TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 G305 2189086-1

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Veröffentlicht am 15.10.2020
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Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2189084-1/16E
G305 2189073-1/16E
G305 2189088-1/15E
G305 2189086-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran (BF1), 2.) der XXXX , geb. XXXX , StA. Irak (BF2), 3.) des XXXX , geb. XXXX (mj. BF3) und 4.) des XXXX , geb. XXXX (mj. BF4) die mj. BF 3und BF4 vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in Wien, gegen die jeweils zum XXXX .02.2018 datierten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zlen. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (mj. BF3) und XXXX (mj. BF4), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.08.2019, zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides werden gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Iran (BF1), 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak (BF2), 3.) XXXX , geb. XXXX (mj. BF3) und 4.) XXXX , geb. XXXX , die beiden minderjährigen Beschwerdeführer staatenlos, der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Ausreisestaat Irak zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Iran (BF1), 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak (BF2), 3.) XXXX , geb. XXXX (mj. BF3) und 4.) XXXX , geb. XXXX , die beiden minderjährigen Beschwerdeführer staatenlos, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte/r für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV.      In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am 03.08.2016 stellten die jeweils zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigten XXXX , geb. XXXX , StA. Iran (in der Folge: Erstbeschwerdeführer oder BF1), XXXX , geb. XXXX , StA. Irak (in der Folge: Zweitbeschwerdeführerin oder BF2), XXXX , geb. XXXX (in der Folge: minderjähriger Drittbeschwerdeführer oder mj. BF3) und der minderjährige XXXX , geb. XXXX (in der Folge: minderjähriger Viertbeschwerdeführer oder mj. BF4), vertreten durch die Mutter XXXX , vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am selben Tag wurden der BF1 und die BF2 von Organen der Polizeiinspektion Schattendorf niederschriftlich einvernommen.

Zu deen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 an, dass er gebürtiger Iraner sei und sich gefürchtet habe, sich selbst und seine Söhne im Irak zu melden bzw. hätten seine im Irak geborenen Kinder keinen gültigen Ausweis bekommen. Durch den Krieg seien Häuser zerstört und Menschen umgebracht worden, weshalb er um sein eigenes Leben und das seiner Familie Angst bekommen habe. Einen weiteren Fluchtgrund habe er nicht. Bei einer Rückkehr fürchte er, dass er und seine Familie im Krieg getötet werden würden. Mit staatlichen Sanktionen rechne er nicht.

Die BF2 bestätigte weitestgehend die Angaben ihres Ehemannes (Anm.: BF1) und gab an, dass dieser Iraner sei und durch den Bürgerkrieg im Irak Iraner getötet werden würden. Sie habe Angst um das Leben ihrer Kinder und um ihr eigenes. Weitere Gründe habe sie nicht. Bei einer Rückkehr fürchte sie, dass sie und ihre Familie im Krieg getötet werden würden. Mit staatlichen Sanktionen rechne sie nicht.

Zur Reiseroute befragt, gaben der BF1 und die BF2 übereinstimmend an, dass sie im Februar 2016 in die Türkei ausgereist und von dort ausgehend, nach einem Aufenthalt von ungefähr einem Monat, nach Griechenland gelangt wären. Dort hätten sie sich etwa vier Monate aufgehalten und seien erkennungsdienstlich behandelt worden. Von Griechenland aus seien sie durch Mazedonien nach Serbien gereist, wo sie sich etwa 25 Tage aufgehalten hätten. Nach fünf bis sechs Tagen in Ungarn samt erkennungsdienstlicher Behandlung hätten sie schlepperunterstützt Österreich erreicht. Die Reise sei durch Schlepper und die erwachsenen BF selbst organisiert worden.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab für den BF1 Treffer zu Griechenland und Ungarn ( XXXX und XXXX , vom XXXX ) und für die BF2 einen Treffer zu Ungarn ( XXXX , vom XXXX ).

Sämtliche BeschwerdeführerInnen stützen das Fluchtvorbringen auf die Fluchtgründe des BF1.

1.3. Am 22.08.2017 wurden der BF1 (in der Folge: Niederschrift-BFA I des BF1) und die BF2 (in der Folge: Niederschrift-BFA der BF2) um 09:00 Uhr und 13:10 Uhr von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen.

Der BF1 präzisierte seine Angaben zu seinen Fluchtgründen dahingehend, dass er Mitglied der XXXX gewesen sei und für diese in Dörfern und Schulen eine Zeitung (Kurdistan), CDs und Broschüren verteilt habe. Er habe seinem Vorgesetzten, XXXX , Personen genannt, die mit dem iranischen Regime zusammengearbeitet hätten. Zudem habe die Partei Peshmergaeinheiten geholfen. Ein Freund des BF1, namens XXXX , hätte im Jahr 2009 anlässlich des Norouz-Festes Broschüren übernehmen sollen. Bei einer Kontrolle durch den Geheimdienst Ettela’at sei er entdeckt worden und mit dem Auto geflohen. In einem nicht näher festgestellten Ort sei es zu einem Unfall gekommen und dieser Freund, sowie dessen Bruder XXXX festgenommen worden. Der Parteivorsitzende, XXXX , habe daraufhin dem BF1 hierüber berichtet und ihn zum Weggehen aufgefordert. Sodann habe ihn sein Vater nach XXXX (Anm.: damit ist der westiranische Ort XXXX gemeint) gefahren, wo er bei einem Freund des Vaters untergekommen sei. In XXXX , an der Grenze zum Irak, sei er von diesem Freund einem Schlepper übergeben worden und in den Irak gelangt. Da der Einfluss des iranischen Geheimdienstes in den kurdischen Gebieten auch im Irak zugenommen habe und Anschläge gegen Mitglieder iranischer Parteien verübt worden seien, habe er mit seiner Familie schlussendlich auch den Irak verlassen.

