TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 I411 1263599-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylG-DV 2005 §8
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §52
IntG §9 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I411 1263599-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ungeklärt (alias Sierra Leone, alias Gambia, alias Nigeria), vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien vom 10.08.2018, XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I.       Dem Antrag auf Mängelheilung wird gemäß § 4 Abs. 1 Z. 2 AsylG-Durchführungsverordnung 2005 stattgegeben.

II.      Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX wird gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 09.02.2004 illegal in das Bundesgebiet ein. Er machte geltend, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein und stellte am 10.02.2004 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.07.2005, Zl. XXXX , abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Seine daraufhin erhobene Berufung wurde mit Bescheid des UBAS vom 01.06.2007, Zl. XXXX , rechtskräftig abgewiesen und die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone bestätigt.

Der Beschwerdeführer kam seiner daraus erwachsenen Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet.

2.       Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 04.08.2007, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3.       Ein am 09.08.2007 an das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone gestelltes Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde mit Schreiben vom 27.08.2007 abgelehnt. Gleichzeitig teilte das Generalkonsulat mit, dass der Beschwerdeführer nicht als sierra-leonischer Staatsangehöriger anerkannt werde. Der Beschwerdeführer habe seine Staatsangehörigkeit nicht hinreichend beweisen können. Er habe zu geringe Ortskenntnisse seiner angeblichen Heimat aufgewiesen, keinerlei Dokumente der Republik Sierra Leone vorgelegt und auch keine Angaben betreffend allfälliger Verwandter oder Bekannter in Sierra Leone machen können.

4.       Der Beschwerdeführer wurde am 29.08.2007, am 27.09.2007 und am 07.11.2007 durch die Bundespolizeidirektion Wien niederschriftlich einvernommen. Er blieb dabei, Staatsangehöriger Sierra Leones zu sein und stimmte der Durchführung einer Sprachanalyse zu, um alle Zweifel zu beseitigen.

5.       Am 07.02.2008 wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen, mit der Begründung, dass während der mehrere Monate andauernden Schubhaft kein Heimreisezertifikat erlangt werden habe können. Dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, sich selbst ein Ersatzdokument zu besorgen und aus dem Bundesgebiet auszureisen.

6.       Es wurden drei Sprachanalysegutachten des schwedischen Instituts „sprakab“ betreffend den Beschwerdeführer eingeholt. Aus dem Gutachten vom 24.01.2008 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine Variante des Englischen spreche, die offensichtlich nicht Sierra Leone, sondern sehr wahrscheinlich Nigeria zuzuordnen sei. Aus dem Sprachanalysegutachten vom 15.02.2008 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine Variante des Englischen spreche, die offensichtlich nicht Sierra Leone, sondern sehr wahrscheinlich Nigeria zuzuordnen sei, wobei aber auch Gambia nicht ausgeschlossen werden könne. Im Sprachanalysegutachten vom 27.02.2008 ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer Varianten von Mandingo und Englisch spreche, die offensichtlich Gambia zuzuordnen seien.

7.       Die nigerianische Botschaft in Wien stellte dem Beschwerdeführer nach negativ verlaufener Identitätsprüfung am 28.05.2010 kein Heimreisezertifikat aus. Der Beschwerdeführer habe angegeben, Staatsangehöriger Sierra Leones zu sein und auch die nigerianische Delegation vertrete diese Auffassung.

8.       Ebenso verlief ein Interviewtermin zur Identitätsprüfung durch eine gambische Expertendelegation am 04.04.2011 negativ.

9.       Dem Beschwerdeführer wurde auf entsprechenden Antrag erstmals am 12.04.2013 eine Karte für Geduldete ausgestellt, die mehrmals bis zum 30.07.2020 verlängert wurde.

10.      Mit Schreiben vom 06.05.2015 teilte das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone dem BFA mit, dass dem Ersuchen zur Ausfertigung eines Reisepasses sowie eines sonstigen Dokumentes, welches die sierra-leonische Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers bestätigen würde, aufgrund fehlender Nachweise nicht nachgekommen werden könne.

11.      Ein Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs 1 Z 1 AsylG vom 16.07.2014 wurde nach erhobener Säumnisbeschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2016, Zl. W196 1263599-2/9E, zurückgewiesen. Mit Erkenntnis vom 31.08.2017, Zl. Ro 2016/21/0019-7 wies der Verwaltungsgerichtshof eine dagegen erhobene Revision als unbegründet ab.

