Entscheidungsdatum
08.07.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W254 2231138-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH, gegen den Bescheid des Vizerektors für Lehre und Studium der Universität Salzburg vom 09.12.2019, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Am 28.02.2019 fand die Prüfung aus Europarecht an der Universität Salzburg statt. Abhängig vom Lichteinfall im jeweiligen Hörsaal und auch von der Farbe des Prüfungsbogens waren in den Prüfungsbögen die richtigen von den falschen Antwortoptionen in unterschiedlichem Ausmaß unterscheidbar. Am 28.03.2019 wurden die Studierenden daher in Kenntnis gesetzt, dass keine Prüfungsbeurteilung durch die Prüfer erfolgen könne und dass der Prüfungsantritt nicht gezählt werde.
2. Mit Schreiben vom 21.10.2019 (bei der Universität Salzburg eingelangt am 23.10.2019) stellte die beschwerdeführende Partei (in Folge BP) einen Antrag an den Vizerektor für Lehre und Studium der Universität Salzburg auf Beurteilung, Beurkundung und Beglaubigung der Fachprüfung Europarecht. Sie begründete den Antrag damit, dass sie ein subjektives Recht auf die Beurteilung der am 28.02.2019 abgelegten Prüfung habe. Die Beurteilung von Prüfungen sei gemäß § 74 Abs. 1 UG durch ein Zeugnis zu beurkunden und solche Zeugnisse seien unverzüglich, längstens jedoch innerhalb von vier Wochen nach Erbringung der zu beurteilenden Leistung auszustellen. Die BP habe ein subjektives Recht auf Ausstellung eines Zeugnisses über die am 28.02.2019 abgelegte Prüfung. Für die Annullierung der Prüfung vom 28.02.2019 gäbe es keinerlei Rechtsgrundlage im UG oder in der Satzung und sei von den Prüfern auch nicht genannt worden. Die BP stellte die Anträge, die zuständige Behörde möge die Beurteilungsunterlagen und das Prüfungsprotokoll beischaffen, veranlassen, dass die gegenständliche Prüfung beurteilt werde, diese beurteilte Prüfung durch Zeugnis beurkunden und dieses Zeugnis beglaubigen.
3. Mit Bescheid vom 09.12.2019 des Vizerektors für Lehre und Studium der Universität Salzburg wurde der Antrag auf Beischaffung der Beurteilungsunterlagen und des Prüfungsprotokolls, Beurteilung der Fachprüfung „Europarecht“ vom 28.02.2019, Beurkundung der beurteilten Fachprüfung durch Zeugnis und Beglaubigung dieses Zeugnisses abgewiesen. Es wurde entschieden, dass über die Fachprüfung „Europarecht“ vom 28.02.2019 kein Zeugnis ausgestellt werde. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Verweigerung der Ausstellung eines Zeugnisses bescheidmäßig zu erfolgen habe. Nach Durchsicht der abgegebenen Prüfungsunterlagen der Prüfung aus Europarecht habe es auffällige Unterschiede in den Prüfungsleistungen gegeben. Es habe viele negative Klausuren und auch eine ungewöhnliche Anzahl an 100/100 Punkten Arbeiten gegeben. Nach einem Hinweis aus dem Kreis der Studierenden seien die Prüfer darauf aufmerksam
gemacht worden, dass abhängig von den Lichtverhältnissen im Hörsaal, falsche von richtigen Antwortoptionen am Prüfungsbogen unterscheidbar gewesen seien und zwar in unterschiedlichem Ausmaß je nach Farbe des Prüfungsbogens (weiß, blau und grün). Aufgrund eines Fehlers bei der Herstellung seien die richtigen von den falschen Antworten durch unterschiedliche Grauschattierungen unterscheidbar gewesen. Es sei daher nach der Prüfung unmöglich festzustellen gewesen, für welche Studierende dieser Umstand für das Erreichen eines positiven Ergebnisses ausschlaggebend gewesen sei. Da daher keine validen Prüfungsergebnisse vorgelegen seien, hätte auch keine Prüfungsbeurteilung durch die Prüfer erfolgen können. Die Basis zur Erstellung eines seriösen Gutachtens über die Prüfungsleistung aller Studierenden sei nicht gegeben gewesen. Ohne Gutachten, das heißt ohne Beurteilung der Prüfungsleistung könne es keine Beurkundung des Gutachtens durch ein Prüfungszeugnis geben. Der Prüfungsantritt sei auch nicht gezählt worden.
