TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/28 W169 2150457-1

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Veröffentlicht am 28.10.2020
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Entscheidungsdatum

28.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W169 2150457-1/10E
W169 2150456-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde der 1. XXXX , geb. XXXX , und 2. des mj. XXXX , geb. XXXX , beide StA Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.02.2017 (ad 1.) und 07.02.2017 (ad 2.), Zlen. 1076754904-150808329 (ad 1.) und 1119267003-160850025 (ad 2.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52,55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehegatte, beide indische Staatsangehörige, stellten nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.07.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.07.2015 führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie in Hoshiarpur geboren worden sei, traditionell verheiratet sei, die Sprachen Punjabi und Hindi in Wort und Schrift beherrsche, in Indien vom 02.09.1992 bis 2003 die Grundschule und von 2003 bis 2008 die Universität in Hoshiarpur besucht und zuletzt als Lehrerin gearbeitet habe. Zu ihren Fluchtgründen führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie sich zum Hinduismus und ihr Gatte sich zur Sikh-Religion bekennen würden. Sie hätten heiraten wollen und deshalb seien sie von ihren Brüdern mehrmals geschlagen worden. Sie hätten am 18.06.2015 heimlich geheiratet und würden jetzt mit dem Tod seitens ihrer beiden Brüder bedroht werden.

2. Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer, Sohn der Erstbeschwerdeführerin und des in Österreich lebenden Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , im Bundesgebiet geboren und stellte die Erstbeschwerdeführerin für diesen im Rahmen eines Familienverfahrens am 17.06.2016 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.12.2016 führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass ihre Familie mit ihrer Hochzeit nicht einverstanden gewesen sei, zumal sie einer anderen Religion angehöre als ihr Ehegatte. Sie gehöre der Religionsgemeinschaft der Hindus und er der Religionsgemeinschaft der Sikhs an und alle ihre Verwandten, insbesondere ihr Vater und ihre beiden Brüder, seien gegen die Hochzeit gewesen. Ihre Eltern hätten sie mit einem anderen Mann verheiraten wollen, weshalb sie ihrer Familie von ihrer Hochzeit erzählt habe und „sie haben mich oft geschlagen.“ Niemand habe ihr geholfen. „Die haben mich immer geschlagen.“ Auch hätten diese ihr das Handy weggenommen. Dann hätte sie entschieden wegzulaufen. Sie und ihr jetziger Ehegatte seien nach Jalandhar gegangen und hätten dort ein paar Tage gewohnt. Ihr Bruder habe sie dort aber, sie wisse nicht wie, gefunden und habe zu ihr gesagt, sie solle mit ihm nach Hause gekommen. Sie sei dann nach Hause gebracht worden und ihr Mann sei mit ihrem Bruder in sein Haus gefahren. Ihr Bruder sei dann zurückgekommen und beide Brüder hätten sie geschlagen und ihr die Hand gebrochen; so habe sie auch ihr Kind verloren. Ihre Familie habe von der Heirat nichts gewusst und habe gesagt, wie sie schwanger werden könne, wenn sie nicht verheiratet sei. Daraufhin habe sie ihrer Familie gesagt, dass sie bereits verheiratet sei und deshalb auch keinen anderen Mann heiraten könne. Daraufhin habe sie mit ihrem Mann gesprochen und er habe alles für eine Ausreise organisiert. Sie seien gemeinsam nach Neu Dehli gefahren, wo sie sich ein paar Tage aufgehalten und dann mit Hilfe eines Schleppers Indien verlassen hätten. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, von ihrer Familie getötet zu werden.

Sie sei in Hoshiarpur geboren und habe bis zu ihrer Ausreise mit ihrer Familie zusammengelebt. Sie habe als Lehrerin gearbeitet, sie habe einen Master in Wirtschaft. Ihren Mann habe sie im Jahr 2006 kennengelernt und sei auch seit damals mit ihm liiert. Auf die Frage, wie es möglich gewesen sei, diese Beziehung fast zehn Jahre geheim zu halten, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie sich nie auf der Straße getroffen hätten. Sie sei manchmal zu ihm in den Hühnerstall gegangen. Sie hätten am 18.05.2014 geheiratet. Ihr Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, habe keine eigenen Fluchtgründe. Ihre zwei Brüder und ihre Eltern, würden in Hoshiarpur wohnen. Auch ihr Ehegatte habe zwei Brüder und seine Eltern in Indien. Von den Eltern ihres Ehegatten sei sie nicht angegriffen worden. Die Übergriffe seitens ihrer Familie hätten begonnen, als sie ihnen alles über ihre Hochzeit erzählt habe. Dies sei Anfang 2015 gewesen. Sie sei von ihrer Familie sehr oft bis zur Ausreise geschlagen worden. Auf die Frage, mit wem sie ihre Eltern verheiraten hätten wollen, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Eltern andere Verwandte angerufen und gesagt hätten, alle sollten einen Mann für die Erstbeschwerdeführerin suchen. Sie habe die Schule fertiggemacht und anschließend hätte man sie verheiraten wollen. Mit ihren Angehörigen in Indien habe sei keinen Kontakt. Nach Aufforderung, den Vorfall zu schildern, als ihr die Hand gebrochen worden sei, gab die Erstbeschwerdeführerin an: „Mein Bruder hat mich mit dem Kricket-Schläger geschlagen. Sie haben mich geohrfeigt. Eigentlich wollten sie mich töten, weil ich etwas Falsches getan habe.“ Sie sei in ihrer Wohnung in Hoshiarpur geschlagen worden.