Er sei 2008 im Iran als 17jähriger von XXXX für die Partei angeworben worden, da dieser mit seinem Vater befreundet gewesen sei. Sein Vater verfüge jedoch nicht über eine Parteimitgliedschaft, sondern sei nur Sympathisant gewesen. Er selbst habe nie eine Mitgliedskarte bekommen, sondern lediglich seine Geburtsurkunde vorgelegt. Nach seiner Flucht in den Irak habe er sich nach XXXX begeben, um sich von einem Parteifunktionär namens XXXX eine Bestätigung zu holen. Zusammen mit einer Person namens XXXX habe er diese Bestätigung in XXXX (Irak), im Hauptquartier der Partei, abgegeben. Weder seine Eltern noch sein Bruder seien Mitglieder der Partei noch hätten diese von seiner Mitgliedschaft zur Partei gewusst. Nach seiner Ausreise aus dem Iran sei das Haus von XXXX durchsucht worden. Auch sei das Haus seines Vaters durchsucht und dieser mitgenommen worden. Der BF1 will davon über Umwege von einem Onkel mütterlicherseits erfahren haben, der wiederum den Freund seines Vaters, bei dem er aufhältig gewesen sein soll, angerufen haben will. Bis zu seiner Flucht aus dem Irak nach Österreich habe der iranische Geheimdienst seinen Vater zweimal jährlich aufgefordert, ihn zu übergeben.

Die BF2 bestätigte die Angaben des BF1 und gab an, niemals selbst bedroht worden zu sein. Ein Nachbar im Irak, der auch bei der Partei gewesen sein soll, sei durch eine Bombe getötet worden. Die Bedrohung sei ausschließlich von Seiten des Iran gekommen. Es habe nie direkte Angriffe auf die Familie der beschwerdeführenden Parteien (in der Folge so oder kurz; bfP) gegeben. Nach der Ausreise des BF1 aus dem Irak sei nicht mehr nach ihm gefragt worden, auch hätten Verwandte nichts hiervon berichtet. Die Kinder hätten jedoch keine irakischen Dokumente bekommen, da ihr Vater Iraner gewesen sei.

Bei diesen Einvernahmen wurden Ausweisdokumente, eine Mitgliedschaftsbestätigung zur XXXX des BF1 und Fotos vorgelegt.

1.4. Am 15.01.2018 ab 09:00 Uhr fand eine ergänzende Einvernahme des BF1 vor einem Organ des BFA statt (in der Folge: Niederschrift-BFA II des BF1).

Der BF1 gab an, dass er sich von März 2009 bis Februar 2016 illegal im Irak aufgehalten habe und beantwortete vertiefende Fragen zu seiner Parteimitgliedschaft, seiner Tätigkeit für die Partei und zu seinen familiären Verhältnissen und jenen seiner Frau, der BF2. Er erwähnte auch, dass der Sohn von XXXX ermordet worden sei, als sich der BF1 bereits in Österreich befunden habe. Zudem habe es Anschläge auf die Parteizentrale im Irak gegeben. Da er selbst Iraner sei und seine Frau Irakerin, hätten seine beiden Söhne keine Dokumente oder die irakische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen. Freunde des BF1 seien vom Geheimdienst Ettela‘at festgenommen und das Elternhaus um drei Uhr nachts durchsucht worden, er selbst habe sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits in XXXX befunden.

1.5. Mit jeweils zum XXXX .02.2018 datierten Bescheiden der belangten Behörde, wies das BFA die Anträge der beschwerdeführdenden Parteien (im der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 03.08.2016 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass den bfP in deren Herkunftsstaaten keine Verfolgung drohen würde. Da die Ehe der BF1 und BF2 in den Papieren der BF2 eingetragen sei, müsse der BF1 auch einen offiziellen Aufenthalt im Irak gehabt haben. Zudem stehe ein illegaler Aufenthalt des BF1 den von diesem angegebenen Behördenwegen zur Dokumentenbeschaffung für die beiden Söhne in Widerspruch. Auch sei unklar, wie der BF1 zu seiner Bestätigung der Parteimitgliedschaft kommen konnte, da er doch selbst über keinerlei Dokumentation verfügte.

1.6. Gegen diese Bescheide erhoben die bfP fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, worin sie erklärten, dass sie den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechten und die Beschwerde mit den Anträgen verbinden, dass 1.) die angefochtenen Bescheide zur Gänze behoben und ihnen allenfalls nach Verfahrensergänzung der Status des/der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden möge, 2.) in eventu möge festgestellt werden, dass die Abschiebung in unterschiedliche Heimatstaaten gemäß § 50 FPG unzulässig sei, 3.) gemäß § 8 Abs. 4 AsylG möge ihnen eine für ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werden, 4.) die verhängte Ausweisung wegen unzulässiger Trennung der Familie ersatzlos behoben werden und 5.) möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt werden. In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass es auch im Irak immer wieder zu Säuberungsaktionen durch den iranischen Geheimdienst gekommen sei.