4. Dagegen erhob die BP am 10.01.2020 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte sie aus, dass die belangte Behörde die Beurteilung der Prüfung ohne Rechtsgrundlage und ohne nähere Auseinandersetzung mit den Prüfungsumständen und insbesondere der konkreten Prüfung verweigert hätte. Der Prüfer und die belangte Behörde trügen die Alleinverantwortung dafür, dass Prüfungen ordnungsgemäß durchgeführt würden. Es liege eine ordnungsgemäße Prüfung vor, weshalb die Prüfer und die belangte Behörde in einem solchen Fall nicht im Nachhinein die Beurteilung der Prüfung verweigern könnten. Folge man der Rechtsansicht der belangten Behörde, könnten Prüfer nach ordnungsgemäßer Durchführung einer Prüfung und einer Erstdurchsicht der Prüfungen auch die Beurteilung verweigern, weil sie der Ansicht seien, dass die Prüfung gemessen an den zu erwartenden Ergebnissen zu leicht gewesen sei. Dafür fehle es an einer Rechtsgrundlage und stehe diese Rechtsansicht im Widerspruch zum im UG grundgelegten Prüfungssystem. Es käme Willkür gleich, wenn sich die Prüfer im Nachhinein ihrer Beurteilungspflicht entziehen könnten. Die BP habe sich auf die Prüfung gut vorbereitet und die Fragen aus eigenem Wissen beantwortet. Aufgrund des Alleinverschuldens habe der Prüfer die BP um ihre – allenfalls positive – Beurteilung gebracht. Dass für die Erstellung eines seriösen Gutachtens über die Prüfungsleistung für die Prüfer nicht feststellbar gewesen sei, für welche Studierende dieser Fehler Einfluss für die endgültige Beurteilung gehabt habe, könne nicht den völlig schuldlosen Studierenden zum Nachteil gereichen. Die ordnungsgemäß durchgeführte Fachprüfung Europarecht sei daher unabhängig davon zu beurteilen, ob die richtigen Antworten für die BP allenfalls erkennbar gewesen sei.
Darüber hinaus sei ausgeschlossen, dass für alle Studierende die richtigen Antworten erkennbar gewesen seien. Daher dürften auch nicht alle Prüfungsleistungen gleich behandelt werden. Jede Prüfung sei einzeln zu beurteilen. Die belangte Behörde habe Ermittlungen dahingehend unterlassen, welche Farbe der Prüfungsbogen der BP gehabt habe und ob bei dieser Farbe die falschen bzw. richtigen Antwortmöglichkeiten auf der Prüfungsangabe bei den gegebenen Lichtverhältnissen unterscheidbar gewesen seien. Es fehlten auch Ermittlungen und Feststellungen zum konkreten Ergebnis der bei der BP durchgeführten Erstdurchsicht. Darüber hinaus seien auch die Beweisanträge auf Beischaffung der Beurteilungsunterlagen und des Prüfungsprotokolls der BP abgewiesen worden. Der BP lägen zwei Exemplare der Fachprüfung Europarecht vom 28.02.2019 vor, auf denen die jeweils fünf Antwortmöglichkeiten mit freiem Auge nicht zu unterscheiden wären. Hätte sich die belangte Behörde mit der konkreten Prüfung der BP auseinandergesetzt, insbesondere mit der Erkennbarkeit der richtigen Prüfungsantworten, wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass die richtigen Antwortmöglichkeiten für die BP nicht erkennbar gewesen wären. Daher seien auch Verfahrensvorschriften verletzt worden. Im Ergebnis sei die Ansicht der belangten Behörde, dass keine validen Prüfungsergebnisse vorlägen und somit eine Prüfungsbeurteilung nicht möglich sei, unzutreffend. Die Prüfung der BP sei zu beurteilen, die Beurteilung sei durch Zeugnis zu beurkunden und diese Beurkundung sei zu beglaubigen. Die BP stellte die Anträge, die Beurteilungsunterlagen, das Prüfungsprotokoll der gegenständlichen Prüfung des Beschwerdeführers beizuschaffen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde stattzugeben in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
5. Mit Schreiben vom 08.05.2020, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 12.05.2020, legte der Vizerektor für Lehre und Studium der Universität Salzburg dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit dem Hinweis vor, dass der Senat der Universität Salzburg auf eine Stellungnahme verzichte und die belangte Behörde von einer Beschwerdevorentscheidung absehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 28.02.2019 fand die Prüfung aus Europarecht an der Universität Salzburg statt. Die Ergebnisse der ersten Durchsicht der Prüfungsunterlagen wiesen auffällige Unterschiede in den Prüfungsleistungen auf.