Mit den Behörden in ihrem Heimatland habe sie keine Probleme gehabt. Sie sei auch nie politisch tätig gewesen. Eine Anzeige bei der Polizei habe sie nicht erstattet, da die Polizei in Indien ihnen nicht helfe, weil auch ein Minister seine Tochter umgebracht habe. Auf die Frage, warum sie nicht innerhalb Indiens an einem anderen Ort leben könnten, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie dies versucht hätten, aber ihr Bruder habe sie in Jalandhar gefunden. Auf die Frage, warum sie nicht nach Mumbai oder Kalkutta gegangen seien, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sei in Neu Dehli bleiben hätten wollen, aber Angst gehabt hätten, da sie auch in Jalandhar gefunden worden seien.

Zu den Lebensumständen in Österreich gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie in Österreich keiner Arbeit nachgehe. Sie lebe mit ihrem Ehegatten und ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt. Sie sei in Österreich nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation und habe hier keine Kurse oder Ausbildungen absolviert. Sie sei gesund.

Am Ende der Einvernahme wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt zu Indien übergeben und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer bestimmten Frist eine Stellungnahme abzugeben.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den Beschwerdeführern wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtkraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diese Bescheide erhob der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und ist der Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in den angefochtenen Bescheiden substantiiert entgegengetreten. Es wurde auch der Antrag gestellt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

6. Am 31.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher die Erstbeschwerdeführerin, ihr rechtsfreundlicher Vertreter sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilgenommen haben. Im Rahmen der Verhandlung wurde die Erstbeschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich befragt (siehe Verhandlungsprotokoll).

Im Rahmen der Verhandlung legte die Erstbeschwerdeführerin weitere Integrationsunterlagen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Indien, Angehörige der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Hindus. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des mj. Zweitbeschwerdeführers. Sie wurde in Hoshiarpur geboren, besuchte dort von 1992 bis 2003 die Grundschule und von 2003 bis 2008 die Universität und schloss diese mit einem Master in Wirtschaft ab. Danach unterrichtete sie als Lehrerin. Sie spricht Hindi und Punjabi und lebte mit ihren Eltern, ihren Geschwistern und ihrem Onkel im Elternhaus. Ihr Vater hat in Indien ein eigenes Geschäft, ihr älterer Bruder besitzt ein medizinisches Geschäft, der zweite Bruder verkauft medizinische Produkte. Die Erstbeschwerdeführerin lebte mit ihren Eltern bis Mai 2015 im Elternhaus. Danach ging sie mit ihrem jetzigen Ehegatten nach Delhi, wo sie sich bis Juli 2015 aufhielten. In dieser Zeit hatten sie keine Probleme mit einem Familienmitglied.

Die Erstbeschwerdeführerin ist mit XXXX , XXXX geb., indischer Staatsangehöriger, traditionell verheiratet. Auch ihr Ehegatte stammt aus Hoshiapur. Er besuchte dort zwölf Jahre die Schule und betrieb ein Restaurant und eine Hühnerfarm. Ihr Ehegatte lebte mit seiner Familie bis zur Ausreise in einem eigenen Haus in Hoshiapur. Sowohl die Eltern als auch die drei Brüder des Ehegatten haben im Restaurant des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin mitgearbeitet.

In Indien hat die Erstbeschwerdeführerin neben ihren Eltern und ihren beiden Brüdern zwei Onkel und eine Tante väterlicherseits, die ebenfalls in der Stadt Hoshiarpur leben. Ihre Verwandten mütterlicherseits halten sich in der Provinz Himachal Pradesh auf. Die Onkel und Tanten in Hoshiapur leben in eigenen Häusern und gehen einer Arbeit nach.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

Die Erstbeschwerdeführerin hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Die Fluchtgründe der Erstbeschwerdeführerin sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Den Beschwerdeführern steht in Indien eine inländische Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

Die Erstbeschwerdeführerin lebt in Österreich mit ihrem Ehegatten, Vater des Zweitbeschwerdeführers, Herrn XXXX , und dem Zweitbeschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt. Der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin/Vater des Zweitbeschwerdeführers stellte in Österreich am 07.07.2015 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel wurde ihm nicht erteilt, es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Da der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin/Vater des Zweitbeschwerdeführers dagegen keine Beschwerde erhob, erwuchs dieser in Rechtskraft.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich den A1-, A2- und B1-Deutschkurs besucht und die jeweiligen Prüfungen erfolgreich abgelegt. Sie spricht Deutsch. Sie arbeitete vom 03.08. bis 31.08.2020 als Assistenzlehrerin in einem Sommercamp. Ansonsten ist die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nicht erwerbstätig und nicht selbsterhaltungsfähig, zumal sie und der Zweitbeschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nehmen. Die Erstbeschwerdeführerin hat abgesehen von den Deutschkursen keine sonstigen Kurse in Österreich besucht. Sie ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation; auch war sie nie ehrenamtlich tätig. Sie verfügt über einen Freundeskreis in Österreich.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren und besucht seit 2018 den Kindergarten. Er spricht die Sprachen Deutsch, Englisch und Punjabi. Für den mj. Zweitbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Die Erstbeschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 18.9.2018). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2018). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 18.9.2018). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 18.9.2018).

