Entscheidungsdatum
23.07.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G310 2225715-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA: Bulgarien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2019, Zahl XXXX , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet a b g e w i e s e n.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der BF wurde am XXXX 2017 wegen des dringenden Tatverdachts gemäß §§ 278b Abs 2 StGB, § 278a StGB und § 246 Abs 2 StGB festgenommen, in die Justizanstalt XXXX eingeliefert und über ihn die Untersuchungshaft verhängt.
Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), vom 31.01.2017 wurde der BF anlässlich seiner Verurteilung über die in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG, in eventu über die Erlassung eines Schubhaftbescheides gemäß § 76 FPG in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde der BF zur Abgabe einer Stellungnahme binnen 10 Tagen aufgefordert.
Mit eigenhändigem Schreiben vom 07.02.2017 gab der BF eine schriftliche Stellungnahme ab.
Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , vom XXXX 2018, wurde der BF wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs 2 StGB, der kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB und der staatsfeindlichen Verbindung nach § 246 Abs 2 StGB unter jeweiliger Bedachtnahme auf § 28 StGB gemäß § 278b Abs 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben (7) Jahren verurteilt.
Der gegen dieses Strafurteil erhobenen Berufung des BF wurde mit Urteil des OLG XXXX , XXXX , vom XXXX 2019, nicht Folge gegeben.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.); gemäß § 70 Abs 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) sowie einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das unbefristete Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung, die eine unbedingte Freiheitsstrafe von sieben (7) Jahren nach sich zog und auch von der Berufungsinstanz (OLG XXXX ) bestätigt wurde, begründet.
Dagegen erhob der BF durch seine ihm zur Verfügung gestellte Rechtsberatung, am 25.10.2019 Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden. BVwG). Darin wurde die Behebung des Spruchpunktes III., die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVwG vom BFA am 25.11.2019 vorgelegt.
Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2019, XXXX wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.
Am 03.03.2020 langte beim BVwG eine eigenhändig verfasste Stellungnahme des BF ein. Er sei vor fünf Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder aus sozialen Gründen nach Österreich gekommen. Er sei durch sein damaliges Aussehen und die Anwesenheit vor Ort verhaftet und verurteilt worden. Er gab an, sich von islamistischen Ideologien abgewendet zu haben. Bei einer Abschiebung nach Bulgarien würde er politisch verfolgt und gefoltert werden. Er habe überhaupt keine Bindungen mehr zu diesem Land. Der BF stellte die Anträge auf „Rückstiftung des vorigen Status“, „Annahme seines Asylantrages“ und „Hemmung der Abschiebung“.
Am 05.05.2020 brachte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz beim BFA ein. Eine Entscheidung darüber liegt bislang noch nicht vor.
Feststellungen:
Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger von Bulgarien, ledig, frei von Obsorgeverpflichtungen und der türkischen, bulgarischen, englischen und deutschen Sprache mächtig.
Der BF zählt zur türkischen Ethnie in Bulgarien und ist Muslim. Nach dem Besuch der Volksschule (4 Jahre) und Hauptschule (4 Jahre) und eines Sportgymnasiums (4 Jahre) ging der BF weder einer Beschäftigung nach, noch erlernte er einen Beruf.
Anfang Juli 2015 übersiedelte der BF mit seinen Eltern und seinem Bruder nach XXXX , wo er bis zu seiner Festnahme an verschiedenen Adressen wohnte.
Am 27.06.2016 wurde dem BF eine unbefristete Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“ ausgestellt.
Der BF war von 27.07.2015 bis 14.08.2015, von 01.01.2016 bis 11.04.2016, von 18.05.2016 bis 13.07.2016 und von 24.08.2016 bis 14.11.2016 als Arbeiter beschäftigt. Bis November 2016 erzielte der BF aus Gelegenheitsarbeiten ein monatliches Einkommen von ca. 700 bis 900 EUR. Aufgrund einer schweren Fußverletzung konnte der BF bis zu seiner Festnahme am 26.01.2017 keiner Beschäftigung nachgehen.
