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24/01 StrafgesetzbuchNorm
AsylG 2005 §13 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 2020, Zl. W233 2217583-1/31E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: S R in I), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie der ersatzlosen Behebung der Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan, des Ausspruchs über die Frist für die freiwillige Ausreise und der Erlassung eines Einreiseverbotes wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit Spruchpunkt VIII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Verlust des Aufenthaltsrechtes) ersatzlos behoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 7. Februar 2019 wurde der Mitbeteiligte gemäß § 21 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 20. September 2018 unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, eine andere Person durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung genötigt hat und dadurch „eine mit ein Jahr übersteigende Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen“ hat, die ihm außerhalb dieses Zustandes als Verbrechen der Schweren Nötigung nach den §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB zugerechnet würde, und zu befürchten ist, dass er ohne die Einweisung unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen werde.
3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. März 2019 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen (I., II.), kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (III.) gewährt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen (IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (V.), keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (VI.), einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (VII.) sowie festgestellt, dass der Mitbeteiligte sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe (VIII.) und ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreisverbot erlassen (IX.).
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab und gab der Beschwerde im Übrigen statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, behob die übrigen Spruchpunkte ersatzlos und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass dem Mitbeteiligten aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung und des Fehlens eines Unterstützungsnetzwerkes weder die Rückkehr in seine Herkunftsregion noch eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei. Die Ausschlussgründe gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Asyl 2005 seien „nicht hervorgekommen“ (Z 1 und 2) beziehungsweise würden nicht vorliegen, weil der Mitbeteiligte „unbescholten“ sei (Z 3).
6 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Begründung auf das Wesentliche zusammengefasst insbesondere geltend macht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 auch vorliege, wenn der Fremde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden sei und die Anlasstat als Verbrechen gemäß § 17 StGB zu qualifizieren sei. Zudem habe das BVwG zu Unrecht den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 nicht geprüft, zumal der Umstand der fehlenden Schuldfähigkeit der Erfüllung dieses Tatbestandes nicht entgegenstünde. Im Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 7. Februar 2019 sei die Unterbringung darauf gestützt worden, dass zu befürchten sei, der Mitbeteiligte begehe eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, nämlich schwere Köperverletzungen. Zudem rügt die Amtsrevision, das BVwG habe nicht begründet, weshalb es den Spruchpunkt betreffend den Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ersatzlos behoben habe.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Soweit die Revision eine fehlende Auseinandersetzung mit § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sowie das gänzliche Fehlen einer Begründung für die ersatzlose Behebung des Ausspruchs über den Verlust des Aufenthaltsrechts rügt, ist sie zulässig und auch berechtigt.
I.:
9 Mit der in der Revision aufgeworfenen Rechtsfrage, ob der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 auch erfüllt sei, wenn der Fremde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde, hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich in seinem Erkenntnis vom 22. Oktober 2020, Ro 2020/20/0001 auseinandergesetzt und zusammengefasst ausgeführt, dass kein Hinweis dafür bestehe, dass der Gesetzgeber mit der in § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 enthaltenen Wendung „von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist“ auch die Anordnung einer Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB hätte verstanden wissen wollen.
10 Dass der Gesetzgeber auch jene Personen als des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 unwürdig hätte einstufen wollen, denen ihr strafbares Handeln nicht schuldhaft vorwerfbar ist, ist den Erläuterungen zur Änderung des § 9 AsylG 2005, mit der (auch) der hier in Rede stehende Ausschlussgrund (mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 - FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122/2009) geschaffen wurde, nicht zu entnehmen. Es ergibt sich sohin kein Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber mit der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 enthaltenen Wendung „von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist“ auch die Anordnung einer Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB hätte verstanden wissen wollen. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
11 In dem zitierten Erkenntnis vom 22. Oktober 2020 hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Prüfung des Ausschlussgrunds nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hingewiesen. Bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gegeben ist, ist auf das Wesentliche zusammengefasst zu prüfen, ob sich nach Art und Schwere der Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden ziehen lässt. Da es insoweit nach der Rechtsprechung um die Vornahme einer Gefährdungsprognose geht, wie sie auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften grundgelegt ist, steht der Bejahung einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung nicht entgegen, dass er sein Verhalten nicht schuldhaft zu vertreten hat (vgl. zu alledem VwGH 22.10.2020, Ro 2020/20/0001, mwN).
12 Der objektive Tatbestand des Verbrechens der schweren Nötigung durch Drohung mit dem Tod nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall StGB setzt voraus, dass die Drohung über die Eignung zur Erregung irgendwelcher begründeter Besorgnisse hinaus dem Bedrohten den Eindruck zu vermitteln vermag, der Täter sei in der Lage und willens, die angedrohte Todesfolge gegebenenfalls auch wirklich herbeizuführen (vgl. RIS-Justiz RS0092967). Eine Drohung mit dem Tode ist eine solche, bei welcher der Täter im Bedrohten Furcht vor einem Anschlag auf sein Leben hervorrufen wollte und der Bedrohte den Umständen nach objektiv den Eindruck gewinnen konnte, der Täter sei in der Lage und willens, die Drohung auch wahrzunehmen (vgl. RIS-Justiz RS0092878).
13 Damit ist für die Erfüllung des objektiven Tatbildes nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall StGB essentiell, dass der Bedrohte durch die Tatbehandlung den Eindruck gewinnen konnte, der Täter sei in der Lage und willens, die angedrohte Todesfolge gegebenenfalls auch wirklich herbeizuführen. Davon ausgehend hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel, dass es sich bei Handlungen, die den Tatbestand des Verbrechens der schweren Nötigung durch Drohung mit dem Tod erfüllen, um solche handeln kann, die den Schluss zulassen, dass vom Täter eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ausgehen könnte. Demgemäß bildet auch der Abschluss eines Strafverfahrens, in dem die Handlungen als nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall StGB tatbildmäßig beurteilt wurden, einen gewichtigen Hinweis für das Bestehen einer solchen Gefährlichkeit.
14 Indem das BVwG in offensichtlicher Verkennung dieser Rechtslage überhaupt keine Feststellungen getroffen hat, die eine Gefährdungsprognose ermöglichen würden, und sich nicht näher mit dem Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auseinandergesetzt hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der rechtlich davon abhängenden Aussprüche aufzuheben war.
II.:
15 Zur ersatzlosen Behebung des Ausspruches über den Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 rügt die Revision zu Recht, dass das Erkenntnis des BVwG keine diesbezügliche Begründung enthalte.
16 In der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts ist in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0006, mwN).
17 Es ergibt sich schon aus dem Gesetzestext, dass der Ausspruch gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 über den Verlust des Aufenthaltsrechts von den anderen Aussprüchen im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz rechtlich trennbar ist und mit diesen auch in keinem inneren Zusammenhang steht (vgl. VwGH 10.9.2020, Ro 2019/20/0006).
18 Das BFA stützte den Ausspruch über den Verlust des Aufenthaltsrechtes auf § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 (Verhängung der Untersuchungshaft). Das BVwG behob diesen Spruchpunkt ersatzlos, ohne diesen Ausspruch zu begründen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der ersatzlosen Behebung des Ausspruchs über den Verlust des Aufenthaltsrechtes gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 20. November 2020
Schlagworte
Trennbarkeit gesonderter AbspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010109.L00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021