12.      Am 31.10.2017 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK. Begründend führte er aus, dass er sich seit 2004 ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet aufhalte. Er habe an sämtlichen Versuchen, ein Heimreisezertifikat zu erlangen, mitgewirkt. Da dies nicht möglich gewesen sei, habe das BFA ihm wiederholt Duldungskarten ausgestellt. Der strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführer habe seine Zeit in Österreich von Anfang an in vorbildlicher Weise zur beruflichen Integration genützt. So habe er den Hauptschulabschluss nachgeholt, die Berufsschule für XXXX absolviert, einen Berufsförderungskurs des BFI zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung XXXX besucht und am 28.09.2016 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf XXXX abgelegt. Zwischen Mai 2012 und Mai 2013 habe er insgesamt 7 Mal im Rahmen eines Praktikums von XXXX als XXXX gearbeitet. Aufgrund der absolvierten Lehrabschlussprüfung erfülle er das Modul 2 der Integrationsvereinbarung. In Zusammenschau bestehe eine intensive und schutzwürdige Verfestigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im Sinne des Art. 8 EMRK.

13.      Mit Verbesserungsauftrag vom 31.10.2017 forderte das BFA den Beschwerdeführer auf, binnen vier Wochen ein Lichtbild, ein gültiges Reisedokument und eine Geburtsurkunde vorzulegen, unter dem Hinweis auf die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV.

14.      Der Beschwerdeführer stellte mit Schreiben seiner Rechtsvertretung vom 28.11.2017 einen Antrag auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV.

15.      Am 14.05.2018 wurde der Beschwerdeführer durch das BFA zu seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK niederschriftlich einvernommen.

16.      Am 29.05.2018 übermittelte er eine schriftliche Stellungnahme seiner Rechtsberatung.

17.      Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 10.08.2018 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.). und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Sierra Leone zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.). Mit Spruchpunkt V. wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 28.11.2017 auf Heilung eines Mangels nach § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG-DV abgewiesen.

18.      Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 10.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

19.      Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 31.08.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

20.      Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.09.2018 vorgelegt.

21.      Mit Schriftsatz vom 14.11.2018 übermittelte der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und kinderlos. Seine Identität steht nicht fest. Es kann auch nicht abschließend festgestellt werden, welche Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführer innehat.

Er hält sich seit spätestens 09.02.2004 durchgehend im Bundesgebiet auf und war seither beinahe lückenlos behördlich gemeldet.

Ein von ihm am 10.02.2004 gestellter Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des UBAS vom 01.06.2007, Zl. XXXX , rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen und gegen ihn eine Ausweisung nach Sierra Leone erlassen.

Der Beschwerdeführer weigerte sich, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, setzte von sich aus keine Schritte zur Erlangung eines Identitätsdokumentes und verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet. Allerdings ist er sämtlichen Ladungen der österreichischen Behörden nachgekommen, war durchgehend an seiner Wohnadresse gemeldet und hat sich dem Zugriff der Behörden nicht entzogen.

Ein Heimreisezertifikat konnte für den Beschwerdeführer bis dato nicht erlangt werden.

Ein am 09.08.2007 an das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone gestelltes Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde mit Schreiben vom 27.08.2007 abgelehnt. Begründend führte das Generalkonsulat aus, dass der Beschwerdeführer nicht als sierra-leonischer Staatsangehöriger anerkannt werde.

Ebenso wenig konnte der Beschwerdeführer im Zuge eines am 28.05.2010 durchgeführten Interviewtermins durch die nigerianische Botschaft in Wien als nigerianischer Staatsbürger identifiziert werden.

Am 04.04.2011 fand ein Interviewtermin durch eine gambische Expertendelegation statt, wobei der Beschwerdeführer nicht als gambischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Ihm wurde kein Heimreisezertifikat ausgestellt.

Mit Schreiben vom 06.05.2015 teilte das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone neuerlich mit, dass dem Ersuchen des BFA zur Ausfertigung eines Reisepasses sowie eines sonstigen Dokumentes, welches die sierra-leonische Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers bestätigen würde, aufgrund fehlender Nachweise nicht nachgekommen werden könne.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist seit 12.04.2013 geduldet. Zuletzt wurde seine Karte für Geduldete am 30.07.2019 bis zum 30.07.2020 verlängert.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Die Mutter und eine Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor in seinem Herkunftsstaat, eine weitere Schwester lebt in Guinea.

