TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 L509 2193922-1

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Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §8a

Spruch

L509 2193922-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

A)

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über

die Beschwerde

von XXXX , geb. XXXX , StA: Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid

des

Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2018, Zl. XXXX ,

zu Recht erkannt:

A.I. Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF, § 18 BFA-VG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

A.II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

B) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

B.I. Der Antrag auf Verfahrenshilfe wird mangels Erfüllung des Verbesserungsauftrages zurückgewiesen.

B.II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.03.2018, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer (BF) gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG 2005 ein für die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt (Spruchpunkt II) und der Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Laut Aktenvermerk vom 27.03.2018 wurde der Bescheid am 27.03.2018 mangels bekannter Abgabestelle durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 Zustellgesetz zugestellt. Von der letzten Adresse in Österreich (Hauptwohnsitz) wurde der BF am 31.08.2017 abgemeldet.

Mit 27.03.2018 hat das BFA gegen den BF einen Festnahmeauftrag gemäß §§ 34 Abs.5 und 47 Abs. 1 BFA-VG erlassen. Am 30.03.2018 ist der o. g. Bescheid dem BF in Kopie ausgehändigt worden. Er wurde darauf hingewiesen, dass die Zustellung bereits am 27.03.2018 durch Hinterlegung im Akt erfolgte war.

2. Mit Verfahrensanordnung vom 27.03.2018 hat das BFA dem BF für ein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung, Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung, als Rechtsberaterin amtswegig und kostenlos zur Seite gestellt.

3. Mit Schriftsatz vom 13.04.2018, eingebracht durch die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe unter Vorlage einer vom BF unterzeichneten Vertretungsvollmacht, wurde Beschwerde gegen den o.a. Bescheid eingebracht. Damit wurde der Bescheid vollinhaltlich angefochten und beantragt, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die Beschwerde wurde am 30.04.2018 samt Akt beim Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch Beschluss erfolgte nicht.

4. Der BF wurde am 30.03.2018 durch Beamte der Polizeiinspektion XXXX in Schubhaft genommen. Am 09.04.2018 brachte der BF Schubhaftbeschwerde ein. Diese wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.04.2018 als unbegründet abgewiesen, festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, der BF zum Kostenersatz verpflichtet und die Revision für nicht zulässig erklärt. Am 21.04.2018 wurde der BF in die Türkei abgeschoben.

5. Die gegenständliche Erlassung des Aufenthaltsverbotes wurde auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG 2005 gestützt und damit begründet, dass das Verhalten des BF eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Der BF habe bereits seit längerer Zeit nicht dafür Sorge getragen, dass er die Mittel zum Lebensunterhalt für sich und seine Familie besorgt und sei er seinen Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie nicht nachgekommen. Seine Gattin sei dadurch gezwungen gewesen, um bedarfsorientierte Mindestsicherung anzusuchen. Durch das Verhalten habe der BF dem Staat bereits einen erheblichen finanziellen Schaden zugefügt, da er seiner Verpflichtung zum Unterhalt besonders seinen Kindern gegenüber nicht nachgekommen sei. Es bestehe daher begründete Gefahr, dass sein weiterer Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung der öffentlichen Gebietskörperschaft führen werde. Es liege dadurch sowohl der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 NAG als auch der Versagungsgrund des Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 leg. cit. vor. Dass der Mangel an Unterhaltsmitteln die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, ergäbe sich aus § 60 Abs. 2 Z 7 iVm Abs. 1 Z 1 FPG (alte Rechtslage).

Der BF halte sich zwar seit August 2018 (gemeint: 2017) nach wie vor in Österreich auf, würde sich jedoch an keiner Adresse anmelden, so dass er weder für Behörden noch Gerichte erreichbar wäre und er auch von mehreren Gerichten zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben werden musste. Auch einer im laufenden Verfahren auferlegten Meldeverpflichtung bei der PI XXXX sei der BF nicht nachgekommen. Es bestünden eine Vielzahl von rechtskräftig gegen den BF verhängten Verwaltungsstrafen mit einer Forderung von über 3.000 Euro. Das gesamte Verhalten des BF lasse eindeutig den Schluss zu, dass er nicht gewillt ist, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Er stelle daher eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Diese sei auch aufgrund der wiederkehrenden Missachtung der Rechtsordnung nachhaltig gefährdet.

Sein Familienleben in Österreich relativiere sich insofern, als er bereits seit August 2017 nicht mehr mit seiner Familie zusammenlebe und mindestens seit dieser Zeit auch nicht mehr für deren Unterhalt sorge. Seine Ehegattin habe bereits die Scheidung eingereicht und die Scheidungsverhandlung habe am 16.02.2018 stattgefunden. Seit August 2017 sei die Gattin allein für den Unterhalt und die Betreuung der gemeinsamen Kinder verantwortlich, obwohl es dem BF möglich gewesen wäre, einer Beschäftigung nachzugehen und für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen. Hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Kontaktes mit der Familie wurde der BF auf die Besuchsmöglichkeiten in der Türkei und den Gebrauch von Telefon- und E-Mail-Verkehr verwiesen.