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung bei, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit (USDOS 20.4.2018).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 18.9.2018). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 18.9.2018). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2018). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2018).

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im „Maoistengürtel“ begingen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 20.4.2018). In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laender
berichte/indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019

- ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018: Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion - USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Ethnische Minderheiten

Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 12.2018). Die Verfassung enthält eine Garantie zum Schutz vor Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Rasse, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort. Minderheiten haben das Recht auf eigene Bildungseinrichtungen sowie auf Pflege ihrer Sprache und Kultur (AA 18.9.2018; vgl. FH 27.1.2018).

Historisch sind weite Teile der Gesellschaft in Kasten oder Clans organisiert (USDOS 13.4.2016) und Mitglieder unterer Kasten und Minderheiten sind weiterhin alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt (FH 27.1.2018). Obwohl mit der Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 20.4.2018). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit jedoch weit verbreitet (USDOS 20.4.2018).

Um Minderheiten stärker in das öffentliche Leben zu integrieren und ihre Teilhabe zu erhöhen, erfahren die unterste Schicht der Kastenordnung (rd. 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) sowie Indigene (Adivasi) eine positive Diskriminierung, deren Zulässigkeit in der Verfassung festgeschrieben ist. Im Bildungswesen (u.a. Studienplätze) und in der staatlichen Verwaltung (u.a. Stellenvergabe) sind Quoten von bis zu 49,5 Prozent für die sog. „Scheduled Castes“ und „Scheduled Tribes“ („scheduled“ = in der Verfassung erwähnte Kasten und Stämme) sowie für andere benachteiligte Gruppen, „Other Backward Castes“, vorgesehen. Quoten werden auf zentralstaatlicher Ebene nur nach Kastenzugehörigkeit und sozialem Status, nicht aber nach Religion, zugeordnet. Muslime oder Christen fallen dadurch häufig durch das Raster der positiven Diskriminierung. Allerdings gibt es in einigen Bundesstaaten Quotenregelungen für bestimmte religiöse Gemeinschaften, so z.B. in Tamil Nadu, Kerala und Andhra Pradesh für „rückständige“ Christen und Muslime (AA 18.9.2018).

Trotz dieser umfangreichen positiven Förderprogramme, weitreichender gesetzlichen Schutzbestimmungen und verfassungsmäßigem Verbot von „Unberührbarkeit“ werden Angehörige von niederen Kasten und Dalits in Indien noch immer massiv und systematisch diskriminiert, vor allem auch durch Polizei und Strafjustiz (AA 18.9.2018; vgl. FH 27.1.2018).

Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 20.4.2018).

Vor allem in Indiens abgelegenen Nordosten gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Stämme und Ethnien. Ihr Verhältnis untereinander und gegenüber der Zentralregierung birgt großes Konfliktpotential. Dieses beruht v.a. auf der Missachtung der großen ethnischen und kulturellen Vielfalt der dortigen Bevölkerungsgruppen, ihren Bestrebungen zur Wahrung ihrer kulturellen Identität sowie auf den wirtschaftlichen Entwicklungsdefiziten (AA 18.9.2019). Die Situation von Kindern aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften bleiben weiterhin in ganz Indien ein ernsthaftes Problem (HRW 17.1.2019).

Konfliktfördernd ist v.a. auch der teilweise als Bedrohung wahrgenommene, illegale Zustrom von (muslimischen) Migranten, vor allem aus Bangladesch. Es gibt zahlreiche Rebellengruppen, deren Aktivitäten bis heute zehntausende Menschenleben gekostet haben. Aktionen von Polizei und Militär richten sich gegen diese militante Gewalt, nicht aber gegen bestimmte Ethnien (AA 18.9.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018
- HRW – Human Rights Watch(17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/ de/dokument/2002249.html, Zugriff 23.1.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

- USDOS - US Department of State (13.4.2016): India, Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 29.10.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Relevante Bevölkerungsgruppen

Die Verfassung verbietet Diskriminierung auf Basis von Rasse, Geschlecht, Invalidität, Sprache, Geburtsort, Kaste oder sozialen Status. Die Regierung arbeitet mit unterschiedlichem Erfolg an der Durchsetzung dieser Bestimmungen (USDOS 20.4.2018). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2018).

Quellen:

- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laender
berichte/ indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Frauen

Indien ist ein überwiegend patriarchalisches Land, in dem Frauen eine untergeordnete Rolle spielen. Mädchen und Frauen werden über ihr gesamtes Leben benachteiligt und sind dabei diversen Formen von Gewalt ausgesetzt. Dies beginnt mit der Abtreibung weiblicher Föten, der oft systematischen Vernachlässigung weiblicher Kinder, der geringeren Bildungschancen für Mädchen, die Notwendigkeit von Mitgiftzahlungen (dowry), der untergeordneten Rolle der Ehefrau in der Familie des Mannes und der noch immer vorkommenden Verstoßung von Witwen aus der Familie des Mannes. Trotz vieler Ansätze seitens der Regierung ist nur ein langsamer Kulturwandel zu erkennen (GIZ 3.2018a).