In Österreich verfügt er über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich am 25.06.2010 den Hauptschulabschluss nachgeholt, am 08.03.2013 die Berufsschule für XXXX mit gutem Erfolg absolviert, von 21.10.2013 bis 16.12.2013 einen Berufsförderungskurs des BFI zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung XXXX besucht und am 28.09.2016 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf XXXX abgelegt. Im Zuge seiner Ausbildung absolvierte er zwischen Mai 2012 und Mai 2013 ein Praktikum von XXXX “ als XXXX . Er hat im Bundesgebiet Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen.

Der Beschwerdeführer ist während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, sowie in die Beschwerdeergänzung vom 14.11.2018. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten nicht zweifelsfrei festgestellt werden.

Auch konnte eine abschließende Beurteilung seiner Staatsangehörigkeit nicht getroffen werden. Der Beschwerdeführer selbst gab durchgehend an, aus Sierra Leone zu kommen, was jedoch von Seiten der sierra-leonischen Vertretungsbehörde nach Durchführung eines Telefoninterviews am 21.08.2007 nicht bestätigt werden konnte (AS 117, 119-120 und 122). Auch drei eingeholte Sprachanalysegutachten des schwedischen Instituts „sprakab“ vom 24.01.2008, 15.02.2008 und 27.02.2008 gelangen zu keinem eindeutigen Ergebnis der Herkunft des Beschwerdeführers. Aus den Gutachten geht – wie im Verfahrensgang näher aufgezeigt – hervor, dass der Beschwerdeführer mit einer großen Wahrscheinlichkeit nicht wie behauptet aus Staat Sierra Leone stammt, sondern wahrscheinlich aus Nigeria oder aus Gambia. Eine eindeutige Feststellung zur Herkunft des Beschwerdeführers wurde jedoch in den Gutachten nicht getroffen. (AS 163-175). Wie aus dem Verwaltungsakt hervorgeht, konnte weder für Nigeria (AS 253) noch für Gambia (AS 255) ein Heimreisezertifikat erlangt werden und das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone verweigerte zuletzt am 06.05.2015 die Ausstellung eines Identitätsdokumentes für den Beschwerdeführer (AS 622), sodass die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden konnte.

Die Feststellung zur seinerzeitigen Einreise und zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers und einer am 30.06.2020 eingeholten zmr-Auskunft. Ebenso aus dem Verwaltungsakt, sowie einer eingeholten IZR-Auskunft ergibt sich die Feststellung zu seinem mit 01.06.2007 rechtskräftig negativ entschiedenen Antrag auf internationalen Schutz und seinem anschließenden unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet. Eigene Bemühungen des Beschwerdeführers, bei den Behörden seines Herkunftsstaates ein Reisedokument zu beschaffen sind nicht ersichtlich und wurden in der Beschwerde auch nicht behauptet.

Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer seiner behördlichen Meldeverpflichtung nachgekommen ist, allen Ladungen der Behörden gefolgt ist und verschiedene Interviewtermine vor den Vertretungsbehörden Sierra Leones (AS 122), Nigerias (AS 253) und Gambias (AS 255) wahrgenommen hat.

Ebenso geht aus dem Verwaltungsakt hervor, dass bis dato kein Heimreisezertifikat erlangt werden konnte.

Die dem Beschwerdeführer bislang erteilten Duldungskarten sind durch den Inhalt des Verwaltungsakts und einen Auszug aus dem zentralen Fremdenregister vom 30.06.2020 belegt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen glaubhaften Aussagen vor der belangten Behörde.

Aus den Angaben des Beschwerdeführers ergeben sich die Feststellungen zu seiner in seiner Heimat lebenden Familie.

Dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte oder relevante private Beziehungen verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben und dem Akt.

