TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/16 W118 2194052-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2020
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Entscheidungsdatum

16.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W118 2194052-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. ECKHARDT über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der nunmehrige Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 10.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2.       Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.09.2016 und der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.03.2018 begründete der Beschwerdeführer die Antragstellung im Wesentlichen mit einem Grundstücksstreit, im Zuge dessen der Vater des Beschwerdeführers bereits getötet worden sei.

3.       Mit dem angefochtenem Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG „2 Wochen“ ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, von einer aktuellen Bedrohung nicht auszugehen und die vorgebrachte Fluchtgeschichte darüber hinaus unglaubhaft sei. Der Beschwerdeführer könne sicher nach Kabul zurückkehren, wo er zumutbare Lebensbedingungen vorfinden würde.

4.       Hiegegen wurde Rechtsmittel erhoben und der Bescheid zur Gänze angefochten. In der Begründung wurde kurz das Vorbringen des Beschwerdeführers zusammengefasst, auf eine Verletzung der Ermittlungspflichten durch das Bundesamt hingewiesen und betreffend die Situation in Afghanistan aus zahlreichen Länderberichten zitiert, die vorwiegend aus den Jahren 2017 und 2018 datieren. Zur Einvernahme durch die belangte Behörde wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei damals sehr übermüdet gewesen und habe teilweise Details und Sachverhalte vergessen anzugeben oder sogar falsch geantwortet. Zu einer Asylrelevanz der Angaben des Beschwerdeführers wurde aufgeführt, dass diesem Verfolgung aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten und der Möglichkeit, als ältester Sohn des getöteten Vaters Blutrache nehmen zu wollen, sowie aufgrund eines ihm unterstellten Werteabfalls Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer befinde sich überdies im wehrfähigen Alter.

5.       Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 30.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6.       Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die Rechtssache mit Datum vom 10.07.2019 neu zugewiesen.

7.       Am 13.02.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.

8.       Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.09.2020 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte betreffend die generelle Lage in Afghanistan einschließlich der derzeitigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zur Kenntnis gebracht und Gelegenheit eingeräumt, hiezu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer wurde überdies aufgefordert, innerhalb der genannten Frist auch etwaige Änderungen in persönlicher Hinsicht (Integration, Familienleben, etc.) anzugeben, die seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.01.2020 gegebenenfalls eingetreten sind.

9.       Im Rahmen der hiezu eingebrachten Stellungnahme vom 29.09.2020 erstatte der Beschwerdeführer insbesondere Vorbringen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und brachte überdies vor, dass die Städte Herat und Mazar-e Sharif nicht mehr sicher auf dem Luftweg zu erreichen seien. Da es an fundierten, ausreichend aktuellen Länderberichten fehle, werde die Einholung eines Gutachtens der länderkundigen Sachverständigen für Afghanistan Friederike Stahlmann beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Unterlagen sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, aktualisiert mit 21.07.2020; EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019; EASO, Afghanistan – Anti-Government Elements (AGEs), August 2020; EASO, Afghanistan – Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen, Dezember 2017; EASO, Afghanistan – Security Situation, Juni 2019; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.07.2020; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018; ACCORD, ecoi.net-Themendossier „Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan“ vom 26.08.2020; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Networks, Jänner 2018; EASO, Afghanistan – Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, August 2020; ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 05.06.2020 und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, 27.07.2020.

