TE Vwgh Beschluss 2020/11/26 Ra 2020/11/0199

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Führerscheingesetz

Norm

AVG §68 Abs1
AVG §69 Abs1 Z1
FSG 1997 §24 Abs4
FSG 1997 §3 Abs1 Z4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des B H in B, vertreten durch Mag. Harald Rossmann, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 16. September 2020, Zl. LVwG-2020/20/0043-28, betreffend Wiederaufnahme eines Führerscheinverfahrens und Abweisung des Antrages auf Erteilung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, in Bestätigung des Bescheides der belangten Behörde vom 25. November 2019, das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers gemäß § 69 AVG wiederaufgenommen und unter einem sein Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung wegen mangelnder fachlicher Eignung gemäß § 3 Abs. 1 Z 4 iVm §§ 10 und 11 FSG abgewiesen.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2        In der Begründung wurde ausgeführt, der Revisionswerber sei serbischer Staatsangehöriger albanischer Ethnie und lebe seit dem Jahr 2005 in Österreich. Mit Ausstellung des Führerscheines vom 28. Dezember 2016 sei ihm die Lenkberechtigung für die Klasse B erteilt worden. In einer anonymen Anzeige vom 30. April 2019 sei der belangten Behörde mitgeteilt worden, dass der Revisionswerber die theoretische Fahrprüfung am 23. November 2016 mit Hilfe einer Kamera, einem Mikrophon und Kontakt zu einer dritten Person, welcher er dafür einen Geldbetrag bezahlt habe, absolviert habe. In der Anzeige sei auch ausgeführt worden, dass der Revisionswerber keine Kenntnis von den Verkehrsregeln habe und weder der deutschen noch der kroatischen Sprache mächtig sei.

3        Der Revisionswerber sei für 28. Mai 2019 vor die belangte Behörde geladen worden und habe den Vorwurf bestritten. Die belangte Behörde habe ihm einzelne Fragen der theoretischen Fahrprüfung vorgelegt und sei zum Ergebnis gelangt, dass der Revisionswerber gravierende Probleme beim Lesen und bei der Aussprache gehabt und den gelesenen Text augenscheinlich nicht verstanden habe.

4        Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 habe die belangte Behörde den Revisionswerber aufgrund der Annahme, dass er die am 23. November 2016 absolvierte theoretische Fahrprüfung erschlichen habe, gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, binnen einmonatiger Frist die theoretische und praktische Fahrprüfung neuerlich abzulegen.

5        Dieser Bescheid sei aufgrund einer Beschwerde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 19. August 2019 mit der Begründung behoben worden, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG gegenständlich nicht vorlägen und dass in einem Fall, in welchem die Erteilungsvoraussetzungen nie erlangt worden seien, das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung von Amts wegen wiederaufzunehmen sei.

6        Der „im zweiten Rechtsgang“ ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 25. November 2019 beruhe auf der Annahme, dass der Revisionswerber die theoretische Fahrprüfung erschlichen habe und dass ihm die fachliche Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges fehle, sodass mit der Wiederaufnahme des Erteilungsverfahrens sein Antrag auf Erteilung abzuweisen gewesen sei.

7        In der dagegen erhobenen Beschwerde habe der Revisionswerber das Erschleichen und somit das Vorliegen der Voraussetzung des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG für die Wiederaufnahme des Verfahrens bestritten und eingewendet, dass der Bescheid vom 25. November 2019 dem Grundsatz ne bis in idem widerspreche.

8        Als entscheidungsrelevanten Sachverhalt (soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung) stellte das Verwaltungsgericht nach durchgeführter mündlicher Verhandlung fest, der Revisionswerber habe erstmals im Februar 2015 die Ausbildung zum Erwerb der Lenkberechtigung bei einer näher genannten Fahrschule in Tirol begonnen, habe dann mehrmals die Fahrschulen gewechselt (darunter auch Fahrschulen in Wien), wo er insgesamt fünf Mal erfolglos zur theoretischen Fahrprüfung angetreten sei (die Erfolgsquoten seien bei 5% und 2% [Grundwissen und klassenspezifisches Wissen für die KlasseB] im Jahre 2015 und bei 62% und 60% im Juni 2016 gelegen und hätten somit die erforderlichen 80% nicht erreicht). Erst bei der in Rede stehenden sechsten Prüfung am 23. November 2016 habe der Revisionswerber Werte von 97% und 100% erreicht.

9        Weiters wurde dem angefochtenen Erkenntnis als Sachverhalt der Inhalt der bereits erwähnten anonymen Anzeige zugrunde gelegt und zu den Deutschkenntnissen des Revisionswerbers aufgrund seiner Befragung in der Verhandlung festgestellt, dass er sich zwar auf Deutsch verständigen könne, jedoch gravierende Probleme beim sinnerfassenden Lesen habe. Es sei unmöglich, dass der Revisionswerber Fragen und Antworten auswendig gelernt und fotografisch in Erinnerung behalten habe (in diesem Zusammenhang wurde zum generellen Prüfungsablauf festgehalten, dass die theoretische Fahrprüfung als Computerprüfung mit Multiple-Choice-Fragen durchgeführt werde, wobei jedoch nicht nur die Fragenauswahl, sondern auch die Reihenfolge der vier Antwortmöglichkeiten durch die EDV bestimmt werde).