Die Feststellungen zu den Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und im Beschwerdeschriftsatz in Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen, darunter: eine Teilnahmebestätigung für einen Deutsch- und Computerkurs von XXXX ohne Datum, eine Kursbesuchsbestätigung DaZ A1 der VHS XXXX vom 09.09.2004, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs für Fortgeschrittene von XXXX vom 14.03.2005, eine Semesternachricht vom 30.01.2009 und ein Abschlusszeugnis vom 19.06.2009 für den Lehrgang XXXX vom XXXX , eine Antrittsmeldung – Kursmaßnahme der VHS XXXX vom 06.05.2010, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Vorbereitungskurs zur Externistenprüfung der VHS XXXX vom 25.06.2010, eine Zeugnis-Bestätigung über die Absolvierung des Hauptschulabschlusses der VHS XXXX vom 25.06.2010, Schulnachrichten der Berufsschule für XXXX vom 08.10.2010, vom 07.10.2011 und vom 05.10.2012 samt Landeslehrplan/Stundentafel vom 07.03.2013, eine Kursbestätigung Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung des BFI vom 16.12.2013, ein Prüfungszeugnis über die bestandene Lehrabschlussprüfung der Wirtschaftskammer XXXX vom 28.09.2016, sowie sieben Praktikumsvereinbarungen von XXXX (AS 567-587).

Die Feststellung zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergibt sich aus einem am 30.06.2020 eingeholten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes.

Aus einem Strafregisterauszug vom 30.06.2020 ergibt sich die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung (plus)“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074; VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168; VwGH 22.2.2017, Ra 2017/19/0043).

Im angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMKR abgewiesen und dies in der rechtlichen Würdigung folgendermaßen begründet:

„Sie befinden sich negativen Abschluss Ihres Asylverfahrens und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Sierra Leone seit 01.06.2007 unrechtmäßig im Bundesgebiet. Ein Wille zur Mitwirkung an der Feststellung Ihrer Identität konnte während des ganzen Verfahrens – wie auch im Bescheid des BVwG zur GZ: W196 1263599-2/9E vom 27.06.2018 festgestellt „… der Antragsteller hat im Verfahren nicht erkennbar und ausreichend mitgewirkt (vgl dazu auch die hg Erkenntnisse vom 24.02.2016, L506 1258497-2, vom 04.09.2015, W103 1319161-2, vom 11.02.2016, I408 1415147-2 und vom 08.09.2015, I408 1241945-2) – nicht erkannt werden, obwohl sie mehrmals aufgefordert wurden Ire Identität mittels eines geeigneten Identitätsdokumentes nachzuweisen. Sie haben bis dato keine Nachweise über Bemühungen Ihrer Person zur Erlangung eines Identitätsdokumentes vorgelegt. (…)“ (Bescheid Seite 28)

Die von der belangten Behörde getroffenen wesentlichen Feststellungen, die dieser rechtlichen Würdigung zugrunde liegen, werden vom Bundesverwaltungsgericht geteilt und sind unbestritten.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wurde jedoch der Aspekt der über zehnjährigen Aufenthaltsdauer nicht entsprechend den von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Leitlinien in die Interessensabwägung miteinbezogen.

Der Beschwerdeführer kann mittlerweile auf einen über 16-jährigen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet zurückblicken.

Nach der ständigen Judikatur ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH, 07.03.2019, Ra 2018/21/0253; VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 13; VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 9 und 10, sowie VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120, Punkte 6.2. und 7.2., jeweils mwN).

Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben (vgl. E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben (vgl. E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss (vgl. E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich (vgl. E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins (vgl. E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365)." (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005)

Auch wenn der Beschwerdeführer bislang keine Deutschprüfung absolviert hat, hat er überdurchschnittliche Deutschkenntnisse bewiesen, indem er im Jahr 2010 den Hauptschulabschluss sowie im September 2016 eine Lehrabschlussprüfung für den Lehrberuf XXXX positiv absolvierte, zumal die Unterrichtssprache der mit gutem Erfolg abgeschlossenen Berufsschule Deutsch war. Er absolvierte diverse Praktika und hat Freundschaften im Bundesgebiet geschlossen. Darüber hinausgehende Integrationsbemühungen werden von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem so langen Aufenthalt nicht gefordert (vgl. VwGH, 23.02.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 12).

Zwar wurden diese Schritte zu einem Zeitpunkt gesetzt, als sich der Beschwerdeführer nach dem negativen Ausgang seines Asylverfahrens seines unrechtmäßigen Aufenthaltes bewusst sein musste und nach ständiger Rechtsprechung des EGMR kann in einem solchen Fall nur unter außergewöhnlichen Umständen von einer Verletzung des Art. 8 EMRK durch eine Außerlandesbringung ausgegangen werden (vgl. etwa EGMR Entscheidung vom 28.01.2014, Bolek ua gegen Schweden, Nr. 48205/13 unter Bezugnahme auf Nunez gegen Norwegen, Nr. 55597/09, 28.06.2011). Angesichts der extrem langen Aufenthaltsdauer in Österreich kommt das Bundesverwaltungsgericht aber zum Schluss, dass gegenständlich außergewöhnliche Umstände im Sinne der EGMR-Judikatur vorliegen.