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 10.09.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in der afghanischen Provinz Parwan geboren, hat anschließend mit seiner Familie im Iran gelebt und ist zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt nach Parwan zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer hat zumindest die letzten vier Jahre vor seiner Reise nach Europa mit seiner Familie unbehelligt in der Stadt Kabul gelebt und dort auch die Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan insgesamt neun Jahre lang die Schule besucht und kann in der Sprache Dari lesen und schreiben. Vor seiner Ausreise hat der Beschwerdeführer in Kabul auch ungefähr zwei Jahre als Automechaniker bzw. als Hilfsarbeiter in einer Kfz-Werkstätte gearbeitet.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben, die Mutter lebt derzeit mit Geschwistern des Beschwerdeführers im Iran. Die Mutter arbeitet dort als Schneiderin, wird dabei von einer Schwester des Beschwerdeführers unterstützt und lebt so in „mittelmäßigen“ finanziellen Verhältnissen. In Afghanistan leben noch ein Onkel des Beschwerdeführers (in Ghazni) sowie weitere – allenfalls entfernte – Angehörige in Parwan. Zwei Tanten des Beschwerdeführers leben mit ihren Familien in Deutschland, einer davon wurde die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen, der anderen der Status der Asylberechtigten gewährt; beide sind aktuell berufstätig. Der Beschwerdeführer hat jedenfalls zu seiner Familie im Iran und zu seinen Tanten in Deutschland Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und hat keine Kinder. Er war bereits bei seiner Einreise in Österreich volljährig und hat in Österreich keine nahen Familienangehörigen oder sonstige enge Bindungen. Der Beschwerdeführer ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er hat in Österreich unter anderem Deutschkurse besucht, Prüfungen bis zum ÖSD Zertifikat A2 bestanden und spricht bereits etwas Deutsch. Der Beschwerdeführer hat ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt, ist in Österreich aber noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er hat in Österreich einen Bekannten- bzw. Freundeskreis, ist aber nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine physische oder psychische Gewalt im Zusammenhang mit einem Grundstücksstreit bzw. mit der Tötung seines Vaters.

Dem Beschwerdeführer droht auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit oder aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich weder Gewalt noch erhebliche Diskriminierung. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.

1.3.    Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9 % Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land. Sie machen etwa 27 bis 30 % der afghanischen Bevölkerung aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten: In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten und im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren. Die Zwangsmaßnahmen können körperliche Bestrafung und andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und auch gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen von Taliban als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt. UNAMA dokumentierte im Jahr 2019 58 Fälle, in denen Buben von Taliban rekrutiert und eingesetzt wurden, um Bomben zu legen, Sprengstoff zu transportieren, Informationen zu sammeln, Selbstmordanschläge durchzuführen oder sich an Feindseligkeiten zu beteiligen. In Gebieten unter Kontrolle des IS wird Druck auf die Gemeinden ausgeübt, den IS voll zu unterstützen. In den Grenzprovinzen Kunar und Nangarhar wurde von Zwangsrekrutierung in unter der Kontrolle von ISKP befindlichen Dörfern berichtet.

Für als „verwestlicht“ wahrgenommene Männer besteht in Afghanistan generell nur ein geringes Verfolgungsrisiko – insbesondere im urbanen Bereich.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Die Provinz Kabul liegt in Zentralafghanistan östlich von Parwan und Wardak und hat laut Schätzungen etwa 5 Millionen Einwohner. Außerhalb der Hauptstadt sind von den aufständischen Gruppierungen in Afghanistan vor allem die Taliban aktiv, Berichten zufolge stehen aber keine Distrikte unter der Kontrolle von Aufständischen. Die Hauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul-Stadt ist über den Flughafen gut zu erreichen. Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Die Lage in der Hauptstadt ist noch als hinreichend sicher und stabil zu bezeichnen, wenngleich es immer wieder zu Anschlägen mit zahlreichen Opfern kommt. Diese Anschläge ereignen sich allerdings oft im Nahbereich von staatlichen bzw. ausländischen Einrichtungen oder NGOs. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, dennoch führten Aufständische sowohl im gesamten Jahr 2018 als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen. Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden. Dabei kam es auch zu zivilen Opfern. Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch.

Die nordafghanische Provinz Balkh ist von hoher strategischer Bedeutung und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e Khumri und ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut, es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Nach Schätzungen leben nahezu 1,5 Millionen Menschen in der Provinz Balkh, davon etwa 470.000 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, die von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Herat ist eine wirtschaftlich relativ gut entwickelte Provinz im Westen des Landes und ist über einen internationalen Flughafen in der Provinzhauptstadt gut erreichbar. Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer mehrheitlich paschtunischen Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert und besonders der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt, die als „sehr sicher“ gilt, und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Auch in Herat-Stadt ist ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität zu verzeichnen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48 % gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Nahrungsmittel, grundlegende Gesundheitsversorgung und Zugang zu Trinkwasser sind in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif grundsätzlich verfügbar. Die humanitäre Situation in Afghanistan hat sich durch eine schwere Dürre – insbesondere die Regionen im Norden und Westen des Landes – weiter verschärft, die Preise für Weizen und Brot blieben dennoch vergleichsweise stabil. Durch eine verstärkte Landflucht wurde zusätzlich auch die Wohnraumbeschaffung und Arbeitssuche erschwert.

