TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/30 L503 2231564-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2020
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Entscheidungsdatum

30.09.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L503 2231564-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die Richterin Mag.a JICHA sowie den fachkundigen Laienrichter RgR PHILIPP über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 07.01.2020, OB XXXX , zu Recht erkannt:

A.) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz: „BF“) beantragte am 4.4.2019 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden kurz: „SMS“) - unter Vorlage diverser medizinischer Unterlagen - die Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Daraufhin holte das SMS ein Sachverständigengutachten ein und wurde die BF am 2.8.2019 von Dr. B. S., einem Arzt für Allgemeinmedizin, untersucht.

In dem in weiterer Folge von Dr. B. S. am 29.8.2019 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird auszugsweise wie folgt ausgeführt:

„Derzeitige Beschwerden:

Die Antragstellerin gibt an, dass sie wegen Rückenbeschwerden an der Brust operiert wurde. Das musste sie auch selbst zahlen, es habe sich aber an den Rückenbeschwerden nichts geändert.

Weiters wurde sie im Bereich der Oberschenkel operiert, da sie immer wieder offene Stellen gehabt habe.

Ein großes Problem sei der linke Daumen, dieser wurde anfangs lange Zeit eingespritzt, das habe 3 Monate gehalten, dann wurde das so schlimm, dass sie operiert wurde. Sie bekam ein künstliches Gelenk, das habe auch nichts geholfen, dann wurde eine Ringbandspaltung durchgeführt.

Jetzt sei das alles so schlimm und schmerzhaft, dass auch Injektionen nicht mehr helfen. Sie sei mit dem linken Daumen behindert. Sie habe ständig Schmerzen.

Die Schmerzen würden auch auf die benachbarten Gelenke ausstrahlen.

Weitere Schmerzen insbesondere der gesamten linken Körperhälfte seien die alten.

Vom Hausarzt werde sie immer wieder infiltriert, sie nehme sehr viele Tabletten, insbesondere Seractil und Thomapyrin. Kopfschmerzen kommen vom Nacken.“

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

chronische Wirbelsäulenbeschwerden

unverändert zu VGA;

02.01.02

40 vH

02

Arthrose des Daumensattelgelenkes li

mit Sattelgelenksprothese Versorgung einer Sattelgelenksprothese, keine Besserung der Beschwerden, mittelgradige Bewegungseinschränkung

02.06.26

20 vH

03

Tennisellbogen links

unverändert zu VGA

02.06.11

20 vH

04

Fingergelenksarthrosen

unverändert zu VGA

02.02.01

10 vH

05

Bluthochdruck

unverändert zu VGA

05.01.01

10 vH

06

Z.n. Gebärmutterentfernung

Fixsatz

08.03.02

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, führend sei das Leiden Nummer 1 mit 40%. Die weiteren Leiden würden aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter steigern.

3. Mit Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 30.8.2019 übermittelte das SMS der BF das dargestellte Gutachten von Dr. B. S. vom 29.8.2019 und räumte ihr die Möglichkeit ein, dazu binnen zwei Wochen schriftlich Stellung nehmen.

4. Mit Schreiben vom 25.9.2019 teilte die BF dem SMS mit, dass sie mit dem „Bescheid“ nicht einverstanden sei und legte ein Attest vom 25.9.2019 von Dr. F. H., Arzt für Allgemeinmedizin, vor. Demzufolge sei ihr im Herbst 2018 wegen schwerer Rhizarthrose eine Sattelgelenksprothese implantiert worden. Trotz intensiver Physiotherapie und medikamentöser Schmerztherapie hätten sich die Schmerzen nicht gebessert, sodass im März 2019 eine Ringbandspaltung durchgeführt worden sei, aber auch dadurch hätten sich die Schmerzen nicht gebessert. Die BF komme häufig zur Schmerzmedikamentenverschreibung in seine Ordination. Sie benötige auch regelmäßig Infiltrationen an ihrer Wirbelsäule sowohl lumbal als auch cervical wegen therapieresistentem Cervicalsyndrom und Lumbalsyndrom; auch ihre Schultergelenke würden in regelmäßigen Abständen wegen chronischer Entzündung und Verspannung im Schultergürtel beidseits infiltriert werden.

5. Im Gefolge der Stellungnahme der BF holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten ein und wurde die BF am 9.12.2019 von Dr. R. H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Orthopädie, untersucht.

In dem in weiterer Folge von Dr. R. H. am 29.12.2019 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird auszugsweise wie folgt ausgeführt:

„Anamnese:

Vorgutachten vom 29.8.2019 (40 %).

Chronische Wirbelsäulenbeschwerden.