Abhängig vom Lichteinfall im jeweiligen Hörsaal und auch von der Farbe des Prüfungsbogens waren, aufgrund eines Fehlers in der Herstellung, in den Prüfungsbögen die richtigen von den falschen Antwortoptionen in unterschiedlichem Ausmaß durch unterschiedliche Grauschattierungen unterscheidbar.
Es war nach der Prüfung nicht mehr feststellbar, für welche Studierende dieser Umstand für das Erreichen eines positiven Ergebnisses ausschlaggebend war. Eine Prüfungsbeurteilung war daher nicht möglich.
Am 28.03.2019 wurden die Studierenden daher in Kenntnis gesetzt, dass keine Prüfungsbeurteilung durch die Prüfer erfolgen kann. Der Prüfungsantritt wurde für keinen der Studierenden gezählt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem verwaltungsbehördlichen Verfahren und insbesondere aus folgenden Erwägungen:
Die Feststellung, dass die richtigen von den falschen Antwortoptionen auf den Prüfungsbögen je nach Lichteinfall und Farbe des Prüfungsbogens in unterschiedlichem Ausmaß unterscheidbar waren, gründet sich auf den Aussagen der belangten Behörde. Die belangte Behörde hat nachvollziehbar ausgeführt, dass aufgrund der auffälligen Unterschiede in den Prüfungsleistungen und einem Hinweis aus dem Kreis der Studierenden, die Prüfer darauf aufmerksam wurden, dass die richtigen Antworten auf den Prüfungsbögen mehr oder weniger stark erkenntlich waren. Die BP tritt diesem Vorbringen auch nicht substantiiert entgegen, sondern behauptet lediglich, dass nicht bei allen Studierenden die richtigen Antworten erkennbar waren und insbesondere auf dem Prüfungsbogen der BP die richtigen Antworten nicht erkennbar waren.
Dass nicht mehr feststellbar ist, für welche Studierende dieser Umstand zu einem Erreichen eines positiven Ergebnisses geführt hat, ergibt sich daraus, dass es auch Fälle gegeben haben kann, wo zwar die richtige Antwort sichtbar war, der oder die Studierende aber auch ohne die sichtbare Antwort, die richtige Antwort gewusst hätte. Dies kann im Nachhinein nicht mehr überprüft werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu den rechtlichen Grundlagen
§ 2 Der Satzung der Universität Salzburg:
§ 2. (1) Der bzw. dem VRL obliegt die bescheidmäßige Erledigung aller studienrechtlichen Angelegenheiten nach Universitätsgesetz 2002, soweit das Gesetz oder die Satzung dafür keine anderen Zuständigkeiten festlegt.
[…]
Universitätsgesetz 2002:
Feststellung und Beurteilung des Studienerfolgs
§ 72. (1) UG Der Studienerfolg ist durch die Prüfungen und die Beurteilung der wissenschaftlichen (Diplomarbeit, Masterarbeit oder Dissertation) oder der künstlerischen Arbeit (künstlerische Diplom-, Masterarbeit oder Dissertation) festzustellen.