Trotz verfassungsmäßigen Schutzes, einer Vielzahl entsprechender Gesetze und einer breiten öffentlichen Debatte bleibt die soziale Realität von Frauen in Indien von z.T. krasser Diskriminierung bestimmt. Materielle Benachteiligung, Ausbeutung, Unterdrückung und fehlende sexuelle Selbstbestimmung prägen häufig den Alltag von Frauen. Mitgiftmorde, Entrechtung von Witwen, Analphabetentum und Unterernährung bleiben regional unterschiedlich, insgesamt aber stark verbreitet. Die Alphabetisierungsrate liegt nach den letzten verfügbaren Zahlen von 2011 bei etwa 74,1 Prozent (65,5 Prozent der Frauen, 82,1 Prozent der Männer). Frauen können seltener als Männer von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren (AA 18.9.2018).

Dennoch haben Frauen seit der Unabhängigkeit in der indischen Politik und Gesellschaft immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt. Es gibt weithin respektierte Unternehmensführerinnen und in zahlreichen NGOs erheben Frauen ihre Stimme. Die Regierung bemüht sich gezielt um besondere Förderung von Frauen sowohl bei der Integration ins Erwerbsleben als auch in Bezug auf ihre sozialen Rechte –angefangen vom Recht auf ein Bankkonto bis zum Ausbau geschlechtsdifferenzierter Toiletten in Schulen (AA 18.9.2018). Mit der Verabschiedung der „Women´s Reservation Bill 2008“, sind 33 Prozent der Parlamentssitze für Frauen reserviert (ÖB 12.2018). Es gibt weithin respektierte Unternehmensführerinnen. In zahlreichen NGOs erheben Frauen ihre Stimme (AA 18.9.2018).

Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen sind in Indien in nahezu allen Landesteilen und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten weiterhin ein großes Problem (AA 18.9.2018). Frauen mit niedrigerer Kasten- und Stammeszugehörigkeit sind besonders anfällig Gewalt zu erleiden. Massendemonstrationen nach der tödlichen Gruppenvergewaltigung einer Frau in in Delhi im Jahr 2012 veranlassten die Regierung Gesetzesreformen durchzuführen. Erneute Vergewaltigungsfälle zeigen das Versagen des Strafrechtssystems auf und haben zu weiteren Protesten geführt (FH 27.1.2018; vgl. HRW 17.1.2019).

Fast sechs Jahre nachdem die Regierung die Gesetze geändert und neue Richtlinien eingeführt hat, welche Gerechtigkeit für Überlebende von Vergewaltigung und sexueller Gewalt erwirken sollten, sehen sich Mädchen und Frauen weiterhin mit Schwierigkeiten bei der Anzeige solcher Verbrechen konfrontiert. Schuldzuweisungen an die Opfer sind weit verbreitet, und der Mangel an Zeugen- und Opferschutzgesetzen macht Mädchen und Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften noch anfälliger für Belästigungen und Übergriffe (HRW 17.1.2019). Im April 2018 verabschiedete die Regierung eine Verordnung zur Einführung der Todesstrafe für Täter, die wegen Vergewaltigung eines Mädchens unter 12 Jahren verurteilt worden sind. Diese neue Verordnung erhöht auch die Mindeststrafe für Vergewaltigungen von Mädchen und Frauen (HRW 17.1.2019).

Ein Großteil sexueller Gewalt findet innerhalb der Familien statt. Im Oktober 2017 urteilte der Oberste Gerichtshof, dass innerehelicher erzwungener Geschlechtsverkehr mit einem minderjährigen Ehepartner grundsätzlich den Straftatbestand der Vergewaltigung erfüllt. Weiterhin legal bleibt de facto jedoch die Vergewaltigung einer volljährigen Ehefrau (AA 18.9.2018), d.h., wenn die Frau über 15 Jahre alt ist (DZ 11.10.2017).

Häusliche Gewalt bleibt ein ernstes Problem. Im Laufe des Jahres richtete Chhattisgarh als erster Staat in allen 27 Distrikten Krisenzentren für Frauen in Not, sogenannte "Sakhi- Zentren", ein, die mit Bundesmitteln des Ministeriums für Frauen und Kinderentwicklung unterstützt werden. Diese Zentren bieten medizinische, rechtliche, beratende und behördliche Dienstleistungen für Frauen, welche verschiedenen Formen von Gewalt konfrontiert sind, vor allem aber häusliche Gewalt im Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten und sexueller Gewalt (USDOS 20.4.2018). Das Gesetz zum Schutz der Frauen gegen häusliche Gewalt (Protection of Women From Domestic Violence Act 2005) sieht Strafsanktionen vor und soll die Ehefrau neben häuslicher Gewalt auch vor dem Verlust ihres in die Familie des Mannes eingebrachten Vermögens und vor dem Verstoß aus dem Familienhaushalt schützen. Das Gesetz wurde aber erst von vier der 28 Unionsstaaten ratifiziert (ÖB 12.2018). Mangelhafte Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz sowie allgegenwärtige Korruption schränkten die Effektivität des Gesetzes ein (USDOS 20.4.2018). Die Polizei geht Anzeigen wegen häuslicher Gewalt mit Zurückhaltung nach. Polizeibeamte versuchen manchmal, Vergewaltigungsopfer und ihre Angreifer zu versöhnen, in einigen Fällen ermutigten sie weibliche Vergewaltigungsopfer, ihre Angreifer zu heiraten (USDOS 20.4.2018).

