Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
ASVG §293Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. der R H, 2. des M H, 3. der M H und 4. des M H, alle in W, alle vertreten durch Dr. Malena Stürzenbecher, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Laudongasse 20/2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 7. Juli 2020, Zlen. 1. VGW-152/022/61/2020-28, 2. VGW-152/022/1269/2020, 3. VGW-152/022/1270/2020 und 4. VGW-152/022/1271/2020, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstrevisionswerberin und ihre drei minderjährigen Kinder, die Zweit- bis Viertrevisionswerber, sind afghanische Staatsangehörige und in Österreich asylberechtigt. Die Erstrevisionswerberin ist verheiratet. Sie beantragte am 15. Mai 2017 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und namens ihrer drei Kinder die Erstreckung dieser Verleihung.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer Verhandlung in der Sache die Anträge der Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte den nachfolgend im Wesentlichen wiedergegebenen Sachverhalt fest:
Die am 21. März 1991 geborene Erstrevisionswerberin leide seit ihrer Ankunft in Österreich 2008 unter psychischen Problemen. Ihr Gesundheitszustand habe sich zwischenzeitlich so sehr gebessert, dass sie 2011 den Hauptschulabschluss nachholen habe können. Von 1. April 2012 bis 30. September 2012 habe die Erstrevisionswerberin eine Ausbildung zur Laborgehilfin absolviert. Ab dem Wintersemester 2012/2013 habe sie einen Aufbaulehrgang für Informatik an einer näher genannten HTL als Abendschule und ab dem Sommersemester 2013 bis zum Sommersemester 2014 in der Tagesform besucht. Zugleich habe sie sich mit Beginn des Sommersemesters 2013 als Arbeitssuchende beim AMS abgemeldet.
Am 23. Juni 2014 habe die Erstrevisionswerberin ihren jüngsten Sohn, den Viertrevisionswerber, geboren und von 23. Juni 2014 bis 22. Dezember 2016 Kinderbetreuungsgeld bezogen.
Am 14. Oktober 2016 habe sie die Reife- und Diplomprüfung für den Aufbaulehrgang Informatik erfolgreich absolviert. Von der Geburt des Viertrevisionswerbers bis zur Reifeprüfung habe sich ihr psychischer Gesundheitszustand wieder so weit verschlechtert, dass sie sich nach dem Schulabschluss nicht mehr in der Lage gefühlt habe, in das Berufsleben „einzusteigen“.
Vom 18. Februar 2009 bis zumindest zur Antragstellung am 15. Mai 2017 habe die Erstrevisionswerberin bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen.
4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zum Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 und § 10 Abs. 1b StbG aus, der Lebensunterhalt der Erstrevisionswerberin für den Zeitraum des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld vom 23. Juni 2014 bis 22. Dezember 2016 gelte gemäß § 10 Abs. 5 letzter Satz StbG als gesichert.
Da die Erstrevisionswerberin - abgesehen von den 30 Monaten, in denen sie Kinderbetreuungsgeld bezogen habe - keine weiteren sechs Monate innerhalb der letzten sechs Jahre vor dem Antragszeitpunkt geltend machen könne, in denen sie keine Sozialhilfeleistungen und Einkünfte in entsprechender Höhe empfangen habe, insbesondere im Zeitraum unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt von Jänner bis Mai 2017, sei ihr Lebensunterhalt nicht iSd § 10 Abs. 5 StbG gesichert.
Gemäß § 10 Abs. 1b StbG könne vom Verleihungserfordernis des gesicherten Lebensunterhaltes nur dann abgesehen werden, wenn die unverschuldete besondere Notlage, etwa in Form einer dauerhaft schwerwiegenden Krankheit oder Behinderung, ursächlich dafür sei, dass die (retrospektive) Lebensunterhaltsbeurteilung iSd § 10 Abs. 5 StbG negativ sei. Nur dann beruhe der nicht gesicherte Lebensunterhalt auf dieser unverschuldeten besonderen Notlage.
Die Erstrevisionswerberin behaupte, bis zur Geburt des Viertrevisionswerbers am 23. Juni 2014 nicht durch eine Erkrankung von der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abgehalten worden zu sein. Vielmehr habe sie vorgebracht, dass sie erfolgreich eine Ausbildung zur Laborgehilfin absolviert und im Anschluss daran, als sie am Arbeitsmarkt nicht sofort habe Fuß fassen können, eine weitere Ausbildung zur IT-Fachkraft gemacht habe. Dass die Erstrevisionswerberin bis zur Geburt ihres jüngsten Sohnes keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei daher nicht durch eine unverschuldete besondere Notlage begründet, sondern ergebe sich aus ihrer (legitimen) Entscheidung, eine weitere Ausbildung zu absolvieren. Selbst nach ihrem Vorbringen sei die Erstrevisionswerberin erst ab 2016 gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen, einer Arbeit nachzugehen oder eine Ausbildung zu machen.
