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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §34Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch MMag. Dr. Markus Hagen, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Lichtensteinerstraße 76, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2020, W111 1302766-4/7E, betreffend Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie rechtlich davon abhängende Aussprüche nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der (im Jahr 1999) geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte - damals vertreten durch seine Adoptivmutter - am 10. Dezember 2004 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22. März 2011 wurde dem Revisionswerber gemäß § 7 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Asylgesetz 1997 der Status des Asylberechtigten gewährt und gemäß § 12 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukomme.
2 Der Revisionswerber wurde in Österreich mehrfach straffällig. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 13. April 2015 wurde der Revisionswerber rechtskräftig wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei fünf Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen wurden.
3 Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 12. Februar 2015, abgeändert durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 27. Oktober 2015, wurde über den Revisionswerber wegen der Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 1. Fall StGB, der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB und des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 StGB mit Bezug auf das letztgenannte Urteil rechtskräftig eine Zusatzstrafe von 16 Monaten verhängt.
4 Am 3. Februar 2016 wurde der Revisionswerber vom Landesgericht Feldkirch rechtskräftig wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Z 1, 130 Abs. 2, 15 StGB (idF BGBl I 112/2015), sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 und 3 StGB, der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und wegen Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 2 und Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.
5 Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. September 2017 wurde der Revisionswerber rechtskräftig wegen versuchter Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt.
6 Zuletzt wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 23. Juli 2019, abgeändert durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 19. November 2019, wegen der Verbrechen der versuchten schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB, des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 4. Fall SMG und des versuchten Suchtgifthandels nach §§ 15 StGB, 28a Abs. 1 2. und 3. Fall SMG in der Form der Bestimmungstäterschaft nach § 12 zweiter Fall StGB sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.
7 Der Revisionswerber befindet sich derzeit in Strafhaft.
8 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22. November 2019 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Unter einem wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10 Es stützte sich beim Ausspruch über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten - wie bereits zuvor die Behörde - darauf, dass sich die Situation im Herkunftsstaat seit der Zuerkennung von Asyl nachhaltig geändert habe. Jene Umstände, aufgrund derer dem Vater des Revisionswerbers, von welchem dieser seinen Status abgeleitet habe, Asyl erhalten habe, bestünden nicht mehr. Der Revisionswerber habe keine Gründe für eine individuelle ihn selbst betreffende Verfolgung glaubhaft gemacht. In Bezug auf die Frage des subsidiären Schutzes kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, die Rückführung des Revisionswerbers in sein Heimatland werde nicht zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen. Die Abschiebung sei im Hinblick auf den drohenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers trotz des langjährigen Aufenthalts seit dem Kleinkinderalter im Inland zulässig, zumal sein weiterer Aufenthalt angesichts der mehrfachen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen „bei nicht vorliegender positiver Zukunftsprognose“ eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Der Revisionswerber sei trotz einschlägiger Vorstrafen und auch offener Probezeiten kontinuierlich straffällig geworden, wobei die Delikte in ihrem Schweregrad zugenommen hätten und der Revisionswerber eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt habe. Angesichts der Umstände des konkreten Einzelfalls sei die Verhängung eines auf die Dauer von acht Jahren befristeten Einreiseverbots verhältnismäßig.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe sowohl bei der Aberkennung des Status des Asylberechtigten als auch bei der Interessenabwägung und der Verhängung des Einreiseverbotes den in § 5 Z 10 Jugendgerichtsgesetz (JGG) normierten Rechtsfolgenausschluss nicht beachtet. Der Revisionswerber sei als Jugendlicher und junger Erwachsener straffällig geworden, was in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unberücksichtigt geblieben sei. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sei nicht innerhalb von fünf Jahren nach der Zuerkennung erfolgt. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht die Aberkennungsgründe der Familienangehörigen des Revisionswerbers in seiner Beurteilung durchschlagen lassen, obwohl die Bestimmungen über das Familienverfahren bei der Aberkennung keine Anwendung fänden. Die neuesten Entwicklungen der Sicherheitslage in Tschetschenien seien nicht berücksichtigt worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe daher zu Unrecht eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK verneint. Bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK wäre lediglich die letzte Verurteilung des Revisionswerbers zu berücksichtigen gewesen. Das gesamte soziale und familiäre Umfeld des Revisionswerbers halte sich in Österreich auf. Es sei unverhältnismäßig, einem nach dem JGG Verurteilten den zuerkannten Asylstatus abzuerkennen und ein achtjähriges Einreiseverbot auszusprechen.
15 Soweit die Revision im Zusammenhang mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten § 5 Z 10 JGG ins Treffen führt, kann es hier sein Bewenden haben, dem entgegen zu halten, dass die vom Revisionswerber gesetzten Straftaten, die zur letzten strafgerichtlichen Verurteilung geführt haben, keine Jugendstraftaten (vgl. § 1 Z 3 JGG) waren. Schon im Hinblick auf diese Verurteilung liegt eine Straffälligkeit im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 vor, die gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auch nach fünf Jahren zulässt.
16 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es bei der Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (oder nach früheren Asylgesetzen durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (im Beschwerdeverfahren: das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbständig zu beurteilen (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059; 22.4.2020, Ra 2019/14/0501).
17 Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Basis der von ihm getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat sowohl dargelegt, warum die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten beim Vater geführt haben, nicht mehr bestünden, als auch verneint, dass Gründe existieren, aufgrund derer der Revisionswerber im Fall der Rückkehr in sein Heimatland selbst einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterläge. Dem setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.
18 Insofern die Revision die Nichtberücksichtigung der „(neusten) Entwicklungen in Bezug auf die Sicherheitslage in Tschetschenien“ rügt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zu verweisen, wonach es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/14/0302, mwN).
19 Wenn die Revision weiters die vom Bundesverwaltungsgericht im Sinn des Art. 8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung und die Erlassung eines Einreiseverbotes beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0314, mwN).
20 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der im Einzelfall vorgenommenen Gewichtung der festgestellten Umstände, im Besonderen vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Auch die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots ist fallbezogen angesichts des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht als unvertretbar anzusehen.
21 Dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte nur die letzte Verurteilung des Revisionswerbers berücksichtigen dürfen, ist entgegen zu halten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes § 5 Z 10 JGG nicht hindert, dass auch das als Jugendlicher gesetzte (Fehl-)Verhalten des Fremden im Rahmen der Gesamtabwägung der Interessen nach Art. 8 EMRK oder bei einer Gefährdungsprognose Beachtung finden (vgl. zu Jugendstraftaten VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0246).
22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 18. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140387.L00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021