In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen (BICC 12.2018), jedoch sind Rechtsdurchsetzung und legale Möglichkeiten für Vergewaltigungsopfer inadäquat. Die Polizeieinheiten sind überlastet und außerstande das Problem effizient anzugehen. Eine mangelnde Unterstützung der Opfer, der unzureichende Schutz von Opfern und Zeugen, wie auch die lange Verfahrensdauer breiten große Sorgen. Im Jahr 2015 hat die Regierung neue Richtlinien für Angehörige des Gesundheitswesens für die medizinische Untersuchung von Opfern sexueller Gewalt eingeführt. Sie enthielt Bestimmungen über die Einwilligung des Opfers in verschiedenen Phasen der Untersuchung, von denen einige NGOs behaupteten, dass sie die Erfassung von Vorfällen verbessern würden (USDOS 20.4.2018).

Die Anzahl polizeilich registrierter Fälle von Verbrechen gegen Frauen (insgesamt 14 Tatbestände, von Vergewaltigung über Gewalt durch den Ehemann/Verwandte bis hin zu Mitgift-Nötigung) hat in den letzten Jahren beständig zugenommen. Dies lässt jedoch nicht zwingend auf eine tatsächliche Zunahme solcher Straftaten schließen. Vielmehr dürfte steigendes Unrechtsbewusstsein, verbunden mit zunehmender Bereitschaft, solche Verbrechen anzuzeigen und zu verfolgen, der Hauptfaktor sein. Dennoch ist davon auszugehen, dass es eine große Dunkelziffer gibt, da viele Betroffene nach wie vor den Gang zur Polizei aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und mangelndem Vertrauen scheuen. Frauenorganisationen schätzen die Situation als unverändert schlecht ein (AA 18.9.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Das National Crime Records Bureau (NCRB), das nationale Büro für Kriminalitätsaufzeichnungen schätzte die Verurteilungsrate für Verbrechen gegen Frauen auf 18,9 Prozent (USDOS 20.4.2018).

Trotz des seit 50 Jahren geltenden gesetzlichen Verbots ist das Brautgeld ein selbstverständlich von der Brautfamilie geleisteter und von der Familie des Bräutigams erwarteter finanzieller und materieller Transfer, häufig in der Höhe mehrerer Jahreseinkommen. Mitgift wird nicht selten durch Beleidigungen, Misshandlungen und Hausverweise eingefordert. In extremen Fällen werden die Frauen genötigt oder fallen einem Mitgiftmord zum Opfer, der oft als häuslicher Unfall, Verkehrsunfall oder Selbstmord getarnt wird. Bei Todesfällen verheirateter Frauen innerhalb von sieben Jahren nach Eheschließung besteht gesetzlich unterstellter pauschaler Verdacht für Mitgiftmord und somit polizeiliche Verpflichtung, den Todesfall spezifisch zu untersuchen (AA 18.9.2018).

Arrangierte Ehen sind auch bei städtisch und westlich geprägten Jugendlichen akzeptiert. Scheinehen mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels im Ausland kommen in Visumverfahren regelmäßig vor (AA 18.9.2018).

Das für Hindus geltende Erb- und Familienrecht wurde im Jahr 2005 von diskriminierenden Klauseln befreit, so dass verheirateten Töchtern und Söhnen die gleichen Erbanteile zustehen. In der Praxis wird diese Regelung aber weiterhin nicht durchgehend beachtet. Sie ist insbesondere in der ländlichen Bevölkerung nicht bekannt bzw. nicht akzeptiert und wird somit de facto ignoriert. Witwen bleiben oft unversorgt. Es kommt vor, dass sie von der Familie des Mannes verstoßen werden, ohne in ihre Ursprungsfamilie zurückkehren zu können. Die erbrechtlichen Regelungen für Muslime sehen vor, dass die Erbanteile der Töchter grundsätzlich nur halb so groß sind wie die der Söhne. Die nach islamischem Recht gegebene Möglichkeit der sofortigen Scheidung durch dreifache Lossagung („Triple Talaq“) des Ehemanns wurde durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichts im August 2017 verboten (AA 18.9.2018).

Ein Gesetz aus dem Jahr 2006 verbietet mit Mitgift verbundene Einschüchterungspraktiken und kriminalisiert Vergewaltigung in der Ehe und erweiterte die Definition von häuslicher Gewalt auf emotionalen oder verbalen Missbrauch. Berichte zeigen jedoch, dass die Durchsetzung unzureichend ist, muslimische Gesetze, wie auch traditionelle hinduistische Praktiken diskriminieren Frauen in Bezug auf Erbschaft, Adoption und Eigentumsrechten (FH 27.1.2018).

Frauen in Krisengebieten wie in Jammu und Kaschmir, im Nordosten, Jharkhand und Chhattisgarh sowie vulnerable Dalit- oder Stammesfrauen sind oft Opfer von Vergewaltigungen oder Bedrohungen mit Vergewaltigung ausgesetzt. Laut der nationalen Kriminalstatistik werden - verglichen mit anderen Kastenzugehörigkeiten - die meisten Vergewaltigungen gegen Dalit-Frauen verübt (USDOS 20.4.2018).

Auch im Rahmen der Religionsausübung wird Gewalt gegen Frauen ausgeübt. Nach glaubhaften Angaben indischer NGOs werden - trotz gesetzlicher Verbote - jährlich bis zu 15.000 meist noch sehr junge Mädchen, oft mit Dalit-Hintergrund, als „Devadasis“ einem Tempel geweiht oder mit einer Gottheit „verheiratet“ und de facto zur Prostitution im Tempel gezwungen. Das Oberste Gericht Indiens kritisierte im Februar 2016, dass einige Bundesstaaten - v.a. Karnataka, Maharashtra, Andhra Pradesh und Tamil Nadu - nicht ausreichend gegen die Devadasi-Praxis vorgingen (AA 18.9.2018).

