TE Vfgh Erkenntnis 1995/10/4 B129/95

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Veröffentlicht am 04.10.1995
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §76a Abs2 Z1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §76a Abs3 idF BGBl 187/1994

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht wegen Versäumung der einmonatigen Frist zur Abgabe der Zivildiensterklärung; Behandlung des Beschwerdeführers als vorübergehend untauglich infolge Aussetzung eines Tauglichkeitsbeschlusses geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer war mit Beschluß des Militärkommandos Wien vom 25. Juni 1992 für tauglich befunden worden. Am 27. Mai 1993 erlitt er durch einen Unfall einen Schlüsselbeinbruch. Infolgedessen wurde ein an ihn mittlerweile ergangener Einberufungsbefehl von Amts wegen behoben und ein neuerliches Stellungsverfahren zu einem noch bekanntzugebenden Stellungstermin angeordnet. Am 6. April 1994 wurde die neuerliche Stellung durchgeführt. Da sich die Notwendigkeit einer fachärztlichen Untersuchung ergab, konnte kein Stellungsbeschluß gefaßt werden. Die Stellungskommission setzte den bisherigen Tauglichkeitsbeschluß aus.

Bei Übernahme der diesbezüglichen Bescheinigung sei der Beschwerdeführer - seinen Behauptungen zufolge - von dem mit seinem Fall befaßten Beamten dahingehend belehrt worden, daß er infolge der soeben stattgefundenen Aussetzung des Tauglichkeitsbeschlusses keine wirksame Zivildiensterklärung abgeben könne; dies sei erst dann möglich, wenn seine Tauglichkeit wieder feststehe. Aufgrund dieser Rechtsauskunft habe er von der beabsichtigten Abgabe einer Zivildiensterklärung vorerst Abstand genommen.

b) Am 27. September 1994 wurde dem Beschwerdeführer vom Militärkommando Wien eine "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" zugestellt, durch die er darüber informiert wurde, daß seine (bescheidmäßige) Tauglicherklärung vorgesehen sei. Am 18. Oktober 1994 gab der Einschreiter eine (an das Militärkommando Wien adressierte) Zivildiensterklärung zur Post. Am 2. November 1994 wurde er von der Stellungskommission neuerlich für tauglich befunden.

c) Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres (BMI) vom 16. November 1994 wurde gemäß §5a Abs4 iVm §5a Abs3 Z2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF BGBl. 187/1994, festgestellt, daß diese Zivildiensterklärung wegen Fristversäumnis gemäß §76a Abs2 Z1 leg.cit. die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könne.

Dieser Bescheid wurde wie folgt begründet:

"Gem. §76a Abs2 Z1 ZDG können Wehrpflichtige, die weder Angehörige des Präsenzstandes nach §1 Abs3 WG noch seit mehr als zwei Wochen zu einem Präsenzdienst einberufen sind, eine Zivildiensterklärung gem. §§2 und 5 Abs2 ZDG nur innerhalb eines Monates ab dem der Kundmachung des ZDG idF BGBl. Nr.187/1994 folgenden Tag, dies war der 10. März 1994, einbringen; die Monatsfrist hat mit 11. März 1994 zu laufen begonnen. Ihre im Spruch genannte Erklärung wurde erst nach Fristablauf eingebracht.

Da gem. §5a Abs3 Z2 ZDG Zivildiensterklärungen mangelhaft sind, wenn die Frist für die Abgabe der Zivildiensterklärung abgelaufen ist, dies hier der Fall war und gem. §5a Abs4 ZDG der Nichteintritt der Zivildienstpflicht bei mangelhaften Zivildiensterklärungen festzustellen ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und brachte in einem Schriftsatz Ausführungen zum Sachverhalt vor.

Das Bundesministerium für Landesverteidigung gab über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme ab.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfSlg. 13496/1993; VfGH 4.3.1994 B 1115/93, S 8).

2. Die Übergangsregelung des §76a ZDG idF der Novelle 1994 (eine Verfassungsbestimmung) lautet in den zur Beurteilung des vorliegenden Falles relevanten Passagen wie folgt:

"§76a. (Verfassungsbestimmung) (1) ...

(2) Innerhalb eines Monats ab dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag (Anm.: also innerhalb eines Monats ab 11. März 1994) können

1.

taugliche Wehrpflichtige, die weder Angehörige des Präsenzstandes nach §1 Abs3 WG noch seit mehr als zwei Wochen zu einem Präsenzdienst einberufen sind, eine Zivildiensterklärung gemäß §§2 und 5 Abs2 einbringen;

2.

...

(3) Wehrpflichtige, die während des in Abs2 genannten Zeitraumes vorübergehend untauglich waren, können innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens, bei dem sie neuerlich tauglich befunden werden, eine Zivildiensterklärung abgeben."

3. Im Schreiben vom 24. Oktober 1994, mit dem das Militärkommando Wien dem Bundesminister für Inneres die Zivildiensterklärung des Einschreiters übersendete, wird ausdrücklich angeführt: "Bei einer neuerlichen Stellung am 7. April 1994 (Anm.: richtig wohl: 6. April 1994) wurde der Beschluß (vom 25. Juni 1992, betreffend Feststellung der Tauglichkeit) ausgesetzt." Der belangten Behörde war dieser Umstand also zweifelsfrei bekannt.

Der Bundesminister für Inneres hat den angefochtenen Bescheid dennoch auf §76a Abs2 Z1 ZDG gestützt. Er ist offenbar davon ausgegangen, daß es sich beim Zivildienstwerber um einen "tauglichen Wehrpflichtigen" handle. Diese Auffassung ist unzutreffend:

Der den Einschreiter betreffende Tauglichkeitsbeschluß vom 25. Juni 1992 (es handelt sich dabei um einen Bescheid (vgl. zB. VwGH 28.11.1989, 89/11/0105; 30.4.1991, 90/11/0214; 19.4.1994, 93/11/0272)) wurde von der Stellungskommission am 6. April 1994 "ausgesetzt". Dies bedeutet - ungeachtet dessen, welcher Rechtscharakter einer solchen Maßnahme zuzumessen ist -, daß die ursprünglich getroffene Feststellung der Tauglichkeit des Wehrpflichtigen - jedenfalls vorübergehend - rückgängig gemacht wird.

Der Einschreiter war daher ab 6. April 1994 jedenfalls nicht als "tauglicher Wehrpflichtiger" anzusehen, sodaß §76a Abs2 Z1 ZDG auf ihn nicht anwendbar war.

4.a) Gemäß §23 Abs2 des Wehrgesetzes 1990 - WG, BGBl. 305, haben die Stellungskommissionen die Eignung zum Wehrdienst auf Grund der zur Feststellung dieser Eignung durchgeführten ärztlichen und psychologischen Untersuchungen mit einem der folgenden Beschlüsse festzustellen: "Tauglich", "Vorübergehend untauglich", "Untauglich". Dem §23 Abs3 WG zufolge sind Stellungspflichtige, deren vorübergehende Untauglichkeit festgestellt wurde, nach Ablauf der von der Stellungskommission für die voraussichtliche Dauer ihrer vorübergehenden Untauglichkeit festgesetzten Frist vom zuständigen Militärkommando aufzufordern, sich zu dem in der Aufforderung bestimmten Zeitpunkt einer neuen Stellung zu unterziehen.

b) Die "Aussetzung" eines Tauglichkeitsbeschlusses ist in der hier maßgeblichen Hinsicht nicht anders zu beurteilen als der soeben erwähnte Fall der vorübergehenden Untauglichkeit:

Beide Male ist im Zeitpunkt, zu dem die Stellungskommission die jeweilige Entscheidung trifft, die Tauglichkeit des Wehrpflichtigen nicht gegeben; ob sie letztlich zu bejahen oder zu verneinen sein wird, hängt vom Ergebnis einer weiteren Stellung iS des WehrG ab. Auch das Bundesministerium für Landesverteidigung spricht in seiner dem Verfassungsgerichtshof übermittelten Äußerung davon, daß der Einschreiter von der Stellungskommission am 2. November 1994 "neuerlich für 'tauglich' befunden" wurde.

Demzufolge war es geboten, den Beschwerdeführer hinsichtlich der Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Abgabe seiner Zivildiensterklärung nicht anders zu behandeln als jene Personengruppe, auf die sich §76a Abs3 ZDG bezieht - also nicht anders als "Wehrpflichtige, die während des in Abs2 genannten Zeitraumes vorübergehend untauglich waren". (Die am 6. April 1994 stattgefundene Aussetzung des Tauglichkeitsbeschlusses fällt in diesen - mit 11. März 1994 beginnenden - Zeitraum.)

c) Der BMI gelangte, ausgehend von einer verfehlten Interpretation des Gesetzes, zu einem anderen - nach dem zuvor Gesagten unrichtigen - Ergebnis. Damit hat er den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt.

Der Bescheid war infolgedessen aufzuheben.

5. Zur Klarstellung sieht sich der Verfassungsgerichtshof zu folgendem Hinweis veranlaßt:

Der Einschreiter hat seine Zivildiensterklärung am 18. Oktober 1994 - somit nach Erhalt der "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" über seine bevorstehende Tauglicherklärung, aber noch vor Zustellung des Tauglichkeitsbeschlusses - abgegeben (s. oben, Pkt. I.1.b).

§76a Abs3 ZDG stellt zwar darauf ab, daß die Zivildiensterklärung "innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens, bei dem sie (sc. die von der Norm erfaßten Wehrpflichtigen) neuerlich tauglich befunden werden," abzugeben ist. Dennoch ist die Abgabe der Zivildiensterklärung im vorliegenden Fall nicht als verfrüht zu qualifizieren. Wenn nämlich das Stellungsverfahren zum Zeitpunkt der Abgabe einer Zivildiensterklärung bereits eingeleitet war, führt eine am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung zur Annahme, die Zivildiensterklärung sei - zulässigerweise - als bedingt für den Fall abgegeben anzusehen, daß das Stellungsverfahren die Tauglichkeit zum Wehrdienst ergibt (VfGH 12.10.1994 B1660/94, betreffend den - in der hier maßgeblichen Hinsicht gleichlautenden - §2 Abs1 ZDG idF der Novelle 1994).

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Zivildienst, Fristen (Verwaltungsverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B129.1995

Dokumentnummer

JFT_10048996_95B00129_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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