1.7. Am 13.03.2018 wurden die gegen die im Spruch näher bezeichneten Bescheide erhobenen Beschwerden samt den dazugehörigen Verwaltungsakten der beschwerdeführenden Parteien dem BVwG vorgelegt.

1.8. Mit Eingabe vom 03.10.2018 gab Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in Wien, die ihr von den bfP erteilte Vollmacht bekannt und übermittelte eine Beschwerdeergänzung. Darin brachte sie zusammengefasst vor, dass die belangte Behörde nicht berücksichtigt hätte, dass beide minderjährigen BF bereits im Irak geboren wurden. Die vom BFA herangezogenen Länderberichte beträfen ausschließlich den Iran und ließen die Lage im Irak, aus welchem sämtliche BF geflohen seien, gänzlich außer Acht. Zudem sei die Situation in den kurdischen Regionen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der mj. BF4 leide an einer seltenen Stoffwechselerkrankung, welche dazu führe, dass bei ihm ein globaler Entwicklungsrückstand bestehe und er körperlich und geistig behindert sei. Dies erfordere eine Betreuung rund um die Uhr.

Mit derselben Eingabe wurden Befunde des mj. BF4, Fotos des BF1 bei Parteiaktivitäten sowie mehrere Empfehlungsschreiben und Integrationsbestätigungen übermittelt.

1.9. Über Anforderung durch das Bundesverwaltungsgericht langte am 04.06.2020 ein ärztliches Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand des mj. BF4 ein.

1.10. Mit Eingabe vom 14.07.2020 übermittelten die bfP dem Bundesverwaltungsgericht diverse Bestätigungen als Beleg für deren Aufenthaltsverfestigung.

1.11. Anlässlich einer am 24.07.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden der BF1 und die BF2 im Beisein ihrer Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV) und einer Dolmetscherin für die Sprache Kurdisch/Kurmanji einvernommen. In der Folge gaben die bfP Wege ihrer Rechtsvertretung eine zum 22.07.2020 datierte schriftliche Stellungnahme zur Parteimitgliedschaft des BF1 und zur Situation, in der sich die Partei befunden haben soll, ab.

1.12. Mit Eingabe vom 27.08.2020 langte beim BVwG ein Pflegegeldbescheid für den mj. BF4 ein.

1.13. Am 21.09.2020 langte eine (von Amts wegen eingeholte) ACCORD-Anfragebeantwortung zur Behandlungsmöglichkeit von globalen Entwicklungsverzögerungen und zur Lage der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF1 führt die im Spruch angegebene XXXX , geb. XXXX , und ist iranischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der Kurden an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist Kurdisch Kurmanji [Übersetzung Geburtsurkunde Akt BF1 AS 127; VH-Niederschrift S. 3 und S.5].

Er ist mit der BF2, einer irakischen Staatsangehörigen die die im Spruch angegebene Identität XXXX , geb. XXXX , führt, verheiratet. Sie gehört der Ethnie der Kurden an und bekennt sich, wie der BF1, zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Ihre Muttersprache ist Kurdisch Kurmanji und Sorani [Personalausweis- und Staatsbürgerschaftsnachweiskopie Akt BF2 AS 117ff; Niederschrift-BFA der BF2 AS 103; VH-Niederschrift S. 3].

Der BF1 und die BF2 heirateten im XXXX 2009 traditionell in XXXX /Irak [Niederschrift-BFA I des BF1 AS 105; Verhandlungsniederschrift S. 6].

Das Paar hat zwei Kinder und zwar den mj. BF3 ( XXXX , geb. XXXX ), und den mj. BF4 ( XXXX , geb. XXXX ). Die beiden minderjährigen BF wurden im Irak geboren [VH-Niederschrift S. 6].

Die beschwerdeführenden Parteien haben ihren Hauptwohnsitz seit dem XXXX .10.2016 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .10.2016 an der Anschrift XXXX ) und sind strafgerichtlich unbescholten [Auszug aus dem Zentralen Melderegister - ZMR; Strafregisterauszug].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Die bfP sind zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Februar 2016 in die Türkei ausgereist und von dort ausgehend, nach einem Aufenthalt von ungefähr einem Monat, nach Griechenland gelangt, wo sie sich ungefähr vier Monate lang aufhielten und erkennungsdienstlich behandelt wurden. Von Griechenland aus reisten sie durch Mazedonien nach Serbien, von wo aus sie nach etwa 25 Tagen nach Ungarn aufbrachen. Nach fünf bis sechs Tagen in Ungarn, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurden, gelangten sie schlepperunterstützt nach Österreich. Die Reise wurde durch Schlepper und die erwachsenen BF selbst organisiert [Erstbefragung BF1 und BF2 AS 19f und AS 7f].