Ende XXXX reiste der BF an einem unbekannten XXXX Grenzort nach Syrien, wo er am Aufbau einer radikal islamistisch ausgerichteten sozialen Infrastruktur der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) mitwirkte und an einer Ausbildung als Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in dem als „Dschihad“ bezeichneten Glaubenskampf zur Errichtung eines radikal islamistischen Gottesstaates teilnahm. Ende XXXX reiste der BF wieder in die XXXX . Ab XXXX war der BF bis zu seiner Verhaftung mit Unterbrechungen wieder in XXXX gemeldet.
Mit Schreiben vom XXXX 2019 des Amts der XXXX , wurde dem BFA mitgeteilt, dass hinsichtlich des gegenständlichen Antrags auf Ausstellung einer Dokumentation des unionrechtlichen Aufenthaltsrechts festgestellt wurde, dass aufgrund fehlender Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet seit 14.11.2016 und der strafgerichtlichen Verurteilung die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 51 NAG weggefallen sind. Im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wird daher gemäß § 55 Abs. 3 NAG um Prüfung einer Aufenthaltsbeendigung ersucht.
Der BF wurde in Österreich einmal strafgerichtlich verurteilt.
Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , vom XXXX 2018, bestätigt durch das Urteil des OLG XXXX XXXX , vom XXXX 2019, wurde der BF wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB sowie wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindung gemäß § 246 Abs 2 StGB unter jeweiliger Bedachtnahme auf § 28 StGB gemäß § 278b Abs 2 StGB – ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben (7) Jahren verurteilt.
Nach dem in Rechtskraft erwachsenen erstinstanzlichen Schuldspruch hat der BF
XXXX Im Rahmen der Strafbemessung wertete das Erstgericht „die Tatbegehung in Gemeinschaft“, das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen und den langen Deliktszeitraum als erschwerend. Als mildernd wurde der bisherige ordentliche Lebenswandel sowie der Umstand, dass der Angeklagte die Taten teils vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat, ins Kalkül gezogen.
Der BF hat hiedurch das Verbrechen der terroristischen Vereinigung, das Verbrechen der kriminellen Organisation und das Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindung begangen.
Der gegen dieses Strafurteil erhobenen Berufung des BF wurde mit Urteil des OLG XXXX , XXXX , vom XXXX 2019, nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht stellte fest, dass der Verbrechenstatbestand nach § 246 Abs 2 StGB sogar mehrfach (durch führende Beteiligung an einer staatsfeindlichen Verbindung und durch Anwerben von Mitgliedern für die Terrororganisation des „Islamischen Staates“) qualifiziert ist. Erschwerend ist, dass aus der Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse besonders verwerfliche Beweggründe des Tathandelns offenbaren (§ 33 Abs 1 Z 5 StGB). Die gegenüber einer Gesprächspartnerin getätigten Äußerungen des BF, wonach er „jetzt sehr gerne Köpfe abschneiden möchte“ bezogen sich auf nicht streng gläubige Muslime, mithin auf die Vernichtung von Mitgliedern einer der in § 283 Abs 1 Z 1 StGB genannten - durch die vorhandenen oder fehlenden Kriterien der Religion definierten - Gruppe und zeigen die Zielsetzung des BF auf, Angehörige dieses Personenkreises ausdrücklich wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe zu vernichten.
Dass die Taten der vom BF geförderten kriminellen Organisation und terroristischen Vereinigung ein exorbitantes Gefährdungs- und Zerstörungsausmaß aufwiesen und auch der Organisationsgrad im tatverfangenen Deliktszeitraum ein Ausmaß erreichte, das über die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 278a, 278b Abs 2 StGB hinausgeht, musste sich der BF im Zusammenhang mit der Beteiligung als Mitglied nach § 278 Abs 3 dritter Fall StGB unter dem Aspekt des § 32 Abs 3 StGB schuldsteigernd zurechnen lassen.
Der BF wird seit XXXX in Justizanstalten in Österreich angehalten. Das errechnete Strafende ist am XXXX .
Beweiswürdigung
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.
Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen beruhen auf seinen Angaben in seinen Stellungnahmen, der Beschwerde und den entsprechenden Feststellungen im vorliegenden Strafurteil bzw. Berufungsurteil. Die Bulgarisch,- und Türkischsprachkenntnisse folgen aus seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit; Deutschkenntnisse sind angesichts seiner eigenhändig verfassten Stellungnahmen und seines Aufenthalts in Österreich seit 2015 nachvollziehbar.
Aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) gehen nicht durchgehende Wohnsitzmeldungen des BF seit Juli 2015 bis zu seiner Verhaftung im Jänner 2017 hervor.
Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer im Jahr 2016 ist im Fremdenregister (IZR) gespeichert. Das Schreiben des Amts der XXXX vom XXXX 2019 liegt im Akt auf.
Aus dem Versicherungsdatenauszug gehen die vier kurzen Beschäftigungszeiten des BF hervor.
Die Feststellungen zur den strafgerichtlichen Verurteilung des BF und den Strafzumessungsgründen beruhen auf dem Strafregister, dem Strafurteil und dem Berufungsurteil. Der Vollzug der Freiheitsstrafe ergibt sich aus den Wohnsitzmeldungen des BF in Justizanstalten laut ZMR. Das errechnete Strafende ist in der Vollzugsinformation angeführt.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Als bulgarischer Staatsangehöriger ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei Personen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet und bei Minderjährigen muss sogar eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich vorliegen. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot (vorbehaltlich des Abs 3) für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG sogar unbefristet erlassen werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde (Z 1); wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) (Z 2); wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet (Z 3) oder wenn er öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt (Z 4).
§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH 20.12.2016, Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.
Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0034, mwN).
Die Verhältnismäßigkeit eines Aufenthaltsverbots ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289)
Gemäß Art. 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Dem BF kommt weder das Recht auf Daueraufenthalt zu, weil er sich nicht fünf Jahre lang rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufhielt, noch liegt ein zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG führender zehnjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet vor, zumal dieser grundsätzlich ununterbrochen sein muss und der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe die Kontinuität des Aufenthaltes unterbricht; Demnach ist bei der Beurteilung, ob die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch den Freiheitsentzug "abgerissen" sind, auch zu berücksichtigen, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Des Weiteren kommt es dabei auf die Gesamtdauer der "Unterbrechungen" des Aufenthalts und auf deren Häufigkeit an (VwGH 07.03.2019, Ra 2018/21/0097).
Der BF ist seit Juli 2015 melderechtlich im Bundesgebiet erfasst. Bis zu seiner Verhaftung am XXXX 2017 war der BF nur rund 1, 5 Jahre in Österreich mit Wohnsitz gemeldet. Aufgrund seiner Verurteilung zu sieben Jahren unbedingter Freiheitsstrafe ist durch den Freiheitsentzug in Verbindung mit dem erst relativ kurzen Voraufenthalt von einem Abreißen des Integrationsbandes zu bzw. in Österreich auszugehen.
Gegenständlich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") maßgeblich.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot nach § 67 Abs 1 und 3 FPG erlassen - wegen der über den BF verhängten unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Im Fall des BF steht seine Verurteilung wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der Verbrechen der kriminellen Organisation und der Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindung im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei bedarf es der Berücksichtigung, dass der BF sich der Terrororganisation IS anschloss, in Syrien am Aufbau einer islamistisch ausgerichteten sozialen Infrastruktur dieser terroristischen Vereinigung als Ersatz für die durch die Bürgerkriegshandlungen insbesondere durch terroristische Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB zerstörte Zivilgesellschaft mitwirkte und an einer Ausbildung als Kämpfer des IS für seinen Einsatz in dem als „Dschihad“ bezeichneten Glaubenskampf zur Errichtung eines radikal islamistischen Gottesstaates teilnahm und dessen Gedankengut und Ideologien sowie Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff, über das Platzieren von Bomben, Durchführung von Anschlägen mit Handys, Daten über Ausbildungslehrgang zur Ausführung von Terroranschlägen, usw. auf einem Datenträger besessen und letztlich zum Beitritt zum IS aufgerufen hat. So sagte der BF am Telefon, dass er „jetzt sehr gerne Köpfe abschneiden würde.“
Zu betonen ist, dass die Taten der vom BF geförderten kriminellen Organisation und terroristischen Vereinigung ein exorbitantes Gefährdungs- und Zerstörungsausmaß aufweisen.