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an. Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens. Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt. IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt. In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind Unterkünfte grundsätzlich verfügbar, aufgrund der hohen Mietkosten für (reguläre) Wohnungen und Häuser – insbesondere in der Stadt Kabul – lebt ein großer Teil der Bevölkerung aber in informellen Siedlungen bzw. gibt es auch die Möglichkeit, nur ein Zimmer zu mieten oder in Teehäusern (chai khana) zu übernachten.

Zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan:

Berichten zufolge haben sich in allen Provinzen Afghanistans insgesamt mehr als 38.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.400 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet; von 37,6 Millionen Einwohnern wurden lediglich knapp 103.000 Personen getestet.

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben offiziell in Kraft, werden Berichten zufolge aber nicht mehr durchgesetzt. Die Vorgaben der Regierung werden von der Bevölkerung im Allgemeinen nicht befolgt. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet.

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden.

Am 18.07.2020 kündigte die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.

Verschiedenen Modellen zufolge ist der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan noch nicht erreicht. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 bis 31 Prozent gestiegen sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, zum Gesundheitszustand und zur Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers sowie zu seinen Familienangehörigen beruhen auf den diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und der mündlichen Verhandlung dem Bundesverwaltungsgericht.

Zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers vor seiner Reise nach Europa ist festzuhalten, dass seinen Angaben vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht lediglich seine Geburt in Parwan, ein Aufenthalt im Iran, eine Rückkehr nach Parwan und ein zumindest vierjähriger Aufenthalt in Kabul vor der Ausreise aus Afghanistan glaubhaft und widerspruchsfrei zu entnehmen sind. Der Zeitpunkt einer Ausreise in den Iran und die Dauer eines dortigen Aufenthaltes sowie der Zeitpunkt einer Rückkehr nach Afghanistan und die Aufenthaltsdauer in Parwan können aufgrund widersprüchlicher Angaben nicht festgestellt werden (vgl. die untenstehenden Ausführungen im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers).

Die Feststellung zum Alter des Beschwerdeführers beruht auf dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholten rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten, demzufolge der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren ist. Der Beschwerdeführer ist diesem Gutachten nicht substantiiert entgegengetreten.

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung zwar angegeben, er habe in Afghanistan nur mehr einen Onkel, zu dem er aber keinen Kontakt mehr habe, vor dem Hintergrund der Bedeutung familiärer und sozialer Netzwerke in Afghanistan ist allerdings davon auszugehen, dass er zumindest in der Herkunftsregion seiner Familie, die den Angaben des Beschwerdeführers zufolge erst im Jahr 2012 die Provinz Parwan verlassen habe, weiterhin über – allenfalls entfernte – Verwandte verfügt, zu denen er im Falle einer Rückkehr beispielsweise über seine Angehörigen im Iran oder in Deutschland wieder Kontakt aufnehmen kann (vgl. EASO Country of Origin Information Report Afghanistan: Networks, Jänner 2018).

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen des Beschwerdeführers.

Hinsichtlich der Feststellungen zu dem aktuellen Privat- und Familienleben und der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und insbesondere in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise und Empfehlungsschreiben den Feststellungen zugrunde gelegt. Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung geht aus einem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS) hervor. Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2.    Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer stützte seine Antragstellung im Wesentlichen auf eine Bedrohung durch die Familie seiner „Cousins“ (eigentlich wohl eher Onkel zweiten Grades), die sich landwirtschaftlichen Grund des Vaters des Beschwerdeführers angeeignet hätten, bevor die Familie aus dem Iran nach Parwan zurückgekehrt sei. Diese „Cousins“ seien wohlhabend und einflussreich und hätten einen Kommandanten beauftragt, den Vater des Beschwerdeführers zu töten, um den weiteren Besitz der widerrechtlich angeeigneten Grundstücke abzusichern. Nach dem Tod des Vaters würden sie auch den mittlerweile erwachsenen Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aus demselben Grund, bzw. um einer Blutrache seinerseits vorzubeugen, töten.

Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das dahingehende Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubhaft. Dieser Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verstärkte sich in der Folge noch, da sich im Laufe des Beschwerdeverfahrens weitere Ungereimtheiten im Vorbringen ergaben, welche der Beschwerdeführer nicht schlüssig zu erklären vermochte.

Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hat vor allem auch zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Fluchtvorbringens die Wahrheit gesagt hat. Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer bereits zu seinem Alter falsche Angaben gemacht und bei der Erstbefragung angegeben, er sei am XXXX geboren (und damit zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig). Eine vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholtes rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers hat allerdings nach Durchführung von Untersuchungen als fiktives Geburtsdatum den XXXX ergeben, sowie dass das festgestellte Mindestalter mit dem vom Beschwerdeführer behaupteten Lebensalter nicht vereinbar sei. In Anbetracht der deutlichen Abweichung des tatsächlichen (Mindest-)Alters des Beschwerdeführers von dessen Angaben bei Antragstellung ist auch vor dem Hintergrund der Gepflogenheiten in Afghanistan betreffend die Kenntnis des genauen Geburtsdatums (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Wissen und Bedeutung von persönlichen Tagen (Geburt, Hochzeit) und Umgang mit Zeitangaben [a-10016], 07.02.2017) davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unwahre Angaben gemacht hat.

Auch die Angaben des Beschwerdeführers zu den von ihm besuchten Schulen sind mit der Chronologie seiner Fluchtgeschichte nicht in Einklang zu bringen: Der Beschwerdeführer hat sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptet, er sei im Jahr 2009 aus dem Iran nach Parwan zurückgekehrt, habe Parwan zwei Wochen nach dem Tod seines Vaters verlassen und dann bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan vier Jahre in Kabul gelebt. Zu seinem Schulbesuch in Afghanistan gab der Beschwerdeführer hingegen vor dem Bundesamt an, er habe neun Jahre lang die „ XXXX “ (in Kabul) besucht. In der mündlichen Verhandlung machte der Beschwerdeführer hievon abweichende Angaben, aber auch die vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebrachten sechs Jahre in der genannten Schule in Kabul („Ich habe drei Jahre lang die Schule XXXX besucht und dann in Kabul habe ich die XXXX besucht. Ich habe insgesamt 9 Jahre die Schule besucht.“) stehen in Widerspruch zu den angeblich lediglich vier Jahren, die der Beschwerdeführer in Kabul gelebt habe, zumal der Beschwerdeführer nie einen Schulbesuch im Iran angegeben hat.

Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus auch zu seinem Fluchtgrund abweichende bzw. unplausible Angaben gemacht, die er nicht nachvollziehbar erklären konnte:

In der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer etwa zu den Grundstücksstreitigkeiten seines Vaters angegeben, er selbst sei ebenfalls von dem Kommandanten mit dem Tode bedroht worden. Vor dem Bundesamt hat der Beschwerdeführer jedoch sowohl eine unmittelbare persönliche Bedrohung in Parwan („Nein, weil ich noch sehr jung war.“) als auch in Kabul („Ich wurde nicht bedroht, aber ich hatte große Angst.“) verneint. Auch in der Rechtsmittelschrift und in der mündlichen Verhandlung erstattete der Beschwerdeführer kein Vorbringen zu einer persönlichen Bedrohung durch den Kommandanten. Wenngleich die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. zu Widersprüchen zur Erstbefragung VwGH 24.02.2015, Ra 2014/19/0171 mwN), ist auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation bei der Erstbefragung der angeführte klare Widerspruch nicht nachvollziehbar. Auch die Erklärung des Beschwerdeführers in der Rechtsmittelschrift, er sei bei der Einvernahme durch das Bundesamt am 12.03.2018 sehr übermüdet gewesen, vermag diesen Widerspruch nicht zu erklären. Im Übrigen ist festzuhalten, dass sich der – damals bereits volljährige – Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Einvernahme seit etwa eineinhalb Jahren im Bundesgebiet aufgehalten hat und kein Grund erkennbar ist, warum er sich für die Einvernahme am 12.03.2018, zu der er mit Schreiben vom 29.01.2018 geladen wurde, nicht hätte entsprechend vorbereiten können.

Auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Fotos, die angeblich die „Cousins“ sowie den Kommandanten XXXX zeigen, vermögen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht zu steigern, zumal weder die Identität der abgebildeten Personen nachgewiesen wird, noch ein Zusammenhang zum Beschwerdeführer und der vorgebrachten Bedrohung erkennbar ist. Dies gilt auch für die zur Vorlage gebrachten Zeitungsberichte, mit denen eine Tätigkeit von XXXX für den afghanischen Präsidenten belegt werden soll, zumal aus den Berichten keinerlei Verbindung zu dem genannten Kommandanten XXXX und der Familie des Beschwerdeführers hervorgeht.

Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus nicht plausibel darlegen können, warum weder er noch seine Mutter sich nach der Ermordung des Vaters an die Polizei gewendet haben. Auch wenn er und seine Mutter wegen des angegebenen großen Einflusses der Familie der „Cousins“ von Korruption innerhalb der örtlichen Polizei ausgegangen wären, hätten sie die Behörden der Provinzhauptstadt oder in Kabul kontaktieren können. Auch unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren keinerlei Versuche unternommen hätte, die Behörden zu kontaktieren, um die Mörder seines Vaters zur Verantwortung zu ziehen.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist der Beschwerdeführer sohin persönlich unglaubwürdig und auch die Angaben zu seinen Fluchtgründen weisen Widersprüche und Ungereimtheiten in zentralen Teilen des Vorbringens auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer lediglich eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat, und war daher sein gesamtes fluchtbezogenes Vorbringen als unglaubhaft zu werten.

Der Beschwerdeführer könnte darüber hinaus einer Bedrohung in seiner Heimatregion sowie in Kabul auch durch eine Neuansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif entgehen, da jedenfalls keine Hinweise hervorgekommen sind, dass auch acht Jahre nach dem Tod des Vaters in ganz Afghanistan nach dem Beschwerdeführer gesucht wird. Vor dem Hintergrund der amtsbekannten Gegebenheiten in Afghanistan (Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister; vgl. auch EASO COI Report Afghanistan: Networks (Arbeitsübersetzung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl), Stand Jänner 2018, Pkt. 3.1.1) ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mehr als vier Jahre nach seiner Ausreise bei einer Rückkehr in eine andere afghanische Großstadt gesucht bzw. gefunden würde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Familie der „Cousins“ in Anbetracht der Flucht des Beschwerdeführers nach Europa keinen Grund zur Annahme hätte, dass der Beschwerdeführer sich an ihnen rächen bzw. versuchen würde, die Grundstücke zurückzuerlangen. Nach den Angaben des Beschwerdeführers hat dieser überdies keinen Kontakt mehr zu Verwandten in Afghanistan, über die seine Rückkehr allenfalls auch in seiner Heimatregion bekannt werden könnte.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Asylantragstellung sowie seiner rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch kein substantiiertes Vorbringen zu bereits erfolgten oder konkret drohenden Diskriminierungen oder Übergriffen erstattet. Konkrete Anhaltpunkte für eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers sind daher nicht hervorgekommen.

2.3.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet – und dem EASO-Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2019.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in den EASO-Bericht „Afghanistan – Security situation“, September 2020, sowie in den Bericht von UN OCHA, „COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report“, vom 02.09.2020) versichert hat.