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage ergabt Treffer für den BF1 zu Griechenland und Ungarn, für die BF2 ausschließlich zu Ungarn [EURODAC-Abfrageberichte in den Akten zu BF1 und BF2; IZR-Auszüge der BF1 und BF2]

1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Parteien im Heimatstaat:

Bis zu ihrer Ausreise lebten die bfP in XXXX (Irak) in einem Mietshaus [Niederschrift-BFA I des BF1 und Niederschrift-BFA der BF2 jeweils AS 105; VH-Niederschrift S. 8].

Im Iran besuchte der BF1 6 Jahre die Grundschule und fünf Jahre eine Allgemeinbildende höhere Schule. Über eine Berufsausbildung verfügt er nicht. Im Iran arbeitete er in der Landwirtschaft seines Vaters, im Irak von 2009 bis zur Flucht 2016 als Maler, Anstreicher und Fliesenleger. Mit seinen Einkünften konnte er seine Familie ernähren und Dinge des täglichen Bedarfs erwerben [Niederschrift-BFA I des BF1 AS 107; VH-Niederschrift S. 6f].

Die BF2 hat im Irak sechs Jahre die Grundschule und fünf Jahre eine Allgemeinbildende höhere Schule besucht. Sie verfügt über keine Berufsausbildung, für ihren Lebensunterhalt kam bis zu ihrer Eheschließung der Vater, danach der BF1 auf [Niederschrift-BFA der BF2 AS 141; VH-Niederschrift S. 7].

Die noch minderjährigen BF3 und BF4 verließen den Irak mit knapp vier und zweieinhalb Jahren.

Die bfP haben in Iran und im Irak verbliebene Familienangehörige.

Die Eltern des BF1, XXXX , etwa XXXX Jahre alt und XXXX Jahre leben in XXXX (Iran). Der Bruder des BF1, XXXX lebt im selben Ort wie seine Eltern. Die Eltern des BF1 sind XXXX . Der Bruder ist XXXX , unverheiratet und treffen ihn keine Sorgepflichten. Alle drei Personen leben in einem Haus, welches im Eigentum der Familie steht. Der BF1 hat monatlich mittels Internettelefonie Kontakt zu seinem Bruder, welcher über die familiäre Situation berichtet. Nach dessen Auskünften geht es der Familie des BF1 in Iran gut, die Mutter leide jedoch an Diabetes. Der Vater des BF1 wurde im Jahr 2019 vom iranischen Geheimdienst Ettela’at zum Verbleib des Erstbeschwerdeführers befragt [EBF des BF1 AS 15; VH-Niederschrift S. 9f].

Die Eltern der BF2 sind verstorben. Sie hat zwei Schwestern und fünf Halbgeschwister, nachdem der Vater nach dem Tod ihrer Mutter ein zweites Mal heiratete. Die Schwestern XXXX (wohnhaft in XXXX ) und XXXX (wohnhaft in XXXX ) sind verheiratet, die Halbgeschwister leben bei der Stiefmutter der BF2, sind unverheiratet und zwischen acht und 19 Jahren alt. Die Schwestern der BF1 haben fünf und zwei Kinder in zum Teil schulpflichtigen Alter. Die BF2 steht mit einer Schwester und einem Halbbruder in Kontakt mittels Internettelefonie. Den Geschwistern, zu welchen die BF2 Kontakt hat geht es gut, sie können jeweils den Bedarf an Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs aus nahegelegenen Basaren decken, Trinkwasser kann direkt aus der Wasserleitung entnommen werden. Die schulpflichtigen Kinder können in ihren Wohnorten jeweils Schulen besuchen [VH-Niederschrift S. 11f].

Während der BF1 ausschließlich in Iran familiäre Anknüpfungspunkte hat, verfügt die BF2 mit einer in XXXX lebenden XXXX samt deren Familie über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich. Zu dieser Cousine besteht jedoch keinerlei finanzielle Abhängigkeit oder ein Obsorgeverhältnis [VH-Niederschrift S.14f]. Die Angehörigen der im jeweiligen Herkunftsstaat aufhältigen Mitglieder der Kernfamilien des BF1 und der BF2 führen dort ein unbehelligtes Leben und leiden sie an keiner wirtschaftlichen Not.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:

Der BF1 ist seit dem Jahr XXXX bis dato einfaches Mitglied der XXXX . Während seines Aufenthaltes im Iran betätigte er sich in dieser Partei mit dem Verteilen von Broschüren, Flyern und CDs und versorgte kurdische Peshmergas mit Essen. Der BF1 war in dieser Partei zu keinem Zeitpunkt in führender Funktion tätig. Auch wurde er nie i Fernsehen oder bei Interviews gezeigt. In der Partei nahm er die Funktion eines untergeordneten Mitläufers ein. Auch nach seiner Ausreise in den Irak blieb er in der Partei als (einfaches) Mitglied und betätigte sich darin in untergeordneter Rolle. Seine Parteimitgliedschaft gab er auch nach seiner Ankunft in Österreich nicht auf. Auch hier ist er einfaches Parteimitglied und nahm an Demonstrationen teil. Auch in Österreich ist er in der Partei ohne offizielle Funktion [Niederschrift-BFA I des BF1 AS 109f; Niederschrift-BFA II des BF1 AS 161ff; VH-Niederschrift S. 7ff; Zeugenaussage in VH-Niederschrift S. 20ff].