[…]
§ 73 UG
Nichtigerklärung von Beurteilungen
§ 73. (1) Das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ hat die Beurteilung mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn
1. bei einer Prüfung die Anmeldung zu dieser Prüfung erschlichen wurde oder
2. bei einer Prüfung oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Arbeit die Beurteilung, insbesondere durch die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel, erschlichen wurde.
(2) Die Prüfung, deren Beurteilung für nichtig erklärt wurde, ist auf die Gesamtzahl der Wiederholungen anzurechnen.
(3) Prüfungen, die außerhalb des Wirkungsbereiches einer Fortsetzungsmeldung abgelegt wurden, und Beurteilungen wissenschaftlicher sowie künstlerischer Arbeiten, die außerhalb des Wirkungsbereiches einer Fortsetzungsmeldung erfolgten, sind absolut nichtig. Eine Anrechnung auf die Gesamtzahl der Wiederholungen erfolgt nicht.
§ 74 UG
Zeugnisse
§ 74. (1) Die Beurteilung von Prüfungen und wissenschaftlichen sowie künstlerischen Arbeiten ist jeweils durch ein Zeugnis zu beurkunden. Sammelzeugnisse sind zulässig.
[…]
3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH stellen Prüfungsbeurteilungen keine dem Rechtszug unterliegenden Bescheide dar, vielmehr sind Prüfungsbeurteilungen als Gutachten zu qualifizieren. Überprüft kann nur werden, ob das Prüfungsergebnis in einer vom Gesetz vorgesehenen Art zustande gekommen ist (VwGH vom 26.01.2000, Zl. 97/03/0304). Der Gesetzgeber des UG scheint der Auffassung der Judikatur zu folgen: In den Materialien zum UniStG findet sich der Hinweis, dass durch die Regelungen über den Rechtsschutz „der bisherigen Praxis Rechnung getragen werden [könnte], die Prüfungen als Gutachten qualifiziert“ (ErlRV 588 BlgNR 20. GP 93). Damit liegt der Schluss nahe, dass auch der Gesetzgeber des UG dieses „Modell“ übernommen hat. Aus den Regelungen über die Nichtigerklärung (§ 73 UG), über die Wiederholbarkeit von Prüfungen (§ 77 UG) und den Rechtsschutz (§ 79 UG) ergibt sich, dass der Gesetzgeber von einer gewissen Bestandskraft von Prüfungsentscheidungen ausgegangen ist (so auch VwSlg 14.921 A) und Beurteilungen im Wesentlichen mit Rechtswirkungen ausgestattet sein sollen, die man bei Bescheiden als Rechtskraft bezeichnet (vgl zu diesem Begriff zB Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahren10 Rz 451 ff).
Ebenso hat der Gesetzgeber gewisse Rechtsschutzeinrichtungen – zumindest für negativ beurteilte Prüfungen – vorgesehen (§ 79 UG; vgl. Perthold-Stoitzner in Perthold-Stoitzner, UG3.01 § 72 Rz 3).
Zweck einer Prüfung ist, dass Studierende die Gelegenheit erhalten, den Stand der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen (§ 19 der Satzung der Universität Salzburg; vgl. auch die früher geltende Regelung des § 57 UniStG idF BGBl. I Nr. 120/2002). Auch nach dem VwGH ist der den Studienvorschriften innewohnender Zweck, die Sicherung einer objektiven und strengen Wissenskontrolle (vgl. Novak, Schwindelaktionen bei AHStG-Prüfungen - Relevanz, Kompetenzen, Konsequenzen, ÖJZ 1996, 542 [Fn 25]; VwGH vom 24.10.1975, VwSlg 8909/1975). Der Sinn von Prüfungs- und Studienvorschriften liegt darin, im Interesse der Studierenden, der Hochschule und der Allgemeinheit eine objektive strenge, vollständige Kontrolle des Wissens und der Ausbildung jener Personen sicherzustellen, denen auf Grund dieses Wissens und dieser Ausbildung ein akademischer Grad verliehen werden soll (vgl. Novak, Schwindelaktionen bei AHStG-Prüfungen - Relevanz, Kompetenzen, Konsequenzen, ÖJZ 1996, 542 [Fn 34]; VwGH 24. 10. 1975, 1406/75 = VwSlg 8909/1975).