Der Aufenthalt des BF unterliege den Bestimmungen des Assoziierungsabkommens der Türkei mit dem EWR und sei dieser auch bis dato nicht unrechtmäßig. Jedoch sei der Staat (Österreich) verpflichtet, aufgrund des gesamten Verhaltens des BF, der bestehenden rechtskräftigen Bestrafungen und dem offensichtlichen Unwillen des BF, sich den Rechtsvorschriften zu beugen, den gesetzlichen Auftrag und die moralische Verpflichtung gegenüber den Staatsbürgern, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu sorgen, durchzusetzen. Der BF habe einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Familiennachzuges erhalten, habe sich jedoch von seiner Familie getrennt und habe er diese mittellos zurückgelassen. Er selbst sei untergetaucht und habe sich dem Zugriff der Behörden entzogen. Es liege keine gelungene Integration vor. Trotzdem er in Österreich noch als unbescholten gelten muss, würden bereits mehrere Strafanträge bei den österreichischen Gerichten vorliegen, die aufgrund seines Untertauchens bis dato nicht zum Abschluss gebracht werden konnten. Es könne davon ausgegangen werden, dass Familienangehörige des BF nach wie vor in der Türkei leben und er zu diesen auch Bezug hätte. Er habe zu keiner Zeit Verfolgungsgründe oder sonstige Gründe vorgebracht, die einer Abschiebung entgegenstehen. Das öffentliche Interesse überwiege das persönliche Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei gerechtfertigt und notwendig, die vom BF ausgehende erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Der festgesetzte Zeitraum sei auch erforderlich, um einen positiven Gesinnungswandel zur Einstellung des BF im Hinblick auf die österreichische Rechtsordnung zu bewirken.

Die sofortige Umsetzung des Aufenthaltsverbotes sei im Interesse der Bevölkerung geboten. Ein amtswegiger Durchsetzungsaufschub habe daher nicht erteilt werden können. Da der BF laufend gegen geltende Rechtsnormen verstoßen, die Kontakte zu seiner Familie abgebrochen und sich dem Zugriff der Behörden entzogen habe, sei es auch geboten, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen.

6. Gegen den angeführten Bescheid wurde durch die vom BF bevollmächtigte Vertretung mit Schriftsatz vom 13.04.2018 rechtzeitig Beschwerde eingebracht. In der Beschwerde wurde zum Sachverhalt angegeben, der BF lebe seit 25.07.2012 legal in Österreich. In dieser Zeit sei er legal und durchgehend, lediglich unterbrochen durch für das Baugewerbe typische saisonale Schwankungen, beschäftigt gewesen. Anfang 2016 habe der BF auch in Deutschland gearbeitet.

Seine drei Kinder würden in Österreich leben. Zu seiner Ehefrau habe er ein gutes Verhältnis. Die Ehefrau wünsche sich ausdrücklich, dass der BF in der Nähe wohnt, weil er ein sehr gutes und liebevolles Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern habe. Er hätte auch eine Einstellungszusage und sein Lebensmittelpunkt sei seit geraumer Zeit in Österreich.

Weiters wurden mit der Beschwerde Ermittlungsmängel und mangelhafte Feststellungen geltend gemacht. Eine mündliche Einvernahme hätte nicht stattgefunden. Es sei dem BF lediglich die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt worden, was ihm aber trotz seiner Deutschkenntnisse nicht möglich gewesen wäre. Die belangte Behörde hätte ergänzende Ermittlungen zu seinem Privatleben anstellen müssen. Er habe seit 2012 stets gearbeitet und möchte so schnell wie möglich wieder arbeiten. Diesbezüglich hätte er auch bereits eine Einstellungszusage. Die Familie, insbesondere seine drei minderjährigen Kinder befänden sich in Österreich. Sein Lebensmittelpunkt und die sozialen Anknüpfungspunkte seien in Österreich. Obwohl er noch Familie in der Türkei hätte, seien seine Bindungen zum Heimatland mittlerweile geringer als zu Österreich. Dies hätte die belangte Behörde nach Durchführung ergänzender Ermittlungen feststellen müssen. Für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes in der Dauer von 5 Jahren hätte die Behörde keine Gründe angeführt. Dem BF seien lediglich Verwaltungsübertretungen vorgeworfen worden, strafrechtlich sei er unbescholten.