Bei den vom BF begangenen Delikten handelt es sich ohne Zweifel um ein die öffentliche Sicherheit und Ordnung besonders schwer gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten des BF (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238) welches nicht nur auf das Fehlen einer Verbundenheit zu österreichischen Gesetzen und gesellschaftlichen Regeln hinweist, sondern vielmehr ein Ablehnen westlich-demokratischer Rechte an sich und die Bereitschaft einen politischen Umschwung allenfalls auch mit Gewalt herbeizuführen erkennen lässt. Trotz allseits bekannter Gräueltaten und westlich-demokratische Werte verneinender Einstellung des IS besaß der BF deren Propagandamaterial auf Datenträgern, schloss sich dem IS in Syrien an und versuchte ua. auch, neue Mitglieder zur Durchführung von Terroranschlägen in Europa, insbesondere Österreich anzuwerben.
Derartige Wertvorstellungen stehen den in Österreich gelebten Grund- und Menschenrechten sowie westlich-demokratischen Werten diametral entgegen, und stellen sowohl die Handlungen des BF eine eindringliche Gefahr für die öffentlichen Interessen der Republik Österreich dar.
Angesichts des festgestellten strafrechtswidrigen Verhaltens des BF und seiner ebenfalls festgestellten, diesem Verhalten zu Grunde liegenden ideologischen Einstellung ist nämlich davon auszugehen, dass die Gefährdungsprognose zu bejahen ist. Das bedarf hinsichtlich des Ausmaßes der von terroristischen Aktivitäten ausgehenden Gefahr keiner näheren Erörterung.
Aber auch an der Aktualität dieser Gefahr ist nicht zu zweifeln, weil die Tathandlungen des BF erst rund vier Jahre zurückliegen, und die Strafhaft noch mehrjährig andauert. Die vom BF monierte Abkehr vom ideologischen Gedankengut des IS vermag daran nichts zu ändern, weil angesichts des erst relativ kurzen Zeitraums seit seiner strafrechtlichen Verurteilung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Gesinnungswandel des im teils im jugendlichen Alter der Ideologie des IS verfallenen BF nachhaltig und unumkehrbar ist.
Im Übrigen ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat und dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (siehe zuletzt VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Dieser Wohlverhaltenszeitraum beginnt beim BF frühestens nach der Entlassung aus der Strafhaft. Die seither verstrichene Zeit reicht aufgrund der schwerwiegenden Taten noch nicht aus, um einen Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit des BF anzunehmen.
Es herrscht ein großes öffentliches Interesse an einem geregelten Fremdenwesen in Österreich vor und läuft die Nichtbeachtung von Rechtsnormen, insbesondere jener zur Hintanhaltung von Terror und organisierte Kriminalität, dem maßgeblich zu wieder. (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238)
In Zusammenschau mit dem Umstand, dass der BF durch seine im Strafurteil angeführten gesetzwidrigen Handlungen insbesondere auch eine Gefährdung der Unabhängigkeit und Sicherheit der Republik Österreich und der Unversehrtheit der Bewohner bewusst in Kauf genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots unerlässlich. Diese Maßnahme ist angesichts der Schwere der Verstöße gegen österreichische Rechtsnormen zur Verwirklichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig.