Es gibt kein nationales Gesetz, dass sich mit weiblicher Genitalverstümmelung befasst. Menschenrechtsorganisationen zufolge wird weibliche Genitalverstümmelung von 70 Prozent bis 90 Prozent der Dawoodi Bohra Muslimen praktiziert. Deren Zahl wird auf eine Million geschätzt, die sich auf die Bundesstaaten Maharashtra, Gujarat, Madhya, Pradesh und Rajasthan verteilt. Der Oberste Gerichtshof fordert eine Stellungnahme der Regierung und den Staaten Gujarat, Maharashtra, Rajasthan und Delhi, nachdem in einer Petition im Rahmen eines Rechtsstreits ein Verbot von Genitalverstümmelungen gefordert wurde. Die nationale Ministerin für Frauen- und Kindesentwicklung betonte, dass Genitalverstümmelung eine Straftat ist (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laender
berichte/ indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019

- DZ – Die Zeit (12.10.2017): Minderjährige können Vergewaltigungen in der Ehe künftig anzeigen, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-10/indien-gerichtvergewal
tigung- heirat-ehe, Zugriff 1.2.2019

- FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018

- HRW – Human Rights Watch(17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/ de/dokument/2002249.html, Zugriff 23.1.2019

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 23.10.2018
- ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Kinder

Die Verfassung verbrieft das Recht der Kinder auf eine gesunde Entwicklung in Freiheit und Würde und auf Schutz vor Ausbeutung sowie moralischer und materieller Vernachlässigung. Gleichwohl bleibt die Lebenswirklichkeit von vielen Kindern in Indien schwierig, besonders für Mädchen: Schulabbrüche, Unterernährung, Kinder- und Zwangsarbeit sind - vor allem auf dem Land - keine Ausnahmeerscheinungen. Drei Prozent der unter 5-Jährigen sind nach aktuellen Zahlen der Regierung vom März 2018 untergewichtig. Auch Gewalt gegen Kinder bleibt in Indien - vor allem im familiären, aber auch im schulischen Umfeld - weit verbreitet. Eine groß angelegte Studie der NGO World Vision kam 2017 zu dem Ergebnis, dass landesweit etwa ein Drittel aller Kinder im Alter zwischen 12 und 18 Jahren Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind. Auch Sicherheitskräfte machen sich Übergriffe gegen Kinder schuldig. In Konfliktgebieten kommen immer wieder Kinder ums Leben, sei es bei Kämpfen oder weil sie z.B. als Informanten verdächtigt werden (AA 18.9.2018).

Die Verfassung garantiert freie Bildung für Kinder von sechs bis 14 Jahre, aber die Regierung kann diese Anforderungen nicht immer erfüllen (USDOS 20.4.2018). Zwar hat Indien in Bezug auf Zugang zu Bildung seit der Einführung des „Right to Education Act“ im Mai 2010 (Schulpflicht 6.-14. Lebensjahr) bedeutende Fortschritte gemacht (AA 18.9.2018), jedoch sind Kinder aus vulnerablen Gemeinden – wie der Dalits – auch im Bildungsbereich Diskriminierungen ausgesetzt (ÖB 12.2018).

Kinderarbeit, Kinderhandel und ein schlechter Zugang zu Bildung bleibt für Kinder aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften in ganz Indien ein großes Problem (HRW 17.1.2019). Mädchen sind besonders benachteiligt. Analphabetismus ist bei ihnen deutlich weiter verbreitet als bei Jungen (AA 24.4.2015).

Indien ist nach wie vor das Land mit den meisten Kinderarbeitern weltweit: Nach offiziellen Zahlen arbeiten rund 10 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren; in der Kategorie bis 18 Jahre sind es insgesamt 33 Mio. (Zensus 2011). Trotz gesetzlicher Verschärfungen und intensiver Bemühungen von Staat und Zivilgesellschaft, Kinderarbeit zu bekämpfen, gab es im Vergleich zum letzten Zensus 2001 eine drastische Zunahme bei den Fünf- bis Neunjährigen. Kinder werden in Indien vor allem zu besonders gefährdeten Tätigkeiten eingesetzt, z.B. in Steinbrüchen; auch heute noch in faktischer Leibeigenschaft. Kinderprostitution ist weit verbreitet. Kinder werden aus materieller Not verkauft, aber es kommt auch zu Entführungen. Die Opfer stammen zumeist aus den ärmsten Bundesstaaten (AA 18.9.2018).

Die Regierung verabschiedete 2016 ein umstrittenes Gesetz, das es Kindern unter 14 Jahren erlaubt, „Heimarbeit“ sowie andere Berufe ab einem Alter von 14 Jahren bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres auszuüben. Kindern ist es verboten, in potenziell gefährlichen Branchen zu arbeiten, obwohl das Gesetz in der Praxis regelmäßig missachtet wird. Es gibt anhaltende Berichte über die Komplizenschaft von Strafverfolgungsbehörden beim Menschenhandel (FH 27.1.2018).