Umgekehrt hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. etwa die Erkenntnisse des VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0165, und vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, sowie die Beschlüsse des VwGH vom 03.09.2015, Ra 2015/21/0121, und vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (wie etwa das Ausländerbeschäftigungsgesetz; siehe VwGH, 16.10.2012, 2012/18/0062, sowie VwGH, 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. VwGH, 20.07.2016, Ra 2016/22/0039, sowie das zitierte Erkenntnis Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. die zitierten Erkenntnisse Ra 2015/21/0249 bis 0253 sowie Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. VwGH, 31.01.2013, 2012/23/0006).

Derartige erschwerende Umstände sind verfahrensgegenständlich nicht hervorgekommen. Insbesondere ist der Fall nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der der Entscheidung VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0165, zugrunde lag, weil in jenem Fall ein Drittstaatsangehöriger seine Abschiebung bzw. die Erlangung eines Heimreisezertifikates durch eine auch strafgerichtlich geahndete Urkundenfälschung verhindert hatte. Zwar kann die tatsächliche Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, er hat sich nicht aus Eigenem um die Erlangung eines (Ersatz)reisedokumentes bemüht und es ist auch nicht auszuschließen, dass er seine Außerlandesbringung durch die Angabe eines falschen Herkunftslandes erschwert hat. Dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich einer Alias-Identität bedient hat, steht jedoch nicht abschließend fest.

Hinzu kommt, dass sich die belangte Behörde über Jahre hindurch damit abgefunden hat und ab dem Jahr 2015 auch selbst keine weiteren Versuche mehr unternahm, für den Beschwerdeführer ein Heimreisezertifikat zu erlangen. (siehe zu einem ähnlichen Fall VwGH 22.08.2019, Ra 2018/21/0134 und 0135, insbesondere Rn. 23 und 24 und VwGH 29.12.2019, Ra 2019/21/0243). Die belangte Behörde vertrat im Verfahren zur Ausstellung einer Duldungskarte selbst die Ansicht, dass den Angaben des Beschwerdeführers im Zweifel Glauben zu schenken sei (AS 670) und erachtete im gegenständlichen Verfahren die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit für glaubhaft. Die durchgehende Duldung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit April 2013 impliziert, dass die Behörden dem Beschwerdeführer die Nicht-Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates nicht zum Vorwurf machten. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG geht hervor, dass der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet ist, solange deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint.

Die belangte Behörde macht dem Beschwerdefu?hrer auch (grundsa?tzlich zu Recht) zum Vorwurf, dass er nach Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz der damit verbundenen Ausweisung keine Folge geleistet hat und sein Aufenthalt seit damals unrechtma?ßig ist. Dabei handelt es sich aber, wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21.01.2020, Ra 2019/21/0378 ausfu?hrt, um Gesichtspunkte, die - in mehr oder weniger großem Ausmaß - typischerweise auf Personen zutreffen, die nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz einen mehr als zehnja?hrigen inla?ndischen und zuletzt jedenfalls unrechtma?ßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweisen.

Den Ausfu?hrungen des BFA, wonach der die Außerlandesbringung des Beschwerdefu?hrers mangels seiner Kooperation nicht erfolgen habe ko?nnen, kann nicht gefolgt werden. Auch wenn der Beschwerdefu?hrer sich nicht aktiv um seine Ausreise bemu?ht hat, ist er den Ladungen betreffend die Vorfu?hrtermine durch verschiedene Expertendelegationen jeweils nachgekommen, war durchgehend an seiner Wohnadresse gemeldet und hat sich dem Zugriff der Beho?rden nicht entzogen. Eine Verschleierung seiner Identität und Herkunft konnte dem Beschwerdeführer nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls ist in einem Fall, der durch eine zehn Jahre deutlich u?bersteigende Dauer des inla?ndischen Aufenthaltes gekennzeichnet ist, nicht von Belang (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243; vgl. auch VwGH 04.03.2020, Ra 2020/21/0010).