Die übrigen Beschwerdeführer waren zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates. Mit der Polizei, den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden der jeweiligen Herkunftsstaaten (Iran bzw. Irak) hatte keine der beschwerdeführenden Parteien je ein Problem [VH-Niederschrift S. 10f].

Auch hatten die bfP weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses, noch auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit asylrechtlich relevante Probleme. Sie waren nie einer individuellen und aktuellen Verfolgung durch Milizen bzw. allgemein durch Islamisten oder Bedrohungen Seiten der iranischen Regierung ausgesetzt.

Sie haben den Herkunftsstaat weder aus politischen Gründen, noch aus religiösen Gründen, noch aus Gründen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie des Herkunftsstaates, noch aus sonstigen asylrelevanten Gründen verlassen.

Die mj. BF3 und BF4, vertreten durch die BF2, haben keine eigenen Fluchtgründe ins Treffen geführt und stützten sie ihre Gründe für ihre Ausreise und den Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich auf die vom Vater genannten Fluchtgründe.

Insgesamt vermochten die beschwerdeführenden Parteien eine asylrelevante Bedrohung bw. Verfolgung im jeweiligen Herkunftsstaat nicht glaubhaft zu machen.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten der bfP und deren Situation im Bundesgebiet:

Der BF1 hat nachweislich einen Deutschkurs für das Niveau A1 und einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF besucht [Bestätigungen Verein XXXX AS 123; Konvolut ab AS 183; diverse Bestätigungen und Empfehlungsschreiben in OZ 7 und 9 jeweils im Akt des BF1]. Die BF2 hat einen Deutschkurs für das Niveau A1 besucht und nahm an Integrationsveranstaltungen des „ XXXX “ teil. Für sie liegt ein Zeugnis der Integrationsprüfung A2 vor [Teilnahmebestätigungen und Zeugnisse in OZ 8 und 10 im Akt der BF2]. Der mj. BF3 ist derzeit Schüler einer öffentlichen Schule in XXXX und aktives Mitglied eines Fußballvereins [Spielerpass in OZ 7; diverse Schulzeugnisse in OZ 7 und 9 im Akt des BF1]. Die erwachsenen BF helfen zudem in einem Verein für nach Österreich gekommene Flüchtlinge aus, der BF1 hat weiters eineinhalb Jahre unentgeltlich in einem Altersheim gearbeitet [VH-Niederschrift S. 16].

Der BF1 und der mj. BF3 sind gesund, die BF2 nimmt wegen Blutarmut Tabletten, ist jedoch frei von sonstigen chronischen Leiden oder Gebrechen [VH-Niederschrift S. 4f]

Der mj. BF4 weist aufgrund einer Stoffwechselerkrankung eine globale Entwicklungsstörung auf. Dies hat zur Folge, dass sein Hör- und Denkvermögen eingeschränkt sind [Ärztliche Befunde des mj. BF4 in OZ 7 und OZ 9; Pflegegeldbescheid in OZ 14; VH-Niederschrift S. 13f; Niederschrift-BFA der BF2 AS 103 und auf AS 67 im Akt des mj. BF4]. Er wurde für höchstens fünf Monate zur Beobachtung am XXXX aufgenommen [Schreiben der XXXX in OZ 9]. Seine gesundheitliche Situation hat sich dahingehend gebessert, als eine hochkalorische Ernährung alle drei Stunden nicht mehr von Nöten ist [Befund in OZ 9]. Der gesundheitliche Zustand des mj. BF4 kann aufgrund des eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten Dris. XXXX [Gutachten in OZ 9 im Akt des mf. BF4] als nicht lebensbedrohlich eingestuft werden.

Der BF1 ist seit Mai 2020 bei einem XXXX als XXXX angestellt und bringt hier etwa EUR 1.300 brutto monatlich ins Verdienen. Die BF2 war im Jahr 2018 als Haushälterin tätig [AMS-Bescheid und Dienstzettel in OZ 9; AJ-Web Auszug; VH-Niederschrift S. 15f].

Die bfP beziehen zusätzlich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung [GVS-Auszug].

Darüberhinausgehende Integrationsschritte wurden vorgebracht.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war diese Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Anlassbezogen ist jedoch nicht hervorgekommen, dass der BF1, auf dessen Vorbringen sich sämtliche bfP stützen, einer asylrelevanten Bedrohung durch irakische Sicherheitsbehörden oder andere offizielle Stellen des Irak ausgesetzt gewesen wäre.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 07.10.2020

-        - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 07.10.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 07.10.2020

-        - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 07.10.2020

-        - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 07.10.2020

-        - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 07.10.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 07.10.2020

-        - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 07.10.2020

1.6.1. Kinder

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 11.3.2020).

Die Grundschulbildung ist für Kinder, mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).

Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 20.6.2019). Auch Kinderprostitution ist ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der KRI elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).

