TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/3 96/01/0038

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Veröffentlicht am 03.09.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Humphrey Ovieriakhi in Wien, geboren am 5. August 1968, vertreten durch Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt in Wien I, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. November 1995, Zl. 4.337.600/8-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der am 20. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Mai 1992, mit dem festgestellt worden war, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzung für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 14. Februar 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Dieser Bescheid wurde auf Grund einer dagegen erhobenen Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/1008, wegen irrtümlicher Anwendung des Asylgesetzes 1991 in der Fassung vor der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben.

Nach einer vom Beschwerdeführer vorgenommenen Berufungsergänzung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. November 1995 die Berufung neuerlich ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 27. April 1992 - der mit ihm aufgenommenen Niederschrift zufolge - geltend gemacht, er sei Christ und in seiner Heimat weder aus politischen noch religiösen Gründen verfolgt worden. Er habe seine Religion frei ausüben können. In Nigeria komme es seit längerer Zeit zu Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems, wobei im Oktober 1991 auch die Kirche seiner Heimatstadt überfallen und zerstört worden sei. Da die Auseinandersetzungen immer heftiger und brutaler geworden seien, habe er sich entschlossen, sein Heimatland zu verlassen, bevor er noch zu Schaden kommen würde. Der Beschwerdeführer selbst sei an den Auseinandersetzungen nicht beteiligt gewesen. Man könne aber von den Behörden in seiner Heimat keine Unterstützung erwarten; die meisten Polizisten seien Moslems und mischten sich in die Auseinandersetzungen nicht ein.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer insbesondere geltend, er habe nach Erhalt der Kopie der mit ihm aufgenommenen Niederschrift festgestellt, daß seine Ausführungen zum Teil falsch und unvollständig wiedergegeben worden seien. Er stelle daher richtig, daß er sich im Oktober 1991, gerade als die religiösen Auseinandersetzungen begonnen hätten, in Kano aufgehalten habe, um Arbeit zu suchen. Er sei in diese Auseinandersetzungen verwickelt gewesen, wobei ihm sämtliche Dokumente von Moslems weggenommen worden seien, sodaß er von diesen, da ihnen dadurch sein Name bekannt sei, Verfolgung zu befürchten habe. Er sei daher weder in seiner Heimatstadt Benin City noch in einer anderen Region Nigerias sicher gewesen. Es sei allgemein bekannt, daß inoffizielle moslemische Geheimbünde nach Christen Jagd machten und daß es auch Racheakte von Christen gebe. Das Leben des Beschwerdeführers sei daher nicht nur seinerzeit, sondern auch jetzt noch in Gefahr. Er habe daher wohlbegründete Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden.

In seiner Berufungsergänzung vom 1. September 1995 brachte der Beschwerdeführer unter Vorlage der Ablichtung eines Zeitungsausschnittes, in dem ein auch auf den Beschwerdeführer lautender, auf politische und religiöse Probleme im Mai/Juni 1991 Bezug nehmender Steckbrief der Militärregierung aufscheint, vor, auf Grund der bekannt gewordenen Hinrichtungen politischer Oppositioneller in seinem Heimatland sei bescheinigt, daß er Verfolgung aus politischen Gründen zu befürchten habe. Da sich die politische Situation in Nigeria wesentlich geändert habe, beantrage er eine ergänzende Einvernahme zum Beweis dafür, daß er aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, nicht in der Lage sei, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zunächst festgehalten, daß der Beschwerdeführer die Widersprüche zwischen seinem erstinstanzlichen Vorbringen - er sei in Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems nicht involviert gewesen - und seinen Berufungsausführungen über eine Beteiligung an diesen Unruhen nicht aufzuklären versucht habe; seinen Angaben könne daher volle Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden. Soweit er eine unrichtige Protokollierung seiner vor der Behörde erster Instanz gemachten Ausführungen ins Treffen führe, sei darauf hinzuweisen, daß er unter Beiziehung eines Dolmetschers vernommen worden sei, wobei er die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben durch seine eigenhändige Unterschrift bestätigt habe. Dieser Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers kann angesichts der gravierenden Widersprüche zwischen diesen Vorbringen, die nicht mehr durch Hör- oder Übersetzungsfehler erklärbar sind, zunächst gefolgt werden.

Die belangte Behörde hat aber die Echtheit des vom Beschwerdeführer in seiner Berufungsergänzung als Beweismittel beigebrachten, in einer Zeitung veröffentlichten Steckbriefes lediglich mit der Begründung in Zweifel gezogen, daß der Beschwerdeführer unter Verwendung seines echten Reisepasses sich der Grenzkontrolle unterzogen habe und legal ausgereist sei, woraus sich ergebe, daß der Beschwerdeführer zumindest zu diesem Zeitpunkt subjektiv kein asylrechtlich relevantes Schutzbedürfnis verspürt habe. Weiters habe er im Verwaltungsverfahren Furcht vor Verfolgung lediglich aus religiösen, nicht aber aus politischen Gründen geltend gemacht. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer bereits im Oktober 1991 aus seinem Heimatland ausgereist ist, während der im Verwaltungsverfahren beigebrachte, den Steckbrief enthaltende Zeitungsausschnitt mit 20. Juni 1995 datiert ist. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer im Jahre 1991 unbehelligt ausreisen konnte, vermag somit über die Echtheit des Steckbriefes nichts auszusagen, weil einerseits zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers der Stand des polizeilichen Ermittlungsverfahrens noch nicht das Ergebnis gehabt haben mußte, daß wegen der Teilnahme des Beschwerdeführer an den Unruhen im Mai/Juni 1991 nach ihm zu fahnden sei, und andererseits es keineswegs den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspricht, wenn Polizeibehörden erst dann das Fahndungsmittel des Steckbriefes heranziehen, wenn sie eines Verdächtigen durch kein anderes Mittel mehr habhaft werden können. Daß der Teilnahme des Beschwerdeführers an den Auseinandersetzungen seitens der Polizeibehörden auch politischer Charakter beigemessen wurde, weshalb der Beschwerdeführer dies in seiner Berufungsergänzung auch anführen konnte, vermag Zweifel an der Echtheit dieses Beweismittels nicht zu begründen. Damit erweist sich aber die Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich der Echtheit des vorgelegten Steckbriefes als nicht schlüssig. Der darin gelegene Verfahrensmangel ist deshalb wesentlich, weil der Steckbrief - seine Echtheit vorausgesetzt (diese wurde, wie dargelegt, nicht schlüssig in Zweifel gezogen) - ein wichtiges Indiz für allenfalls auch erst nach der Ausreise des Beschwerdeführers intensivierte, gegen den Beschwerdeführer gerichtete, aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention gesetzte behördliche Aktivitäten sein könnte.

Bei diesem Ergebnis konnte eine nähere Auseinandersetzung mit der von der belangten Behörde ohne Anhörung des Beschwerdeführers angenommenen, ihm offenstehenden inländischen Fluchtalternative und der Argumentation, der Beschwerdeführer habe sich durch seine Reise nach Kano selbst in Gefahr gebracht, sowie auch mit der Frage, ob der Beschwerdeführer bei Polizeibehörden Schutz vor Moslems hätte finden können, unterbleiben.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010038.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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