Der Lebensunterhalt der Erstrevisionswerberin sei somit nicht hinreichend iSd § 10 Abs. 1 Z 7 StbG gesichert und habe sie dies iSd § 10 Abs. 1b StbG zu vertreten. Der Verleihungsantrag sowie die Erstreckungsanträge seien daher zu Recht von der belangten Behörde abgewiesen worden.
5 Die Nichtzulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass das Erkenntnis nicht von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob der Umstand, dass bei unterhaltspflichtigen Eltern bereits die Anwendung der Bestimmung des § 10 Abs. 1b StbG zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft geführt hat, dazu führt, dass bei deren volljährigen, nicht selbsterhaltungsfähigen Kindern ebenfalls die Anwendung der Vorschrift des § 10 Abs. 1b StbG zu bejahen ist und somit selbst bei laufendem Bezug der Mindestsicherung die Annahme rechtfertigen kann, dass der Verleihungswerber den nicht gesicherten Lebensunterhalt nicht zu vertreten hat. Die Aufzählung der Gründe des § 10 Abs. 1b StbG sei demonstrativ, weshalb Gründe von vergleichbarem Gewicht ebenfalls zuzulassen seien. Ein solcher Grund sei jedenfalls anzunehmen, wenn die unterhaltspflichtigen Eltern einer nicht selbsterhaltungsfähigen, volljährigen Verleihungswerberin auf Grund einer Behinderung oder schwerwiegenden Erkrankung nicht arbeitsfähig seien.
Vorliegend sei die Revisionswerberin wegen der absolvierten Ausbildungen und ihrer Erkrankungen im relevanten Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2017 bzw. zumindest bis zum Ende ihrer Ausbildung im Oktober 2016 bzw. zumindest bis zum geplanten Ende ihrer Ausbildung im Sommersemester 2014 nicht selbsterhaltungsfähig gewesen. Das Verwaltungsgericht sei auf diesen Umstand trotz entsprechenden Vorbringens in der Beschwerde nicht eingegangen. Mangels ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit hätte „die Befreiung ihrer Eltern vom Nachweis des gesicherten Lebensunterhaltes bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft daher auf sie erstreckt werden“ müssen.
Im Übrigen fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur wesentlichen Rechtsfrage, ob eine Behinderung oder dauerhaft schwerwiegende Erkrankung der Verleihungswerberin iSd § 10 Abs. 1b StbG während des gesamten gemäß § 10 Abs. 5 StbG relevanten Durchrechnungszeitraums oder lediglich im Antragszeitpunkt vorliegen müsse.
Schließlich fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 10 Abs. 5 letzter Satz StbG betreffend die Fragen, ob der Lebensunterhalt nur dann als gesichert gelten solle, wenn während der gesamten sechs Monate vor Antragstellung Kinderbetreuungsgeld bezogen worden sei oder bereits der Bezug in einem dieser Monate ausreiche, und ob der Lebensunterhalt in der Folge nur in den letzten sechs Monaten vor Antragstellung, in denen Kinderbetreuungsgeld bezogen worden sei, als gesichert gelten solle, oder auch in den übrigen Monaten des Kinderbetreuungsgeldbezugs.
11 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG, BGBl. Nr. 311/1985 idF BGBl. I Nr. 136/2013, darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann.
12 Gemäß § 10 Abs. 5 StbG idF BGBl. I Nr. 136/2013 ist der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.
13 Gemäß § 10 Abs. 1b StbG hat der Fremde seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt insbesondere dann nicht zu vertreten, wenn dieser auf einer Behinderung oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, wobei dies durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen ist.
14 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG müssen unter dem Blickwinkel des damit verfolgten Zwecks gesehen werden, nämlich die Staatsbürgerschaft nur an Fremde zu verleihen, die ihren Lebensunterhalt in Österreich durch entsprechendes Einkommen (oder gleichzusetzende Leistungen) ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften hinreichend gesichert haben. Diese gesetzlichen Voraussetzungen müssen objektiv erfüllt sein.
Mit der Adaptierung des Durchrechnungszeitraums durch die Novelle BGBl. I Nr. 136/2013 für den Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts auf den Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt wird - ausweislich der Gesetzesmaterialien - klargestellt, dass die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können, wobei die letzten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt jedenfalls vom Fremden geltend zu machen sind. Darüber hinaus wird verdeutlicht, dass die eigenen Einkünfte des Fremden ihm lediglich in den 36 geltend gemachten Monaten eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu ermöglichen haben. Ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre steht somit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG nicht entgegen. Vielmehr ist der Lebensunterhalt des Fremden dann gemäß § 10 Abs. 5 StbG hinreichend gesichert, wenn in der geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre vor Antragstellung sein Einkommen durchgehend den Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre vor Antragstellung erreicht hat, ohne dass dabei Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften in Anspruch genommen wurden (vgl. zu allem VwGH 6.11.2018, Ra 2017/01/0013; 4.4.2019, Ra 2019/01/0085, sowie 12.12.2019, Ro 2019/01/0010, jeweils mwN, unter anderem die Erläuterungen in RV 2303 BlgNR 24. GP, 8).
