TE Bvwg Beschluss 2020/8/13 G314 2233873-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2020
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Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2233873-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .07.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot:

A)       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

C)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF), ein in XXXX geborener Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, verfügt über einen am XXXX .03.2002 ausgestellten, unbefristet erteilten Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung Familiengemeinschaft – ausgenommen unselbständiger Erwerb“. Er wurde im Bundesgebiet, wo er jedenfalls seit November 2000 durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, seit 2010 zehn Mal strafgerichtlich verurteilt, wobei ein Mal eine Zusatzstrafe iSd §§ 31, 40 StGB verhängt wurde und ein anderes Mal von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde, sodass acht Vorstrafen vorliegen. Er verbüßte auch schon mehrfach Freiheitsstrafen.

Im Jänner 2020 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den BF ein, nachdem am 09.01.2020 der polizeiliche Abschlussbericht betreffend den Verdacht einer von ihm am XXXX .08.2019 begangenen Urkundenunterdrückung übermittelt worden war. Am 20.01.2020 verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA von der Anklageerhebung. Daraufhin erstellte das BFA einen Auszug der Versicherungsdaten des BF im Zeitraum XXXX .01.2018 bis XXXX .01.2020 und nahm Abfragen in diversen Registern (Fremdenregister, Strafregister, Kriminalpolizeilicher Aktenindex) vor.

Mit Schreiben des BFA vom 22.01.2020 wurde der BF aufgefordert, sich zu der aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilungen und der Eintragungen im Kriminalpolizeilichen Aktenindex geplanten Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu äußern und konkrete Fragen zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet und zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Gleichzeitig wurde ihm das Länderinformationsblatt „Bosnien und Herzegowina“ der Staatendokumentation übermittelt.

Der BF erstattete über seinen anwaltlichen Vertreter eine Stellungnahme, in der er auf eine zuvor schon von ihm selbst erstattete Eingabe (die dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorliegt) hinweist. Er bringt vor, dass er sein ganzes Leben in Österreich verbracht habe. Er könne sich in seinem Heimatstaat, wo sich nur weitschichtige Verwandte aufhielten, zu denen kein Kontakt bestünde, keine Existenz aufbauen. Er habe vor, seine österreichische Freundin zu heiraten. Seine letzte Vorstrafe datiere aus dem Jahr 2017. Sein Aufenthalt sei finanziell abgesichert; er sei zwar derzeit arbeitslos, habe aber vor, wieder einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Er beantragte, das Ermittlungsverfahren nach seiner niederschriftlichen Einvernahme einzustellen und weder eine Rückkehrentscheidung noch ein Einreiseverbot zu erlassen.

Am 16.03.2020 wurde dem BFA der polizeiliche Abschlussbericht hinsichtlich des Verdachts einer vom BF am XXXX .11.2019 begangenen Körperverletzung übermittelt. Am 14.04.2020 verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX es von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

Das BFA führte keine weiteren Erhebungen durch, sondern erließ den nunmehr angefochtenen Bescheid. Damit erteilte es dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs 9 BFA-VG die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina fest (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn „gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 0 FPG“ ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), gewährte gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.). Es begründet dies im Wesentlichen damit, dass der BF volljährig und gesund sowie im Bundesgebiet „melderechtlich registriert“ sei. Er habe keine persönliche Verfolgung oder Bedrohung in seinem Heimatland behauptet, der als sicherer Herkunftsstaat gelte und wo er sein Privatleben fortsetzen könne. Er sei bereits zehn Mal rechtskräftig verurteilt worden und habe ein Verhalten gesetzt, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, sodass eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen seien. Dies sei für das wirtschaftliche Wohl des Landes und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen dringend geboten. Es lägen keine Hinweise dafür vor, dass die Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina in unzulässiger Weise in das Privat- und Familienleben des BF, dessen Schutzwürdigkeit als gering einzustufen sei, eingreife.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung. Der BF strebt damit die Behebung des Einreiseverbots, die Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung dauerhaft unzulässig sei, und die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen an. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass der BF in seinem Geburtsland Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern lebe und sich um seine minderjährigen Neffen kümmern müsse. Er gehe einer regelmäßigen Beschäftigung nach und habe eine Beziehung mit einer Österreicherin, die er heiraten wolle. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass er wieder straffällig werden würde. In seinem Heimatstaat habe er keine Existenzgrundlage. Das BFA habe die von ihm vorgelegten Urkunden unzureichend berücksichtigt und keine Feststellungen für die vorzunehmende Interessenabwägung getroffen. Die Entscheidung sei willkürlich und verletze Art 8 EMRK. Die Bescheidbegründung werde den Erfordernissen der §§ 58 ff AVG nicht gerecht. Mit der Beschwerde legte der BF eine Kopie seines Aufenthaltstitels, Unterlagen zu seiner Beschäftigung seit XXXX .07.2020 und eine Teilnahmebestätigung über eine Schulung im Zeitraum XXXX . bis XXXX .06.2020 vor.

Das BFA legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Dem BVwG wurden (neben den oben erwähnten Aktenbestandteilen) noch folgende Unterlagen übermittelt:

- Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , mit dem wegen des Vergehens der Sachbeschädigung unter Bedachtnahme auf eine vorangegangene Verurteilung von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde;

- Information über den Vollzug einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX ab XXXX .06.2014 und über die Enthaftung des BF am XXXX .04.2015;

- polizeilicher Abschlussbericht vom XXXX .07.2016 wegen des Verdachts einer vom BF am XXXX .05.2016 begangenen Sachbeschädigung;

- Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , mit dem der BF wegen des Vergehens des Betrugs zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde;

- polizeilicher Abschlussbericht vom XXXX .11.2016 wegen des Verdachts einer vom BF am XXXX .08.2016 begangenen Sachbeschädigung;

- Bericht über die Festnahme des BF am XXXX .01.2017 wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften;

- Information über den Vollzug einer viermonatigen und einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX ab XXXX .05.2017 sowie E-Mail des BFA vom 09.05.2017, mit dem der Justizanstalt mitgeteilt wurde, dass gegen den BF nach der Entlassung aus der Strafhaft keine fremdenrechtlichen Maßnahmen getroffen würden;

- Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , mit dem der BF wegen Suchtgiftdelikten und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG (Abfragen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, Zentralen Melderegister und Strafregister). Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

§ 28 VwGVG normiert somit einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (siehe z.B. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Solche gravierenden Ermittlungslücken liegen hier vor.

Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Sollen eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot (wie hier) auf strafgerichtliche Verurteilungen gestützt werden, ist es notwendig, Ermittlungen zu dem diesen zugrunde liegenden Fehlverhalten unter Berücksichtigung von Art und Schwere der konkreten Straftaten vorzunehmen. Das BFA hätte sich dabei nicht mit der Abfrage im Strafregister und im Kriminalpolizeilichen Aktenindex begnügen dürfen, zumal letzterer zwar Informationen über die wegen des Verdachts einer vorsätzlich begangenen, von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung an die Staatsanwaltschaften erstatteten Abschlussberichte der Kriminalpolizei enthält (siehe § 57 SPG iVm § 100 Abs 2 StPO), aber für sich genommen kein taugliches Beweismittel dafür ist, dass der BF die den Eintragungen zugrunde liegenden Taten tatsächlich begangen hat oder dass es sich dabei um ein (strafbares bzw. die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdendes) Fehlverhalten handelt. Das BFA hätte zumindest die gegen den BF erlassenen Urteile der Strafgerichte sowie nähere Informationen zum Vollzug der Freiheitsstrafen einholen müssen, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Strafvollzug in Freiheit wohlverhalten hat, und der BF in seiner Stellungnahme behauptet, er habe sich seit 2017 wohlverhalten. In diesem Zusammenhang wäre es auch sinnvoll gewesen, vor der Entscheidung den Ausgang des im Jänner 2020 gegen den BF anhängigen Strafverfahrens zu erheben.

Außerdem hätten angesichts des Tatsachenvorbringens des BF in seiner Stellungnahme Erhebungen zu seinem Privat- und Familienleben durchgeführt werden müssen. Bei der Erlassung von Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe etwa VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062). Das bisherige Ermittlungsverfahren bietet – wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt - keine geeignete Grundlage für diese Interessenabwägung, sondern ist in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Auf Basis der vorliegenden Ermittlungsergebnisse ist weder eine taugliche Gefährdungsprognose noch eine nachvollziehbare Interessenabwägung iSd § 9 BFA-VG möglich, zumal das BFA Hinweise auf erhebliche private und uU auch familiäre Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich (langjähriger, rechtmäßiger Inlandsaufenthalt; Ausbildung in Österreich; zumindest teilweise Integration am Arbeitsmarkt; im Inland lebende Familienangehörige) nicht beachtete. Aufgrund der groben Ermittlungsmängel und des Fehlens zentraler Entscheidungsgrundlagen sind die relevanten Ermittlungsergebnisse nur ansatzweise vorhanden, sodass die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an das BFA gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt sind. So fehlen insbesondere Informationen zu den Taten, auf denen sieben der zehn bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen des BF basieren, wobei sich anhand des Strafregisters vermuten lässt, dass zum Teil lediglich Bagatellkriminalität vorlag. Außerdem ist das BFA auf das Vorbringen des BF zu seinen privaten und familiären Anknüpfungen im Bundesgebiet nicht eingegangen und hat die behaupteten Tatsachen weder überprüft noch Feststellungen dazu getroffen. Die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erreicht ein solches Ausmaß, dass ihre Nachholung durch das BVwG weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Da das BFA noch keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts gesetzt hat und dieser in zentralen Teilen ergänzungsbedürftig ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen ist und wenn ja, für wie lange. Angesichts der Hinweise auf seine starke Verankerung im Bundesgebiet ist denkbar, dass eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf § 9 BFA-VG sogar dann nicht verhängt werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür prinzipiell erfüllt wären.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids nach Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird im Zusammenhang mit Spruchpunkt I. des Bescheids zu beachten sein, dass § 58 Abs 1 Z 5 AsylG für die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG einen nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt.

Zu Spruchpunkt II. des Bescheids ist darauf hinzuweisen, dass der unbefristete Aufenthaltstitel des BF gemäß § 81 Abs 2 NAG iVm § 11 Abs 3 NAG-DV als Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ weitergilt, sodass § 52 Abs 5 FPG als Grundlage für eine allfällige Rückkehrentscheidung in Betracht kommt. Dabei ist außerdem zu beachten, dass zwar § 9 Abs 4 BFA-VG mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 (BGBl I Nr. 56/2018) aufgehoben wurde, die Kriterien des § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG aF (rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet aufgrund eines Aufenthaltstitels, von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen) bei der Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK jedoch weiterhin umfassend zu berücksichtigen sind (so auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 189 d.B. XXVI.GP).

Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 59 Abs 1 AVG im Spruch des Bescheids unter anderem die angewendeten Gesetzesbestimmungen anzugeben sind. Dieser Vorgabe wird die Angabe von „§ 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 0 FPG“ nicht gerecht.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C):

Die Revision ist mangels einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG, in Bezug auf Spruchteil B) insbesondere wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die im Allgemeinen keine solche Rechtsfrage begründet (siehe z.B. VwGH 31.01.2019, Ra 2018/07/0486), nicht zuzulassen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2233873.1.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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