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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §18Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M H, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2019, W195 2211198-1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 9. September 2015 mit einem „Visum D“ in das Bundesgebiet ein. Bis zum 9. Juli 2018 war er sodann im Besitz eines Aufenthaltstitels für Studierende. Am 26. Juni 2018 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, aufgrund seines Engagements im studentischen Zweig einer Partei in Bangladesch zu Unrecht eines Mordes bezichtigt und verfolgt worden zu sein.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 31. Oktober 2018 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubhaft sei. Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt das BVwG fest, dass der Revisionswerber die Umstände seiner Flucht nur kursorisch habe darstellen können. Zudem sei unplausibel, dass er als Funktionär im Studentenzweig einer Partei habe tätig sein können, obwohl er die Partei für korrupt gehalten habe und deshalb massive Schwierigkeiten bekommen haben soll. Im Übrigen hielt das BVwG fest, dass es unplausibel sei, dass der Revisionswerber als Verdächtiger in einem Mordfall sich frei bewegen und seinem Studium nachgehen sowie das Land auf legalem Wege habe verlassen können. Daran würde auch das vorgelegte Gerichtsurteil nichts ändern, zumal derartige Unterlagen häufig gefälscht seien und dem Revisionswerber jedenfalls anzulasten sei, dass er sich dem Gerichtsverfahren nicht gestellt habe. Die Aussagen des Revisionswerbers zu den Konsequenzen des Nichterscheinens vor Gericht seien widersprüchlich und die Aussage der Freundin zum Fluchtvorbringen „nicht erhellend“. Der Revisionswerber sei jung, gesund, familiär verankert und relativ gut ausgebildet, es drohe ihm bei einer Rückkehr keine Verletzung seiner durch Art. 2, 3 EMRK gewährleisteten Rechte.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 28. November 2019, E 3211/2019-7, die Behandlung derselben ablehnte und sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht, in der zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht wird, das BVwG habe kein korrektes Verwaltungsverfahren durchgeführt. Es habe dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens und der Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts nicht entsprochen. Darüber hinaus habe sich das BVwG nicht nachvollziehbar mit sämtlichen Beweisergebnissen auseinandergesetzt und diese Auseinandersetzung auch in der Begründung des Erkenntnisses nicht schlüssig dargestellt.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Zusammenhang mit den sowohl die Behörde als auch das Verwaltungsgericht treffenden Ermittlungspflichten festgehalten, dass auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236, mwN).
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2019/19/0043, mwN).
11 Der Revisionswerber hat - wie die Revision zutreffend aufzeigt - die politische Motivation hinter dem gegen ihn angestrengten Strafverfahren und die dagegen unternommenen Rehabilitationsversuche durch seinen Bruder vor Ort in Bangladesch im Verfahren dargelegt und auch seine Einwilligung zu Recherchen vor Ort gegeben. Das BVwG hat sich mit diesem Vorbringen wie auch jenem zur Möglichkeit der Ausreise während aufrechter Anklage gar nicht auseinandergesetzt. Insofern greift auch die oben dargestellte Beweiswürdigung, die bloß kursorisch die Unplausibilität des Fluchtvorbringens statuiert, ohne die dazu führenden Überlegungen des BVwG darzustellen, zu kurz. Es wäre fallbezogen erforderlich gewesen, auf das gesamte Vorbringen des Asylwerbers, dem im Asylverfahren nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zentrale Bedeutung zukommt, in der mündlichen Verhandlung näher einzugehen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).
12 In diesem Zusammenhang rügt die Revision auch zu Recht, dass das BVwG sich unter anderem auch nicht mit dem vorgelegten Gerichtsurteil und dessen Beweiswert für die vom Revisionswerber behauptete politische Verfolgung in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat.
13 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BVwG daher nach einem vollständigen Ermittlungsverfahren mit dem gesamten Vorbringen des Revisionswerbers und den vorgelegten Beweismitteln auseinanderzusetzen und auf dieser Grundlage zu beurteilen haben, ob dem Revisionswerber in Bangladesch Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 18. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180058.L01Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021