15 Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 5 zweiter Satz StbG müssen die eigenen Einkünfte im geltend gemachten Zeitraum dem Fremden eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre entsprechen. Die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe der Einkünfte andererseits müssen demnach kumulativ vorliegen (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085, Rn. 12; 12.12.2019, Ro 2019/01/0010, Rn. 28).
16 Im Revisionsfall hat die Erstrevisionswerberin durch den Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung vom 18. Februar 2009 bis zumindest zur Antragstellung im maßgeblichen Durchrechnungszeitraum gemäß § 10 Abs. 5 StbG Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen und damit das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG objektiv erfüllt.
17 Die Erstrevisionswerberin vermeint nun, sie habe ihren nicht gesicherten Lebensunterhalt deshalb nicht iSd § 10 Abs. 1b StbG zu vertreten, weil der Lebensunterhalt ihrer Eltern wegen deren Behinderung bzw. dauerhaften schwerwiegenden Erkrankung nicht gesichert sei und ihr daher trotz ihrer mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit kein (ihren Lebensunterhalt hinreichend sichernden) Unterhaltsanspruch gegenüber ihren Eltern zukomme.
18 Nach der bereits zu § 10 Abs. 1b StbG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Staatsbürgerschaftsbehörde ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. Fasching, Staatsbürgerschaftsrecht im Wandel (2014), 13, FN 46). Durch die demonstrative Aufzählung in § 10 Abs. 1b StbG wird klargestellt, wann solche Gründe iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG vorliegen, die der Fremde nicht zu vertreten hat. Entscheidend ist dabei, dass der Gesetzgeber eine spezifische Ausnahmeregelung für besonders berücksichtigungswürdige Situationen schaffen wollte. Sowohl der Grund als auch die Nachweisbarkeit des Grundes müssen der in § 10 Abs. 1b StbG angeführten Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit in ihrer Bedeutung vergleichbar sein. Für diese Tatbestände hält der Gesetzgeber fest, dass nur Personen, die aufgrund ihres Behinderungsgrades oder Krankheitsbildes tatsächlich nicht oder nur eingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können, in den Anwendungsbereich dieser Ausnahmebestimmung gelangen (vgl. VwGH 11.10.2016, Ra 2016/01/0169; 15.11.2016, Ra 2016/01/0034; 19.8.2019, Ra 2019/01/0240, Rn. 20, und 8.6.2020, Ra 2020/01/0055, Rn. 19; zuletzt 9.11.2020, Ra 2020/01/0372, Rn. 14, mwN, unter anderem auf die Erläuterungen zu dieser Bestimmung in RV 2303 BlgNR 24. GP, 7).
19 Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 1b StbG hat der Verleihungswerber seinen gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 StbG nicht gesicherten Lebensunterhalt dann nicht zu vertreten, wenn eine Behinderung oder dauerhafte schwerwiegende Krankheit des Verleihungswerbers dafür ursächlich ist (arg.: „auf ... beruht“). Auf den Zeitpunkt des Eintritts einer solchen Behinderung oder dauerhaften schwerwiegenden Krankheit kommt es dabei nicht an.
20 Vorliegend war die Erstrevisionswerberin nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts erst ab 2016 auf Grund der Verschlechterung ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage, einer Arbeit nachzugehen und nach dem Ende des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass die Erstrevisionswerberin bereits davor und somit auch während des 36-monatigen Durchrechnungszeitraums iSd § 10 Abs. 5 StbG Sozialhilfeleistungen in Anspruch nahm, beruht daher nicht auf einer Behinderung oder dauerhaften schwerwiegenden Krankheit ihrerseits.
21 Auf eine allfällige Behinderung oder dauerhafte schwerwiegende Krankheit ihrer Eltern, die der hinreichenden Sicherung deren Lebensunterhalts und einem allfälligen Unterhaltsanspruch der Erstrevisionswerberin ihnen gegenüber entgegensteht, kommt es bereits deshalb nicht an.
22 Im Übrigen ist die Unterhaltsverpflichtung der Eltern für ein verheiratetes Kind gegenüber der Ehegattenunterhaltspflicht nur subsidiär, kommt also nur dann und soweit zum Tragen, als der in erster Linie unterhaltspflichtige Ehepartner nicht in der Lage ist, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen (vgl. RIS-Justiz RS0108788, RS0047698).
23 Dem im Zusammenhang mit dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld dargelegten Rechtsfragen kommt keine rechtliche Relevanz zu, weil vorliegend selbst unter Bedachtnahme auf den 30-monatigen Bezugszeitraum vom 23. Juni 2014 bis 22. Dezember 2016 der Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts der Erstrevisionswerberin auf den Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt nicht gegeben ist.
24 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es lägen vorliegend keine gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 1b StbG von der Erstrevisionswerberin nicht zu vertretenden Gründe für die gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 StbG mangelnde Sicherung ihres Lebensunterhalts vor, entspricht dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 1b StbG sowie der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
26 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 9. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010289.L00Im RIS seit
19.01.2021Zuletzt aktualisiert am
19.01.2021