RS Vfgh 2020/11/26 G236/2020, G237/2020 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 26.11.2020
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Index

27/04 Sonstiges
27 Rechtspflege

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
StGG Art2
GebührenanspruchsG 1975 §18 Abs1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Bescheinigungspflicht von Zeugen für den Nachweis des "tatsächlich" entgangenen Verdienstes oder die angemessenen Kosten einer "notwendigerweise" vorzunehmenden Stellvertretung nach dem GebührenanspruchsG; erhöhte Bescheinigungspflicht für den Einkommensentgang im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum; Vorrang der pauschalierten Entschädigung gegenüber dem konkreten höheren Verdienstentgang dient der Verwaltungsvereinfachung und dem Schutz der Parteien vor unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen

Rechtssatz

Abweisung eines Antrags des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG - Gerichtsantrag) auf Aufhebung der Worte "tatsächlich" in §18 Abs1 Z2 litb und "notwendigerweise" in §18 Abs1 Z2 litc Gebührenanspruchsgesetz (GebAG) idF BGBl 343/1989. Zulässigkeit des zweiten Eventualantrags auf Grund gemeinsamer Anfechtung der Worte "tatsächlich" in §18 Abs1 Z2 litb GebAG und "notwendigerweise" in §18 Abs1 Z2 litc GebAG. Im Übrigen: Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der jeweiligen - eine untrennbare Einheit bildenden - Einzelbestimmungen als zu eng; weil die Frage der Notwendigkeit einer Stellvertretung und der tatsächliche Einkommensentgang eines selbständig Erwerbstätigen untrennbar zusammenhängen.

Mit BGBl 343/1989 hat eine systematische Anpassung des Gebührenanspruchs von Zeugen stattgefunden. Entsprechend der bis dahin geltenden Rechtslage sollte eine "Entschädigung für eine Zeitversäumnis wiederum nur zustehen [...], wenn der Zeuge durch die Befolgung seiner Zeugenpflicht sonst tatsächlich einen Vermögensnachteil erlitte". Zudem erfolgte eine zeitgemäße Anpassung der Höhe der Pauschalgebühr nach §18 Abs1 Z1 GebAG, damit in erheblich geringerem Ausmaß von der Möglichkeit der höheren (aber bescheinigungspflichtigen) Gebühr Gebrauch gemacht werde, womit wiederum eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung verbunden sei. Mit dieser Gesetzesänderung räumte der Gesetzgeber dem Kostenersatz in Form einer Pauschalentschädigung den Vorrang vor dem erheblich aufwändigeren Ersatz des konkret zu bescheinigenden Verdienst- bzw Einkommensentganges ein.

Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die Ausgestaltung des Entschädigungsanspruches für einen Vermögensnachteil, der durch die Zeugeneinvernahme entsteht, zu regeln. Dass der Gesetzgeber hiebei in erster Linie - auch auf Grund des geringeren Verwaltungsaufwandes - auf eine pauschalierte Entschädigung abstellt und bloß alternativ die Möglichkeit des Ersatzes eines konkreten Verdienst- oder Einkommensentganges vorsieht, ist nicht unsachlich. Dies gilt auch für die erhöhte Bescheinigungspflicht bei der Geltendmachung des tatsächlichen Verdienst-/Einkommensentganges, wonach - anders als bei der pauschalierten Entschädigung - zusätzlich zum Grund des Anspruches auch dessen Höhe zu bescheinigen ist. Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil zwar die finanziellen Einbußen des Zeugen ausgeglichen werden sollen, dieser aber nicht entlohnt werden soll. Nicht zuletzt ist damit abgesehen von der Verwaltungsvereinfachung zudem ein Schutz der Verfahrensparteien vor unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen verbunden.

Es ist auch keine Ungleichbehandlung von selbständig und unselbständig Erwerbstätigen ersichtlich, zumal §18 Abs1 Z2 lita und litb GebAG gleichermaßen auf den tatsächlichen (Verdienst- bzw Einkommens-)Entgang abstellen. Dazu führen auch die Erläuterungen aus, dass die Kosten allen Zeugen ohne Unterschied ihrer beruflichen Stellung im gleichen Ausmaß zustehen sollen, daher soll ein unselbständig Erwerbstätiger "das, was er auf die Hand bekommen hätte" und ein selbständig Erwerbstätiger "das, was er nach Abzug von Auslagen positiv verdient hätte" ersetzt bekommen. Dass die Art der Bescheinigung verschieden ist oder dass mit der Bescheinigung Schwierigkeiten verbunden sind, macht die Regelung noch nicht unsachlich, sondern liegt vielmehr im Unterschied zwischen unselbständigen und selbständigen Tätigkeiten sowie einzelner selbständiger Tätigkeiten und Betriebsführungen.

Anstatt des Ersatzes eines konkreten Verdienst- bzw Einkommensentganges können auch die angemessenen Kosten für eine notwendigerweise zu bestellende Stellvertretung (bzw Haushaltshilfskraft) geltend gemacht werden. Ob die Bestellung einer Stellvertretung notwendig ist, hängt davon ab, ob dem Zeugen ein tatsächlicher Verdienst- bzw Einkommensentgang entstanden ist. Die in §18 Abs1 Z2 litc GebAG vorgesehene Gebühr soll nämlich jene auf Ersatz des tatsächlich entgangenen Einkommens nach litb leg cit substituieren.

(Siehe auch E v 26.11.2020, G237/2020 ua).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Zeuge, Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, Prozesskosten, Rechtspolitik, Kostenersatz, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G236.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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