Index
SozialversicherungNorm
ABGB §8Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Rat Dr. Mahnig und die Räte Dr. Donner, Dr. Strau, Dr. Koprivnikar und Dr. Schimetschek als Richter, im Beisein des Ministerialsekretärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerden des Ing. WR in W gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 23. August 1950, Gr. Nr. A 18932, betreffend Familienzuschlag und Mietzinszuschuss zum Arbeitslosengeld und den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 23. August 1950, Gr. Nr. A 18932, betreffend Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach durchgeführter öffentlicher Verhandlung und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der belangten Behörde, Oberrat des Landesarbeitsamtes Dr. C, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde gegen den Familienzuschlag und Mietzinszuschuss zum Arbeitslosengeld betreffenden Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.
Der die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes betreffende Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
Der Beschwerdeführer hat am 2. August 1950 an das Landesarbeitsamt Wien den Antrag gestellt, gemäße § 73 AVG über seinen am 7. Jänner 1950 an das Arbeitsamt für Angestellte eingebrachten Antrag auf Zuerkennung eines Familienzuschlages und des Mietzinszuschusses für seine Gattin zu entscheiden, weil diese Behörde nicht binnen sechs Monaten ihrer Entscheidungspflicht nachgekommen war. Das Landesarbeitsamt Wien hat hierauf mit Bescheid vom 23. August 1950 ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer für seine Gattin ein Familienzuschlag nicht gebühre, weil sie ein eigenes Einkommen habe; der begehrte Mietzinszuschuss dürfe aber gemäß § 20 Abs. 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 184/1949 (AlVG) nur Arbeitslosen mit zuschlagsberechtigten Angehörigen gewährt werden. Über die hiegegen eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach § 19 Abs. 2 AlVG sind für Ehegatten Familienzuschläge zu gewähren, wenn der Arbeitslose zu deren Unterhalt tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Beschwerdeführer hat zu den Kosten der Unterkunft seiner Gattin, der im Ehescheidungsverfahren der abgesonderte Wohnsitz bewilligt worden war, im schätzungsweisen Betrage von 70,-- S monatlich beigetragen. Andere Leistungen hat der Beschwerdeführer an seine Gattin, die einer Erwerbstätigkeit nachging, nicht erbracht. Ein Beitrag zum Unterhalte im Werte von 70,-- S monatlich kann jedoch nicht als wesentlich (§ 19 Abs. 2 AlVG) gewertet werden. Ist aber das gesetzliche Erfordernis der wesentlichen Beitragsleistung zum Unterhalte nicht gegeben, dann erübrigt es sich, zu untersuchen, ob auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 zweiter Satz AlVG zutreffen. Wenn demnach für die Ehegattin ein Familienzuschlag gemäß § 19 Abs. 2 AlVG nicht zu gewähren war, so konnte auch nicht der erhöhte Mietzinszuschuß nach § 20 Abs. 5 AlVG gebühren. Die Beschwerde mußte daher in dieser Sache gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.
II.
Das Arbeitsamt für Angestellte hat mit Bescheid vom 5. Juli 1950 den Antrag des Beschwerdeführers, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gemäß § 17 Abs. 2 lit. b AlVG auf 30 Wochen zu erhöhen, abgewiesen. Der hiegegen erhobenen Berufung hat das Landesarbeitsamt Wien mit Bescheid vom 23. August 1950 keine Folge gegeben.
Der vom Vertreter der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vertretenen Rechtsansicht, daß die unbeanstandete Auszahlung des Arbeitslosengeldes Rechtskraftwirkung nach sich gezogen habe, konnte der Verwaltungsgerichtshof nicht beitreten. Der Begriff der Rechtskraft ist untrennbar mit einer behördlichen Entscheidung verbunden. Wo ein solcher förmlicher Verwaltungsakt nicht gesetzt wurde, kann auch nicht Rechtskraftwirkung eingetreten sein. Vollends abwegig ist aber die vom Vertreter der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Meinung, daß die Bekanntgabe des Betrages des Arbeitslosengeldes bei der Auszahlung an den Arbeitslosen als Bescheid zu werten sei. Nach § 62 Abs. 2 AVG ist ein mündlicher Bescheid zu verkünden und schriftlich zu beurkunden. Die mündliche Verkündung eines Bescheides ist daher ein Formalakt, der als solcher der Partei zum Bewusstsein gekommen sein muß. Deshalb ist es auch erforderlich, die Partei ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß es sich um die Verkündung eines Bescheides mit allen Rechtswirkungen eines solchen handle. Dies ergibt sich insbesondere aus § 58 Abs. 1 AVG betreffend das Erfordernis der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid. Aber auch die in § 62 Abs. 3 AVG vorgeschriebene Belehrung ist ein wesentlicher Bestandteil des Formalaktes der Verkündung. Es muß daher der Auffassung entgegengetreten werden, daß der Arbeitslose, dem eine förmliche mündliche Verkündung nicht zuteil geworden ist, mit der unwidersprochen gebliebenen Bekanntgabe der Höhe des Arbeitslosengeldes und Empfangnahme des Betrages den Rechtsschutz einer behördlichen Überprüfung infolge Rechtskraft verwirkt habe.