Ein sonstiges Fehlverhalten kann dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden, er hat sich in den über 16 Jahren seines Aufenthaltes nichts zu Schulden kommen lassen und ist strafrechtlich unbescholten.

Positiv ins Treffen zu fu?hren ist zudem, dass der Beschwerdefu?hrer immerhin versucht hat, mit seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, seinen Aufenthalt in O?sterreich zu legalisieren (siehe dazu das Erkenntnis des VwGH vom 31.01.2013 Zl. 2012/23/0006).

Sonstige gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände liegen nicht vor.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist sohin davon auszugehen, dass das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts überwiegt.

Dabei verkennt das erkennende Gericht nicht, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK - vgl. VwGH 9.3.2003, 2002/18/0293) ein hoher Stellenwert zukommt. Unter Beachtung aller maßgeblichen Momente ist vor dem Hintergrund des langen Aufenthaltszeitraumes des Beschwerdeführers in Österreich, des im Bundesgebiet gelegenen Lebensmittelpunktes, der sozialen Kontakte, der strafgerichtlichen Unbescholtenheit, sowie der gezeigten Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Pflichtschulabschluss und abgeschlossene Lehre) ein Überwiegen der auf Seiten des Beschwerdeführers gelegenen Momente im Hinblick auf Art 8 EMRK zu erkennen.

In einer Zusammenschau aller Umstände kommt das Bundesverwaltungsgericht somit zum Schluss, dass im Falle des Beschwerdeführers eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in seine nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eingreifen würde.

Dem Beschwerdeführer ist daher gemäß § 55 AsylG ein Aufenthaltstitel zu verleihen.

Zu überprüfen ist noch, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nach Abs. 1 vorliegen oder ob nach Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen ist.

Nach § 9 Abs. 4 des Integrationsgesetzes beinhaltet die Erfüllung des Moduls 2 (§10) das (in § 55 Abs. 1 AsylG 2005 angesprochene) Modul 1 der Integrationsvereinbarung. Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist unter anderem gemäß § 10 Abs. 2 Z 7 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz, BGBl. Nr. 142/1969, verfügt. Diese Voraussetzung ist gegeben, der Beschwerdeführer hat am 28.09.2016 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf XXXX abgelegt. Es ist ihm daher eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels sind gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV ein gültiges Reisedokument, eine Geburtsurkunde und ein Lichtbild vorzulegen. Der Beschwerdeführer brachte keinen Reisepass und keine Geburtsurkunde ins Verfahren ein, stellte aber am 28.11.2017 einen Antrag auf Mängelheilung.

Nach § 4 Abs. 1 Z. 2 der AsylG-DV kann die Behörde die Heilung eines Mangels nach § 8 AsylG-DV (unterbliebene Vorlage der dort genannten Urkunden) auf begründeten Antrag zulassen, wenn dies im Sinne des Art 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens erforderlich ist. Letzteres ist freilich in jenen Konstellationen, in denen wie hier ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen ist, schon voraussetzungsgemäß der Fall. Daraus folgt, dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt VwGH, 26.01.2017, Ra 2016/21/0168 sowie 17.11.2016, Ra 2016/21/0314 sowie 14.4.2016, Ra 2016/21/0077).

Das – durch § 8 AsylG-DV 2005 näher konkretisierte – Erfordernis der Klärung der Identität des Fremden wäre gegebenenfalls schon dann als erfüllt anzusehen, wenn (bloß) eine eindeutige "Verfahrensidentität" dergestalt besteht, dass es sich bei jener Person, der der Aufenthaltstitel erteilt bzw. ausgefolgt wird, mit Sicherheit um jene handelt, in Bezug auf die die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde. Eine solche Verfahrensidentität liegt gegenständlich jedenfalls vor (VwGH, Erkenntnis vom 15.09.2016, Ra 2016/21/0187-5).

Entsprechend war dem Antrag auf Mängelheilung stattzugeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4.       Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen blieben im Verfahren unwidersprochen und ist der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen. Der Beschwerde wurde stattgegeben, von Seiten der belangten Behörde wurde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich verzichtet.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Identitätsfeststellung Integration Interessenabwägung Mängelheilung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung Privat- und Familienleben private Interessen Reisedokument Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Vorlagepflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I411.1263599.3.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten