TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/26 W280 1304529-3

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs5

Spruch

G314 1304529-3/2Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des serbischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Wolfgang WEBER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .05.2020,
Zl. XXXX , betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zu Recht:

A)       Der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids) wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF), der sich nach seinen Angaben seit 2002 im Bundesgebiet aufhält, wurde hier im April 2005 betreten und wegen des Verdachts des unrechtmäßigen Aufenthalts - gegen ihn bestand ein in Deutschland erlassenes, bis XXXX .10.2006 gültiges schengenweites Aufenthaltsverbot - in Schubhaft genommen. Am XXXX .04.2005 beantragte er internationalen Schutz und wurde daraufhin am XXXX .04.2005 enthaftet. Am XXXX heiratete er die Österreicherin XXXX . Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX .07.2006 abgewiesen, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien für zulässig erklärt und er aus dem Bundesgebiet nach Serbien ausgewiesen. Der Unabhängige Bundesasylsenat gab dem vom BF dagegen erhobenen Rechtsmittel mit dem seit XXXX .02.2007 rechtskräftigen Bescheid nicht Folge. Im Mai 2009 wurde die Behandlung seiner Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH), der zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, abgelehnt.

Der BF verließ das Bundesgebiet trotzdem nicht. 2012 erhielt er erstmals einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger, der in der Folge mehrmals verlängert wurde. Seit XXXX .06.2017 verfügt er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Das entsprechende Dokument ist gültig bis XXXX .06.2022.

Am XXXX wurde die Ehe des BF geschieden. Er hat keine Kinder. Er beherrscht sowohl die serbische als auch die deutsche Sprache. Der Vater des BF, zu dem er keinen Kontakt hat, lebt in Serbien. Seine Stiefmutter und zwei Schwestern, die österreichische Staatsbürgerinnen sind, leben in XXXX . Er hat keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme und ist arbeitsfähig. Er war im Bundesgebiet von 2005 bis 2011 selbständig erwerbstätig. Danach bestanden immer wieder Beschäftigungsverhältnisse als (teilweise geringfügig beschäftigter) Arbeiter (zuletzt zwischen Juli und November 2019); dazwischen bezog der BF Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, letztere bezieht er nunmehr wieder seit XXXX .04.2020. Am XXXX .09.2019 wurde über sein Vermögen ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, das nach Annahme und Bestätigung eines Zahlungsplans (Ende der Zahlungsfrist: XXXX .12.2024) im Jänner 2020 aufgehoben wurde.

Der BF, der in Serbien und in Deutschland vorbestraft ist, wurde im Bundesgebiet ein Mal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX , wurde wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, 15 StGB und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG eine 24-monatige Freiheitsstrafe verhängt, wobei ein Strafteil von 16 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er zwischen Jänner und August 2018 in mehreren Angriffen Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28 b SMG) übersteigenden Menge (87,6 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt an Cocain von 79,03 %) diversen Abnehmern durch gewinnbringenden Verkauf überließ bzw. durch Bereithalten zum unmittelbar bevorstehenden Verkauf zu überlassen versuchte; außerdem erwarb und besaß er Kokain zum Eigenbedarf. Er beging die Straftaten nicht vorwiegend zur Finanzierung seines persönlichen Suchtmittelbedarfs, sondern (auch) zur Finanzierung seines sonstigen Lebensunterhalts und erzielte durch die strafbaren Handlungen einen Erlös von zumindest EUR 4.000, der für verfallen erklärt wurde. Er verbüßte den unbedingten Strafteil (unter Berücksichtigung der angerechneten Vorhaft) zwischen XXXX .08.2018 und XXXX .04.2019 in den Justizanstalten XXXX und XXXX .

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des BF gegen den oben genannten Bescheid vor, mit dem gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 5 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde (Spruchpunkt V.). Das BFA begründete die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung mit den für die Erlassung der Rückkehrentscheidung maßgeblichen Gründen. Der Verbleib des BF in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar; seine sofortige Ausreise sei daher erforderlich.

In der Beschwerde beantragt der BF die Behebung des angefochtenen Bescheids und bringt dazu im Wesentlichen vor, seine persönlichen Umstände seien nicht berücksichtigt worden. Er lebe und arbeite hier seit vielen Jahren und habe nach seiner elfjährigen Ehe mit einer Österreicherin eine Beziehung mit einer anderen österreichischen Staatsbürgerin. Auch seine Mutter und seine Schwester, die geschieden sei und zwei minderjährige Kinder habe, hätten die österreichische Staatsbürgerschaft. Er spreche gut Deutsch und habe in Serbien keine Verwandten mehr. Ab XXXX .07.2020 werde er wieder arbeiten. Ein Eireiseverbot sei angesichts seiner Integration in Österreich nicht geboten.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der für die Frage der aufschiebenden Wirkung maßgebliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die am XXXX geborene XXXX ist nicht (wie in der Beschwerde angegeben) die Mutter, sondern die Stiefmutter des BF. Dies ergibt sich aus seinen Angaben in vorangegangenen Verfahren. Seine Mutter heißt laut seinen Angaben im Asylverfahren, die sich mit dem Strafregister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister decken, XXXX (bzw. XXXX ), was auch aus der aktenkundigen Geburtsurkunde des BF hervorgeht (siehe AS 128 der vorgelegten Verwaltungsakten).

Das Schuldenregulierungsverfahren des BF ist in der Insolvenzdatei ersichtlich. Die von ihm angegebene selbständige Erwerbstätigkeit deckt sich mit dem Firmenbuchauszug der mittlerweile gelöschten XXXX und dem Versicherungsdatenauszug, aus dem auch Zeiten der Beschäftigung als Arbeiter sowie des Bezugs von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe hervorgehen.

Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde richtet sich (zumindest implizit) auch gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids, mit dem die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Das BVwG hat darüber gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl. VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).

Gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

Die Begründung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im angefochtenen Bescheid ist unzureichend. Dafür genügt es nämlich nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den BF zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, auf jene Überlegungen zu verweisen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren. Es bedarf vielmehr einer über die Erwägungen für die Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie des Einreiseverbots hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des BF während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass seine sofortige Ausreise bzw. Abschiebung schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (siehe VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360 und 04.04.2019, Ra 2019/21/0053). Eine solche Begründung fehlt hier.

Da seit der Entlassung des BF aus dem Strafvollzug bereits mehr als ein Jahr vergangen ist, er sich seit über zehn Jahren im Inland aufhält und hier daueraufenthaltsberechtigt ist, ist mit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung die reale Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK verbunden. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids ist daher Folge zu geben und die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG zuzuerkennen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 6a BFA-VG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist und das BVwG keine grundsätzlichen Rechtsfragen iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.1304529.3.00

Im RIS seit

16.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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