Gemäß § 17 Abs.2 lit. b AlVG erhöht sich die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 30 Wochen, wenn In den letzten fünf Jahren vor Geltendmachung des Anspruches arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen in der Dauer von 156 Wochen nachgewiesen werden. Nach § 69 Abs. 3 AlVG können bei der Feststellung der Dauer des Bezuges des Arbeitslosengeldes (§ 17) für Arbeitslose, die wegen des Kampfes um ein freies demokratisches Österreich eine Freiheitsstrafe verbüsst haben oder aus diesem Grunde auf behördliche Anordnung in anderer Weise angehalten wurden (§ 69 Abs. 1 AlVG), auch arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen berücksichtigt werden, die innerhalb von zwei bezw. fünf Jahren vor der Anhaltung zurückgelegt wurden.
Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer vom 3. Dezember 1942 bis 3. Mai 1945 aus in § 69 Abs. 1 AlVG angeführten Gründen in einem Konzentrationslager angehalten worden war.
Diese Zeit der Anhaltung wurde von der belangten Behörde nur insoweit berücksichtigt, als sie in die vor der Geltendmachung des Anspruches (7. Jänner 1950) liegende Frist von fünf Jahren nicht eingerechnet worden ist, so daß sich in der Zeit vom 8. August 1942 bis 7. Jänner 1950 nur arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten in der Dauer von 938 Tagen und nicht in der Dauer von 156 Wochen (1092 Tagen) ergaben. Diese von der belangten Behörde geübte Vorgangsweise entspricht jedoch nicht dem Gesetze. Bei Feststellung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für den im § 69 Abs. 1 AlVG umschriebenen Personenkreis läuft vom Eintritte des schädigenden Ereignisses an zurückgerechnet eine zweite Fünfjahresfrist wenn in der von der Geltendmachung des Anspruches an zurückgerechneten Fünfjahresfrist weniger als 156 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten liegen. Erreichen die in diesen beiden Fünfjahresfristen liegenden Zeiten arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigungen die Dauer von zusammen 156 Wochen, dann ist für den in § 69 Abs. 1 AlVG umschriebenen Personenkreis der Anspruch auf die 30 wöchige Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gegeben. Demnach hätten im Beschwerdefalle den arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten vom 1. Oktober 1947 bis 31. Dezember 1949 (= 823 Tage) auch noch die arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten, die innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren vor der Anhaltung lagen, hinzugerechnet werden müssen, d.i. die Zeit vom 7. Dezember 1938 bis 30. November 1942. Damit hat aber der Beschwerdeführer die im § 17 Abs. 2 lit. b AIVG verlangten 156 Wochen erreicht.
Der von der belangten Behörde ins Treffen geführten Bestimmung des P. 100 des 4. Durchführungserlasses des Bundesministeriums für soziale Verwaltung zum AlVG vom 15. Oktober 1949, Zl. III - 147.580/1949, kommt als einer an die Unterbehörde gerichteten Instruktion die Eigenschaft einer Verwaltungsverordnung zu. An Verwaltungsverordnungen ist aber der Verwaltungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung (Erkenntnis Slg. Nr. 81577 A, Nr. 1352 A und Nr. 2175 A) nicht gebunden. Der vom Vertreter der belangten Behörde in mündlicher Verhandlung zum Ausdruck gebrachten Auffassung, daß dieser Ministerialerlaß als authentische Interpretation des Gesetzes allgemein verbindlich sei, kann nicht zugestimmt werden. Gemäß § 8 ABGB steht nur dem Gesetzgeber die Macht zu, ein Gesetz. auf eine allgemein verbindliche Art zu erklären. Eine Verwaltungsbehörde hat daher nicht die Befugnis zur authentischen Auslegung eines Gesetzes. Die authentische Interpretation eines Gesetzes kann vielmehr nur durch eine Erklärung des Gesetzgebers vorgenommen werden, die sich als Gesetz darstellt, insbesondere auch als Gesetz kundgemacht worden ist.
Auch der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, daß die Kannbestimmung des § 69 Abs. 1 AlVG eine Ermessensvorschrift darstelle, konnte der Verwaltungsgerichtshof nicht beipflichten. Freies Ermessen liegt vor, wenn das Gesetz das Verhalten der Behörde nicht an Richtlinien bindet. Der § 69 Abs. 3 AlVG enthält aber eine Reihe von die Behörde bindenden Anordnungen, so daß von einer der Behörde anheimgegebenen freien Entschließung nicht gesprochen werden kann. Das Wort „können“ hat hier vielmehr die Bedeutung von „vermögen“. Die Behörde wird mit der Macht ausgestattet, so vorzugehen, wie das Gesetz es vorschreibt.
Der angefochtene Bescheid mußte daher in dieser Sache gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden.
Wien, am 5. November 1952
Schlagworte
Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Einhaltung der FormvorschriftenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1952:1950002158.X00Im RIS seit
14.12.2020Zuletzt aktualisiert am
14.12.2020