Wegen Verletzung der Ermittlungspflicht liege auch eine mangelhafte Beweiswürdigung vor. Die Wichtigkeit der drei Kinder und die tragende Rolle, die der BF im Leben seiner Kinder einnehme, werden nicht beleuchtet. Wegen Verletzung des Parteiengehörs habe der BF dies auch nicht angeben können. Auch die Exfrau des BF hätte dazu erhellendes beigetragen. Es sei dem BF unzumutbar, dass er sich 5 Jahre lang nicht in Österreich aufhalten dürfe. Hier hätte er Freunde und seine Freundin und er wolle seinen Lebensunterhalt selbständig verdienen.

Im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, bedürfte es im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose einer näheren Auseinandersetzung mit diesem strafrechtlichen Fehlverhalten im Einzelnen. Es sei nicht auf die Tatsache der bloßen Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden abzustellen, sondern auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild. Dies gelte auch für die Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen zugrundeliegende Fehlverhalten. Einen wichtigen Umstand im Rahmen der Beurteilung würden Art und Anzahl bisheriger Verurteilungen darstellen, wobei insbesondere die verbrecherische Intensität zu berücksichtigen sei. Es komme maßgeblich auf die Wiederholungsgefahr an und die entfernte Möglichkeit neuer Störungen reiche nicht aus. Eine solche Wiederholungsgefahr liege beim BF nicht vor. Es sei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt worden. Die Behörden hätten einen angemessenen Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen, der besonderen Rechtstellung der dem Unionsrecht unterliegenden Personen und den Grundsatz der Freizügigkeit zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde habe die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes sowie die familiäre Situation des BF nicht berücksichtigt.

Die Feststellung einer Liste von Aufenthaltsermittlungen, wobei der BF teilweise lediglich als Zeuge gesucht werde, reiche nicht aus für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose. Es wären konkrete Feststellungen zu den einzelnen, der Verurteilung des BF zugrundeliegenden Straftaten zu treffen gewesen. Aufgrund des persönlichen Verhaltens des BF könne nicht von einer Gefährdung ausgegangen werden. Eine vorzunehmende Zukunftsprognose hätte somit zugunsten des BF ausfallen müssen. Es sei von der belangten Behörde nicht begründet worden, weshalb nur mit einem 5 Jahre bestehenden Aufenthaltsverbot das Auslangen gefunden werden könnte. Der besonderen Rechtsstellung des BF als einer dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Person sei nicht Rechnung getragen worden. Der BF verfüge über ein schützenswertes Privat- und Familienleben. Der Eingriff in diese Rechte sei unzulässig.

Sollte der Beschwerde nicht gefolgt werden, werde ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei zwingend, wenn der Beschwerde nicht schon aufgrund der Aktenlage Folge gegeben werde.

7. Mit der Beschwerde wurde gleichzeitig gemäß § 8a VwGVG Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in den erstinstanzlichen Akt Einsicht genommen. Der BF wurde zu seinem Antrag auf Verfahrenshilfe vom BVwG über seine Rechtsvertretung auch aufgefordert, ein Vermögensbekenntnis abzugeben. Dieser Aufforderung wurde nicht nachgekommen. Zur Beurteilung seines strafrechtlichen Leumundes wurde eine Strafregisterauskunft getätigt.

1. Feststellungen:

Der am 01.06.1990 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und lebte seit 25.7.2012 in Österreich. Er ist im Juli 2012 seiner in Österreich lebenden Familie nachgezogen. Er lebte bei seiner - inzwischen geschiedenen - Ehegattin, die ebenfalls türkische Staatsangehörige ist. Der Beschwerdeführer hat eine neunjährige und eine sechsjährige Tochter sowie einen fünfjährigen Sohn. Bis zum 6.10.2016 lebte der Beschwerdeführer bei seiner Familie im gemeinsamen Haushalt. Vom 07.10.2016 bis 17.08.2017 und vom 31.08.2017 bis 03.04.2018 (Festnahme zur Verhängung der Schubhaft) lebte der Beschwerdeführer in Österreich ohne polizeiliche Anmeldung.

Zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich war der Beschwerdeführer als Arbeiter bei verschiedenen Baufirmen tätig. Ab 24.12.2014 bis 1.3.2015 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld, ebenso vom 23.1.2016 bis 10. 02.2016 sowie vom 22.2.2016 bis 29.2.2016. Zuletzt war der Beschwerdeführer vom 6.10.2017 bis 15.11.2017 als Arbeiter bei der Firma L beschäftigt und ging er in der Folge bis zu seiner Festnahme am 3.4.2018 keiner Beschäftigung mehr nach.