Das Aufenthaltsverbot greift zwar in das Familienleben des BF ein, da seine Eltern und sein Bruder in Österreich leben. Bei der nach § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung sind diese Beziehungen zu berücksichtigen. Das daraus resultierende Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich wird allerdings erheblich dadurch relativiert, dass der BF - obwohl er im gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie zusammenlebte - nach Syrien reiste und sich dem IS anschloss, und somit eine Trennung von seiner Familie willentlich und wissentlich in Kauf nahm. Die Kontakte zu seiner Familie sind durch die Anhaltung des BF in Strafhaft derzeit ohnehin eingeschränkt. Dem Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich steht die schwerwiegende Verurteilung des BF und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung derartig strafbarer Handlungen und an der Einhaltung fremdenpolizeilicher Bestimmungen gegenüber.
Es bestehen noch Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat. Er ist dort aufgewachsen, kennt die Gepflogenheiten, absolvierte dort seine gesamte Schulbildung und spricht die übliche Sprache. Der BF lebte seit seiner Geburt 1994 bis zu seiner Einreise nach Österreich im Juli 2015, somit 21 Jahre, in Bulgarien. Es wird ihm daher ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich nach Verbüßung seiner Haftstrafe wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren.
Weitere Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration des BF in Österreich liegen nicht vor, zumal er im Bundesgebiet in den Jahren 2015 und 2016 nur über jeweils sehr kurze Zeiträume einer erlaubten Erwerbstätigkeit als Arbeiter nachging.
Den familiären Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich steht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen und an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber. Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten des BF und auf sein Persönlichkeitsbild, das von schwerer krimineller Energie geprägt ist, überwiegt trotz der familiären Verbindungen in Österreich das öffentliche Interesse und die Sicherheit. Allfällige damit verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Verhinderung von terroristischen Verbrechen hinzunehmen.
Es ist dem BF zumutbar, im Rahmen des unbefristeten Aufenthaltsverbots die Kontakte zu seinen in Österreich lebenden bulgarischen Eltern und seinem bulgarischen Bruder durch Besuche in Bulgarien, Treffen in anderen Staaten, Telefonate und andere Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail) zu pflegen.
Derartige generalpräventive Erfordernisse, welche fallkonkret eine strenge Sanktionierung erfordern, liegen im Anlassfall vor, gilt es doch aufgrund des in den letzten Jahren beobachteten Phänomens einer Vielzahl von heimtückisch geplanten Terroranschlägen, welche von Mitgliedern oder Sympathisanten der Terrororganisation des Islamischen Staates verübt wurden, jeglichen Eindruck einer Bagatellisierung einer derartigen Delinquenz - die wie im Fall des BF auf die Durchführung von professionell geplanten Terroranschlägen in Europa und „insbesondere in Österreich“ abzielt- zu vermeiden und andere potentiell tatgeneigte Rechtsbrecher von der Begehung gleichgelagerter Straftaten abzuhalten.
Das persönliche Verhalten des BF stellt eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft und für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
Aufgrund der massiven Delinquenz des BF, der über ihn verhängten unbedingten langjährigen Haftstrafe kommt angesichts des beträchtlichen Handlungs- und Gesinnungsunwerts des BF sowie dem hohen demokratischen und sozialen Störwert der Taten in einer Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf die in § 67 Abs. 1 FPG iVm § 9 BFA-VG und Art 28 Abs 1 RL 2004/38/EG festgelegten Kriterien keine Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbotes in Betracht.
Das unbefristete Aufenthaltsverbot erweist sich unter Beachtung der besonderen Straffälligkeit, den hohe Unwerten der Taten, insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung und Bewerbung einer Terrororganisation und deren Handeln, die solchen Straftaten zugrundeliegende Wertvorstellungen und Negierung westlich-demokratischer Werte und der sich daraus ergebenden negativen Zukunftsprognose gegenständlich als verhältnismäßig und angemessen.
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Ob der gravierenden Straftaten des BF ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach Verbüßung seiner Haftstrafe im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Daher ist die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG somit nicht zu beanstanden.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.
Zu Spruchteil B):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot EWR-Bürger Gefährdungsprognose Generalprävention Haft Interessenabwägung öffentliche Interessen Organisierte Kriminalität Religion strafrechtliche Verurteilung Terror UnionsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225715.1.00Im RIS seit
11.12.2020Zuletzt aktualisiert am
11.12.2020