Anlassbezogen kam nicht hervor, dass die minderjährigen Beschwerdeführer bei einer Rückkehr der sich aus den Länderberichten beschriebenen Lage von Kindern im Herkunftsstaat ausgesetzt sein könnten, zumal der BF1 die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Zu den Angehörigen der im Irak aufhältigen, dort unbehelligt lebenden Kernfamilie der BF2 und zu den Familienmitgliedern des BF1 besteht Kontakt. Den Angehörigen beider Kernfamilien geht es gut. Abgesehen davon war der BF1 während des Aufenthaltes im Irak in der Lage, sich und die übrigen Beschwerdeführer mit den von ihm ausgeübten Erwerbstätigkeiten gut zu versorgen. Die vor den Organen der Sicherheitsbehörde und der belangten Behörde unsubstantiiert vorgebrachten Fluchtgründe betrafen ausschließlich Situationen, welchen der BF1 selbst nicht ausgesetzt war, sondern die er von seinen Eltern oder anderen Personen erzählt bekam. Einen direkten Kontakt zu Mitgliedern der iranischen Regierung auf irakischem Hoheitsgebiet schlossen sowohl der BF1 als auch die BF2 aus. Beide gaben zudem an, dass sie bei einer allfälligen Rückkehr in den Herkunftsstaat keinerlei Repressionen von staatlicher irakischer Seite zu befürchten hätten.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 07.10.2020

-        - HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): “Everyone Must Confess” Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458729/4792_1552027742_iraq0319-web-1.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - Migrationsverket (Schweden) (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - New Arab, The (8.3.2019): The Iraq Report: Thousands of children tortured by Iraqi authorities, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/3/8/the-iraq-report-thousands-of-children-tortured-by-authorities, Zugriff 07.10.2020

-        - UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.12.2019): Iraq 2019 Humanitarian Situation Report, https://www.unicef.org/appeals/files/Iraq_Humanitarian_Situation_Report_End_of_Year_2019.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (19.11.2018): Deep inequality continues to shape the lives of children in Iraq, https://www.unicef.org/press-releases/deep-inequality-continues-shape-lives-children-iraq, Zugriff 07.10.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq-analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national, Zugriff 07.10.2020

-        - UN News – United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace – UNICEF, https://news.un.org/en/story/2018/01/1000811, Zugriff 07.10.2020

-        - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 07.10.2020

-        - USDOS - United States Department of State (20.6.2019): 2019 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010829.html, Zugriff 07.10.2020

-        - USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 07.10.2020

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war zuletzt im Irak als Maler, Anstreicher und Fliesenleger tätig; in Iran arbeitete er in der Landwirtschaft des Vaters. Sohin gehörte er keiner der im Irak als „gefährdet“ angesehenen Berufsgruppen an. Eine asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung im Zusammenhang mit der von ihm im Irak ausgeübten Erwerbstätigkeit wurde zu keinem Zeitpunkt behauptet oder bewiesen. In der kurdischen Partei war er einfaches Mitglied und war dort lediglich in einer untergeordneten Position – ohne Exponierung tätig.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 07.10.2020

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben maximal eine Stunde vom nächstgelegenen Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, doch haben viele aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF1 und der mj. BF3 sind gesund, die BF2 leidet unter Blutarmut, bezeichnete sich selbst jedoch vor dem Bundesverwaltungsgericht als frei von chronischen Erkrankungen, Leiden oder Gebrechen. Dem mj. BF4 wurde eine globale Entwicklungsstörung diagnostiziert, welche eine Einschränkung seines Hör- und Denkvermögens zur Folge hat. Er wird logopädisch und ergotherapeutisch behandelt und besucht derzeit ein XXXX . Die mit 21.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangte ACCORD-Anfragebeantwortung verdeutlicht, dass eine Behandlung des mj. BF4, dessen gesundheitlicher Zustand als nicht lebensbedrohlich eingestuft werden kann [Gutachten in OZ 9 im Akt des mj. BF4], im Irak möglich ist, zumal es speziell in den Ballungsräumen wie XXXX und XXXX seit dem Jahr 2015 Einrichtungen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt [ACCORD-Anfragebeantwortung in OZ 15].

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 07.10.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 07.10.2020

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 07.10.2020

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 07.10.2020

1.7. Aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass sie mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Irak etwa wegen ihres Religionsbekenntnisses, ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Kurden oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätten. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass sie oder die Angehörigen ihrer Kernfamilie politisch aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten, zumal dies von den erwachsenen Beschwerdeführern vor dem BVwG explizit ausgeschlossen wurde.

Im Beschwerdeverfahren, welches auch der Ermittlung ihrer Lebensumstände vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat diente, kam hervor, dass die bfP keinen staatlichen Akten ausgesetzt waren, die ausschließlich ihnen gegolten hätten und von den irakischen Behörden ausgeübt worden wären.

Die beschwerdeführenden Parteien, allen voran der BF1, hatten zu keinem Zeitpunkt direkten Kontakt mit Angehörigen irakischer Behörden noch iranischen Sicherheitskräften, welche auf irakischem Hoheitsgebiet operieren. Auch wurde kein Mitglied der beschwerdeführenden Familie je dazu angeworben, für eine Miliz zu kämpfen oder für iranische Regierungseinheiten auf irakischem Gebiet tätig zu werden.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass auch nur einer der Beschwerdeführer mit Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtungen Probleme gehabt hätte.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF1 und der BF2 anlässlich ihrer Befragung durch die Organe der belangten Behörde und deren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Parteien:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die von den volljährigen BF1 und BF2 vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten Dokumente und Urkunden. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person er Beschwerdeführer im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Dass es sich bei beiden minderjährigen Beschwerdeführern entgegen der Annahme der belangten Behörde um zwei staatenlose Personen handelt ergibt sich aus der Tatsache, dass sie als Kindern einer Irakerin und eines Iraners im Irak geboren wurden und für diese keinerlei Ausweisdokumente oder Bestätigungen über deren Staatsangehörigkeit vorliegen.