10       Resümierend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe die Fahrprüfung bewusst manipuliert, und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die in der Anzeige dargestellte Weise, somit unter Verwendung unzulässiger Hilfsmittel wie Minikamera, Ohrstöpsel und einen externen Helfer.

11       Dem folgt eine umfassende Beweiswürdigung, die zusammenfassend auf die detaillierten Angaben der anonymen Anzeige, die sich auch hinsichtlich der fehlenden Fähigkeit des Revisionswerbers betreffend sinnerfassendes Lesen als zutreffend erwiesen habe, und das damit nicht in Einklang zu bringende Ergebnis der letzten (erfolgreich absolvierten, sechsten) Fahrprüfung stützt.

12       In der rechtlichen Beurteilung erachtete das Verwaltungsgericht § 69 Abs. 1 Z 1 AVG als erfüllt (die Nennung der Z 3 im Spruch stellt demnach ein offensichtliches Versehen dar), da der Revisionswerber bei der Fahrprüfung am 23. November 2016 ein positives Ergebnis erschlichen habe, indem er sich in unzulässiger Weise technischer Hilfsmittel und eines externen Helfers bedient habe. Er habe daher die fachliche Befähigung zum Lenken und damit die in § 3 Abs. 1 Z 4 FSG genannte Voraussetzung für die Erteilung der Lenkberechtigung nicht erlangt.

13       Dem angefochtenen Erkenntnis stehe, anders als in der Beschwerde vorgebracht werde, der Grundsatz ne bis in idem nicht entgegen. Auch wenn die beiden von der belangten Behörde geführten Verfahren nach dem Einlangen der anonymen Anzeige im Wesentlichen die gleiche Zielrichtung gehabt hätten, sei dem Bescheid vom 3. Juni 2019 (Aufforderung gemäß § 24 Abs. 4 FSG, die Fahrprüfung neuerlich abzulegen) „ein völlig anderes rechtliches Konzept zugrunde“ gelegen, als der nunmehrigen Wiederaufnahmeentscheidung samt Versagung der Lenkberechtigung.

14       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

15       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

16       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (VwGH 27.4.2020, Ra 2019/11/0045, mwN). Dem Erfordernis einer gesonderten Zulässigkeitsbegründung wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. aus vielen die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN).

18       Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/11/0157, mwN).

19       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ausschließlich vor, das angefochtene Erkenntnis verstoße gegen die hg. Rechtsprechung zu § 68 Abs. 1 AVG, weil im Sinne dieser Bestimmung Identität der Sache auch dann vorliege, wenn die Behörde aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen Beurteilung entschieden habe (Verweis auf VwGH 2.7.1992, 91/06/0207, und VwGH 30.6.1994, 92/06/0270).

20       Die Revision geht offensichtlich deshalb von entschiedener Sache aus, weil das Verwaltungsgericht mit dem erwähnten Erkenntnis vom 19. August 2019 bereits rechtskräftig entschieden habe, dass gegenständlich die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG nicht vorliegen.

21       Die Rechtskraft einer Entscheidung steht einer weiteren Entscheidung in derselben Sache entgegen. Gegenstand der Rechtskraft ist nur der konkrete Norminhalt der infrage stehenden Entscheidung, d.h. der Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch die Entscheidung ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen Sachverhalt zum Ausdruck kommt (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG [2018], § 68, Rz 23, und das dort beispielhaft referierte Erkenntnis VwGH 23.4.2003, 2000/08/0040).

22       Davon ist das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht abgewichen:

Wie dargestellt war Sache des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts vom 19. August 2019 die Aufforderung des Revisionswerbers gemäß § 24 Abs. 4 FSG zur neuerlichen Ablegung der Fahrprüfung. Durch die (ersatzlose) Behebung des Bescheides gemäß § 24 Abs. 4 FSG wurde rechtskräftig - ausschließlich - entschieden, dass die von der belangten Behörde angenommene Erschleichung der Fahrprüfung seitens des Revisionswerbers nicht rechtens zu seiner Aufforderung gemäß § 24 Abs. 4 FSG führen kann.

23       Dies unterscheidet die Sache von jener des angefochtenen Erkenntnisses, in welcher es um die Erteilung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers bzw. um die Wiederaufnahme des diesbezüglichen Verfahrens ging.

24       Nicht damit vergleichbar sind daher die in der Revision angeführten, obzitierten Erkenntnisse Zlen. 91/06/0207 und 92/06/0270, in denen es jeweils um die Frage der Identität von - der Art nach gleichartigen - Ansuchen (jeweils Bau- bzw. Widmungsansuchen) ging. Eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung wird mit dem Verweis auf diese Erkenntnisse daher nicht aufgezeigt.

25       Da die Revision somit keine keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft, war die Revision zurückzuweisen.

Wien, am 26. November 2020

Schlagworte

Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020110199.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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