Vorsichtigen Schätzungen zur Folge leben mindestens 40 Prozent der indischen Kinder in Lebenssituationen, welche sie anfällig für Missbrauch und Gewalt machen (CIF 15.3.2018). Tausende von Kindern werden aus den abgelegenen ländlichen Gebieten Indiens verschleppt und als Arbeitskräfte in den urbanen Zentren verkauft. Geschätzte 135.000 Kinder sollen jährlich in Indien verschleppt werden (TG 28.4.2015).

Ende Mai 2016 trat das reformierte Jugendstrafrecht (Juvenile Justice Act) in Kraft, demnach Kinder zwischen 16 und 18 Jahren bei „besonders abscheulichen“ Verbrechen wie z. B. Vergewaltigung als Erwachsene strafverfolgt werden können (AA 18.9.2018).

Zahlen zu Personen unter 18 Jahren in den Streitkräften dienen, liegen nicht vor. Schätzungen von NGOs zufolge werden mindestens 2.500 bewaffnete Kinder den Rebellengruppen in den Maoistengebieten zugeordnet. Es gibt Vorwürfe, wonach von der Regierung unterstützte Anti-Maoistische Dorfstreitkräfte Kinder rekrutieren und auch bewaffnete aufständische Gruppen, einschließlich der Maoisten in den nordöstlichen Staaten sowie islamistische Gruppen in Jammu und Kaschmir, Kinder einsetzen (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 27.1.2018). Dem indischen Innenministerium zufolge haben maoistische Gruppen Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren zu speziellen Kindereinheiten (Bal Dasta und Bal Sangham) in Bihar, Jharkhand, Chhattisgarh und Odisha zwangsrekrutiert und zu Kampf- und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten herangezogen. Aufständische bilden Kinder auch als Spione und Kuriere sowie zum Waffeneinsatz, Informationsbeschaffung und Sprengstoffschmuggel aus. Regierungsquellen zufolge werden Kinder von Maoisten als menschliche Schutzschilde bei Auseinandersetzungen mit Regierungskräften verwendet (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

- ASER – Annual Status of Education Report (16.1.2018): Annual Status of Education Report 2017, http://img.asercentre.org/docs/Publications/ASER%20Reports/ASER %202017/aser
2017fullreportfinal.pdf, Zugriff 22.10.2018
- CIF - CHILDLINE India Foundation (15.3.2018): Annual Report 2016-2017, http://www.childlineindia.org.in/pdf/Annual-Report-16-17.pdf, Zugriff 22.10.2018

- FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018

- HRW – Human Rights Watch(17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/ de/dokument/2002249.html, Zugriff 23.1.2019

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 23.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/295494/430526_de.html, Zugriff 23.12.2016

- SHZ – Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (30.4.2018): Sexualmorde an Kindern rütteln Indien auf, https://www.shz.de/deutschland-welt/panorama/sexualmorde-ankindern- ruetteln-indien-auf-id19724156.html, Zugriff 23.1.2019

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.4.2018). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 18.9.2018).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 20.4.2018).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 18.9.2018).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Meldewesen

Noch gibt es in Indien kein nationales Melde- bzw. Staatsbürgerschaftsregister. Die Regierung verfolgt seit einigen Jahren ein nationales Projekt zur Registrierung der Staatsbürger, und damit verbunden wird die Ausstellung von Personalausweisen („Aadhar Card“) sein. Von der Realisierung dieses Projektes ist man trotz einiger Vorarbeit aber noch weit entfernt. Es gibt kein Meldewesen in Indien (ÖB 12.2018; vgl. AA 18.9.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien – Arbeitsversion

Grundversorgung und Wirtschaft

In Indien lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem veranschlagten Existenzminimum der Vereinten Nationen. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine das Überleben sichernde Nahrungsversorgung auch der untersten Schichten der Bevölkerung zum Großteil gewährleistet. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 12.2018).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und in 2017/18 bei 6,75 Prozent mit wieder steigender Tendenz. Indien zählt damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt (AA 11.2018a).

2016 lag die Erwerbsquote laut Schätzungen der ILO bei 55,6 Prozent. Der Hauptteil der Menschen arbeitet im Privatsektor. Es gibt immer noch starke Unterschiede bei der geschlechtlichen Verteilung des Arbeitsmarktes. Indien besitzt mit 478,3 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Jährlich kommen 12,8 Millionen Arbeitskräfte hinzu. Im Jahr 2015 lag die Arbeitslosenquote bei 3,4 Prozent (nach ILO 2016) (BAMF 3.9.2018).

Schätzungen zufolge stehen nur circa 10 Prozent aller Beschäftigten in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 90 Prozent werden dem sogenannten „informellen Sektor“ zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (AA 11.2018a). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,4 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (AA 11.2018a).

Die Regierung hat überall im Land rund 1.000 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 3.9.2018; vgl. PIB 23.7.2018). Das Nationale Mahatma Gandhi Beschäftigungsgarantieprogramm für die ländliche Bevölkerung (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act, MGNREGA), läuft bis 2019. Das Ziel des laufenden Programms besteht darin, die ländliche Infrastruktur zu verbessern, die Land- und Wasserressourcen zu vergrößern und der armen Landbevölkerung eine Lebensgrundlage zu bieten: Jedem Haushalt, dessen erwachsene Mitglieder bereit sind, manuelle Arbeiten zu verrichten, welche keiner besonderen Qualifikation bedarf, wird mindestens 100 Tage Lohnarbeit pro Haushaltsjahr garantiert (SNRD 26.3.2018). Einige Staaten in Indien geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 3.9.2018).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.970 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 130 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (AA 11.2018a).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 3.9.2018).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).