Der Beschwerdeführer ist den im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten sowohl mündlich als auch mit schriftlicher Stellungnahme vom 13.02.2020 entgegengetreten und hat dabei insbesondere veraltete Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation moniert und hinsichtlich der Lage in Afghanistan und einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul unter anderem auf einen UNHCR-Bericht sowie eine Studie von Friederike Stahlmann aus dem Dezember 2019 verwiesen. Auch die ins Treffen geführten Berichte sind im Ergebnis aber nicht geeignet, die auf die oben angeführten Berichte gestützten Länderfeststellungen in Zweifel zu ziehen. In der Studie von Friederike Stahlmann, deren methodische Schwächen und eingeschränkte Repräsentativität die Autorin selbst anspricht, wurde eine subjektive Quellenauswahl und -interpretation vorgenommen und von – nicht verifizierten – regionalen Einzelfällen Mutmaßungen über die allgemeine Situation in Afghanistan angestellt (vgl. etwa: „…ist daher nicht davon auszugehen, dass in den hier nicht dokumentierten Fällen weniger derartige Erfahrungen gemacht wurden…“). Auch stellt die Autorin lediglich Mutmaßungen darüber an, warum in es in einigen Fällen zu einem Kontaktabbruch gekommen ist und schlussfolgert daraus, dass „nicht davon auszugehen [ist], dass Arbeit, sollte sie gefunden werden, existenzsichernd ist“, ohne diese Mutmaßung untermauern zu können. Die Autorin gesteht zudem selbst zu, dass etwa das Interesse, einen neuerlichen Asylantrag in Europa zu stellen, zu unwahren Schilderungen der Befragten über Gewalterfahrungen führen könne. In der Gesamtbetrachtung ist die genannte Studie von Friederike Stahlmann nicht geeignet darzutun, dass jeder Rückkehrer von Gewalt und Arbeitslosigkeit betroffen wäre.

Auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des UNHCR in den Richtlinien vom 30.08.2018 betreffend eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul („UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.“) ist im Ergebnis nicht davon auszugehen, dass Rückkehrern bei einer Neuansiedlung in der Stadt Kabul jedenfalls ernsthafter Schaden droht. Wenngleich den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“; vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103-0106, und 22.09.2017, Ra 2017/18/0166, jeweils mit weiteren Nachweisen), folgt das erkennende Gericht diesbezüglich der etwas differenzierteren Beurteilung in der von EASO im Juni 2019 publizierten Neuauflage der Guidance Notes, laut denen eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif aufgrund der allgemeinen Lage grundsätzlich weiterhin in Betracht kommt („It can be concluded that the general security situation in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif does not preclude the consideration of the three cities as IPA“). Sowohl hinsichtlich einer möglichen ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) als auch hinsichtlich der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wird in dem Bericht ausdrücklich auf das Vorliegen besonderer persönlicher Umstände abgestellt. Die in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vorherrschenden allgemeinen Bedingungen stehen der Zumutbarkeit einer innerstaatliche Fluchtalternative grundsätzlich nicht entgegen („Based on available COI, it is concluded that the general circumstances prevailing in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif, assessed in relation to the factors above, do not preclude the reasonableness to settle in the cities.“).

Die Beurteilung des EASO ist mit dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und auch mit den Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien betreffend einen UNAMA-Bericht vom Juli 2018 in Einklang zu bringen, in dem 993 zivile Opfer (321 Tote und 672 Verletzte) in der Provinz Kabul in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 genannt werden (eine Steigerung von 5 % im Vergleich zum Vorjahr), zumal diese Zahlen im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung der Provinz Kabul von rund 4,6 Millionen Einwohnern zu betrachten sind, wobei von einer erhöhten Gefährdung für Staatsbedienstete und Ausländer auszugehen ist. Hinsichtlich der Würdigung des EASO-Leitfadens ist ferner darauf hinzuweisen, dass in Art. 8 Abs. 2 der Statusrichtlinie hinsichtlich der für die Prüfung der Situation im Herkunftsstaat des Antragstellers einzuholenden Informationen aus relevanten Quellen gleichermaßen auf Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) wie auch des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) verwiesen wird. Den Berichten mit Herkunftsländerinformationen (Country of Origin Information – COI) des EASO, die nach den Grundsätzen der Neutralität und Objektivität erstellt werden und darüber hinaus qualitätssichernden Verfahren unterliegen (vgl. EASO, Methodik für das Erstellen von COI-Berichten des EASO, Juli 2012, S. 6; vgl. auch Art. 4 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 vom 19.05.2010), wird daher seitens des erkennenden Gerichts ein ebenso hoher Beweiswert wie den Richtlinien des UNHCR beigemessen. Auch UNHCR hat in den Richtlinien vom 30.08.2018 den – in den Kernaussagen mit dem Folgebericht vergleichbaren – EASO-Bericht vom Juni 2018 herangezogen; soweit UNHCR darauf hingewiesen hat, dass EASO zu der Einschätzung gekommen sei, dass „in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrscht“, ist festzuhalten, dass EASO in unmittelbarem Zusammenhang mit der von UNHCR zitierten Aussage zur Sicherheitslage in Kabul näher ausführt, dass eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie bestehen kann, wenn der Antragsteller aufgrund seiner persönlichen Umstände konkret betroffen ist. Im Übrigen ist festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative um eine rechtliche Beurteilung handelt und darüber hinaus auch in den UNHCR-Richtlinien nicht davon ausgegangen wird, dass eine interne Schutzalternative in Kabul keinesfalls bestehe, sondern dass diese „grundsätzlich“ nicht verfügbar sei.