Fehlerhafte Prüfungen können entsprechend den in der Fehlerkalküllehre eintretenden Konsequenzen in drei Kategorien eingeteilt werden. Zum einen können Fehler auftreten, die so gravierend sind, dass nicht einmal von einer Prüfung gesprochen werden kann. Insoweit handelt es sich dann um absolut nichtige Akte, die keine Rechtswirkungen entfalten können; einer Anfechtung oder Aufhebung bedarf es diesfalls nicht. Betroffen davon können sowohl positiv als auch negativ beurteilte Prüfungen sein.
Die Frage, wann Fehler zur absoluten Nichtigkeit der Prüfung führen, ist auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung aus dem UG zu ermitteln. Es muss sich dabei um derartig gravierende Mängel handeln, die gleichsam jenseits der Schwelle des „schweren Mangels“ iS des § 79 UG anzusiedeln sind, bei denen man dem Gesetzgeber nicht mehr unterstellen kann, er hätte im Fall der Nichtanfechtung bzw. in dem der positiven Beurteilung die Gültigkeit einer solchen „Prüfung“ in Kauf nehmen wollen (vgl. Stelzer, Rechtsprobleme von Prüfungen nach dem UniStG, in Strasser (Hrsg), Untersuchungen zum Organisations- und Studienrecht [1999] 66 [78]).
Unter Zugrundelegung des vorliegenden Falles muss daher von einer absoluten Nichtigkeit der gesamten Prüfung ausgegangen werden, da bei den Prüfungsbögen in unterschiedlichem Ausmaß die richtigen von den falschen Antworten zu unterscheiden waren. Der Zweck einer Prüfung, nämlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen – konnte damit nicht mehr erfüllt werden. Dabei macht es keinen Unterschied, dass bei manchen Prüfungsbögen – wie etwa laut Vorbringen der BP beim Prüfungsbogen der BP – die Antworten nicht ersichtlich waren und war daher den Beweisanträgen (auf Beischaffung der Beurteilungsunterlagen, des Prüfungsprotokolls und der gegenständlichen Prüfung) keine Folge zu leisten. Fest steht, dass den Prüfern bereits bei der ersten Durchsicht auffällige Unterschiede in der Prüfungsleistung aufgefallen sind, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass es sich um eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Prüfungen handelte, bei denen die richtigen Antworten unterscheidbar waren. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie aufgrund dieses derartig gravierenden Mangels und der Schwierigkeit im Nachhinein festzustellen, welche Studierende davon beeinflusst wurden, von einer absoluten Nichtigkeit der gesamten Prüfung ausgegangen ist. Der Zweck einer Prüfung konnte unter diesen Umständen nicht erfüllt werden und handelte es sich daher um eine absolut nichtige Prüfung. Die Mitteilung an die Studierenden, dass die Prüfung annulliert werde, hatte daher bloß deklaratorischen Charakter.
Lediglich ergänzend ist noch anzumerken, dass die Lichtverhältnisse des Prüfungstages und deren Einfluss auf die Sichtbarkeit der Antworten im Nachhinein auch nur schwer rekonstruiert werden könnten. Die Situation, die im relevanten Zeitpunkt bestanden hatte, ist wohl nicht mehr in allen wesentlichen Phasen wiederherstellbar (genauer Sitzplatz der Studierenden, Lichteinfall, Wolkenbehang, Windverhältnisse; vgl. auch VwGH vom 23.07.1999, 97/02/0292 zu ergänzenden Beweisanträgen).