Arthrose Daumensattelgelenk links - Z.n. endoprothetischer Versorgung und Ringbandspaltung.

Epicondylitis humeri radialis sin.

Fingerpolyarthrosen.

Arterielle Hypertonie.

Z.n. Hysterektomie.

Beschwerde zum Vorgutachten.

Keine stationären Aufenthalte seit dem Letztgutachten.

Derzeitige Beschwerden:

Frau M. beschreibt Dauerschmerzen im Bereich des linken Daumensattelgelenkes, diese würden seit vielen Jahren bestehen. Anfänglich wurden immer wieder Infiltrationen durchgeführt, letztlich die endoprothetische Versorgung mit einer Daumensattelgelenksprothese sowie eine Ringbandspaltung. Die Schmerzen sind belastungsabhängig, zusätzlich würden aber auch Ruheschmerzen bestehen. Die operativen Sanierungen wurden an der Unfallchirurgie der KUK durchgeführt. Insgesamt haben die Behandlungen laut Antragstellerin zur Verschlechterung der Situation geführt. Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Ausstrahlung in das linke Bein bis auf Kniehöhe mit zeitweiser Ausstrahlung auch bis in den Vorfuß. Heilgymnastik würde mehrmals pro Woche selbstständig durchgeführt werden. Häufig Kopfschmerzen, berichtet durch degenerative Halswirbelsäulenveränderungen, entsprechende Befunde sind nicht vorliegend. Auch auf Nachfrage werden keine weiteren Beschwerden, abgesehen von denen bereits im Vorgutachten bekannten, erwähnt.

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Degenerative Hals,-und Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Verspannungen Schultergürtel/Nackenbereich

Schmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein, sowie häufige Kopfschmerzen, aktive Therapie wird regelmäßig durchgeführt, einfache, aber regelmäßige Schmerzmedikation erforderlich, Infiltrationen in den Schultergelenken werden durchgeführt

02.01.02

40 vH

02

Arthrose des Daumensattelgelenkes links - Z.n. Versorgung mit einer Sattelgelenksprothese und Ringbandspaltung

Schmerzen sowohl unter Belastung, als auch zeitweise in Ruhe, Bewegungseinschränkung

02.06.26

20 vH

03

Tennisellbogen links

minimale Bewegungseinschränkung, belastungsabhängige Schmerzen

02.06.11

20 vH

04

Fingerpolyarthrose

unverändert zu Vorgutachten

02.02.01

10 vH

05

Z.n. Gebärmutterentfernung

Fixsatz

08.03.02

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, führend sei das Leiden Nummer 1; die weiteren Leiden würden aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter steigern. Das Bluthochdruckleiden sei aus der Einschätzung herausgenommen worden, da keine Behandlung erfolge. Mit insgesamt 40% bestünde keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten.

6. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 7.1.2020 sprach das SMS aus, dass die BF mit einem Grad der Behinderung von 40 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle; ihr Antrag vom 4.4.2019 sei daher abzuweisen.

Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen (§§ 40, 41 und 45 BBG) wurde nochmals betont, dass laut eingeholtem Gutachten bei der BF lediglich ein Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH vorliege. Das dem Bescheid beiliegende und einen Teil der Begründung bildende Sachverständigengutachten sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt worden. Aufgrund der Stellungnahme der BF vom 25.9.2019 sei das medizinische Beweisverfahren nochmals eröffnet worden. Beigelegt wurde das Gutachten von Dr. R. H. vom 29.12.2019.

7. Mit Schreiben vom 27.1.2020 erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 7.1.2020. Darin führte die BF aus, im Bescheid vom 7.1.2020 (gemeint: im diesbezüglichen Letztgutachten vom 29.12.2019) seien ihre Beschwerden zwar korrekt angeführt, es werde jedoch nicht darauf eingegangen, dass es „zu einer massiven Verschlechterung der Schmerzen im linken Handgelenk gekommen“ sei. Seit Einsatz ihrer Daumensattelgelenksprothese sowie der Ringbandspaltung seien die Schmerzen deutlich verstärkt und eine Infiltration nicht mehr möglich; seither würde sie täglich Schmerzmedikamente einnehmen. Was die Argumentation im Gutachten zum Gesamtgrad der Behinderung betreffe, so werde darin ausgeführt, Hauptleiden sei das Leiden in Position 1, die weiteren Leiden würden den Grad der Behinderung bei fehlender zusätzlicher erheblicher Einschränkung und Geringfügigkeit nicht erhöhen. Bei der Arthrose des Daumensattelgelenkes und der dazugehörigen Versorgung durch eine Sattelgelenksprothese und einer Ringbandspaltung sowie Schmerzen unter Belastung könne aber von keinem geringfügigen Leiden gesprochen werden. Es handle sich hierbei um eine erhebliche Einschränkung. Abschließend wurde insbesondere beantragt, das BVwG möge den angefochtenen Bescheid aufheben und dahingehend abändern, dass die Position 2 im Bescheid (Arthrose des Daumensattelgelenks und die dazugehörige Versorgung durch eine Sattelgelenksprothese und eine Ringbandspaltung sowie die Schmerzen unter Belastung) als erhebliches Leiden bewerten und es mögen sohin „die 20% Grad der Beeinträchtigung zu den 40% Grad der Beeinträchtigung hinzugesprochen werden“. Der BF möge ein Behindertenpass zuerkannt werden.

8. Im Gefolge der Beschwerde der BF – und nach Vorlage von weiteren, aktuellen Röntgen- bzw. MRT-Befunden – erstellte Dr. R. H. auf Ersuchen des SMS ein weiteres Sachverständigengutachten (Aktengutachten) die BF betreffend.

In diesem Gutachten vom 10.4.2020 wird auf folgende nachgereichte Unterlagen eingegangen:

„21.2.2020: Handgelenksröntgen beidseits in jeweils 2 Ebenen […]

21.2.2020: MRT der unteren BWS und der gesamten LWS […]

21.2.2020: MRT der HWS und der oberen BWS […]“

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Radiologisch nachweisbare degenerative Hals,-und Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Bandscheibenvorwölbungen als Mehretagenbefund

muskuläre Verspannungen im Schultergürtel/Nackenbereich, Schmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein, sowie häufige Kopfschmerzen, aktive Therapie wird regelmäßig durchgeführt, einfache, aber regelmäßige Schmerzmedikation erforderlich, Infiltrationen im Bereich der Schultergelenke werden durchgeführt

02.01.02

40 vH

02

Arthrose des Daumensattelgelenkes links - Z.n. Versorgung mit einer Sattelgelenksprothese und Ringbandspaltung

Schmerzen sowohl unter Belastung, als auch zeitweise in Ruhe, Bewegungseinschränkung

02.06.26

20 vH

03

Tennisellbogen links

minimale Bewegungseinschränkung, belastungsabhängige Schmerzen

02.06.11

20 vH

04

Fingerpolyarthrose

unverändert zu Vorgutachten

02.02.01

10 vH

05

Z.n. Gebärmutterentfernung

Fixsatz

08.03.02

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, führend sei das Leiden Nummer 1; die Schmerzen durch das Leiden in Position 2 seien in das Gesamtschmerzkalkül mit einbezogen worden und würden den Grad der Behinderung nicht erhöhen. Die weiteren Leiden würden den Grad der Behinderung bei fehlender zusätzlicher erheblicher Einschränkung und Geringfügigkeit nicht erhöhen. Als Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten wurde ausgeführt, alle vorhandenen Befunde seien eingesehen worden; sämtliche neu vorgelegten Befunde würden die schon im Vorgutachten eingeschätzten Leiden bestätigen, weshalb diese auch zu keiner Änderung der Einschätzung führen würden. Es gebe keine neu hinzugekommenen Leiden. Mit insgesamt 40% würde keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten vom 29.12.2019 bestehen.

9. Mit Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 4.5.2020 übermittelte das SMS der BF das dargestellte Gutachten von Dr. R. H. und räumte ihr die Möglichkeit ein, dazu binnen zwei Wochen schriftlich Stellung nehmen.

Eine Stellungnahme ist nicht aktenkundig.

10. Am 4.6.2020 legte das SMS den Akt dem BVwG vor und wies darauf hin, dass eine neuerliche Überprüfung wiederum lediglich 40% ergeben habe. Das Letztgutachten sei zum Parteiengehör versandt worden und seien seitens der BF keine Einwendungen erhoben worden. Die 12-Wochen-Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung sei bereits abgelaufen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist 1963 geboren, unselbständig erwerbstätig und in Österreich wohnhaft.

Bei der BF bestehen folgende Funktionseinschränkungen und daraus resultierend folgender Gesamtgrad der Behinderung:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Radiologisch nachweisbare degenerative Hals,-und Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Bandscheibenvorwölbungen als Mehretagenbefund

muskuläre Verspannungen im Schultergürtel/Nackenbereich, Schmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein, sowie häufige Kopfschmerzen, aktive Therapie wird regelmäßig durchgeführt, einfache, aber regelmäßige Schmerzmedikation erforderlich, Infiltrationen im Bereich der Schultergelenke werden durchgeführt

02.01.02

40 vH

02

Arthrose des Daumensattelgelenkes links - Z.n. Versorgung mit einer Sattelgelenksprothese und Ringbandspaltung

Schmerzen sowohl unter Belastung, als auch zeitweise in Ruhe, Bewegungseinschränkung

02.06.26

20 vH

03

Tennisellbogen links

minimale Bewegungseinschränkung, belastungsabhängige Schmerzen

02.06.11

20 vH

04

Fingerpolyarthrose

unverändert zu Vorgutachten

02.02.01

10 vH

05

Z.n. Gebärmutterentfernung

Fixsatz

08.03.02

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Führend ist das Leiden Nummer 1; die Schmerzen durch das Leiden in Position 2 erhöhen – ebenso wie die übrigen Leiden - den Grad der Behinderung nicht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zu den bei der BF bestehenden Funktionseinschränkungen beruhen auf dem vom SMS (zuletzt) eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. R. H. vom 10.4.2020, wobei die Sachverständige die BF bereits am 9.12.2019 persönlich untersucht hatte.

Dazu ist zunächst zu betonen, dass dieses Sachverständigengutachten ausführlich begründet, schlüssig und nachvollziehbar ist und keine Widersprüche aufweist. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der klinischen Untersuchung am 9.12.2019 erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die von der BF (auch zuletzt) vorgelegten Befunde wurden von der Sachverständigen eingesehen und in die Einschätzung miteinbezogen.

Konkret ist auszuführen, dass bereits Dr. B. S. in seinem Gutachten vom 29.8.2019 nachvollziehbar zum Ergebnis gelangt war, dass der Grad der Behinderung der BF 40% beträgt. Da die BF jedoch in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme zusammengefasst auf starke Schmerzen verwies, wurde sie im Auftrag des SMS am von Dr. R. H. (erneut) untersucht. In ihrem Gutachten vom 29.12.2019 gelangte auch Dr. R. H. – nachvollziehbar – zum Ergebnis, dass der Grad der Behinderung der BF 40% beträgt. Aufgrund des Beschwerdevorbringens sowie der Vorlage neuer Befunde ersuchte das SMS Dr. R. H. um Erstellung eines weiteren (nunmehr dritten) Gutachtens, wobei diese in ihrem Gutachten vom 10.4.2020 betonte, dass sich auch unter Berücksichtigung sämtlicher neuer Befunde keine Änderung im Grad der Behinderung ergebe. Zu diesem dritten Gutachten hat die BF trotz Gelegenheit keine Stellungnahme abgegeben, sodass davon auszugehen ist, dass sie diesem Gutachten nicht entgegen zu treten vermag.

Abgesehen davon vermag der BF ihr Beschwerdevorbringen schon dem Grunde nach nicht zum Erfolg zu verhelfen:

In ihrer Beschwerde bemängelt die BF nicht konkret die jeweiligen Einschätzungen ihrer Leiden, sondern sie tritt nur dem angenommenen Gesamtgrad der Behinderung entgegen: So handle es sich bei den Problemen mit ihrem Daumensattelgelenk und den damit verbundenen – massiv verstärkten - Schmerzen um eine „erhebliche Einschränkung“, sodass die diesbezüglich eingeschätzten 20% (Pos. 2) zu den 40% (Pos. 1 betreffend Hals- und Lendenwirbelsäulenprobleme) „hinzugesprochen“ – gemeint somit: addiert – werden müssten. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 3 Abs 1 der Einschätzungsverordnung sind bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung aber die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren; maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. In dieser Hinsicht hat die Sachverständige aber nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die (führenden) Wirbelsäulenprobleme der BF (Pos. 1) nicht dermaßen in eine Wechselwirkung mit der Funktionseinschränkung des linken Daumens der BF (samt diesbezüglichen Schmerzen, Pos. 2) treten, dass sich dadurch der Gesamtgrad der Behinderung über 40% hinaus erhöhen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG (bzw. EStG) lauten:

§ 1. […] (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

[…]

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen […]

§ 35 EStG lautet auszugsweise:

§ 35. (1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

– durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

[…]

und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

[…]

– In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

[…]

3.3. Im konkreten Fall bedeutet dies:

Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom (zuletzt) 10.4.2020 ist - wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt - richtig, vollständig und schlüssig. Die aktuellen Funktionseinschränkungen der BF wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft, es ist bei der BF sohin von einem Grad der Behinderung von 40 vH auszugehen. Die BF erfüllt somit nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs 1 BBG.

Folglich ist die Beschwerde spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage betreffend Verfahren und Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses stützen.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.

Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).

Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage als geklärt.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L503.2231564.1.00

Im RIS seit

16.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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