Dies gilt auch für den UNHCR-Bericht vom Dezember 2019 („Afghanistan: Compilation of Country of Origin Information (COI) Relevant for Assessing the Availability of an Internal Flight, Relocation or Protection Alternative (IFA/IRA/IPA) to Kabul“), in dem im Wesentlichen die in den Richtlinien vom 30.08.2018 getroffene Einschätzung bestätigt wird, wobei darauf hinzuweisen ist, dass UNHCR sich hinsichtlich der Lage von Rückkehrern über weite Strecken auf die o.a. Studie von Friederike Stahlmann gestützt hat.

Zum vorliegenden Fall ist darüber hinaus festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zumindest die letzten vier Jahre vor seiner Ausreise aus Afghanistan in Kabul gelebt hat. Er ist mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut und hat in der Stadt Kabul sogar als Minderjähriger nach der Schule gearbeitet und zum Lebensunterhalt seiner Familie beigetragen.

Auch hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif stützen sich die getroffenen Feststellungen neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation insbesondere auf den EASO-Leitfaden vom Juni 2019, dem etwa bezüglich der Stadt Herat Folgendes zu entnehmen ist (vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif): „In the provincial capital of Herat City, indiscriminate violence is taking place at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD.“

Wie bereits oben ausgeführt, geht EASO hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif – insbesondere für „single able-bodied men“ – ebenfalls von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

Die Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan stützen sich ebenfalls insbesondere auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie auf den ACCORD-Länderbericht „Afghanistan: Covid-19“ vom 05.06.2020 und die Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.07.2020, mit denen auch der aktuelle Bericht des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) „COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report“ vom 02.09.2020 in Einklang zu bringen ist. Ergänzend beobachtet das Bundesverwaltungsgericht – insbesondere hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan – auch die diesbezügliche Medienberichterstattung (vgl. etwa TOLOnews, https://tolonews.com), aus der sich ebenfalls keine andere Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ableiten lässt.

Obwohl sich in der derzeitigen Situation eine Wiedereingliederung in Afghanistan wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn der COVID-19-Pandemie darstellt, ist grundsätzlich weiterhin davon auszugehen, dass gesunde leistungsfähige Männer – insbesondere wenn sie über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte, hinreichende Schul- bzw. Berufsausbildung oder relevante Berufserfahrung verfügen – in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen können, wie es auch andere Landsleute führen können.

Die Parteien sind den mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.09.2020 ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten und der Beschwerdeführer hat lediglich eine schriftliche Stellungnahme eingebracht, in der – teilweise unter Anführung von ohnehin bereits ins Verfahren eingebrachten Länderberichten – insbesondere Vorbringen zur aktuellen COVID-19-Pandemie und zur Lage in Herat und Mazar-e Sharif erstattet wird. Die Kernaussagen der angeführten Länderberichte sind im Wesentlichen mit den hier getroffenen Länderfeststellungen in Einklang zu bringen, wobei es allerdings etwa dem Bericht von Friederike Stahlmann betreffend COVID-19 vom 27.03.2020 sowie weiteren Länderberichten aus dem April und Mai 2020 teilweise bereits an der in diesem Zusammenhang erforderlichen besonderen Aktualität mangelt. Hinsichtlich der in der Stellungnahme dargestellten prekären Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif ist darauf hinzuweisen, dass auch der genannten Stellungnahme jedenfalls zu entnehmen ist, dass in beiden Städten die Möglichkeit besteht, „sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten“.

Hinsichtlich der ins Treffen geführten Einstellung sämtlicher Binnenflüge in Afghanistan und einer damit verbundenen Unmöglichkeit, etwa Herat oder Mazar-e Sharif auf dem Luftweg zu erreichen, ist festzuhalten, dass die afghanische Zivilluftfahrtbehörde bekannt gegeben hat, dass die Inlandsflüge nach einer dreimonatigen Pause wiederaufgenommen wurden (vgl. BAMF, Briefing Notes, 27.07.2020). Zu den Ausführungen betreffend eine besondere Gefährlichkeit der Strecke zwischen dem Flughafen Herat und der Stadt Herat ist darauf hinzuweisen, dass aus der vom Beschwerdeführer diesbezüglich angeführten ACCORD-Anfragebeantwortung betreffend die lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat vom 23.04.2020 auch hervorgeht, dass diese Straße laut EASO-Bericht vom April 2019 zwar gefährlich ist, aber regelmäßig von Sicherheitskräften kontrolliert wird. Einer Email-Auskunft einer in der Stadt Herat stationierten Mitarbeiterin des Norwegian Refugee Council (NRC) vom April 2020 zufolge sei die Straße zwischen dem Flughafen von Herat und der Stadt vergleichsweise sicher; ein regelmäßiges Befahren der Strecke sei möglich, wobei die Lage natürlich unberechenbar sei und „Kollateralschäden“ durch am Straßenrand platzierte improvisierte Sprengsätze weiterhin vorkommen könnten.

Entgegen den Ausführungen in der genannten Stellungnahme ist daher bei einer Gesamtbetrachtung der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte unter Berücksichtigung der jüngsten Informationen weiterhin davon auszugehen, dass die Städte Herat und Mazar-e Sharif sicher über den jeweiligen Flughafen zu erreichen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 VwGVG).

Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest. Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.

Zu A)

3.2.    Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1.  Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

3.2.2.  Wie oben ausgeführt hat der Beschwerdeführer keine Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht.

Im Übrigen ist der vorgebrachte Grundstücksstreit mangels eines hinreichenden Zusammenhanges mit einem Konventionsgrund grundsätzlich nicht asylrelevant, zumal der Beschwerdeführer von den unrechtmäßigen Grundstücksbesitzern nicht aufgrund seiner Familienzugehörigkeit verfolgt würde, sondern aufgrund seines eigenen Rechtsanspruches auf die streitgegenständlichen Grundstücke.

Für eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers als ältester Sohn seines Vaters, um einer Blutrache durch diesen zuvorzukommen („vorbeugende Blutrache“), haben sich keine konkreten Hinweise ergeben, zumal der Beschwerdeführer nach der Ermordung seines Vaters vier Jahre in Afghanistan gelebt hat, ohne die Täter in irgendeiner Weise zu belangen, und anschließend sogar nach Europa ausgereist ist, wo er nun die letzten dreieinhalb Jahre verbracht hat. Auch unter Zugrundelegung des vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhaltes ist sohin nicht zu erkennen, dass die Mörder seines Vaters Blutrache seitens des Beschwerdeführers befürchten würden, sollte dieser nach Afghanistan zurückkehren.

Hinsichtlich der insbesondere im Rahmen der Rechtsmittelschrift – ohne substantiiertes Vorbringen – ins Treffen geführten Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch Taliban wird auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass aus den Länderberichten zu Afghanistan hervorgeht, dass Taliban verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern einsetzen, Maßnahmen unter Einsatz von Zwang allerdings nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Daraus, aus sonstigen Länderberichten (vgl. etwa Landinfo, Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban, vom 29.06.2017 (BFA Arbeitsübersetzung): „Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet.“) sowie aus dem notorischen Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht abzuleiten, dass jeder weh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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