3.3. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nach dem Rechtsschutzsystem des UG selbst bei erfolgreicher Rüge eines schweren Mangels bei der Durchführung einer Prüfung im Falle einer negativen Beurteilung diese Prüfung auf Antrag der oder des Studierenden lediglich mit Bescheid aufzuheben ist (vgl. § 79 UG). Es gibt daher – auch bei offenkundigen schweren Mängeln – keinen Rechtsanspruch, eine negativ beurteilte Prüfung zu einer positiv beurteilten Prüfung abzuändern. Rechtsschutz ist daher nur insoweit vorgesehen, als eine negativ beurteilte Arbeit aufgehoben wird und der Prüfungsantritt nicht zählt. Einen Rechtsanspruch auf eine positiv bewertete Arbeit lässt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Auch im vorliegenden Fall ist die BP nicht schlechter gestellt, da aufgrund des gravierenden Mangels von einer absolut nichtigen Prüfung ausgegangen wird und der Prüfungsantritt nicht zählt.
3.4. Im Ergebnis muss auch dem öffentlichen Interesse an ordnungsgemäß abgehaltenen Prüfungen ausreichend Rechnung getragen werden. Liegen derart gravierende Fehler in einer „Prüfung“ wie im vorliegenden Fall vor, da die richtigen von falschen Antworten in den Prüfungsbögen in unterschiedlichem Ausmaß erkennbar waren, kann gar nicht mehr von einer Prüfung gesprochen werden, sodass darin ein absolut nichtiger Verwaltungsakt erblickt werden muss (vgl. Stelzer, Rechtsprobleme von Prüfungen nach dem UniStG, in Strasser (Hrsg), Untersuchungen zum Organisations- und Studienrecht [1999] 66 [80]). In Folge war auch eine Beurteilung bzw. Beurkundung einer absolut nichtigen Prüfung nicht möglich, weshalb die belangte Behörde den Antrag der BP zu Recht abgewiesen hat.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass es der BP offen gestanden wäre, ihr Wissen und ihre Kenntnisse bei der Fachprüfung Europarecht vom 29.04.2019, daher zwei Monate nach dem ursprünglichen Prüfungstermin unter Beweis zu stellen.
Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof das restriktive System zur Überprüfung von universitären Prüfungsentscheidungen mit den Grundsätzen des Rechtsstaates für vereinbar gehalten (vgl. VfGH 12.03.1997, B 3474/95).
3.5. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im vorliegenden Fall wurde ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
Das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung konnte darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt geklärt erschien, weil der maßgebliche Sachverhalt durch die belangte Behörde festgestellt wurde. Weder war der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig
noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist (VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; zuletzt etwa VfGH 18.06.2012, B 155/12).
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Auf eine mündliche Verhandlung und die Erörterung der konkreten Prüfungsexemplare konnte verzichtet werden, da für die Feststellung, dass ein absolut nichtiger Verwaltungsakt und damit gar keine Prüfung vorliegt, es ausreicht, dass bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Prüfungen (siehe rechtliche Beurteilung), die Antworten ersichtlich waren. Damit konnte dahingestellt bleiben, ob dieser Umstand auch für die Prüfung der BP vorgelegen ist.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist an dieser Stelle auch ausdrücklich darauf, dass die gegenständliche Materie nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes nicht vom Schutzbereich des Art. 6 EMRK und (schon mangels der Eröffnung des Anwendungsbereichs) auch nicht von Art. 47 GRC erfasst ist (vgl. dazu VfGH 10.3.2015, E 1993/2014, wobei es der VfGH mangels Anwendungsbereichs ausdrücklich unterließ, auf die vorgebrachten Bedenken in Bezug auf Art. 6 EMRK, insbesondere den Entfall der mündlichen Verhandlung, einzugehen; vgl. dazu auch VwGH 22.11.2004, 2001/10/0071; 24.4.2018, Ra 2018/10/0019).
Zu B) Zur Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur absoluten Nichtigkeit von Prüfungen im Prüfungssystem des Universitätsgesetzes und den Auswirkungen von fehlerhaften Prüfungen auf den Einzelfall fehlt.
Schlagworte
absolute Nichtigkeit Annulierung Beurkundung Gutachten Nichtigerklärung Prüfung Prüfungsantritt Prüfungsbeurteilung Revision zulässig Universität ZeugnisausstellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W254.2231138.1.00Im RIS seit
11.12.2020Zuletzt aktualisiert am
11.12.2020