BF1 und deren volljährigen Kinder (BF4, BF5, BF6, BF7) als Fluchtgrund die Bedrohung ihrer Tochter bzw. Schwester durch Unbekannte wegen ihrer Arbeit bei ausländischen Truppen in Mazar e Sharif angegeben haben. Die BF4 bis BF7 gaben als weiteren Fluchtgrund an, dass ihre Mutter (BF1) wegen ihrer Tätigkeit als Lehrerin von den Taliban und Regierungsgegnern bedroht worden sei. Die BF4 und der BF7 teilten auch noch zusätzlich mit, dass sie deswegen geflüchtet seien, weil Talibanangehörige sie und ihre Schwestern zwangsweise heiraten wollten.
3. Am 09.04.2018 bzw. 10.04.2018 bzw. 23.04.2018 fand jeweils eine niederschriftliche Befragung der Beschwerdeführer (BF1, BF4 bis BF8) vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Als Fluchtgrund wurde die Entführung des BF7 und die Zwangsverheiratung der BF4 bis BF6 genannt.
4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der/des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der/des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gem. § 57 AsylG jeweils nicht erteilt und jeweils gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde jeweils festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkte III. bis V.).
Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Das Bundesamt ging von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführer aus, weil die Fluchtgründe in der Erstbefragung im krassen Widerspruch zu den vor dem Bundesamt gemachten Fluchtgründen stehen würden. Einer näheren Beweiswürdigung wurde das Vorbringen der Entführung des BF7 und der Zwangsverheiratung der BF4 bis BF6 unterzogen.
5. Gegen die an die Beschwerdeführer zugestellten Bescheide wurde jeweils fristgerecht Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.5.1985, 84/08/0085). Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere Folgendes ausgeführt: "Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der ?obersten Berufungsbehörde' beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro°2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und folgende für die Auslegung des § 28 VwGVG maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, auch dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen würde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen mangelhaft:
Die erstinstanzliche Behörde geht von der Unglaubwürdigkeit der von den Beschwerdeführern vorgebrachten Fluchtgründe aus. Begründend wurde ausgeführt, dass die in der Erstbefragung genannten Fluchtgründe im krassen Widerspruch zu den vor dem Bundesamt genannten Fluchtgründen stehen. Eine nähere beweiswürdigende Auseinandersetzung fand lediglich mit der vorgebrachten Entführung des BF7 und der behaupteten Zwangsverheiratung der BF4 bis BF6 statt. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Angaben über die Bedrohung der Tochter bzw. Schwester wegen ihrer Arbeit bei einer ausländischen Behörde fand jedoch nicht statt. Dies wäre aber schon deshalb notwendig gewesen, weil die BF1 in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt bestätigte, dass ihre älteste Tochter XXXX bei einer ausländischen Truppe gearbeitet und deswegen mehrmals von unbekannten Leuten bedroht worden sei und sich die Familie daher entschlossen habe, Afghanistan zu verlassen. Das Bundesamt hätte daraufhin die Tätigkeit der Tochter genauer hinterfragen müssen, zumal auch die BF4 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt mitteilte, dass ihre Schwester in Afghanistan beim UNHCR arbeite und sie deshalb alle von Regierungsgegnern mit dem Tode bedroht worden wären. Auch die BF6 teilte mit, dass die in Afghanistan lebende Schwester beim UNHCR tätig sei und nicht in Sicherheit lebe und sich viele Sorgen um ihre Zukunft mache. Eine detaillierte Befragung der Beschwerdeführer wäre auch schon deshalb notwendig gewesen, weil nach den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen einem Risikoprofil angehören. Gegenständlich ist es daher erforderlich direkt beim UNHCR nachzufragen, ob die Tochter der BF1 bzw. die Schwester der BF4 bis BF7 tatsächlich beim UNHCR arbeitet, welche Tätigkeit sie dort ausübt und ob sie bereits ihren Arbeitgeber darüber informiert hat, dass sie und ihre Familienangehörigen (nicht nur Ehemann und Kinder, sondern auch ihre Mutter und ihre Geschwister) bereits Bedrohungen ausgesetzt gewesen seien bzw. sind.
Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist daher im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht im ausreichenden Maße nachgekommen.
Es werden somit notwendigerweise weitere konkrete und detaillierte individuelle Abklärungen, zunächst in Form ergänzender Befragungen und folglich Ermittlungen beim UNHCR vorzunehmen sein, die letztlich mit den aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan abzugleichen sein werden, um hieraus umfassend abgesicherte Aussagen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Vorbringens und hinsichtlich des Bestehens einer allfälligen aktuellen Gefährdungssituation aller Beschwerdeführer (in Form einer Sippenhaftung) vornehmen zu können.
Festgestellt wird, dass der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung der Beschwerdeführer in Hinblick auf den Aspekt der Gewährung des Status der Asylberechtigten als so mangelhaft zu beurteilen ist, dass weitere Ermittlungen diesbezüglich unerlässlich sind.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90). Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W142.2215213.1.00Im RIS seit
16.12.2020Zuletzt aktualisiert am
16.12.2020