55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 18.9.2018).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar (HRW 17.1.2019). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID Nummer ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar, arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 18.1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/205976, Zugriff 17.1.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.9.2018): Länderinformationsblatt Indien, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_India_DE.pdf, Zugriff 17.12.2018

- BBC British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world's largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787, Zugriff 20.11.2018

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/ de/dokument/2002249.html, Zugriff 23.1.2019

- HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html, Zugriff 19.11.2018

- ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/, Zugriff 20.11.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=180854, Zugriff 20.11.2018

- SNRD - Sector Network Natural Resources and Rural Development Asia (26.3.2018): Environmental Benefits of the Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA-EB), https://snrd-asia.org/environmental-benefits-of-the-mahatmagandhi- national-rural-employment-guarantee-act-mgnrega-eb/, Zugriff 29.1.2019

- WKO - Außenwirtschaft Austria (26.9.2018): Außen Wirtschaft Update Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-update.pdf, Zugriff 20.11.2018

Rückkehr

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. Auch in jüngerer Zeit wurden bei rückgeführten abgelehnten indischen Asylbewerbern keine Benachteiligungen nach Rückkehr bekannt. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 18.9.2018).

Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Herkunft und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, über die Lebenssituation der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehegatten im Herkunftsstaat sowie die Feststellungen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich den A1-, den A2 und den B1-Deutschkurs besuchte, die entsprechenden Prüfungen erfolgreich legte, Deutsch spricht, keine sonstigen Kurse oder Ausbildungen absolvierte, nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation ist, in Österreich nie ehrenamtlich gearbeitet hat, keiner erlaubten Erwerbsstätigkeit in Österreich nachgeht und über einen österreichischen Freundeskreis verfügt, sowie die Feststellung, dass der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geboren wurde, seit 2018 den Kindergarten besucht und die Sprachen Punjabi, Deutsch und Englisch spricht, sowie beide gesund sind, beruhen auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.12.2016 sowie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2020, den diesbezüglich im Verfahren bzw. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten Integrationsunterlagen sowie der Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers.

Dass die Beschwerdeführer in Österreich mit dem Ehegatten/Vater im gemeinsamen Haushalt leben, sowie die Feststellungen zum Asylverfahren des Ehegatten/Vaters ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2020 sowie den Verwaltungsakten des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin/Vaters des mj. Zweitbeschwerdeführers.

Die Feststellung, dass für den mj. Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden, ergibt sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren.

Dass die Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nehmen und die Erstbeschwerdeführerin strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Grundversorgungssystem und ins österreichische Strafregister.

Dass die Erstbeschwerdeführerin keine Probleme mit den Behörden im Heimatland hatte, ergibt sich aus ihren Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2020.

Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen war – wie schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt hat – nicht glaubwürdig:

So gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen an, dass ihre Familie mit der Hochzeit mit ihrem jetzigen Ehegatten nicht einverstanden gewesen sei, zumal sie der Religionsgemeinschaft der Hindus und ihr Ehegatte der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehören würden und ihre Familie sie mit einem anderen Mann hätte verheiraten wollen. Dazu im Widerspruch gab jedoch der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen seines Asylverfahrens an, dass seine Familie nicht gewollt habe, dass er die Erstbeschwerdeführerin heirate und seine Familie ihn mit einer anderen Frau hätte verheiraten wollen (siehe Angaben des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2016). Dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrer Familie mit einem anderen Mann hätte verheiratet werden sollen, hat der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin in seinem Verfahren jedoch mit keinem Wort erwähnt, wohingegen auch die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Verfahren nie angegeben hat, dass ihr Ehegatte in Indien mit einer anderen Frau hätte verheiratet werden sollen. Abgesehen davon, dass sich die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehegatte in seinem Verfahren auch hinsichtlich des Datums der Eheschließung widersprachen (die Erstbeschwerdeführerin führte im Rahmen der Erstbefragung aus, dass sie am 18.06.2015 geheiratet hätten, im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab sie wiederum an, dass sie am 18.05.2014 geheiratet hätten; der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin führte in seiner Erstbefragung am 09.05.2015 aus, dass sie am 18.06.2015 geheiratet hätten, während er auch dieses Datum im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.12.2016 auf den 18.05.2014 korrigierte), finden sich auch im weiteren Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen Widersprüche. So gab sie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2020 an, dass sie ihrer Familie im Jänner 2015 erzählt habe, dass sie geheiratet habe. Damals habe sie ihr Studium abgeschlossen und es sei „in Indien so, dass man nach dem Studium das Mädchen sofort verheiratet. Meine Tanten waren da und haben über meine Ehe gesprochen und zu diesem Zeitpunkt habe ich es ihnen erzählt“ (siehe Verhandlungsprotokoll, S. 7). Dazu im Widerspruch gab die Erstbeschwerdeführerin jedoch im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.12.2016 an, dass sie ihrer Familie erst nach ihrer Rückkehr aus Jalandhar, nachdem sie von ihren Brüdern geschlagen und ihr die Hand gebrochen sei, wobei sie auch ihr Kind verloren habe, gesagt habe, dass sie bereits verheiratet sei (siehe Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, AS 42.)

Ein weiterer Widerspruch im Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin findet sich darin, dass sie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2020 ausführte, dass sie mit ihrem Ehegatten im H

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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