Die zu ihrer Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

Die Konstatierungen zur schulischen Ausbildung des BF1 und der BF2 sowie dass der BF1 im Irak den Lebensunterhalt der Familie durch die in den Feststellungen näher beschriebenen Tätigkeiten bestreiten konnte, gründen auf den eigenen Angaben des BF1 und der BF2 anlässlich ihrer stattgehabten PV in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf deren Angaben vor der belangten Behörde [Niederschrift-BFA I des BF1 AS 107; Niederschrift-BFA der BF2 AS 141, VH-Niederschrift S. 7].

Die Feststellungen zu den im Herkunftsstaat aufhältigen Familienmitgliedern der bfP und den Kontakten zu diesen, sowie die zu ihrer Situation getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des BF1 und der BF2 anlässlich ihrer PV vor dem Bundesverwaltungsgericht [VH-Niederschrift S. 10 und 12ff].

Die Konstatierungen zum gesundheitlichen Zustand der bfP ergeben sich aus den Angaben, die der BF1 und die BF2 diesbezüglich vor dem Bundesverwaltungsgericht und der belangten Behörde machten. Die Feststellungen, wonach der der mj. BF4 unter einer globalen Entwicklungsverzögerung leidet und die damit einhergehende Einschränkung des Hör- und Denkvermögens ergeben sich aus den eingelangten ärztlichen Befunden, deren Echtheit nicht in Zweifel steht [OZ 7 und OZ 9], sowie dem zuletzt eingelangten Pflegegeldbescheid [OZ 14]. Dass sich der gesundheitliche Zustand des mj. BF4 leicht gebessert hat, ergibt sich ebenso aus den aktenkundigen Befunden und dem medizinischen Sachverständigengutachten [OZ 9 im Akt des mj. BF4]. Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat konnten anhand der eingeholten ACCORD-Anfragebeantwortung [OZ 15] festgestellt werden.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das Vorbringen der bfP zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu ihrer Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf den Angaben des BF1 vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben. Die Konstatierungen zu den Grünen für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat in Hinblick auf die BF2 und die minderjährigen Beschwerdeführer stützen sich im Wesentlichen auf die Angaben des BF1 und der BF2.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF1 angegeben, dass er gebürtiger Iraner sei und sich gefürchtet habe, sich selbst und seine Söhne im Irak zu melden. Durch den Krieg seien Häuser zerstört und Menschen umgebracht worden, weswegen er Angst um sein Leben und jenes seiner Familie bekommen habe. Einen weiteren Fluchtgrund nannte er nicht. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat bzw. jenen Staat (Irak), in dem er sich zuletzt aufhielt, fürchte er sich davor, dass er und seine Familie im Krieg getötet werden könnten. Mit staatlichen Sanktionen rechne er jedoch nicht.

Anlässlich seiner Einvernahmen vor dem BFA präzisierte er seine Angaben zu seinen Fluchtgründen dahingehend, dass er Mitglied der XXXX gewesen sei und für diese in Dörfern und Schulen eine Zeitung (Kurdistan), CDs und Broschüren verteilt habe. Er habe seinem Vorgesetzten XXXX Personen genannt, die mit dem iranischen Regime zusammengearbeitet hätten. Zudem habe die Partei Peshmergaeinheiten geholfen. Ein Freund des BF1, namens XXXX , hätte 2009, anlässlich des Norouz-Festes, Broschüren übernehmen sollen. Bei einer Kontrolle durch den Geheimdienst Ettela’at sei dieser Freund entdeckt worden und mit dem Auto geflohen. In einem Ort sei es zu einem Unfall gekommen und seien sein Freund und dessen Bruder XXXX festgenommen worden. Der Parteivorsitzende, XXXX , habe daraufhin dem BF1 hierüber berichtet und ihn aufgefordert, weg zu gehen. Sein Vater habe ihn nach XXXX (Anm.: Hier ist der westiranische Ort XXXX gemeint) gefahren, wo er bei einem Freund des Vaters untergekommen sei. In XXXX , an der Grenze zum Irak, sei er von diesem Freund einem Schlepper übergeben worden und in den Irak gelangt. Da der Einfluss des iranischen Geheimdienstes in den kurdischen Gebieten auch im Irak zugenommen habe und Anschläge gegen Mitglieder iranischer Parteien verübt worden seien, habe er mit seiner Familie schlussendlich den Irak verlassen.

XXXX will der BG1 im Iran als 17jähriger von XXXX für die Partei angeworben worden sein, da dieser mit seinem Vater befreundet gewesen sei. Der Vater des BF1 verfüge jedoch nicht über eine Parteimitgliedschaft, sondern sei nur ein Sympathisant gewesen. Er selbst habe nie eine Mitgliedskarte bekommen, sondern lediglich seine Geburtsurkunde vorgelegt. Nach seiner Flucht in den Irak habe er sich nach XXXX begeben, um sich von einem Parteifunktionär namens XXXX eine Bestätigung zu holen. Zusammen mit einer Person namens XXXX habe er in XXXX (Irak) diese Bestätigung in einer Abteilung für Untergrundorganisationen im Hauptquartier der Partei, einer Festung, abgegeben. Weder seine Eltern noch sein Bruder seien Mitglieder der Partei noch hätten sie von der Mitgliedschaft des BF1 gewusst. Nach seiner Ausreise aus dem Iran soll das Haus von XXXX durchsucht worden sein. Auch das Haus seines Vaters soll durchsucht und dieser mitgenommen worden sein. Der BF1 will davon über Umwege von einem Onkel mütterlicherseits erfahren haben. Bis zu seiner Flucht aus dem Irak nach Österreich soll der iranische Geheimdienst den Vater des BF1 zweimal jährlich dazu aufgefordert haben, ihn zu übergeben.

Im Iran aufhältige Freunde des BF1 seien verhaftet worden und hätten diese seinen Namen verraten. Nach seiner Flucht in den Irak habe er weiterhin an Demonstrationen teilgenommen und sei für die Partei tätig gewesen. Der Einfluss des iranischen Geheimdienstes Ettela’at sei auch im Irak immer größer geworden und es sei zu Bombenanschlägen auf die Parteizentrale in XXXX gekommen und auch eine Polizeizentrale sei angegriffen worden. In den Jahren 2009 und 2015 habe Ettela’at die Eltern des BF in den Irak gesendet um ihn zur Rückkehr zu bewegen.

Während die Fluchtroute und deren Ablauf glaubhaft geschildert und von den Beschwerdeführern aus eigenem korrigiert wurden, konnten weder der BF1 noch die BF2 asylrechtlich relevante Fluchtgründe glaubhaft machen.

Wenn der BF1 angibt, wegen seiner Parteizugehörigkeit vom iranischen Geheimdienst verfolgt zu werden, so scheint diese Angabe nicht glaubhaft. Vorgelegte Fotos aus der Zeit in Österreich belegen zwar die (in untergeordneter Funktion ausgeübten) parteipolitischen Aktivitäten des BF1, für die Zeit im Iran und im Irak konnte er jedoch neben einer Zeugenaussage im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung keinerlei substantiierte Belege oder Bilder vorweisen, die eine aktive, nach außen hin sichtbare Parteimitgliedschaft belegen könnten. Selbst bei Wahrunterstellung seiner Behauptung, aktiv als Parteimitglied tätig gewesen zu sein, lassen seine Angaben darauf schließen, dass er lediglich in untergeordneter, der Öffentlichkeit verborgen gebliebener Funktion tätig war. Von der Parteimitgliedschaft des BF1 will die BF2 erst beim Kennenlernen im Jahr 2009 erfahren haben; zu diesem Zeitpunkt soll sie auf die daraus resultierende mögliche Gefahrenlage hingewiesen worden sein. Wenn man den Angaben der bfP und jener in den Beschwerdeschriften folgt, dass Parteimitgliedern aus Sicherheitsgründen keine Dokumente ausgestellt worden seien und die einzelnen Zellen nur drei Personen umfassten, erscheinen seine Angaben insofern zweifelhaft und unglaubwürdig, zumal er keinerlei Dokumentation in Form von Bildern oder anderen Beweismitteln über diesen Zeitraum von etwa acht Jahren bis zu seiner Flucht vorlegen konnte. Zudem will er der Partei im Jahr XXXX beigetreten sein und bereits ein Jahr später den Iran verlassen haben, da die vermeintliche Bedrohung durch das iranische Regime zu groß und er einer Verfolgung aussetzt gewesen sei. Unklar ist in diesem Zusammenhang, warum er dann im Irak - etwa sieben Jahre hindurch - nahezu unbehelligt leben konnte. Vor der belangten Behörde hatte der BF1 erwähnt, dass der Geheimdienst Ettela’at lediglich in den Jahren 2009 und 2015 die Eltern des BF1 gesendet haben soll, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Wenn der Geheimdienst tatsächlich ein gesteigertes Interesse an einer Rückführung des BF1 ob seiner Tätigkeit für die Partei gehabt hätte und man diesem unterstellt, auch auf fremden Hoheitsgebiet Akte zu setzen, kann nicht nachvollzogen werden, weshalb über einen Zeitraum von sieben Jahren lediglich zweimal vertraute Personen geschickt worden seien, ohne dass weitere Schritte gesetzt wurden, um sich des BF1 habhaft zu machen und ihn in den Iran zurückzuholen oder diesen sogar auszuschalten. Unter der Annahme der starken Präsenz des Ettela’at auf irakischem Hoheitsgebiet und der von der Rechtsvertretung dargestellten Angriffe auf die Parteizentrale in XXXX scheint es nicht glaubhaft, dass der BF1 über einen so langen Zeitraum in beiden Ländern keinerlei direkten Kontakt mit iranischen oder irakischen Sicherheitskräften oder Behörden gehabt haben soll, zumal er vor dem BFA noch angegeben hatte, dass der Geheimd

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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