Seit 05.08.2017 ist der BF auch nicht mehr im Besitze eines Aufenthaltstitels.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX und bei der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Sicherheits- und verwaltungspolizeiliche Angelegenheiten, scheinen über den Beschwerdeführer eine große Anzahl von rechtskräftigen Bestrafungen wegen der Begehung von Verkehrsdelikten (Übertretungen der StVO und des KFG) auf. Unter anderem wurde der Beschwerdeführer am 24.10.2017 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand sowie am 11.01.2018 wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges, ohne im Besitz einer Lenkberechtigung zu sein, rechtskräftig bestraft. Insgesamt sind bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX über den Beschwerdeführer in den vergangenen 5 Jahren 29 rechtskräftige Bestrafungen wegen Übertretung von Verkehrsvorschriften vermerkt. Im gleichen Zeitraum sind 2 rechtskräftige Bestrafungen – davon 1 Mal wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und 1 Mal wegen Verstoß gegen § 120 Abs. 1a FPG bei der Landespolizeidirektion Oberösterreich vermerkt.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers hat Unterhaltsvorschuss beantragt, weil der Beschwerdeführer seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern nicht nachgekommen ist. Es wurde dem Beschwerdeführer seitens des BFA auch eine Meldeverpflichtung auferlegt, die der Beschwerdeführer jedoch nicht befolgte. Am 30.8.2018 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines Festnahmeauftrages des BFA von der Polizei festgenommen und in Schubhaft genommen. Die Abschiebung erfolgte am 15.4.2018.

Die – inzwischen geschiedene - Ehegattin des Beschwerdeführers lebt seit September 1998 in Österreich und ist im Besitze eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt (Kartennr: A39147093, ausgestellt am 15.07.2019 von der Bezirkshauptmannschaft XXXX , gültig bis 14.07.2024).

2. Beweiswürdigung:

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus dem Akteninhalt. Das Bundesverwaltungsgericht hat zusätzlich Einsicht genommen in den Akt mit der Zahl G304 2191849-1, in dem das Verfahren über die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid enthalten ist. Die Feststellungen über die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers decken sich mit seinen Angaben in diesem Verfahren und sind insoweit unbestritten. Auch die Feststellungen über die Wohn- und Arbeitsverhältnisse des Beschwerdeführers sowie über seine Aufenthaltsberechtigungen ergeben sich aus den Aufzeichnungen im Zentralmelderegister bzw. dem Datenauszug der österreichischen Gesundheitskasse sowie dem Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug. Die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen wurden von der Bezirkshauptmannschaft XXXX unter Landespolizeidirektion Oberösterreich dem BFA bekannt gegeben. Im Verfahren über die Schubhaftbeschwerde wurde eine mündliche Verhandlung anberaumt, in der der Beschwerdeführer den Vorhaltungen hinsichtlich der strafbaren Handlungen nicht entgegengetreten ist.

Dass der Beschwerdeführer seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, ergibt sich aus der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft XXXX Abteilung Sozialhilfe.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Das Fremdenpolizeigesetz (FPG) behandelt in seinem 4. Abschnitt aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige. Unter begünstigte Drittstaatsangehörige versteht das FPG gemäß § 2 Abs. 4 den Ehegatten, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Mit jüngster Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht innehaben, als „sonstige Drittstaatsangehörige“ gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.

So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:

„[…] Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind „sonstige“ Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL).

Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).

Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. […]“

Für den vorliegenden Fall bedeutet das:

Gegenständlich hat das Bundesamt gegen einen nicht mehr rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, der seiner Prüfung nach unter den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen.

Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung der bP als „sonstige Drittstaatsangehörige“ hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit oder ohne Einreiseverbot zu prüfen.

Diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot setzt selbstverständlich eine Gefährdung voraus, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit ca. 8 Jahren – zunächst rechtmäßig und seit 05.08.2017 unrechtmäßig - in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. […], so der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung.

Dass es sich beim BF um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt nicht aufgezeigt.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.

3.2. Zu Spruchpunkt B.I.:

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) und Grundfreiheiten oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), geboten ist, und die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Im gegenständlichen Fall wurde vom Beschwerdeführer im Zuge seiner Beschwerde vom 13.04.2018 gegen den Bescheid des BFA vom 27.03.2018 ein Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt, der nicht den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Vorgaben entsprach. Der eingebrachte Antrag war mangelhaft. Es fehlte ein Vermögensbekenntnis.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 09.03.2020 einen Verbesserungsauftrag erteilt und ihn aufgefordert, binnen einer Frist von einer Woche dem Bundesverwaltungsgericht ein Vermögensbekenntnis zu übermitteln.

Der Beschwerdeführer hat dem Verbesserungsauftrag nicht entsprochen.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe war daher mangels Erfüllung des Verbesserungsauftrages zurückzuweisen.

4. Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu A.II. und B.II.) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Assoziationsabkommen Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Familienzusammenführung Gefährdungsprognose Mittellosigkeit öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Rechtsgrundlage Rechtslage Rückkehrentscheidung Schubhaft Unterhaltspflicht Verbesserungsauftrag Verfahrenshilfeantrag Verfahrenshilfe-Nichtgewährung Verwaltungsstrafe Verwaltungsübertretung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L509.2193922.1.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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